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Dienstag, 31. Mai 2022

Meltzer, Brad - Ich bin Anne Frank (Jeder kann die Welt verändern)


1 von 5 Sternen


Inhaltliche Überforderung

Ist das Schicksal von Anne Frank ein wichtiges Thema? Absolut! Ist es auch ein Thema, das in Form eines Comics schon für Kinder ab 7 Jahren geeignet ist? In meinen Augen nicht. Da hilft es auch nichts, dass die Illustrationen in dem Comic „Ich bin Anne Frank“ aus der Reihe „Jeder kann die Welt verändern“ von Brad Meltzer gelungen sind. Ich halte den Inhalt für eine Überforderung von Kindern ab 7 Jahren. Denn die Macher dieses Buchs beachten in meinen Augen einen zentralen Aspekt nicht: Didaktische Reduktion muss das Kriterium von Angemessenheit erfüllen. D.h. es muss das Vorwissen der Zuhörer:innen berücksichtigt werden. Und das wird hier absolut missachtet. Denn Kinder in diesem Alter wissen noch nichts vom Zweiten Weltkrieg, von Adolf Hitler, von der Judenverfolgung, von Konzentrationslagern. Und sie werden es auch noch nicht angemessen verstehen. Und das alles möchte ich ihnen während der Lektüre dieses Buchs auch nicht erklären müssen. Denn es ist davon auszugehen, dass viele Nachfragen kommen werden. Ich habe mich dagegen entschieden, dieses Buch mit meinen Kindern zu lesen. Der Zeitpunkt, sich mit diesem Thema zu befassen, wird noch früh genug kommen. Es wird Thema in der Schule sein. Und dann ist auch der richtige Zeitpunkt dafür.

Dennoch möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass die Reihe „Jeder kann die Welt verändern“ durchaus Potential hat. Kinder interessieren sich für historische Persönlichkeiten. Aber das Vorwissen der Zielgruppe sollte dabei nicht aus dem Blick geraten. Das für August 2022 angekündigte Buch „Ich bin Albert Einstein“ kann gelungen sein. Und wenn ich von meinen Kindern ausgehe, so könnten auch die folgenden historischen Persönlichkeiten von Interesse sein, um einmal weitere Anregungen zu geben: Roald Amundsen, Mozart, Thomas Edison, Martin Luther King Jr., Isaac Newton, Marie Curie, Nelson Mandela, Gandhi, Florence Nightingale, Muhammad Ali etc.

Fazit

Ein Kinderbuch, dass die jungen Zuhörer:innen überfordert und nicht altersangemessen ist. Ich rate von der Lektüre ab und sehe das Kriterium der Angemessenheit bei der didaktischen Reduktion verletzt.

Montag, 30. Mai 2022

Uschmann, Oliver und Sylvia Witt - Lange Krallen. Leonie und ihr Kater auf heißer Spur


4 von 5 Sternen


Der Inhalt sollte gemeinsam reflektiert werden

Das Kinderbuch „Lange Krallen“, empfohlen für Kinder ab 10 Jahren, geschrieben und illustriert von Oliver Uschmann und Sylvia Witt aus dem Beltz-Verlag, ist für mich ein typisches Beispiel dafür, dass nicht jedes Buch für eine alleinige Lektüre geeignet ist. Einige inhaltliche Aspekte sollten besser noch einmal nachbesprochen werden, insbesondere das Ende. Sollte diese Bedingung erfüllt sein, halte ich das Werk durchaus für gewinnbringend. So lässt sich an vielen Stellen die Beurteilungskompetenz fördern, z.B. durch solche Fragen wie „Findest du das richtig?“, „Hättest du dich auch so verhalten?“. Vor allem das Ende des Buchs lädt zu solch einer Nachbetrachtung ein. Ich halte das Ende anders als andere Rezensenten nicht für bedenklich, man sollte es aber auf jeden Fall reflektieren. Ein Vergleich zu Robin Hood drängt sich auf. Kinder in diesem Alter wissen nach meiner Erfahrung, was richtig und was falsch ist. Ich glaube nicht, dass sie das beschriebene Verhalten nachahmen. Und im Gespräch kann man sich alternative Lösungsmöglichkeiten überlegen. Fraglich ist ja z.B. auch, wie die Eltern von Oskar reagieren werden. Das bleibt eine Leerstelle.

