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Freitag, 11. November 2022

Albrecht, Henrik und Sonja Wimmer (Hrsg.): Das Gespenst von Canterville nach Oscar Wilde


5 von 5 Sternen


Akustisches und visuelles Erlebnis

Das Orchesterhörspiel „Das Gespenst von Canterville“, herausgegeben von Henrik Albrecht und Sonja Wimmer, basierend auf der Geschichte von Oscar Wilde, ist einfach nur genial und sehr durchdacht arrangiert. Ich werde in der nun folgenden Rezension viel Lobendes erwähnen, aber nichtsdestotrotz am Ende auch noch einige Verbesserungsvorschläge machen. Doch diese Vorschläge sind lediglich als Anregung zu verstehen. Leider kenne ich keine weiteren Bücher aus der Reihe „Weltliteratur und Musik“, so dass mir kein Vergleich mit anderen Werken möglich ist, aber wenn jedes Werk so kunstvoll gestaltet worden ist wie dieses, dann kann ich nur zu einem Kauf raten. Die Reihe hat bei mir einen unglaublich positiven Eindruck hinterlassen. Und nicht nur bei mir, sondern auch bei meinen Töchtern. Diese wollten das Hörspiel wiederholt hören und sich auch das Buch dazu immer wieder anschauen. Sie waren begeistert und gefesselt. Ich denke, das spricht für sich.

Das Werk bietet erst einmal in künstlerisch-kultureller Hinsicht einiges: Wir lernen als Leser nicht nur ein interessantes klassisches Werk kennen, das für Kinder adaptiert wurde, sondern der Inhalt des Textes wird untermalt von passender, stimmungsvoller Musik, die sogar eigens nur für dieses Buch komponiert wurde. Das ist absolut fantastisch! Und letztlich erwirbt man beim Kauf dieses Werks zwei Medien: Das Vorlesebuch mit vielen ansprechenden, großformatigen Illustrationen, die eine faszinierende Wirkung bei den jungen Zuhörer:innen hinterlassen sowie das Hörspiel, das sich sowohl unabhängig vom Vorlesebuch aber auch in Kombination mit diesem anhören lässt. Man hat also viele Möglichkeiten mit diesen Medien umzugehen.

Das Hörspiel entfaltet eine ungeheuer anziehende Wirkung auf die jungen Zuhörer:innen, was wohl daran liegt, dass durch die Musik viele Emotionen beim Anhören, Anschauen und Vorlesen ausgelöst werden. Und als ob das nicht schon genug wäre, gibt es auch noch kindgerechte Hintergrundtexte zur Musiktheorie. In kursiver Schrift werden auf jeder Seite im Buch Erklärungen zu Details der Musik und der Instrumente dargelegt. Dabei wird stellenweise auch darauf eingegangen, welche Wirkung mit der musikalischen Untermalung erreicht werden soll. Auch das ist durchdacht und gelungen. Und es überlässt den Eltern selbst die Entscheidung, ob sie an passender Stelle das Hörspiel unterbrechen wollen und den Kindern ein wenig Musiktheorie näherbringen möchten. Auf der CD sind diese kursiv gesetzten Texte (leider?) nicht zu finden (vgl. dazu gleich meine Verbesserungsvorschläge).

Auffällig: Der Text im Hörspiel geht bei Weitem über das hinaus, was das Buch als Text bietet. Der Text im Vorlesebuch wurde stark gekürzt und stimmt teilweise auch nicht mit dem Vorlesetext auf der CD überein. Das hat mich beim ersten Anhören und Vorlesen schon etwas irritiert, aber die Kinder haben sich nicht daran gestört. Bei genauerer Betrachtung ist diese Herangehensweise vermutlich sogar gelungen, weil man mit Hilfe der CD also über das Vorgelesene hinausgehen kann. Ich würde nur bei der ersten Auseinandersetzung mit dem Werk wie folgt vorgehen: Erst das Buch vorlesen, damit die jungen Zuhörer:innen den Inhalt bereits kennen. Und erst danach das Hörspiel als Erweiterung hören. Die Texte zur Musiktheorie nur bei Bedarf integrieren, da sonst der Redefluss gestört wird.

Noch ein paar Worte zur Atmosphäre: Es handelt sich um eine Geistergeschichte. Der Gruselfaktor ist also deutlich spürbar. Der Tod wird häufig sehr explizit als Thema erwähnt. Mord und Leichen kommen vor. Ich würde Eltern ängstlicher Kinder davon abraten, dieses Hörspiel zu hören. Einige Stellen sind schon sehr unheimlich geraten, zumal die gruselige Musikuntermalung auch noch ihren Teil zur schauerlichen Atmosphäre beiträgt. Diese ist oft dramatisch und schürt Ängste noch einmal zusätzlich, besonders am Anfang des Werks. Das ist nichts für schwache „Kinder-Nerven“. Ich muss aber auch sagen: Meine Töchter (5 und 7 Jahre) haben den Inhalt gut verkraftet und hatten auch keine schlechten Träume nach Anhören des Hörspiels. Dennoch hatten sie beim Zuhören ein höheres Kuschelbedürfnis. Vielleicht war auch von Vorteil, dass wir erst kürzlich Halloween begangen haben, wo es ja auch gruselig zugeht. Letztlich sollten die Eltern selbst entscheiden, was sie ihren Kindern zumuten können. Sie kennen ihr Kind selbst am besten. Ein Probehören im Vorfeld ist bestimmt eine gute Idee.

