Akustisches und visuelles Erlebnis
Das Orchesterhörspiel „Das Gespenst von Canterville“, herausgegeben
von Henrik Albrecht und Sonja Wimmer, basierend auf der Geschichte von Oscar
Wilde, ist einfach nur genial und sehr durchdacht arrangiert. Ich werde in der
nun folgenden Rezension viel Lobendes erwähnen, aber nichtsdestotrotz am Ende auch
noch einige Verbesserungsvorschläge machen. Doch diese Vorschläge sind
lediglich als Anregung zu verstehen. Leider kenne ich keine weiteren Bücher aus
der Reihe „Weltliteratur und Musik“, so dass mir kein Vergleich mit anderen
Werken möglich ist, aber wenn jedes Werk so kunstvoll gestaltet worden ist wie
dieses, dann kann ich nur zu einem Kauf raten. Die Reihe hat bei mir einen
unglaublich positiven Eindruck hinterlassen. Und nicht nur bei mir, sondern
auch bei meinen Töchtern. Diese wollten das Hörspiel wiederholt hören und sich
auch das Buch dazu immer wieder anschauen. Sie waren begeistert und gefesselt. Ich
denke, das spricht für sich.
Das Werk bietet erst einmal in künstlerisch-kultureller Hinsicht einiges: Wir lernen als Leser nicht nur ein interessantes klassisches Werk kennen, das für Kinder adaptiert wurde, sondern der Inhalt des Textes wird untermalt von passender, stimmungsvoller Musik, die sogar eigens nur für dieses Buch komponiert wurde. Das ist absolut fantastisch! Und letztlich erwirbt man beim Kauf dieses Werks zwei Medien: Das Vorlesebuch mit vielen ansprechenden, großformatigen Illustrationen, die eine faszinierende Wirkung bei den jungen Zuhörer:innen hinterlassen sowie das Hörspiel, das sich sowohl unabhängig vom Vorlesebuch aber auch in Kombination mit diesem anhören lässt. Man hat also viele Möglichkeiten mit diesen Medien umzugehen.
Das Hörspiel entfaltet eine ungeheuer anziehende Wirkung auf die jungen Zuhörer:innen, was wohl daran liegt, dass durch die Musik viele Emotionen beim Anhören, Anschauen und Vorlesen ausgelöst werden. Und als ob das nicht schon genug wäre, gibt es auch noch kindgerechte Hintergrundtexte zur Musiktheorie. In kursiver Schrift werden auf jeder Seite im Buch Erklärungen zu Details der Musik und der Instrumente dargelegt. Dabei wird stellenweise auch darauf eingegangen, welche Wirkung mit der musikalischen Untermalung erreicht werden soll. Auch das ist durchdacht und gelungen. Und es überlässt den Eltern selbst die Entscheidung, ob sie an passender Stelle das Hörspiel unterbrechen wollen und den Kindern ein wenig Musiktheorie näherbringen möchten. Auf der CD sind diese kursiv gesetzten Texte (leider?) nicht zu finden (vgl. dazu gleich meine Verbesserungsvorschläge).
Auffällig: Der Text im Hörspiel geht bei Weitem über das hinaus, was das Buch als Text bietet. Der Text im Vorlesebuch wurde stark gekürzt und stimmt teilweise auch nicht mit dem Vorlesetext auf der CD überein. Das hat mich beim ersten Anhören und Vorlesen schon etwas irritiert, aber die Kinder haben sich nicht daran gestört. Bei genauerer Betrachtung ist diese Herangehensweise vermutlich sogar gelungen, weil man mit Hilfe der CD also über das Vorgelesene hinausgehen kann. Ich würde nur bei der ersten Auseinandersetzung mit dem Werk wie folgt vorgehen: Erst das Buch vorlesen, damit die jungen Zuhörer:innen den Inhalt bereits kennen. Und erst danach das Hörspiel als Erweiterung hören. Die Texte zur Musiktheorie nur bei Bedarf integrieren, da sonst der Redefluss gestört wird.
