Über das Unsichtbare…
Einstieg ins Buch
Auf den ersten Seiten wird mit
viel Liebe zum Detail die Umgebung von Paul geschildert. Einrichtungsgegenstände
und die Wohnung selbst werden beschrieben. Dabei wird z.B. erwähnt, in welchem
Winkel die Ecken von Magazinheften zur Tischkante arrangiert werden, und auch der
Inhalt des Buchs, das dem schlafenden Paul aus der Hand gefallen ist, wird kurz
inhaltlich umrissen. Das erste Kapitel endet damit, dass Paul der Auftrag angeboten
wird, eine dunkle Halle in perfektem Weiß zu streichen.
Pauls Welt
Wie schon erwähnt, sticht v.a.
die Detailversessenheit ins Auge, mit der Pauls Lebenswelt dargeboten wird. Teils
nebensächliche Dinge werden ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt und
ausführlich mit aberwitzigen (auch lustigen) Details beschrieben. Nachdem Paul
das Angebot annimmt und nach Norwegen aufbricht, taucht er in eine technisierte
Welt ein (ein schöner Kontrast zur naturbehafteten Welt von Ildr, die ich
weiter unten thematisiere). Bei der Halle, die er weiß streichen soll, handelt
es sich um ein riesiges Rechenzentrum. Die Handlung beinhaltet insgesamt wenige
Dialoge, stattdessen werden mehr die Örtlichkeiten sowie die Innenwelten der
Figuren beleuchtet. Als Paul die Halle inspiziert, wird sie plötzlich von einem
kosmischen Ereignis heimgesucht, was ungeahnte Folgen nach sich zieht…
Ildrs Welt
Ein weiterer
Handlungsstrang dreht sich um das 9-jährige Mädchen Ildr, deren Mutter vor
einem Jahr an einer mysteriösen Krankheit verstorben ist und sie allein in
einer Hütte am Waldrand zurückließ. Sie wirkt mittellos, versorgt sich selbst
und verwundet auf ihrer Jagd nach einem Reh aus Versehen einen fremden Mann mit
ihrem Pfeil. Unter Anleitung des Fremden entfernt sie ihm das Geschoss aus der
Brust und transportiert ihn anschließend auf einer Trage zu ihrer Hütte. Sie
will ihr Vergehen wieder gut machen und ihn versorgen. Es kommt zu einer
Annäherung der beiden Figuren und es ist auffällig, dass der Mann über (teils technisch-physikalische)
Kenntnisse verfügt, die dem Mädchen fremd sind. So besitzt er z.B. auch
medizinisches Wissen. Ein Kontrast zwischen beiden wird deutlich. Der Mann
passt nicht recht in die mittelalterlich (oder eher märchenhaft?) wirkende
Umgebung von Ildr. Das alles wirkt höchst mysteriös und sonderbar. Man fragt
sich, um wen es sich bei dem Fremden handelt, woher er stammt und zu welcher
Zeit die Handlung eigentlich spielen soll. Auch fragt man sich, was die
Handlungsstränge von Paul und Ildr überhaupt miteinander zu tun haben. Dass sie
etwas miteinander zu tun haben, wird allein dadurch deutlich, dass vereinzelte inhaltliche
Elemente der Welt von Paul in Ildrs Welt auftauchen (ein schöner Irritationseffekt!).
Anders als der
Strang um den Dekorateur Paul, der steril, langsam und ereignislos erzählt
wird, wird uns das Geschehen um Ildr und den Fremden spannend, atmosphärisch
dicht, ereignis- und temporeich präsentiert. So zieht die Spannungskurve z.B. noch
einmal deutlich an, als Ildr und der Fremde aufgrund einer Bedrohungssituation
in Richtung Süden fliehen müssen (was v.a. an den vielen aktiven
Bewegungsverben liegt). Eine Parallele zum Handlungsstrang um Paul ergibt sich
dadurch, dass auch die Welt von Ildr und dem Fremden durch ein kosmisches
Ereignis heimgesucht wird…
Zwischenwelten (Vorsicht
*Spoilergefahr*, ggf. hier nicht weiterlesen)
Im weiteren
Handlungsverlauf wird zunehmend deutlich, dass es sich bei Ildrs Welt um eine
Art Zwischenwelt handelt, eine Welt nach dem Diesseits und vor dem Jenseits,
eine Welt des Übergangs. Diese Interpretation lässt sich in meinen Augen an vielen
Aspekten im Text festmachen. Dank meiner Lektüre der Zusammenschau des Feuilletons
auf perlentaucher.de bin ich darauf aufmerksam gemacht worden, dass der Autor
sich hier bei Vorstellungen der nordischen Mythologie bedient hat (Stichworte:
Helheim oder auch Niflheim) und auch ein Bezug zu den Brüdern Löwenherz von
Astrid Lindgren hergestellt werden kann (Stichwort: Nangijala). Darüber hinaus
erinnert dieses Motiv an solche Filme wie „Inception“ (auch wenn es darin mehr
um verschiedene Bewusstseinszustände geht) und Bücher wie „Alice im Wunderland“
oder „Die unendliche Geschichte“ (auch wenn es dabei mehr um imaginierte
Fantasiewelten geht und weniger um eine Art Vorphase zum Jenseits). Ich bin
sogar zufällig im Zusammenhang mit der Serie „Ahsoka“ (Folge 5) einer solchen
Zwischenwelt begegnet (dabei trifft Ahsoka auf ihren ehemaligen Meister Anakin
und muss sich zwischen Tod und Leben entscheiden). Neben diesem zentralen Motiv
der Zwischenwelt, bietet der Roman aber auch weitere thematische Anknüpfungspunkte:
So könnte man einen Bezug zur Heldenreise herstellen (wenn auch in abgewandelter
Form) und auch die Analyse der Beziehung zwischen dem Kind Ildr und dem Fremden
ist eine nähere Betrachtung wert.
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