Zu den Sprecher:innen des Hörspiels: Diese sind fabelhaft ausgewählt worden und machen einen großartigen Job. Die Intonation gelingt hervorragend, die Emotionen kommen gut und passend zum Text zum Ausdruck. Kurzum: Der Inhalt wird auf diese Weise sehr ansprechend transportiert. Das macht einen außerordentlich professionellen Eindruck!

 

Verbesserungsvorschläge

In meinen Augen sind einige wenige Passagen für das kindliche Vorstellungsvermögen doch zu heftig. So hätte die Stelle, an der darauf eingegangen wird, dass ein Dolch in die Kehle gestoßen wurde in meinen Augen ruhig gekürzt werden können. Auch die ausführliche Darstellung eines Begräbnisses (Track 16, ca. 2.00 Min.) hätte ausgelassen werden können. Das habe ich an den Reaktionen meiner Kinder gemerkt.

Zwischen den Zeichnungen im Buch und dem Gesagten im Hörspiel gibt es logische Widersprüche. So hat Virginia im Hörspiel goldene Locken (vgl. Track 17, ca. 1.30 Min.), im Buch hingegen wurde sie mit langen schwarzen Haaren gezeichnet. Noch ein Widerspruch zwischen Buch und Hörspiel: Mrs. Otis sitzt im Hörspiel nicht auf einem Stuhl, sondern sie liegt auf einem Sofa (vgl. S. 26).

Die Zuordnung der Tracks zu den Seiten im Vorlesebuch ist auch nicht immer präzise. So bezieht sich Track 3 schon auf S. 9, Track 4 bezieht sich schon auf S. 10, Track 9 bezieht sich schon auf. S. 17 usw. Ich könnte hier noch weitere Beispiele anführen.

Es wäre überlegenswert, ob man einige der interessanten musikalischen Erläuterungen nicht stärker ins Hörspiel integrieren möchte. Allerdings ist mir klar, dass dies auch seinen Preis hätte: Der Inhalt der Geschichte müsste kurzzeitig zurückstehen und müsste unterbrochen werden. Gelungen fand ich aber, wie Virginia z.B. bei Track 1 aus ihrer Rolle heraustritt und Erläuterungen zum Musikinstrument einfordert. Wäre das nicht eine mögliche Option? Die Figuren aus ihren Rollen heraustreten lassen und einzelne musiktheoretische Dinge auf Metaebene erläutern lassen? Auch der Einsatz eines Erzählers wäre denkbar. Will man die Erklärungen zur Musik und zu den Instrumenten als fakultatives Angebot an die Eltern belassen, so hätte ich aber auch hier noch einen Vorschlag: Man sollte eine Empfehlung geben, bei welchem Track an welcher Stelle (Minuten- und Sekundenangabe) sich eine Pause anbieten würde. So wie es jetzt gestaltet ist, muss ich als erwachsener Zuhörer schon sehr konzentriert mithören und entscheiden, wann ich das Stück unterbreche.

Noch ein Punkt: Zwischen dem Vorlesetext im Buch und dem Hörspieltext auf der CD gibt es große Abweichungen. Teilweise gibt es lange Textauslassungen, auch Wörter werden abgeändert. Hier habe ich mich gefragt, ob wortwörtliche Übernahmen nicht möglich gewesen wären. Warum haben sich die Macher des Werks dazu entschieden, hier eine solche Differenz entstehen zu lassen. Ich habe es nicht verstanden. Mein Vorschlag: Lese- und Hörspieltext sollten sich genauer entsprechen, man stolpert sonst darüber.

Ein letzter Aspekt: Teilweise sind die Tracks sehr lang, aber es gibt vergleichsweise wenig Bilder. Hier stelle ich eine weitere Überlegung in den Raum: Könnte man den Text nicht ggf. stärker aufteilen und mehr Bilder pro Track einplanen?


Fazit: 


Selten habe ich ein so gut durchdachtes Werk wie dieses gelesen bzw. gehört. Musikalische Früherziehung trifft auf klassische Literatur für Kinder. Hier wird Kulturvermittlung großgeschrieben. Und es steckt so unglaublich viel Arbeit darin. Die Musik ist filmreif, die Sprecher agieren unglaublich professionell. Davor ziehe ich meinen Hut! Das Anhören und das Vorlesen des Buchs bzw. der CD sind ein akustisches und ein visuelles Erlebnis, es fesselt die jungen Zuhörer:innen und erzeugt starke Emotionen. Was will man mehr? Mehr davon! Und dennoch: Es gibt nach meinem Dafürhalten auch Raum für Verbesserungen. Diese habe ich ebenfalls angeführt. Doch ich verzeihe bei einem solch „komplexen Gefüge“ durchaus auch Nachlässigkeiten und vergebe aufgrund der grandiosen Idee und Machart trotzdem 5 Sterne! Ich würde mir aber wünschen, dass die Autoren oder Herausgeber ihr Werk noch weiter optimieren. Und allen, die solche Art von Buchhörspielen mögen, sei an dieser Stelle auch noch „Ritter Rost“ als weitere Referenz ans Herz gelegt. 

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