Und auch den Vater von Leonie sollte man in meinen Augen auf jeden Fall kritisch beleuchten. Er wirkt auf mich sehr unsympathisch, agiert neidisch und ist voll von Vorurteilen.

Ist dieses Buch vielleicht sogar als Klassenlektüre für Klasse 5 geeignet? Leider nur bedingt, denn es ist insgesamt zu knapp ausgefallen. Die Darstellung des Beziehungsverhältnisses von Leonie und Oskar ist ja durchaus interessant. Aber es hätte einfach umfangreicher ausfallen müssen. Das gleiche gilt für die besondere Beziehung zwischen Leonie und Bobby. Nach meinem Dafürhalten hätte Bobby ruhig noch häufiger ins Geschehen eingreifen können. Und was mich auch etwas gestört hat. Das Buch wird als Krimi vermarktet, doch so richtig Spannung will nicht aufkommen. Ich finde auch, dass der Klappentext und das Cover schon zu viel verraten. Der Fall ist zu vorhersehbar.

Fazit

Ein Buch, das zwar für Kinder ab 10 Jahren geeignet ist, das aber nicht für eine selbstständige Lektüre in Frage kommt. Ich halte einen Meinungsaustausch über das Gelesene für angebracht.

Mittwoch, 25. Mai 2022

Schröder, Patricia - Mia und Maxie. Beste Freundinnen halten zusammen (Erst ich ein Stück, dann du)


4 von 5 Sternen


Abwechselnd Lesen

Da mich das Konzept des Abwechselndlesens interessiert hat, habe ich mir einmal genauer einen Band aus der Reihe „Erst ich ein Stück, dann du“ angeschaut und möchte mir im Vergleich dazu auch zwei andere Buchreihen, die mit einem ähnlichen Konzept aufwarten, genauer in den Blick nehmen. Doch zunächst einmal zu „Mia und Maxie. Beste Freundinnen halten zusammen“ von der Autorin Patricia Schröder aus dem cbj-Verlag. Ich beschränke mich in meiner Rezension im Folgenden auf die Beurteilung des zugrundeliegenden Konzepts und betrachte nur solche Passagen genauer, die zum Selbstlesen für den Nachwuchs gedacht sind.

 

Konzept

Der Band ist so konzipiert, dass erwachsene Vorleser und junge Selbstleser:innen sich beim Lesen abwechseln. Dafür sind in unregelmäßigen Abständen Textabschnitte in einer anderen Schriftgröße hervorgehoben worden. Meist findet man auf jeder Seite eine groß gedruckte Passage, mal gibt es auch einmal eine Seite ohne groß gedruckte Textpassage, in einem einzigen Fall sind es auch mal zwei kürzere Passagen in einer anderen Schriftgröße auf einer Seite (vgl. S. 25). Der Umfang der groß gedruckten Abschnitte ist unterschiedlich, mal sind es 4 Zeilen, mal 5 – 6 Zeilen, maximal sind es aber 10-11 Zeilen, teilweise sind es auch mal nur 2 Zeilen. Bei der Zeilenlänge ist darauf geachtet worden, dass nicht mehr als maximal 8 Wörter pro Zeile vorkommen. Das ist gut! Auch umfassen viele Zeilen nur einen Satz, ab und zu umfasst ein Satz auch mal zwei Zeilen. Das finde ich altersangemessen. Weniger gut finde ich, wenn ein Satz drei Zeilen umfasst. Das gibt es in seltenen Fällen auch einmal (vgl. z.B. S. 28+29). Der Wortschatz der groß gedruckten Textabschnitte ist einfach gehalten, bei den Satzkonstruktionen handelt es sich um einfache Hauptsätze, die häufig durch ein „und“ verbunden werden. Schwierige adverbiale Nebensatzkonstruktionen wurden vermieden, stattdessen findet man viele Satzreihen.

