Geschworene 272
Wer gerne einen amerikanischen Justiz-Thriller lesen will und dabei
einmal einen anderen Autor als John Grisham kennen lernen möchte, der ist bei
Graham Moore genau richtig. In „Verweigerung“ wird eine Besonderheit des
amerikanischen Gerichtswesens genauer in den Blick genommen: Die Jury und ihr
Agieren. Und der Autor weicht in meinen Augen dabei gekonnt von dem ab, was man
üblicherweise schon aus anderen „Jury-Thrillern“ kennt. Er kreiert einige neue
Ideen und wirft einen sehr differenzierten Blick hinter die Kulissen. Der
Einblick in die Prozesse der Entscheidungsfindung einer Jury fällt dabei deutlich
detaillierter aus als z.B. bei „Thirteen“ von Steve Cavanagh. Vor allem die
Schilderung der Gruppendynamik innerhalb der Gruppe von Geschworenen fand ich
interessant und gelungen. Doch worum geht es überhaupt?
Am 19. Oktober 2009 wurde der Lehrer Bobby Nock durch die Jury von der
Anklage freigesprochen, seine Schülerin Jessica Silver umgebracht zu haben. Die
Leiche des vermeintlichen Opfers wurde nie gefunden. Und dieses Urteil verfolgt
die Mitglieder der Jury auch zehn Jahre danach noch immer. Vor allem Rick
Leonard denkt, dass die Entscheidung von damals ein Fehler war. Er behauptet
einen unwiderlegbaren Beweis für die Schuld von Bobby gefunden zu haben und
will diesen publik machen. Doch kurz vor Veröffentlichung dieses Beweises
findet man ihn tot auf. Der Verdacht für den Mord fällt dann auf Maya Seale. Sie
war in dem umstrittenen Prozess von 2009 ebenfalls Geschworene, bevor sie dann
selbst Anwältin geworden ist. Besonders brisant: Sie hat die anderen in der
Jury von der Unschuld Bobbys überzeugt und sie umgestimmt. Und alle Indizien
sprechen nun gegen sie.
Die große Stärke des Thrillers ist in meinen Augen, dass hier vor
allem einmal das in den Mittelpunkt gerückt wird, was sich außerhalb des
Gerichtssaals abspielt. Und Maya ist zudem eine Hauptfigur mit „Zugkraft“. Sie
ist interessant gestaltet, vor allem weil sie alle Rollen im Justizsystem
einmal selbst durchläuft: Von der Geschworenen über die Anwältin bis hin zur
Angeklagten. Durch ihr juristisches Wissen ist sie als Angeklagte gut in der
Lage, sich selbst zu verteidigen. Als Anwältin kann sie sich sehr gut in die
Jury hineinversetzen. Und als Geschworene blitzt zudem ihr Talent auf,
überzeugend zu argumentieren. Sie schafft es, nach und nach alle auf ihre Seite
zu ziehen.
Ebenfalls überzeugend ist, dass die große Anzahl der Personen nicht zu
einer Überforderung beim Lesen führt. Der Autor schafft es, jedem Mitglied der
Jury ein „eigenständiges Gesicht“ zu geben. Insbesondere in den Rückblicken, in
denen die Verhandlung des alten Falls genauer dargestellt wird, erhält nahezu jede/r
Geschworene ein eigenes Profil.
Interessant ist auch, wie im Laufe der Handlung immer auch Fragen zum
Verhältnis von Recht und Gesetz, Gerechtigkeit und Recht, Wahrheit und Recht
angerissen werden. All diese Dinge können weit auseinander liegen und Wahrheit
ist niemals schwarz-weiß, sondern sehr komplex. Das wird gut deutlich. Auch war
lehrreich und aufschlussreich für mich, wie eine Verteidigungsstrategie
aussieht, wenn Indizien gegen einen sprechen. Nicht Moral und Gewissen spielen
dabei eine Rolle, sondern es wird die Strategie gewählt, die
erfolgsversprechend ist.
Fazit:
Ein Justiz-Thriller, der vor allem die Gruppendynamik innerhalb einer Jury differenziert in den Blick nimmt und einmal das thematisiert, was sich außerhalb des Gerichtssaals abspielt. Maya ist eine gut konzipierte Figur und auch die Nebenfiguren werden nicht vernachlässigt. Nicht zuletzt enthält der Thriller einige Themen, die zum Nachdenken anregen. Insgesamt also ein sehr guter Justiz-Thriller. Herausragend fand ich ihn nicht, weil mir die Spannung zu sehr auf der Strecke blieb.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen