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Mittwoch, 2. August 2023

Hoover, Colleen - Verity






Toxische Charaktere


Eine Frau erlebt aus nächster Nähe, wie ein Passant überfahren wird und ums Leben kommt, und sie hat nichts Besseres zu tun, als sich Gedanken darüber zu machen, wie sie ihre Bluse reinigen kann. Was für ein Einstieg in den Roman „Verity“ von Colleen Hoover, der schon seit über 50 Wochen in der Spiegel-Bestsellerliste zu finden ist. Scheinbar hat die Autorin ein Talent dafür, schräge Figuren mit verschobenem moralischem Kompass zu entwerfen, die situationsunangemessen handeln. Das ist mir schon bei „Layla“ aufgefallen (vgl. eine frühere Rezension). Es handelt sich bei der genannten Frau übrigens um die Protagonistin Lowen Ashleigh, die wir über den gesamten Roman hinweg begleiten. Und ihre Reaktion zu Beginn sollte bereits eine Warnung für die Leser:innen sein, mit was für einer Person wir es zu tun haben.

 

Wie schon bei „Layla“ wird der Romanbeginn durch einen Kontrast eröffnet. Einerseits ereignet sich ein Unfalltod eines namenlosen Passanten, andererseits schließen sich an dieses tragische Ereignis geschäftliche Verhandlungen an, die ungeachtet des zuvor Erlebten in völliger Normalität ablaufen. Und die Idee, dass der Verlag die erfolgreiche Buchreihe der verunglückten Autorin Verity Crawford von Lowen unter Pseudonym weiter veröffentlichen lassen will, mutet sehr grotesk an (womöglich ein schöner versteckter Seitenhieb). Hier habe ich mir die Frage gestellt, ob das Ausgangsszenario nicht sehr konstruiert ist: Ist eine solche Geschäftspraxis des Verlags ohne Zustimmung der Autorin überhaupt möglich? Aber nun gut, vielleicht sollte man sich nicht zu sehr daran stören…

 

Bei ihren Recherchen zur Reihe stößt Lowen auf ein autobiographisches Manuskript von Verity, das sie Kapitel für Kapitel liest. Und wir als Leser:innen lesen mit. Die Haupthandlung um die Jungautorin wird immer wieder durch eingeschobene Kapitel aus dem Manuskript von Verity unterbrochen. Und die Eröffnung einer weiteren Textebene hat einen spannungserregenden Effekt: Einerseits wird die Neugier forciert. Als Leser:in will man wissen, was Verity alles offenbart. Andererseits ist man von dem, was Verity offenherzig preisgibt, schockiert und fragt sich, wie Lowen auf das Gelesene reagiert und wie sie damit umgeht. Wird sie Jeremy einweihen? Das ist schon sehr geschickt arrangiert.

 

Und auch Verity erscheint uns als schräger, unsympathischer, (evtl. unglaubwürdiger?) Charakter mit fragwürdigem Wertesystem. Eine solche Charakterzeichnung wie bei Hoover ist mir bisher noch nicht untergekommen. Auf Dauer ist es fordernd, so etwas zu lesen und auszuhalten. Während der Lektüre war ich teils richtig wütend auf Verity. Sie erscheint zutiefst manipulativ, unehrlich und gewissenlos, ja regelrecht gestört. Es sind auf jeden Fall keine positiven Emotionen, die hervorgerufen werden. Darauf sollte man sich einstellen und das sollte man mögen.

 

Die Entwicklung von Jeremy war mir allerdings zu vorhersehbar. Dass er zum Ende noch eine andere Rolle einnehmen wird, hat sich abgezeichnet. Zu blass und naiv wirkte er auf den ersten Seiten. Und was mir noch aufgefallen ist: Die Frau-Mann-Beziehungen sind wie schon in „Layla“ sehr einseitig gestaltet worden. Es geht stets um die Themen „Sex“ und „Verlangen“. Es ist schon auffällig, wie oft der Akt der Penetration ausufernd beschrieben wird. Auch das sollte man mögen. Mir war es dann doch oft zu monoton und gleichförmig.  

 

Auch die Auflösung am Ende war mir (leider!) zu konstruiert und zu unglaubwürdig. Das hat mich negativ überrascht. Ich fand auch nicht alles plausibel. Und noch etwas, was mich anstrengte: Viele Handlungen der Figuren riefen bei mir Fassungslosigkeit hervor. Auf Dauer kann man die Charaktere, die Hoover konzipiert, nicht gut ertragen.  Aber ich will hier nicht spoilern, jeder bilde sich selbst ein Urteil. Was ich jedoch gelungen fand: Man lernt beiläufig etwas über Gefahren des autofiktionalen Schreibens (wieder ein schöner Seitenhieb).

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Dein Kommentar ist wieder sehr detailliert und aufschlußreich. Danach stellt sich einem die Frage, ob man dieses Buch lesen möchte?
VG Volker

Tobias Kallfell hat gesagt…

Dankeschön 🤗 Spannend ist das Buch, flüssig geschrieben, aber man sollte sich auf diese eigentümlichen Charaktere einlassen können. Mir fiel das schwer. Und das Ende hat mich nicht überzeugt. Kurzum: Muss man nicht unbedingt gelesen haben. Mich wundert ein wenig, dass das Buch so erfolgreich ist. Manchmal verstehe ich Bestseller-Platzierungen, manchmal nicht. So ist das wohl. VG Tobias

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