Noch ein paar Worte zur Atmosphäre: Es handelt sich um eine Geistergeschichte. Der Gruselfaktor ist also deutlich spürbar. Der Tod wird häufig sehr explizit als Thema erwähnt. Mord und Leichen kommen vor. Ich würde Eltern ängstlicher Kinder davon abraten, dieses Hörspiel zu hören. Einige Stellen sind schon sehr unheimlich geraten, zumal die gruselige Musikuntermalung auch noch ihren Teil zur schauerlichen Atmosphäre beiträgt. Diese ist oft dramatisch und schürt Ängste noch einmal zusätzlich, besonders am Anfang des Werks. Das ist nichts für schwache „Kinder-Nerven“. Ich muss aber auch sagen: Meine Töchter (5 und 7 Jahre) haben den Inhalt gut verkraftet und hatten auch keine schlechten Träume nach Anhören des Hörspiels. Dennoch hatten sie beim Zuhören ein höheres Kuschelbedürfnis. Vielleicht war auch von Vorteil, dass wir erst kürzlich Halloween begangen haben, wo es ja auch gruselig zugeht. Letztlich sollten die Eltern selbst entscheiden, was sie ihren Kindern zumuten können. Sie kennen ihr Kind selbst am besten. Ein Probehören im Vorfeld ist bestimmt eine gute Idee.
Zu den Sprecher:innen des Hörspiels: Diese sind fabelhaft ausgewählt worden und machen einen großartigen Job. Die Intonation gelingt hervorragend, die Emotionen kommen gut und passend zum Text zum Ausdruck. Kurzum: Der Inhalt wird auf diese Weise sehr ansprechend transportiert. Das macht einen außerordentlich professionellen Eindruck!
Verbesserungsvorschläge
In meinen Augen sind einige wenige Passagen für das kindliche
Vorstellungsvermögen doch zu heftig. So hätte die Stelle, an der darauf
eingegangen wird, dass ein Dolch in die Kehle gestoßen wurde in meinen Augen
ruhig gekürzt werden können. Auch die ausführliche Darstellung eines
Begräbnisses (Track 16, ca. 2.00 Min.) hätte ausgelassen werden können. Das
habe ich an den Reaktionen meiner Kinder gemerkt.
Zwischen den Zeichnungen im Buch und dem Gesagten im Hörspiel gibt es
logische Widersprüche. So hat Virginia im Hörspiel goldene Locken (vgl. Track
17, ca. 1.30 Min.), im Buch hingegen wurde sie mit langen schwarzen Haaren
gezeichnet. Noch ein Widerspruch zwischen Buch und Hörspiel: Mrs. Otis sitzt im
Hörspiel nicht auf einem Stuhl, sondern sie liegt auf einem Sofa (vgl. S. 26).
Die Zuordnung der Tracks zu den Seiten im Vorlesebuch ist auch nicht
immer präzise. So bezieht sich Track 3 schon auf S. 9, Track 4 bezieht sich
schon auf S. 10, Track 9 bezieht sich schon auf. S. 17 usw. Ich könnte hier
noch weitere Beispiele anführen.
Es wäre überlegenswert, ob man einige der interessanten musikalischen
Erläuterungen nicht stärker ins Hörspiel integrieren möchte. Allerdings ist mir
klar, dass dies auch seinen Preis hätte: Der Inhalt der Geschichte müsste
kurzzeitig zurückstehen und müsste unterbrochen werden. Gelungen fand ich aber,
wie Virginia z.B. bei Track 1 aus ihrer Rolle heraustritt und Erläuterungen zum
Musikinstrument einfordert. Wäre das nicht eine mögliche Option? Die Figuren
aus ihren Rollen heraustreten lassen und einzelne musiktheoretische Dinge auf
Metaebene erläutern lassen? Auch der Einsatz eines Erzählers wäre denkbar. Will
man die Erklärungen zur Musik und zu den Instrumenten als fakultatives Angebot
an die Eltern belassen, so hätte ich aber auch hier noch einen Vorschlag: Man
sollte eine Empfehlung geben, bei welchem Track an welcher Stelle (Minuten- und
Sekundenangabe) sich eine Pause anbieten würde. So wie es jetzt gestaltet ist,
muss ich als erwachsener Zuhörer schon sehr konzentriert mithören und
entscheiden, wann ich das Stück unterbreche.
Noch ein Punkt: Zwischen dem Vorlesetext im Buch und dem Hörspieltext
auf der CD gibt es große Abweichungen. Teilweise gibt es lange
Textauslassungen, auch Wörter werden abgeändert. Hier habe ich mich gefragt, ob
wortwörtliche Übernahmen nicht möglich gewesen wären. Warum haben sich die
Macher des Werks dazu entschieden, hier eine solche Differenz entstehen zu
lassen. Ich habe es nicht verstanden. Mein Vorschlag: Lese- und Hörspieltext
sollten sich genauer entsprechen, man stolpert sonst darüber.
Ein letzter Aspekt: Teilweise sind die Tracks sehr lang, aber es gibt vergleichsweise wenig Bilder. Hier stelle ich eine weitere Überlegung in den Raum: Könnte man den Text nicht ggf. stärker aufteilen und mehr Bilder pro Track einplanen?
Fazit:
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen