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Montag, 31. Juli 2023

Hannig, Theresa - Pantopia



„Wahrheit ist schön“


„Ab Montag verlangt der Discounter Penny für neun seiner mehr als 3000 Produkte eine Woche lang die ‚wahren Preise‘. Damit ist der Betrag gemeint, der bei Berücksichtigung aller durch die Produktion verursachten Umweltschäden eigentlich berechnet werden müsste“ (tagesschau.de, 30.07.23, 17.56 Uhr)

 

Als ich diese Meldung las, musste ich sofort an den Roman „Pantopia“ von Theresa Hannig denken. Denn auch in ihrem Weltenentwurf, in der Weltrepublik Pantopia, werden die Preise der Produkte auf diese Weise festgelegt. Und es gibt noch weitere utopische Ideen, die sehr nah am Puls der Zeit sind, wie ich finde: „die universelle Durchsetzung der Menschenrechte und ein Leben im Einklang mit der Natur“ (vgl. Klappentext). Die Autorin legt ein Werk vor, das zu dem aktuellen Zeitgeist passt und eine große gesellschaftspolitische Aktualität aufweist. Sie entwirft eine Utopie, in der die Geschicke der Menschheit von einer starken Künstlichen Intelligenz gelenkt werden. Und auch durch etwas anderes fällt die Schreibweise auf: durch „wokeness“.

 

Anders als in ihren Vorgängerbüchern „Die Optimierer“ und „Die Unvollkommenen“ ist die Utopie allerdings noch nicht fest etabliert. Nein, sie befindet sich im Entstehungsprozess. Und wir begleiten die Umsetzung der Weltrepublik Pantopia, angefangen von der Erforschung einer KI über das erste Erwachen eines künstlichen Bewusstseins bis hin zu den ersten Systemveränderungen. Nur der Idee eines alternativen Gesellschaftsentwurfs bleibt Theresa Hannig auch in „Pantopia“ treu. Und anders als in den ersten beiden Büchern wird der technische Fortschritt nicht kritisch beleuchtet, sondern dieses Mal ist die entworfene Vision positiv-optimistisch.

 

Besonders gefallen hat mir der Einstieg ins Werk, als wir den Entwicklungsprozess der KI begleiten. Patricia Jung und Henry Shevek bilden ein erfolgshungriges Entwicklerteam, das sich gut ergänzt und das innerhalb der strikt kapitalistisch ausgerichteten Strukturen eines Finanzdienstleisters an einem Wettbewerb teilnimmt, dessen Gewinner am Ende eine Festanstellung sowie eine Beteiligung an den erzielten Gewinnen des entwickelten Programms erhalten (die Gewinnbeteiligung liegt bei 0,01 Prozent!).  Gewinnmaximierung ist die oberste Devise des potentiellen Arbeitgebers. Es soll eine KI entwickelt werden, die überdurchschnittlich hohe Gewinne an der Börse erzielt. Und der Einblick in die Unternehmenskultur, in die Arbeitsabläufe und in das Personalmanagement ist interessant. Die Atmosphäre innerhalb der Firma kommt gut zum Ausdruck: Es herrschen Erfolgs- und Leistungsdruck sowie Konkurrenzdenken. Ein schöner Kontrast auch zu der später entstehenden Weltrepublik.

 

Die Figuren sind allesamt dynamisch angelegt und verändern sich. Auch das überzeugt. Besonders lesenswert fand ich die eingestreuten Monologe der KI, die sich stetig weiterentwickelt und immer mehr dazulernt. Es wird gut veranschaulicht, wie sich das System ständig weiter optimiert, bis es eines Tages zu Bewusstsein erwacht und Kontakt zu Henry und Patricia aufnimmt. Die Geburtsstunde der KI war für mich die stärkste Stelle im Buch. Und auch die Chatprotokolle fand ich äußerst kreativ und glaubwürdig. Es wird gut deutlich, mit welchen Verständnislücken das Programm anfangs noch zu kämpfen hat und wie es sich Schritt für Schritt die Welt erschließt. Beachtlich ist auch, welche Entwicklungssprünge die KI vollzieht. Das Denken von Einbug wird zunehmend komplexer, abstrakter und differenzierter. Sich in das mögliche Denken und in den Lernprozess einer KI hineinzuversetzen und das zu gestalten, ist sicher keine leichte Aufgabe. Hier beweist die Autorin ihr schriftstellerisches Können. Und was auch Spannung erzeugt, sind die dabei entstehenden Fragen: Was werden Henry und Patricia mit dem Programm anstellen? Wie geht es mit ihm weiter?  

 

Später dann mutiert die KI zum Weltoptimierer. Die Handlung schlägt dann eine andere Richtung ein. Im Mittelpunkt steht dann die Umsetzung des Projekts „Pantopia“. Viel Raum nimmt auch die Frage ein, welche Sicherheitsvorkehrungen das Programm treffen kann, um einen möglichen Angriff auf sein Vorhaben abzuwehren. Und über viele Seiten wird geschildert, wie Menschen für die neue Idee gewonnen werden können. Zentrale Frage: Wird die Utopie sich durchsetzen? Diese makropolitische Ebene hat mir weniger gut gefallen als der Rest des Buchs. Mir erscheint die Idee einer möglichen Weltrepublik dann auch zu nebulös, zu allgemein und zu wenig konkret. Das fand ich etwas schade, aber es ist wohl auch zu viel verlangt, dass in einem Science-Fiction-Buch ein tatsächlich umsetzbares Konzept  steckt. Auch fehlten mir philosophische Überlegungen zur Frage, was Bewusstsein ist und wie man Intelligenz messen kann etc. Mir wurde es mit zunehmendem Handlungsverlauf zu politisch und zu ideologisch aufgeladen.

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