 

Buchreihe „Zu zweit leichter lesen lernen“ vom Carlsen-Verlag

Zum Vergleich habe ich mir einmal genauer das Buch „Nele und die Flaschenfee“ von der Autorin Maja von Vogel angeschaut. Was direkt auffällt: Im Unterschied zu „Mia und Maxie“ werden die groß gedruckten Textpassagen auf einer eigenen Seite präsentiert. So kann man das Buch gut zwischen sich und dem Kind legen. Die linke Seite wird vom erwachsenen Vorleser gelesen, die rechte Seite wird vom Nachwuchs vorgelesen. Das finde ich tatsächlich besser und systematischer. Der Umfang der groß gedruckten Passagen ist auch hier unterschiedlich, ähnlich wie bei der Reihe „Erst ich ein Stück, dann du…“. Mal sind es zwei Zeilen, mal sind es neun. Neun Zeilen am Stück sind auch das Maximum. Auffällig ist aber, dass die Zeilenlänge kürzer gehalten wird. Ganz viele Zeilen umfassen nur drei oder vier Wörter. Maximal habe ich 6 Wörter pro Zeile gezählt. Die Sätze sind meist kurz und erstrecken sich über ein bis zwei Zeilen. Selten findet man auch längere Sätze. Zusammenfassend ausgedrückt: Das Anspruchsniveau ist bei „Nele und die Flaschenfee“ ein anderes als bei „Mia und Maxie“. Es ist leichter. Auch der Wortschatz der groß gedruckten Textpassagen ist einfach gehalten, genauso wie es bei „Mia und Maxie“ der Fall ist. Auch der Satzbau ist vergleichbar: Viele Hauptsätze, viele Satzreihen. Hin und wieder stößt man mal auf einen Objektsatz. Das ist auf jeden Fall nichts, was die Kinder überfordert.

 

Buchreihe „Ich für dich, du für mich“ vom Loewe-Verlag

Hier habe ich mir das Buch „Fohlengeschichten“ von Anette Moser und Dorothea Ackroyd genauer angeschaut. Was direkt positiv auffällt: Die größeren Textpassagen für Kinder sind auch farbig anders markiert. Das verbessert die Übersichtlichkeit in meinen Augen noch einmal zusätzlich. Und was mir auch direkt gut gefallen hat: Die Leseabschnitte für die Erwachsenen sind kürzer gehalten, so dass der Wechsel zwischen erwachsenem Vorleser und kindlichem Selbstleser dynamischer stattfindet. Und noch etwas finde ich bemerkenswert, was in den anderen beiden Buchreihen nicht wirklich beachtet wurde: Die Kinder-Passagen sind nicht so verschieden gestaltet worden, was den Umfang betrifft. Mehrheitlich umfassen sie drei bis vier Zeilen. Die Zeilenlänge ist ähnlich wie bei der Reihe aus dem Carlsen-Verlag konzipiert worden: Meist 2 bis maximal 5 Wörter pro Zeile. Maximal sind es 6 Wörter. Was den Satzbau betrifft, so finde ich wiederum die anderen Reihen ausgereifter, weil die Sätze nicht zu lang geraten sind. In dem Band „Fohlengeschichten“ bin ich über mehr Sätze, die sich über drei Zeilen erstrecken, gestolpert als in den anderen beiden Büchern. Das finde ich nicht so gut. Auch ist auffällig, dass in den „Fohlengeschichten“ die wörtliche Rede sehr stark dominiert.


Fazit:

Alle Reihen haben ihre Besonderheiten. Ich würde dafür plädieren, die Vorteile der unterschiedlichen Reihen zu verknüpfen. So würde ich den Machern der Reihe „Erst ich ein Stück, dann du“ empfehlen, für die kleinen Selbstleser:innen eine eigene Seite zu reservieren, so wie es bei der Reihe „Zu zweit leichter lesen lernen“ der Fall ist. Dann finde ich die Idee nachahmenswert, die größer gedruckten Passagen auch in einer anderen Farbe zu markieren. Und ich würde den Umfang der Textpassagen stärker vereinheitlichen, so wie es in der Reihe „Ich für dich, du für mich“ gemacht wird. Ich würde einen Umfang von 6 Zeilen pro Kinder-Leseabschnitt vorschlagen. Und was ich ebenfalls an der „Ich für dich, du für mich“-Reihe gelungen finde: Die Erwachsenenabschnitte sind nicht zu lang geraten. So erfolgt der Wechsel zwischen der passiven Zuhörer- und der aktiven Vorleserrolle dynamischer. Letztlich würde ein systematischeres Vorgehen auch ermöglichen, unterschiedliche Niveaustufen zu bedienen: Passagen mit weniger und kürzeren Zeilen für Leseanfänger zu Beginn von Klasse 1, für Klasse 2 hingegen Abschnitte mit mehr und längeren Zeilen. Wenn ich mich nun dauerhaft für eine Reihe entscheiden müsste, dann würde ich die Reihe aus dem Carlsen-Verlag wählen. Sie hat mir am besten gefallen, bietet aber auch noch Verbesserungspotential.

