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Sonntag, 7. Januar 2024

Bentow, Max - Engelsmädchen






Spannend, temporeich und kreativ


Die neue Kollegin von Nils Trojan wird ungewöhnlich eingeführt: Kriminalpsychologin Carlotta Weiss tanzt in der Disco und wird von jemandem bedrängt, der ihr anscheinend K.O.-Tropfen verabreicht hat. Am nächsten Tag leidet sie unter einem Gedächtnisverlust. Höchst mysteriös! Was ist ihr in der Nacht widerfahren? Das Amnesie-Motiv (auch bekannt aus Rotkäppchens Traum) weckt sofort Neugier.

 

Danach wird sie Carlotta direkt zu einem Einsatz gerufen. Sie soll eine Jugendliche von einem Suizid abhalten. Das Mädchen, das sich in den Tod stürzen will, gibt sich der Psychologin namentlich als ein seit fünf Jahren vermisstes Kind aus. Folgende Fragen kommen auf: Warum stürzt sie sich in den Tod? Warum gibt sie sich fälschlicherweise als jemand anderes aus? Und wer ist die Selbstmörderin eigentlich?

 

Der Auftakt von Max Bentows „Engelsmädchen“ (2023) ist packend und lässt viele Fragen im Kopf des Lesers entstehen. Und man benötigt kein Vorwissen aus den vorherigen Bänden, um der Handlung folgen zu können! Bei den Ermittlungen kommt es zu einer Zusammenarbeit von Carlotta und Nils. Beide versuchen die Identität des Opfers aufzuklären. Später kommt es auch noch zu einem Doppelmord, den beide aufklären wollen. Ein Axtmörder treibt sein Unwesen. Gibt es etwa einen Zusammenhang zwischen dem Selbst- und dem Doppelmord?

 

Carlotta ist eine interessant angelegte Figur, die nach meiner Ansicht einen Gewinn für die Reihe darstellen wird. Sie wendet ungewöhnliche, unkonventionelle Ermittlungsmethoden an. Den Tatort untersucht sie mit Hilfe von „method acting“, d.h. sie versetzt sich in die Rolle des Täters und gelangt auf diese Weise zu unglaublich treffenden Einschätzungen über den Tathergang (diese Methode birgt allerdings auch ihre Gefahren. Das wird ebenfalls thematisiert). Und Carlotta agiert als eigenwillige Einzelgängerin und wirkt nicht wirklich teamfähig. Das Vertrauen zu Nils muss sich erst langsam aufbauen. Nicht jeder Kollege ist mir ihrer Vorgehensweise einverstanden. Sie ist äußerst intelligent und hat eine steile Karriere mit Bestnoten hingelegt. Manchmal agiert sie überraschend hart und kompromisslos. Sie hält sich nicht immer an die Vorschriften. Als Rückzugsort dient ihr ein alter Bulli, den sie sich als „mobiles Büro“ mit Schlafmöglichkeit hergerichtet hat. Kurzum: Carlotta ist nach meinem Empfinden ein Charakter mit Zugkraft.

 

Und noch eine Eigenschaft lässt Carlotta als reizvollen Charakter erscheinen: Sie ist in der Lage, die Mikromimik ihres Gegenübers zu lesen und zu deuten (hat mich an Evie Cormac aus der Reihe um Cyrus Haven von Michael Robotham erinnert, vgl. dazu eine frühere Rezension). Carlotta ist also eine sogenannte „Wahrheits-Zauberin“. Das hat mir außerordentlich gut gefallen. Diese Idee hat viel Potential und ist in dem vorliegenden Thriller noch nicht wirklich ausgeschöpft, wie ich finde.

 

Das Tempo des Thrillers ist hoch. Dafür sorgen auch kurze Zeilen und Kapitel, eine hohe Dialog- und Ereignishaftigkeit sowie eine dynamische Sprachgestaltung. Auch der Umstand, dass zwei Partner ermitteln, ist durchdacht. Dadurch entsteht eine höhere Dynamik, es kommt zu Konflikten, beide müssen sich über ihre jeweiligen Ermittlungen auf dem Laufenden halten, das zieht einen höheren Anteil von Gesprächen nach sich. Der Erzählstil hat mich sehr an Strobel erinnert (vgl. dazu frühere Rezensionen), aber bei Bentow empfand ich die dargestellte Brutalität als drastischer, auch ist das psychologische Element nicht so präsent. Insgesamt liest sich das Buch außerordentlich flüssig. Und die Spannungskurve ist durchweg hoch. Es passiert ständig etwas Neues. Schon lange habe ich keinen Thriller mehr so gebannt gelesen, und das von der ersten bis zur letzten Seite. Was mir auch gut gefallen hat: Das Privatleben von Carlotta und Nils spielt keine zu große Rolle.


Kleine Kritikpunkte, die aber nicht zu einem Sternabzug führen, sind die folgenden: Eine Wendung mit Wow-Effekt hätte ich mir im Idealfall noch gewünscht. Auch gab es Textstellen, wo ich schon etwas skeptisch war, dass Carlotta mit Hilfe ihrer Ermittlungsmethode ein solch präzises Wissen zum Tathergang generieren kann. Aber nun gut, irgendwie braucht die Ermittlungsarbeit ja neue Impulse. Es sollte aber glaubwürdig bleiben. Und mit dem Ende bin ich nicht zu 100% zufrieden. Das Motiv des Täters fand ich zu konstruiert und ich hätte mir einen anderen Mörder gewünscht. Aber das kann ich natürlich nicht dem Autor ankreiden. Letztlich ist alles schlüssig aufgelöst worden. 

2 Kommentare:

Volker Kaiser hat gesagt…

Frisches Blut in einem Ermittlerduo ist immer gut, zumal es schon der 11. Fall von Nils Trojan ist. Das die Kriminalpsychologin Carlotta Weiss etwas unkonventionell ermittelt, gefällt mir ebenfalls. Das Schöne an Bentows Büchern ist, dass man sie unabhängig voneinander lesen kann. VG

Tobias hat gesagt…

Ich fand Carlotta hatte deutlich mehr Profil als Nils. Und was mir auch gut gefallen hat: Das Privatleben von beiden spielte keine zu ausufernde Rolle. VG

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