Hintergründe
zum kosmologischen Standardmodell
Das
kosmologische Standardmodell ist mir in Sachbüchern zur Kosmologie immer wieder
begegnet. Es wurde in den vergangenen zwei Jahrzehnten ausgearbeitet und soll
erklären, wie sich das All seit dem Urknall entwickelt hat. Doch natürlich ist
dieses Modell nur eine Hypothese und es gibt immer mal wieder Streit darum,
inwieweit dieses Modell die Wirklichkeit tatsächlich beschreibt. In dem
Kompakt-Themenheft „Weltbild im Wandel. Diskussionen um das kosmologische
Standardmodell“, herausgegeben von Spektrum der Wissenschaft (03/21) werden
einige Streitpunkte vorgestellt, v.a. was die Existenz von Dunkler Energie und
Dunkler Materie betrifft. Lediglich bei dem Konzept der Quanten-Gravitation bin
ich ab einem gewissen Punkt inhaltlich ausgestiegen. Der Beitrag „Die Zähmung
des Unendlichen“ von Astrid Eichhorn und Christof Wetterich war mir als Laie zu
sperrig und setzte nach meinem Empfinden zu viel Vorwissen voraus. Aus diesem
Grund verzichte ich auf die Darstellung dieses Beitrags. Kurzum: Wieder einmal
ein knapper und kompakter Überblick über ein zentrales Thema der Kosmologie.
Ich habe das Heft mit großem Interesse gelesen. Anders als die übrigen von mir
rezensierten Heften ist das vorliegende Themenheft dieses Mal „nur“ weitestgehend
verständlich. Eine Ausnahme bildet der oben genannte Beitrag (vgl. S. 62-76).
Beitrag
1: Beschleunigte Expansion. Zweifel an der Dunklen Energie. Von Robert Gast.
In
diesem Beitrag wird die These des Forschers Subir Sarkar skizziert, der glaubt,
dass die Annahme der Dunklen Energie und der beschleunigten Expansion Irrtümer
seien. Verantwortlich dafür sei eine falsche Interpretation von Messdaten. Der
Vorwurf: Die beobachtete Rotverschiebung des Lichts von Supernovae könne nicht
nur allein durch die Dunkle Energie verursacht sein, sondern die Schwerkraft
benachbarter Galaxien sowie die Eigenbewegung der Milchstraße könnten das Licht
ebenfalls ins Rötliche verschieben. Unklar sei also, wie viel der gemessenen
Rotverschiebung durch die Expansion bzw. durch andere Faktoren verursacht sei.
Doch Gast fragt, ob die Kritik von Sakar ausreiche, um die Dunkle Energie aus
dem Weltbild der Kosmologie zu verbannen. Er verweist in seinem Beitrag auf
zahlreiche Argumente, die gegen die Auffassung von Sarkar sprechen. Betrachtet
Sarkar etwa nur die Daten, die seine eigene Hypothese stützen? Viele Forscher
halten die Schlussfolgerung von Sarkar für zu weitreichend. Schließlich gibt es
noch weitere Möglichkeiten, mit denen sich die kosmische Expansion und die
Präsenz Dunkler Energie rekonstruieren lassen (vgl. S. 18-19).
Des
Weiteren verweist der Autor des Beitrags auch auf Kritikpunkte eines
koreanisch-französischen Forschungsteams, das auf Unsicherheiten bei der
Auswertung von Supernovae-Daten hinweist. Das Team um Yijung Kang gibt zu
bedenken, dass die chemische Zusammensetzung von Supernovae des Typs 1a
unterschiedlich sein könnte und damit für unterschiedliche Helligkeit sorgen
könnte. Das Problem ist jedoch, dass sich der Einwand des Teams auf die Analyse
von 27 Supernovae beschränkt. Ein viel zu kleiner Datensatz, so die Kritik
anderer Forscher. Kurzum: Die Dunkle Energie lässt sich als Einflussfaktor
nicht so leicht abschaffen. Die dargelegte Kritik betrifft in erster Linie die
Daten von Supernovae des Typs 1a. Zu viele andere Daten und Methoden lassen die
Annahme von Dunkler Energie naheliegender erscheinen, auch wenn vielleicht tatsächlich
Fehler bei der Analyse der Supernovae-Daten möglich sind.
Beitrag
2: Schwerkraft. Gibt es Dunkle Materie wirklich? Von Sabine Hossenfelder und
Stacy S. McGaugh
In
diesem Beitrag wird die Annahme von Dunkler Materie in Zweifel gezogen. Es gebe
zwar viele Hinweise, dass eine mysteriöse Dunkle Materie existiere, aber die
dazugehörigen Teilchen, die sich nur über ihre Schwerkraft und nicht über das
Licht verraten, sind bisher nicht aufgespürt worden. Mit dem Konzept der
Supersymmetrie seien zwar einige hypothetische „Spiegel-Partikel“ formuliert
worden, doch die Suche nach ihnen blieb bisher erfolglos. Die Autoren fragen,
ob es daher nicht sinnvoller sei, alternative Hypothesen zur Dunklen Materie in
Erwägung zu ziehen. Vielleicht benötigt es gar keine unsichtbaren Teilchen?