Sonntag, 22. Mai 2022

Clark, Julie - Der Plan


5 von 5 Sternen


Meg – Trickbetrügerin oder Künstlerin?

Gelegentlich stolpert man beim Lesen über Bücher, die sich als unerwartetes Highlight herausstellen. Für mich war „Der Plan“ von Julie Clark genau ein solches Buch. Im Zentrum stehen zwei Frauen, die sich gegenseitig manipulieren und einander anlügen. Und der Reiz daran ist, dass keine der beiden gerade weiß, wer wen gerade in ein Netz von Intrigen einspinnt. Das wird äußerst raffiniert erzählt und entfaltet eine große „Sogkraft“. Das Duell zwischen Kat und Meg hat mich beim Lesen begeistert. Jede von den beiden täuscht die andere und keine von beiden sagt, wer sie ist und was sie will. Beide belauern sich gegenseitig. Das ist spannend!

 

Figuren

Die Figuren und die Beziehungsverhältnisse zwischen den Figuren werden differenziert dargestellt. Mit Meg haben wir auf der einen Seite eine sehr durchtriebene und äußerst intelligente Frau, die ihren Racheplan verfolgt. Geschickt wendet sie immer wieder ihre umgekehrte Psychologie an, wenn sie sich in das Leben ihrer Opfer eingeschlichen hat. Bei ihren Manipulationsversuchen habe ich mit Interesse verfolgt, wie geschickt sie vorgeht, wie sie sich immer weiter vortastet und ihre Grenzen austestet. Und mit Kat als Investigativjournalistin haben wir auf der anderen Seite eine interessante Gegenspielerin, die in einer toxischen Beziehung lebt, und die glaubt, sie könne Meg und ihr Treiben durchschauen, sie überführen und eine Story darüber schreiben. Kat will Meg mit ihren eigenen Waffen schlagen, um an sie heranzukommen. Doch gelingt ihr das? Und wer ist am Ende schlauer, Meg oder Kat?

Interessant sind auch die Männerfiguren, die allesamt aber etwas einfach gestrickt daherkommen. So haben wir den Schulleiter Cory, das erste Opfer von Meg. Und dann lernen wir noch Phillip und Ron kennen, die ebenfalls raffiniert von Meg getäuscht werden. Man könnte hier bemängeln, dass die Männer etwas naiv auftreten. Die sehr durchschaubaren Tricks von Meg erkennen sie nicht. Sie sind fast zu vertrauensselig. Nicht immer ist alles ganz glaubwürdig, manches geht zu leicht, Kleinigkeiten wirken stellenweise etwas konstruiert. Doch mich hat das beim Lesen nicht gestört, ich konnte ohne Schwierigkeiten darüber hinwegsehen. Wäre es anders, würde die Geschichte des Romans auch nicht funktionieren.

Etwas schade fand ich, dass die Figur Kristen nicht genauer beleuchtet wird, schließlich spielt sie für Megs Treiben ja eine große Rolle. Da hätte ich gerne noch mehr Hintergründe erfahren.

 

Erzählerische Gestaltung

Die erzählerische Gestaltung ist absolut gelungen, was nach meiner Meinung an mehreren Faktoren liegt. Zum einen empfand ich die gewählte Ich-Perspektive für beide Frauen sehr passend. So ist man ganz nah dran am Geschehen und an den Gedankengängen der Figuren. Zum anderen fand ich die Perspektivwechsel geschickt platziert. Mal verfolgt man die Gedankenwelt von Kat und liest dann auch, wie sie Meg taxiert, dann ist man wieder bei Meg und verfolgt, wie sie über Kat urteilt. Das ist raffiniert gemacht. Hinzu kommen noch Rückblenden in die Vergangenheit, die auch sehr interessant sind. So erfahren wir, welche Entwicklung Meg durchlaufen hat und wie sie sich Schritt für Schritt in ihrer Kunst der Manipulation steigert. Nicht zuletzt gibt es auch Passagen des unsicheren Erzählens, die mir immer besonders gut gefallen. So ist man sich irgendwann bei Kat nicht mehr sicher, ob ihr Freund Scott sie belügt oder ob Meg sie austrickst. Das ist besonders clever erzählt!

