„Wahrheit ist schön“
„Ab
Montag verlangt der Discounter Penny für neun seiner mehr als 3000 Produkte
eine Woche lang die ‚wahren Preise‘. Damit ist der Betrag gemeint, der bei
Berücksichtigung aller durch die Produktion verursachten Umweltschäden
eigentlich berechnet werden müsste“ (tagesschau.de, 30.07.23, 17.56 Uhr)
Als
ich diese Meldung las, musste ich sofort an den Roman „Pantopia“ von Theresa
Hannig denken. Denn auch in ihrem Weltenentwurf, in der Weltrepublik Pantopia,
werden die Preise der Produkte auf diese Weise festgelegt. Und es gibt noch
weitere utopische Ideen, die sehr nah am Puls der Zeit sind, wie ich finde:
„die universelle Durchsetzung der Menschenrechte und ein Leben im Einklang mit
der Natur“ (vgl. Klappentext). Die Autorin legt ein Werk vor, das zu dem
aktuellen Zeitgeist passt und eine große gesellschaftspolitische Aktualität
aufweist. Sie entwirft eine Utopie, in der die Geschicke der Menschheit von
einer starken Künstlichen Intelligenz gelenkt werden. Und auch durch etwas
anderes fällt die Schreibweise auf: durch „wokeness“.
Anders
als in ihren Vorgängerbüchern „Die Optimierer“ und „Die Unvollkommenen“ ist die
Utopie allerdings noch nicht fest etabliert. Nein, sie befindet sich im
Entstehungsprozess. Und wir begleiten die Umsetzung der Weltrepublik Pantopia,
angefangen von der Erforschung einer KI über das erste Erwachen eines
künstlichen Bewusstseins bis hin zu den ersten Systemveränderungen. Nur der
Idee eines alternativen Gesellschaftsentwurfs bleibt Theresa Hannig auch in „Pantopia“
treu. Und anders als in den ersten beiden Büchern wird der technische
Fortschritt nicht kritisch beleuchtet, sondern dieses Mal ist die entworfene
Vision positiv-optimistisch.
Besonders
gefallen hat mir der Einstieg ins Werk, als wir den Entwicklungsprozess der KI
begleiten. Patricia Jung und Henry Shevek bilden ein erfolgshungriges Entwicklerteam,
das sich gut ergänzt und das innerhalb der strikt kapitalistisch ausgerichteten
Strukturen eines Finanzdienstleisters an einem Wettbewerb teilnimmt, dessen
Gewinner am Ende eine Festanstellung sowie eine Beteiligung an den erzielten
Gewinnen des entwickelten Programms erhalten (die Gewinnbeteiligung liegt bei
0,01 Prozent!). Gewinnmaximierung ist
die oberste Devise des potentiellen Arbeitgebers. Es soll eine KI entwickelt
werden, die überdurchschnittlich hohe Gewinne an der Börse erzielt. Und der
Einblick in die Unternehmenskultur, in die Arbeitsabläufe und in das
Personalmanagement ist interessant. Die Atmosphäre innerhalb der Firma kommt
gut zum Ausdruck: Es herrschen Erfolgs- und Leistungsdruck sowie
Konkurrenzdenken. Ein schöner Kontrast auch zu der später entstehenden
Weltrepublik.
Die
Figuren sind allesamt dynamisch angelegt und verändern sich. Auch das
überzeugt. Besonders lesenswert fand ich die eingestreuten Monologe der KI, die
sich stetig weiterentwickelt und immer mehr dazulernt. Es wird gut
veranschaulicht, wie sich das System ständig weiter optimiert, bis es eines
Tages zu Bewusstsein erwacht und Kontakt zu Henry und Patricia aufnimmt. Die
Geburtsstunde der KI war für mich die stärkste Stelle im Buch. Und auch die
Chatprotokolle fand ich äußerst kreativ und glaubwürdig. Es wird gut deutlich,
mit welchen Verständnislücken das Programm anfangs noch zu kämpfen hat und wie
es sich Schritt für Schritt die Welt erschließt. Beachtlich ist auch, welche
Entwicklungssprünge die KI vollzieht. Das Denken von Einbug wird zunehmend
komplexer, abstrakter und differenzierter. Sich in das mögliche Denken und in
den Lernprozess einer KI hineinzuversetzen und das zu gestalten, ist sicher
keine leichte Aufgabe. Hier beweist die Autorin ihr schriftstellerisches Können.
Und was auch Spannung erzeugt, sind die dabei entstehenden Fragen: Was werden
Henry und Patricia mit dem Programm anstellen? Wie geht es mit ihm weiter?
Später
dann mutiert die KI zum Weltoptimierer. Die Handlung schlägt dann eine andere
Richtung ein. Im Mittelpunkt steht dann die Umsetzung des Projekts „Pantopia“.
Viel Raum nimmt auch die Frage ein, welche Sicherheitsvorkehrungen das Programm
treffen kann, um einen möglichen Angriff auf sein Vorhaben abzuwehren. Und über
viele Seiten wird geschildert, wie Menschen für die neue Idee gewonnen werden
können. Zentrale Frage: Wird die Utopie sich durchsetzen? Diese makropolitische
Ebene hat mir weniger gut gefallen als der Rest des Buchs. Mir erscheint die
Idee einer möglichen Weltrepublik dann auch zu nebulös, zu allgemein und zu
wenig konkret. Das fand ich etwas schade, aber es ist wohl auch zu viel
verlangt, dass in einem Science-Fiction-Buch ein tatsächlich umsetzbares
Konzept steckt. Auch fehlten mir
philosophische Überlegungen zur Frage, was Bewusstsein ist und wie man
Intelligenz messen kann etc. Mir wurde es mit zunehmendem Handlungsverlauf zu
politisch und zu ideologisch aufgeladen.
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