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Sonntag, 13. April 2025

Kracht, Christian - Air


Über das Unsichtbare…

 


Christian Krachts Romane sorgen im Feuilleton regelmäßig für Begeisterungsstürme, er ist vielfach ausgezeichnet und seine Romane sind immer wieder in den Bestseller-Listen zu finden. Seine Sprachbeherrschung ist eindrucksvoll. Ich habe bei seinen Werken das Gefühl, dass bei ihm jedes Wort, jeder Satz perfekt sitzt. Kurzum: Er kann sicherlich als einer der wichtigsten deutschsprachigen Gegenwartsautoren bezeichnet werden. Mir selbst ist er erstmals mit seinem Debütroman „Faserland“ (1995) begegnet, den ich damals sehr gern gelesen habe. Auch „Imperium“ (2012) habe ich in positiver Erinnerung. Im Folgenden möchte ich gern seinen neuesten Roman „Air“ besprechen.

 

Einstieg ins Buch

Auf den ersten Seiten wird mit viel Liebe zum Detail die Umgebung von Paul geschildert. Einrichtungsgegenstände und die Wohnung selbst werden beschrieben. Dabei wird z.B. erwähnt, in welchem Winkel die Ecken von Magazinheften zur Tischkante arrangiert werden, und auch der Inhalt des Buchs, das dem schlafenden Paul aus der Hand gefallen ist, wird kurz inhaltlich umrissen. Das erste Kapitel endet damit, dass Paul der Auftrag angeboten wird, eine dunkle Halle in perfektem Weiß zu streichen.

 

Pauls Welt

Wie schon erwähnt, sticht v.a. die Detailversessenheit ins Auge, mit der Pauls Lebenswelt dargeboten wird. Teils nebensächliche Dinge werden ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt und ausführlich mit aberwitzigen (auch lustigen) Details beschrieben. Nachdem Paul das Angebot annimmt und nach Norwegen aufbricht, taucht er in eine technisierte Welt ein (ein schöner Kontrast zur naturbehafteten Welt von Ildr, die ich weiter unten thematisiere). Bei der Halle, die er weiß streichen soll, handelt es sich um ein riesiges Rechenzentrum. Die Handlung beinhaltet insgesamt wenige Dialoge, stattdessen werden mehr die Örtlichkeiten sowie die Innenwelten der Figuren beleuchtet. Als Paul die Halle inspiziert, wird sie plötzlich von einem kosmischen Ereignis heimgesucht, was ungeahnte Folgen nach sich zieht…

 

Ildrs Welt

Ein weiterer Handlungsstrang dreht sich um das 9-jährige Mädchen Ildr, deren Mutter vor einem Jahr an einer mysteriösen Krankheit verstorben ist und sie allein in einer Hütte am Waldrand zurückließ. Sie wirkt mittellos, versorgt sich selbst und verwundet auf ihrer Jagd nach einem Reh aus Versehen einen fremden Mann mit ihrem Pfeil. Unter Anleitung des Fremden entfernt sie ihm das Geschoss aus der Brust und transportiert ihn anschließend auf einer Trage zu ihrer Hütte. Sie will ihr Vergehen wieder gut machen und ihn versorgen. Es kommt zu einer Annäherung der beiden Figuren und es ist auffällig, dass der Mann über (teils technisch-physikalische) Kenntnisse verfügt, die dem Mädchen fremd sind. So besitzt er z.B. auch medizinisches Wissen. Ein Kontrast zwischen beiden wird deutlich. Der Mann passt nicht recht in die mittelalterlich (oder eher märchenhaft?) wirkende Umgebung von Ildr. Das alles wirkt höchst mysteriös und sonderbar. Man fragt sich, um wen es sich bei dem Fremden handelt, woher er stammt und zu welcher Zeit die Handlung eigentlich spielen soll. Auch fragt man sich, was die Handlungsstränge von Paul und Ildr überhaupt miteinander zu tun haben. Dass sie etwas miteinander zu tun haben, wird allein dadurch deutlich, dass vereinzelte inhaltliche Elemente der Welt von Paul in Ildrs Welt auftauchen (ein schöner Irritationseffekt!).

Anders als der Strang um den Dekorateur Paul, der steril, langsam und ereignislos erzählt wird, wird uns das Geschehen um Ildr und den Fremden spannend, atmosphärisch dicht, ereignis- und temporeich präsentiert. So zieht die Spannungskurve z.B. noch einmal deutlich an, als Ildr und der Fremde aufgrund einer Bedrohungssituation in Richtung Süden fliehen müssen (was v.a. an den vielen aktiven Bewegungsverben liegt). Eine Parallele zum Handlungsstrang um Paul ergibt sich dadurch, dass auch die Welt von Ildr und dem Fremden durch ein kosmisches Ereignis heimgesucht wird…

 

Zwischenwelten (Vorsicht *Spoilergefahr*, ggf. hier nicht weiterlesen)

 

Im weiteren Handlungsverlauf wird zunehmend deutlich, dass es sich bei Ildrs Welt um eine Art Zwischenwelt handelt, eine Welt nach dem Diesseits und vor dem Jenseits, eine Welt des Übergangs. Diese Interpretation lässt sich in meinen Augen an vielen Aspekten im Text festmachen. Dank meiner Lektüre der Zusammenschau des Feuilletons auf perlentaucher.de bin ich darauf aufmerksam gemacht worden, dass der Autor sich hier bei Vorstellungen der nordischen Mythologie bedient hat (Stichworte: Helheim oder auch Niflheim) und auch ein Bezug zu den Brüdern Löwenherz von Astrid Lindgren hergestellt werden kann (Stichwort: Nangijala). Darüber hinaus erinnert dieses Motiv an solche Filme wie „Inception“ (auch wenn es darin mehr um verschiedene Bewusstseinszustände geht) und Bücher wie „Alice im Wunderland“ oder „Die unendliche Geschichte“ (auch wenn es dabei mehr um imaginierte Fantasiewelten geht und weniger um eine Art Vorphase zum Jenseits). Ich bin sogar zufällig im Zusammenhang mit der Serie „Ahsoka“ (Folge 5) einer solchen Zwischenwelt begegnet (dabei trifft Ahsoka auf ihren ehemaligen Meister Anakin und muss sich zwischen Tod und Leben entscheiden). Neben diesem zentralen Motiv der Zwischenwelt, bietet der Roman aber auch weitere thematische Anknüpfungspunkte: So könnte man einen Bezug zur Heldenreise herstellen (wenn auch in abgewandelter Form) und auch die Analyse der Beziehung zwischen dem Kind Ildr und dem Fremden ist eine nähere Betrachtung wert.

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