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Dienstag, 29. August 2023

Haas, Wolf - Eigentum




4 von 5 Sternen



Intergenerationales Verstehen


Von dem österreichischen Autor Wolf Haas habe ich bisher noch nichts gelesen. Ich gehe also ohne Vorwissen zu seinen bisherigen Werken, für die er verschiedentlich ausgezeichnet worden ist (u.a. mit dem Wilhelm-Raabe-Literaturpreis der Stadt Braunschweig für „Das Wetter vor 15 Jahren“), an seinen neuesten Roman „Eigentum“ heran.

 

Zum Inhalt: Ein Sohn besucht seine altersdemente Mutter im Altersheim, zwei Tage vor ihrem Tod. Anfangs wird diese Begegnung mit ironischer Distanz und Bissigkeit geschildert. Die Art der Mutter, anderen Menschen vorwurfsvoll zu begegnen und ihr eigenes Leid zu beklagen, wird auf die Schippe genommen. Sie erinnert sich an die Armut in ihrer Kindheit, die in ihrer Gedankenwelt sehr präsent ist. Die Mutter wurde 1923 geboren. Eine prägende Erfahrung, die sich in das Gedächtnis der alten Frau eingebrannt hat, ist die Hyperinflation. Und ihr Sohn wusste schon im Kleinkindalter, was es mit dem Begriff auf sich hat: „Schon als Fünfjähriger wusste ich, was Inflation war. Das ist, wie wenn dein Eis auf einmal zwei Schilling kostet statt einen Schilling. Und das Zweischillingeis kostet sechs Schilling, oder zehn Schilling oder tausend Schilling. Das Dreischillingeis kostet eine Million Schilling, weil das Geld hin ist“ (S. 34).

 

Das große Ziel der Mutter habe immer darin bestanden, Eigentum zu erwirtschaften. Ebenfalls eine prägende Erfahrung für den Sohn: „Ich hörte immer brav zu, ich sah schon mit drei Jahren alt aus. Die drei Phasen des Bausparvertrages (Sparphase, Zuteilungsphase, Darlehensphase) hielt ich für einen Kinderreim. Die Berechnung der Bewertungszahl beherrschte ich im Schlaf. Als ich in die Volksschule kam, war ich bereits Professor für Inflationstheorie“ (S. 37). Für die Mutter bestand das Leben aus drei Tätigkeiten: 1) sparen, sparen, sparen; 2) arbeiten, arbeiten, arbeiten und 3) zahlen, zahlen, zahlen.

 

Erinnerungen der Mutter werden episodenhaft in der Ich-Form in die Handlung eingeflochten. Dabei sind die Schilderungen der Lebensstationen der Mutter der Alltagssprache und ihrem Sprachduktus angenähert. Dies hinterlässt eine höchst authentische und realistische Wirkung. Es wird deutlich, mit welchen Hürden und Einschränkungen die alte Frau in ihrem Leben zu kämpfen hatte. Und durch die erinnerte Erinnerung des Sohns werden die Erinnerungen der Mutter wieder lebendig. Man taucht als Leser:in in eine vergangene Lebenswelt ein. Und ihr Schicksal steht sicherlich exemplarisch für das Schicksal vieler Frauen jener Generation.

 

Die Mutter erscheint als willensstarke Frau mit Begabung für Fremdsprachen, die aber irgendwann ihren Traum von Eigentum aufgeben musste und aus diesem Grund von Niedergeschlagenheit erfasst worden ist. Charakterlich sei sie eine schwierige Frau gewesen: „Sie konnte blind tippen mit dem Zehnfingersystem, aber sie konnte nicht mit den Leuten, sie konnte einem Kind die Inflation erklären, aber sie konnte nicht mit den Leuten, sie konnte Englisch, sie konnte Französisch, sie konnte Generationen von Wirtskindern durch die Schule tragen, aber sie konnte nicht mit den Leuten“ (S. 117). Der Wunsch, Eigentum zu erwirtschaften, habe das Leben der Mutter bestimmt.

 

Letztlich eine interessante Lebensgeschichte, wie sie vermutlich von vielen erzählt werden könnte. Ein Buch, das ich mit Interesse gelesen habe. Das Werk ist für mich wieder ein Beweis dafür, dass Bücher Fenster zu neuen Welten öffnen können. Intergenerationales Verstehen wird durch dieses Werk gefördert. Allerdings hat mich der Roman nicht so sehr in seinen Bann gezogen, dass ich 5 Sterne geben kann. So komme ich auf 4 Sterne!

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