Thriller mit Sogwirkung
Schon
auf den ersten Seiten des Thrillers „Wenn sie wüsste“ von Freida McFadden wird
deutlich, dass der Inhalt reizvoll ist und eine Sogwirkung entfalten kann. Dies
liegt an der packenden Darstellung der Innenwelt der Protagonistin. Millie
schätzt ihre Umwelt sehr genau ein, wägt ab, wie sie sich verhält, und behält
geheime Gedanken zu ihrer neuen Arbeitgeberin für sich. Sie zieht uns Leser:innen
durch ihre Offenheit auf ihre Seite und macht uns zu ihren engsten Vertrauten.
Sehr geschickt! Und eine zusätzliche „Würze“ entsteht natürlich durch den
„Arm-Reich-Kontrast“. Millie ist aufgrund ihrer Lebensumstände eine
interessante Figur. Sie lebt am Rande der Gesellschaft, sie wohnt in ihrem Auto
in erbärmlichen Verhältnissen. Man hat als Leser:in Mitleid mit ihr. Ebenfalls
sehr geschickt! Auch hat sie ein Geheimnis, das Neugier erregt: Was hat es mit
ihrer Vergangenheit auf sich? Wieder eine tolle Idee der Autorin!
Aufopferungsvoll
legt sich Millie ins Zeug, um ihre neue Arbeitgeberin Nina von sich zu
überzeugen. Sie wagt es nicht, Widerworte zu geben, und befindet sich in einer
Abhängigkeitsposition, die bei mir teilweise Wut erzeugt hat. Zwischen beiden
Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, liegt Spannung in der Luft.
Die Atmosphäre ist angespannt. Das kommt gut zum Ausdruck. Millie muss die
Launen von Nina über sich ergehen lassen. Man möchte Nina als Leser gerne mal
ein paar Takte zu ihrem Verhalten mit auf den Weg geben. Und man spürt schon
auf den ersten Seiten, dass mit den Winchesters, bei denen Millie ihre neue
Arbeit als Haushälterin beginnt, irgendetwas nicht stimmt. Man hat jede Menge
Vorahnungen im Kopf und spielt verschiedene Ideen durch. Und im weiteren
Handlungsverlauf macht man sich immer mehr Sorgen um das Schicksal von Millie
und wird hin- und hergerissen. Genial!
Die
gesamte Schreib- und Erzählweise überzeugt. Die kürzer werdenden Kapitel, die
offenen Enden der Kapitel und schon der erste Satz zu Beginn jedes neuen
Kapitels. Das alles ist gelungen und reißt mit. Hinzu kommen einige Wendungen
und Überraschungen, die passend platziert und hervorragend arrangiert wurden.
Zwar gibt es auch einige (kleine!) logische Ungereimtheiten, Stereotypes sowie
wenige konstruierte Zufälle. Aber das hat mich überhaupt nicht gestört. Die
erzeugte Spannung und die vielen kreativen Ideen, die von der Autorin
beigesteuert werden, wiegen das alles locker wieder auf. Und nicht zuletzt ist
man am ganzen Geschehen emotional stark beteiligt, was auch an den gut
gestalteten Blickwinkeln und Perspektivwechseln liegt. Die psychologische Ebene
ist ebenfalls stark und durchdacht umgesetzt. Man fühlt mit Millie mit und
spürt eine starke Verbundenheit zu dieser Figur, weil sie für die Leser:innen
wie ein offenes Buch ist.
Kurzum:
Ich will mehr von dieser Autorin lesen und prognostiziere ihr einen langen Aufenthalt
in der Bestseller-Liste (und das völlig zu Recht). Es ist eines dieser Bücher,
bei denen man denkt: „Schade, dass es vorbei ist.“ Solche Werke findet man nur
selten. Ganz klare 5 Sterne. Wenn das Wort nicht so inflationär gebraucht
würde, würde ich fast sogar von einem „Jahreshighlight“ sprechen (ich erkenne
mich selbst nicht wieder).
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