 

Innovatives Element

Ich bin stets auf der Suche nach einem „innovativen Element“, wenn ich Bücher lese und rezensiere. Bei diesem Buch bin ich wieder fündig geworden: Man ist beim Lesen auf der Seite der Täterin, man sympathisiert mit ihr. Das war für mich mal etwas Neues, was ich noch nicht oft in Büchern in der Form gelesen habe.

 

Fazit

Ein rundum gelungener Thriller, den ich persönlich als ein Highlight empfunden habe. Das Duell zwischen Meg und Kat ist reizvoll und spannend zu lesen. Der Inhalt wird zudem äußerst raffiniert erzählt. Ich vergebe 5 Sterne und empfehle dieses Werk auf jeden Fall weiter!

Donnerstag, 19. Mai 2022

Morris, Brandon Q - Titan


5 von 5 Sternen


2040 Megahertz

Der „Brandon Q Morris“-Knoten ist geplatzt. Von seinem Debut „Enceladus“ war ich begeistert (vgl. meine Rezension dazu). Und mit „Titan“ knüpft er nicht nur hervorragend an den ersten Band an, sondern in meinen Augen setzt er sogar noch einen drauf, was an der erzählerischen Gestaltung liegt. Denn auf der einen Seite begleiten wir den Überlebenskampf von Marchenko, der auf Enceladus zurückgelassen wurde und von der Crew für tot gehalten wird (Assoziationen zu Mark Watney stellen sich ein). Sehr spannend! Und auf der anderen Seite fliegen wir mit Martin Neumaier und Co zum Titan. Von dort empfängt ein Radioteleskop auf der Erde mysteriöse Signale, die nur von der Sonde Huygens stammen können. Doch was ist der Grund dafür, dass Huygens nach 40 Jahren plötzlich wieder auf einer Funkfrequenz sendet? Das ist nicht nur sehr spannend, sondern auch faszinierend zu lesen. Die Beschreibung des Saturnmonds ist sehr gelungen. Bei mir entstanden bei der Lektüre Bilder vor dem inneren Auge. Ich konnte mir die Atmosphäre, die Oberfläche und die Beschaffenheit des Mondes sehr gut vorstellen, es wird alles sehr anschaulich und detailliert beschrieben. Und das unter Einbezug wissenschaftlicher Erkenntnisse! Der Autor orientiert sich bei seiner Darstellung an tatsächlichen Gegebenheiten. Das wird durch den Sachtext im Nachwort deutlich. Genau das macht für mich die Faszination aus. So, wie der Autor es darstellt, könnte es also tatsächlich auf Titan sein. Besonders mitreißend fand ich dementsprechend Francescas Expedition, auf der sie mit Methan-Regen, Eis-Treibsand und einem Methan-See zu kämpfen hat. Auch unerklärliche Vorgänge verleihen der Handlung zusätzliche „Würze“.

Was mir auch gut gefallen hat, ist der Umstand, dass zu Beginn des Romans auch ein kleiner Exkurs in eine Radioteleskop-Anlage, dem Green-Bank-Observatorium, stattfindet. Auch das habe ich mit viel Staunen und Interesse gelesen. Auch wird eine Figur mit Potential eingeführt: Der Vater von Martin, Robert Milikan. Leider aber werden die Gründe für die krisenhafte Vater-Sohn-Beziehung nicht weiter vertieft. Das fand ich etwas schade. Vielleicht wird in einem der nachfolgenden Bände noch näher darauf eingegangen.

Wie schon im Roman „Enceladus“ findet man im Nachwort des Werks auch wieder einen kompakten, umfangreichen Sachtext mit Hintergrundwissen zum Saturnmond. So lässt sich das Gelesene noch einmal wunderbar nachbereiten. Und was mir direkt positiv aufgefallen ist: Der Autor schreibt diesen Sachtext in einem sehr lockeren und humorvollen Stil. Sehr lesenswert!

