Dieses Blog durchsuchen

Freitag, 4. August 2023

Hannig, Theresa - Die Unvollkommenen





Nicht so gut wie Teil 1


Der Roman „Die Unvollkommenen“ von Theresa Hannig ist die Fortsetzung von „Die Optimierer“, der mir überraschend gut gefallen hat (vgl. dazu eine frühere Rezension). Es handelt sich um einen dystopischen Science-Fiction-Roman und stellenweise wird auch auf Ereignisse aus dem ersten Band Bezug genommen, so dass ich empfehle den zweiten Teil nicht ohne Kenntnis des ersten zu lesen.

 

Dieses Mal lernen wir die Strafanstalten der sog. „Optimalwohlgesellschaft“ kennen. Ungehorsame Häftlinge werden in die „Verwahrung“ geschickt, wo sie über Monate und Jahre in einen künstlichen Schlaf versetzt werden. Im „Internat“, das mehr einem Luxushotel mit Totalüberwachung gleicht, erhalten die Sträflinge eine Chance auf Bewährung. Sie können sich dort als anpassungswillige Mitglieder des totalitären Überwachungsstaats beweisen und auf diese Weise die Freiheit erlangen. In der Strafanstalt wird den Gefangenen bei allen Annehmlichkeiten die Freiheit entzogen, sie dürfen keinen Kontakt zur Außenwelt aufnehmen oder Besuch empfangen. Freigänge gibt es nicht. Sie müssen sich einer totalen Kontrolle unterwerfen. Sogar das Schritttempo beim Joggen wird überwacht.

 

Das Rechtssystem in der Optimalwohlgesellschaft hat sich stark verändert. Es gibt keine Anwälte mehr, Gerichtsakten können nicht eingesehen werden und eine Berufung ist auch nicht möglich. Und mitten in dieses System hinein geraten ist die Protagonistin Lila, eine Systemkritikerin, die wegen Hochverrats interniert wurde. Sie fasst den Plan, einen Fluchtversuch aus dem Internat zu wagen. Wird ihr Plan gelingen? Und wie hat sich die Gesellschaft außerhalb der Strafanstalt entwickelt? Kann sie dem System entkommen oder es zum Einsturz bringen? Das sind die zentralen Fragen, die ich mir bei der Lektüre gestellt habe.

 

Die futuristische totalitäre Welt, die die Autorin entwirft, ist in meinen Augen durchdacht, kreativ und ausgeklügelt. Und fassungslos liest man, wie die Menschen in der Optimalwohlgesellschaft bereit sind, die Kontrolle über ihr eigenes Handeln völlig freiwillig und unkritisch abzugeben. Sie lassen sich vom technischen Fortschritt einlullen und sind völlig entmündigt. Erschreckend! Die Vision von Hannig ist pessimistisch und düster. Und ich habe während der Lektüre gehofft, dass Lila nicht auch ein Opfer des Systems wird, sondern sich behaupten kann.  Was ich auch interessant finde: In ihrem Roman „Pantopia“ schlägt die Autorin einen völlig anderen Weg ein und kreiert eine positiv-optimistische Zukunftsvision (vgl. eine frühere Rezension).

 

Was mir nicht so zugesagt hat, war das transzendentale Element mit Samson Freitag als gottähnlicher Figur. Der „religiöse Touch“, den die Handlung dadurch erhielt, war mir zu abgedreht.  Auch fehlten mir im weiteren Handlungsverlauf relevante Ereignisse und spannungserregende Impulse. So hätte ich mir z.B. gewünscht, dass Lila viel stärker mit der Gruppierung der Unvollkommenen in Berührung kommt und mit ihnen zusammenarbeitet und mögliche Umsturzpläne verfolgt. Das, was um Samsons Mutter herum erzählerisch dargeboten wird, hat mich nicht gepackt.

 

Und noch etwas: Der zweite Band ist auch „roboterlastiger“ als der erste. Und es blitzen einige gute Ideen auf, aus denen man mehr hätte machen können. So werden die ethischen Fragen, die durch die Implementation eines menschlichen Bewusstseins in einen Roboter entstehen, nur angerissen. Ich hätte mir hierzu mehr Vertiefung gewünscht. Auch aus der Idee der zwei verschiedenartigen Robotergenerationen hätte man noch einiges herausholen können. Über das Zusammenleben von Menschen und Robotern, über die Liga für Roboterrechte und über die mögliche Gleichstellung von Robotern und Menschen hätte man noch so viel mehr schreiben können. Schade! Kurzum: Der erste Band „Die Optimierer“ hat mir besser gefallen und mich mehr überzeugt.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Wenn man diese Rezension liest, kann man sich einen guten Eindruck vom Inhalt verschaffen. Man kann sich nur wünschen, dass es solche Strafanstalten niemals geben wird. Es erinnert mich etwas an die NS-Zeit. Jeder weiß, was mit den Menschen geschehen ist, die man nicht haben wollte. Eine sehr gelungene Rezension. VG, Volker

Kommentar veröffentlichen