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Freitag, 18. November 2022

Robotham, Michael - Fürchte die Schatten


3 von 5 Sternen


Evies Vergangenheit

Der Psychothriller „Fürchte die Schatten“ von Michael Robotham ist die Fortsetzung des gelungenen ersten Teils „Schweige still“ (vgl. dazu eine frühere Rezension). Schon in meiner Rezension zu Band 1 habe ich die Stärke dieser Reihe herausgehoben: Die Konzeption der Figur Evie Cormac. Nun habe ich erwartet, dass diese interessant ausgestaltete Figur auch in Teil 2 im Zentrum stehen wird. Und das tut sie! Das ist schon einmal sehr gelungen! Insbesondere die Rekonstruktion ihrer Vergangenheit nimmt viel Raum ein. Ich empfehle aber allen Interessierten mit dem ersten Band zu beginnen, um sich mit der Vorgeschichte der beiden Hauptfiguren vertraut zu machen.

 

Die Charakterzeichnung von Evie ist in meinen Augen erneut hervorragend gelungen. So kommt Evies verächtlicher Blick auf die Welt einerseits zum Ausdruck, andererseits zeigen sich auch ihr guter Kern und ihre Hilfsbereitschaft. Sie ist ein traumatisiertes Mädchen mit einer seltenen Gabe: Sie kann ihre Mitmenschen durchschauen und Lügen erkennen. Und sie agiert stellenweise kompromisslos. Sie ist einfach eine interessante Figur, die sich durch Dickköpfigkeit und Sturheit auszeichnet sowie durch Selbsthass. Sie macht, was sie will, sie eckt an, und das mehrfach. Gleichzeitig macht sie sich mit ihrem trotzigen Verhalten selbst das Leben schwer und steht sich selbst im Weg. Die Passagen, in denen es um die Beziehung zwischen Evie und ihrem Peiniger geht, sind nur schwer auszuhalten.

 

Cyrus untersucht parallel zu der Handlung um Evie einen vermeintlichen Selbstmord und taucht in diesem Zusammenhang auch tief in Evies Vergangenheit ein. Cyrus ist ein ebenso vielversprechend angelegter Charakter wie Evie. Er vermag gut zu beobachten und treffende Schlussfolgerungen zu ziehen. Sein geschulter psychologischer Blick blitzt oft gut auf. Das gefällt mir! Allerdings steht er in diesem zweiten Band weniger im Fokus als Evie. Vermutlich wird seine tragische Familiengeschichte noch in einem der nachfolgenden Bücher genauer ins Blickfeld rücken. Wir lernen zumindest auf ein paar Seiten seinen Bruder kennen, der an Schizophrenie erkrankt ist. Diese Figur bietet noch einiges an Potential, auch wenn die Erkrankung hier etwas klischeehaft dargestellt wird.

 

Verglichen mit dem ersten Band hat sich der Sprachgebrauch von Evie etwas verändert. Auf mich hat es den Eindruck gemacht, als würde sie häufiger „anzüglich“ sprechen. Sie verstößt gegen Normen, indem sie Witze über Intimes anstellt und andere häufiger bloßstellt. Das ist mir im ersten Band nicht so deutlich aufgefallen. Hier scheint sie eine negative Entwicklung durchlaufen zu haben. Das ist erzählerisch durch die Veränderung des Sprachduktus gut umgesetzt worden.

 

Es gibt aber dennoch auch Dinge, die mir nicht so gut gefallen haben: So hätte ich mir gewünscht, dass Evie häufiger von ihrem Talent als „Wahrheits-Zauberin“ Gebrauch gemacht hätte. Diese Idee mit Potential kommt mir eindeutig zu kurz. Auch hätte ich mir gewünscht, dass Cyrus sich ihre Begabung stärker zunutze macht und sie in die Ermittlungen stärker einbindet. Das hat mir gefehlt. Nicht zuletzt war mir die Spannungsintensität insgesamt zu gering. Mir fehlten spannungserregende Momente. Auch das Erzähltempo hätte höher ausfallen können. Erst nach der Hälfte des Buchs spürt man, dass das Tempo und die Spannung anziehen.

 

Fazit

In Band 2 steht v.a. die Rekonstruktion der Vergangenheit von Evie im Zentrum. Für mich ist die Charakterzeichnung von Evie und Cyrus das gelungenste an diesem Thriller. Beide sind interessante und vielversprechende Figuren, vor allem Evie hat so viel Potential. Für mich hätte aber das Talent von Evie noch viel stärker erzählerisch aufbereitet werden müssen. Auch hätte ich mir eine mögliche Zusammenarbeit von Evie und Cyrus gewünscht. Ich hatte einfach eine andere Erwartungshaltung, das hat mich schon etwas enttäuscht zurückgelassen. Ich hoffe sehr, dass der Autor im dritten Band das Potential seiner Figuren stärker ausschöpft. Ich vergebe 3 Sterne, auch weil mir Tempo und Spannung fehlten.

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