Fazit

Ich empfehle mit „Enceladus“ einzusteigen, bevor man „Titan“ liest. Der Autor knüpft inhaltlich hervorragend an den ersten Band der Reihe an und erzeugt durch die erzählerische Gestaltung von Perspektivwechseln zwischen Marchenko und dem Rest der Crew gut Abwechslung. Ich empfand die Lektüre als faszinierend und spannend. Wer realistisch gestaltete Near-Future-Science-Fiction mag, ist hier bestens aufgehoben. Klare Empfehlung!

Mittwoch, 18. Mai 2022

Lenk, Fabian - 1000 Gefahren junior Bd. 5. Chaos beim Korallenfest


4 von 5 Sternen


Interaktives Buch mit Disney-Setting

In dem Kinderbuch „Chaos beim Korallenfest“ aus der Reihe „1000 Gefahren junior“ von Fabian Lenk schlüpfen die jungen Zuhörerinnen und Zuhörer bzw. Erstleser:innen in die Rolle des Schwertfischs Flutsch, der von seinem Fisch-Freund Blinky begleitet wird, und erleben zusammen einige Abenteuer. Ich empfehle es zum Vorlesen für Kinder ab 5 Jahren und für Selbstleser:innen ab der zweiten Klasse.


Konzept

Wie es für die Reihe typisch ist, werden die Kinder interaktiv in den Leseprozess eingebunden, was nach meiner Erfahrung zu einer erhöhten Aufmerksamkeit und Neugier beim Zuhören führt. Anders als in gewöhnlichen Büchern liest man das Buch nicht einfach von der ersten bis zur letzten Seite durch, sondern man löst an bestimmten Stellen im Buch Rätsel und trifft Entscheidungen, die dann in jeweils in unterschiedliche Richtungen führen. Innerhalb ein- und derselben Geschichte ergeben sich verschiedene Variationsmöglichkeiten. Dadurch ist der Nachwuchs beim Zuhören stets aktiv dabei, was ich großartig finde. Und weil die Kinder wissen wollen, wie sich die Geschichte abhängig von ihren Entscheidungen entwickelt, wird auch ihre Neugier geweckt.


Inhalt

Insgesamt werden in dem entworfenen Disney-Setting um König Triton und Hexe Ursula 17 Fragen an die jungen Zuhörerinnen und Zuhörer gerichtet, die alle wieder zu anderen Verläufen führen, so dass Abwechslung garantiert ist. Meine Töchter waren wieder sehr bei der Sache und wollten direkt alle Varianten kennen lernen. Im Prinzip gibt es zwei Haupthandlungsstränge: Entweder will man sich die Parade zum Korallenfest genauer anschauen oder König Tritons Schatz suchen.

Außer den Entscheidungsfragen kommen im Buch auch insgesamt 9 Rätselfragen vor, bei denen die Kinder in den meisten Fällen den nachfolgenden Textinhalt im Fortgang antizipieren müssen. Gut ist, dass auch die Lösung verraten wird, so dass kein Frust aufkommt.

Wichtig zu erwähnen, ist in diesem Zusammenhang noch, dass trotz der Variationen innerhalb der Geschichte der Inhalt nie seine Kohärenz einbüßt. Alles bleibt logisch und nachvollziehbar.

 

Bebilderung und Sprachgestaltung

Das Disney-Setting spiegelt sich auch in der Bebilderung wider. Auch die böse Meerhexe Ursula und König Triton tauchen auf. Das hat meinen beiden Töchtern gefallen. Jedoch gibt es auch einiges zu bemängeln (s. Kritikpunkte).

Bei der Sprachgestaltung ist zunächst einmal auffällig, dass die Kinder direkt mit „du“ angesprochen und auf diese Weise in die Handlung einbezogen werden. Das schafft Aktivierung und ist gelungen. Was mir ebenfalls aufgefallen ist, ist der Umstand, dass sehr viel wörtliche Rede vorkommt. Das sorgt für Lebendigkeit. Es überwiegt dadurch allerdings auch ein umgangssprachlicher Sprachton. Passend zum Inhalt findet man viele Ausdrücke aus dem maritimen Bereich, das ist gelungen. Grundsätzlich empfand ich die Sprachgestaltung als altersangemessen. Der Wortschatz und die Satzkonstruktionen sind nicht zu komplex, ich bin beim Vorlesen über keine Stelle „gestolpert“.