Vielleicht muss die Kraft, die die Teilchen aufeinander ausüben, anders
beschrieben werden? Es gibt diverse Modelle solcher modifizierten
Gravitationstheorien. Und die Autoren führen einige Argumente für die Annahme
einer solchen modifizierten Theorie ins Feld. Und neben den Pro-Argumenten
werden auch Kontra-Argumente genannt. Probleme bereiten z.B. Galaxien mit
geringer Oberflächenhelligkeit (vgl. S. 31). Und mit der Annahme einer
modifizierten Gravitation kann wiederum die Bewegung von Galaxienhaufen nicht
gut erklärt werden. Letztlich ist es so, dass die Suche nach der Dunklen
Materie aktuell stagniert und aus diesem Grund werden mit der modifizierten
Gravitation überhaupt andere Erklärungsmodelle in den Raum gestellt. Und beide theoretischen
Zugänge haben ihre Vor- und Nachteile. Zwar gibt es nur wenige Befürworter
solcher alternativen Hypothesen, die Autorinnen plädieren aber dafür, den Blick
für die modifizierte Gravitation nicht zu sehr zu verlieren und sie vorschnell
auszuschließen.
Beitrag
3: Antiteilchen. Rätselhafte Masse von Gabriel Chardin
Hier
steht das Rätsel um sogenannte „Antiteilchen“ im Mittelpunkt. Die Existenz von
Antiteilchen ist unumstritten, so Chardin. Allerdings wirft sie noch viele
Fragen auf. Eine Frage ist z.B., ob sie sich in ihrer elektrischen Ladung von
gewöhnlicher Materie unterscheidet oder auch in anderen Merkmalen abweicht. Die
meisten Physiker gehen davon aus, dass sich Teilchen und Antiteilchen nur in
Bezug auf ihre elektrische Ladung unterscheiden. Doch evtl. ist auch die Masse
der Antimaterie negativ? In einem solchen Fall würden sich Antiteilchen in
einem Schwerefeld anders verhalten als gewöhnliche Partikel. Experimente sollen
solche Hypothesen überprüfen. Hätte Antimaterie wirklich eine negative Masse,
ließe sich ein kosmologisches Modell entwickeln, das ohne Dunkle Materie,
Dunkle Energie und die Annahme der Inflation auskommt. Bezogen auf die
Inflationstheorie weiß man bisher nicht, was die schlagartige Ausdehnung des
Alls bewirkt haben soll und was diese Phase beendet hat. Ist womöglich die
Annahme, dass das Universum genauso viel Materie wie Antimaterie enthält, des
Rätsels Lösung? Problem ist hier allerdings: Wo versteckt sich die ganze
Antimaterie?
Beitrag
4: Stringtheorie. Vereint in vielen Dimensionen? Von Robert Gast
In
diesem Beitrag führt der Autor ein Interview mit dem Heidelberger Physiker
Arthur Hebecker, einem String-Theoretiker. Hebecker wird mit verschiedenen
Argumenten konfrontiert, die die String-Theorie kritisch sehen. Vor allem wird
der Theorie vorgeworfen, dass sie sich nicht experimentell überprüfen lässt und
es bisher keine empirischen Belege für sie gibt. Handelt es sich bei der
String-Theorie, wie Gast an einer Stelle im Interview fragt, etwa nur um ein
„opulentes Luftschloss“ ohne Bezug zur Realität (vgl. S. 54)? Hebecker äußert
sich zu solchen Vorwürfen und es fällt positiv auf, dass er Kritik durchaus
anerkennt. Er besteht nicht auf dem Standpunkt, dass die String-Theorie das
einzig denkbare Modell sein könnte. Der Forscher ist sich sehr wohl darüber
bewusst, dass die String-Theorie auf vielen Vermutungen basiert.
Beitrag
5: Nobelpreis für Physik. Architekten unseres Weltbildes von Robert Gast
Hier
stellt uns der Autor die Nobelpreisträger für Physik des Jahres 2019 vor. Zum
einen James Peebles, der mit seinen vielen Beiträgen zu unterschiedlichen
Themen als einer der zentralen Architekten des kosmologischen Standardmodells
gelten kann. Er arbeitete beispielsweise an dem Forschungsfeld der Hintergrundstrahlung
und brachte auch die Dunkle Materie als Einflussfaktor ins Spiel. Auch der
Dunklen Energie verhalf er zu einer „Revision“. Zum anderen Michel Mayor und
Didier Queloz, die für die Entdeckung eines Exoplaneten im Orbit eines
sonnenähnlichen Sterns mit dem Preis ausgezeichnet worden sind. Sie entdeckten
einen Gasplaneten, halb so groß wie Jupiter, der gerade einmal vier Tage für
eine Sternumrundung benötigt. Ihre Arbeit bildete den Auftakt für die
Erforschung vieler weiterer Exoplaneten.