Nicht so gut wie Teil 1
Der
Roman „Die Unvollkommenen“ von Theresa Hannig ist die Fortsetzung von „Die
Optimierer“, der mir überraschend gut gefallen hat (vgl. dazu eine frühere
Rezension). Es handelt sich um einen dystopischen Science-Fiction-Roman und
stellenweise wird auch auf Ereignisse aus dem ersten Band Bezug genommen, so
dass ich empfehle den zweiten Teil nicht ohne Kenntnis des ersten zu lesen.
Dieses
Mal lernen wir die Strafanstalten der sog. „Optimalwohlgesellschaft“ kennen.
Ungehorsame Häftlinge werden in die „Verwahrung“ geschickt, wo sie über Monate
und Jahre in einen künstlichen Schlaf versetzt werden. Im „Internat“, das mehr
einem Luxushotel mit Totalüberwachung gleicht, erhalten die Sträflinge eine
Chance auf Bewährung. Sie können sich dort als anpassungswillige Mitglieder des
totalitären Überwachungsstaats beweisen und auf diese Weise die Freiheit
erlangen. In der Strafanstalt wird den Gefangenen bei allen Annehmlichkeiten
die Freiheit entzogen, sie dürfen keinen Kontakt zur Außenwelt aufnehmen oder
Besuch empfangen. Freigänge gibt es nicht. Sie müssen sich einer totalen
Kontrolle unterwerfen. Sogar das Schritttempo beim Joggen wird überwacht.
Das
Rechtssystem in der Optimalwohlgesellschaft hat sich stark verändert. Es gibt
keine Anwälte mehr, Gerichtsakten können nicht eingesehen werden und eine
Berufung ist auch nicht möglich. Und mitten in dieses System hinein geraten ist
die Protagonistin Lila, eine Systemkritikerin, die wegen Hochverrats interniert
wurde. Sie fasst den Plan, einen Fluchtversuch aus dem Internat zu wagen. Wird
ihr Plan gelingen? Und wie hat sich die Gesellschaft außerhalb der Strafanstalt
entwickelt? Kann sie dem System entkommen oder es zum Einsturz bringen? Das
sind die zentralen Fragen, die ich mir bei der Lektüre gestellt habe.
Die
futuristische totalitäre Welt, die die Autorin entwirft, ist in meinen Augen
durchdacht, kreativ und ausgeklügelt. Und fassungslos liest man, wie die
Menschen in der Optimalwohlgesellschaft bereit sind, die Kontrolle über ihr eigenes
Handeln völlig freiwillig und unkritisch abzugeben. Sie lassen sich vom technischen
Fortschritt einlullen und sind völlig entmündigt. Erschreckend! Die Vision von Hannig ist pessimistisch und
düster. Und ich habe während der Lektüre gehofft, dass Lila nicht auch ein
Opfer des Systems wird, sondern sich behaupten kann. Was ich auch interessant finde: In ihrem Roman
„Pantopia“ schlägt die Autorin einen völlig anderen Weg ein und kreiert eine
positiv-optimistische Zukunftsvision (vgl. eine frühere Rezension).
Was
mir nicht so zugesagt hat, war das transzendentale Element mit Samson Freitag
als gottähnlicher Figur. Der „religiöse Touch“, den die Handlung dadurch
erhielt, war mir zu abgedreht. Auch
fehlten mir im weiteren Handlungsverlauf relevante Ereignisse und
spannungserregende Impulse. So hätte ich mir z.B. gewünscht, dass Lila viel
stärker mit der Gruppierung der Unvollkommenen in Berührung kommt und mit ihnen
zusammenarbeitet und mögliche Umsturzpläne verfolgt. Das, was um Samsons Mutter
herum erzählerisch dargeboten wird, hat mich nicht gepackt.
Und
noch etwas: Der zweite Band ist auch „roboterlastiger“ als der erste. Und es
blitzen einige gute Ideen auf, aus denen man mehr hätte machen können. So
werden die ethischen Fragen, die durch die Implementation eines menschlichen
Bewusstseins in einen Roboter entstehen, nur angerissen. Ich hätte mir hierzu
mehr Vertiefung gewünscht. Auch aus der Idee der zwei verschiedenartigen
Robotergenerationen hätte man noch einiges herausholen können. Über das
Zusammenleben von Menschen und Robotern, über die Liga für Roboterrechte und
über die mögliche Gleichstellung von Robotern und Menschen hätte man noch so
viel mehr schreiben können. Schade! Kurzum: Der erste Band „Die Optimierer“ hat
mir besser gefallen und mich mehr überzeugt.
1 Kommentar:
Wenn man diese Rezension liest, kann man sich einen guten Eindruck vom Inhalt verschaffen. Man kann sich nur wünschen, dass es solche Strafanstalten niemals geben wird. Es erinnert mich etwas an die NS-Zeit. Jeder weiß, was mit den Menschen geschehen ist, die man nicht haben wollte. Eine sehr gelungene Rezension. VG, Volker
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