 

Kritikpunkte

Beim Vorlesen muss man sich darauf einstellen, dass man anders als in anderen Büchern vermehrt Hin- und Herblättern muss. Mich hat das zwar nicht gestört, aber ich hätte es hilfreich gefunden, wenn auf den Seiten nicht nur angegeben wird, wo man weiterlesen soll, sondern wie man den Weg des Gelesenen auch wieder zurückverfolgen kann. So könnte man sich noch deutlich besser in dem Werk zurechtfinden.

Bei den Rätselfragen ist grundsätzlich das Problem, dass sie „nur“ bei den ersten Malen spannend sind, danach sind sie bereits bekannt und weniger interessant. Auch ist die Rätselfrage zum Labyrinth zu einfach und durch den begleitenden Text auch zu verwirrend. Weiterhin ist mir aufgefallen, dass es anders als im Vorgängerband weniger verschiedenartige Aufgabenformate gibt (vgl. dazu eine frühere Rezension). Das ist schade!

Das Ende mancher Erzählstränge kommt recht abrupt. Ich würde den Machern des Buchs empfehlen, die Bände der Buchreihe noch umfangreicher zu gestalten.

Ich hätte mir beim Vorlesen auch umfassendere erzählerische Abschnitte gewünscht, mir dominiert die Umgangssprache zu sehr.

Die Bebilderung fand ich im Vorgängerband „Das Geheimnis der Pirateninsel“ besser. Zunächst einmal waren meine beiden Töchter sehr enttäuscht darüber, dass im ganzen Buch kein einziges Bild von Arielle auftaucht. Hier hat das Cover eine andere Erwartungshaltung provoziert. Darüber hinaus ähneln sich viele Bilder doch sehr stark, mehr Abwechslung wäre hier gut gewesen. Auch sind die Bilder wenig textunterstützend. Eine stärkere inhaltliche Text-Bild-Verzahnung hätte dem Buch gut getan. Auch hätten es mehr großflächige Illustrationen sein dürfen. Hier hat mir der Vorgängerband „Das Geheimnis der Pirateninsel“ deutlich besser gefallen.

 

Fazit

Das Kinderbuch weist ein innovatives Konzept auf. Man sollte es in meinen Augen auf jeden Fall einmal mit seinem Nachwuchs austesten. Es bietet aber auch noch Verbesserungspotential. Verglichen mit dem Vorgängerband „Das Geheimnis der Pirateninsel“ ist dieser Band weniger gut gelungen, was sich in meinen Augen v.a. an der Bebilderung und den Rätselfragen zeigt. Deshalb vergebe ich dieses Mal nur 4 Sterne! Trotzdem empfehle ich es weiter.

Dienstag, 17. Mai 2022

Hilbert, Jörg - Coco Stolperbein


3 von 5 Sternen


Herr Wichtig und Frau Richtig

Gereimte Kinderbücher erfreuen sich immer einmal wieder großer Beliebtheit. Man denke nur an das wunderbare Buch: „Der Grüffelo“. Und die Kunst, kindgerechte Inhalte in Reime zu verpacken, ist nicht einfach, schließlich sollen die Reime im Idealfall modern und eingängig klingen. Die Frage lautet also, gelingt Jörg Hilbert mit „Coco Stolperbein“ eine solche Umsetzung? Dass der Autor ein Garant für ausgefallene Ideen ist, weiß man spätestens seit der Buchreihe um „Ritter Rost“, die bestimmt viele kennen und auch schätzen.

Meine Meinung: Die Reime sind wohlgeformt und gelungen, sie wirken auch keinesfalls altbacken, sondern ansprechend. Auch sind sie ideal, um den Nachwuchs beim Lesen einzubeziehen. So kann man bei den Paarreimen immer wunderbar das Versende des zweiten Verses auslassen und auf diese Weise die eigenen Kinder mitsprechen lassen. Das ist gelungen.

Womit ich mich allerdings etwas schwer getan habe, ist der Inhalt als solcher. Das Thema „spießige Vermieter“ weist für mich keinen relevanten Bezug zur Lebenswelt für Kinder ab 3 Jahren auf. Und das Thema „Akzeptanz und Freundschaft“ auf diese Weise vermitteln zu wollen, finde ich zu abstrakt. Nebenbei bemerkt finde ich es auch etwas unrealistisch, dass solche Spießbürger wie Herr Wichtig und Frau Richtig ein E-Mobil kaufen.

Was wiederum lobenswert ist, sind die Illustrationen. V.a. die Darstellung der Gesichtsausdrücke von Frau Richtig kommen gut zum Ausdruck. Und was besonders gelungen ist und zum Malen einlädt: Einige der abgebildeten Gegenstände sind weiß gelassen worden. So z.B. die Sitzgarnitur im Garten. Hier können die jungen Zuhörerinnen und Zuhörer sich ein Beispiel an Coco nehmen und das Buch verschönern.

Noch ein paar Anmerkungen zur Sprachgestaltung: Für Kinder ab 3 Jahren ist der Text in meinen Augen stellenweise schwer zu verstehen („auf Trab sein“, „vom anstandsfrommen Wunsch beseelt“, „rigoros“, „inspiziert“, „mein gehegter Schatz“, „mit den Tränen ringen“, „Mit Siegel und Stempel“, „vom Schönheitsamt“, „ehrfurchtsvoll“). Aber das sind Spitzfindigkeiten von meiner Seite!

Fazit

Ein Kinderbuch mit eingängigen, wohlgeformten Reimen, schönen Illustrationen, die teils auch zum Bemalen einladen, dessen Inhalt aber zu wenig Bezug zur Lebenswelt von Kleinkindern aufweist und dessen Sprachgestaltung punktuell zu schwierig ist.

Bronsky, Alina - Schallplattensommer


5 von 5 Sternen


“Das einzige Mädchen im Umkreis von 13 Kilometern“

Alina Bronsky entpuppt sich in ihrem neuen Roman „Schallplattensommer“ wieder einmal als sehr gute Alltagsbeobachterin und als jemand mit Blick für die feinen Zwischentöne in menschlichen Beziehungen. Sehr differenziert und feinfühlig werden die Beziehungen von Maserati zu ihrer Oma und zu den beiden neu hinzugezogenen Nachbarjungen Theo und Caspar aufbereitet, und das dieses Mal ohne den typischen Bronsky-Erzählton. Es geht dieses Mal nicht schwarzhumorig, scharfzüngig und bissig zu, sondern einfühlsam und gefühlsgeladen (vgl. frühere Rezensionen). Sie schließt damit  an ihre Erzählung „Das Geschenk“ an, in der sie ebenfalls sehr feinsinnig und tiefgründig schreibt (vgl. eine frühere Rezension). Und mir gefällt das sehr, es zeigt nämlich einmal eine andere Seite der Autorin. Und verdammt nochmal, Alina Bronsky kann einfach genial schreiben. Das zeigt sich auch in diesem Buch, das ich mit viel Interesse gelesen habe.

Besonders gefallen hat mir die Protagonistin mit dem ungewöhnlichen Namen Maserati. Bei ihr handelt es sich um ein intelligentes Mädchen, das eine glänzende Zukunft haben könnte, doch sie ist komplett eingebunden in die Gastronomie und schmeißt zusammen mit ihrer Oma ein kleines, feines Restaurant. Sie ist bald 18 Jahre alt und hat auch mit ihren Gefühlen für das andere Geschlecht zu kämpfen, so ist sie zwischen ihrem ehemaligen Mitschüler Georg und den Neuankömmlingen Theo und Caspar hin- und hergerissen. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Oma von Maserati krank zu sein scheint, doch das schwingt nur zwischen den Zeilen mit. Typisch Bronsky eben! Und die Beziehung zu ihrer Oma ist keine einfache. Sie geht streng mit ihr um, bestimmt oft über sie. Gleichzeitig macht sich Maserati Sorgen um ihre Großmutter, kümmert sich liebevoll um sie. Während des Lesens entstehen Fragen: Was stimmt mit der Oma nicht? Wer ist Lenchen? Was hat es mit der Schallplatte auf sich? Was ist Theos Geheimnis? Welche Beziehung hat Maserati zu ihrer Mutter? Dies treibt die Handlung voran. Sehr gelungen! Und was mich besonders überzeugt hat: Vieles wird nicht einfach direkt ausgesprochen, sondern es werden Interpretationsspielräume eröffnet. Das macht Literatur aus!

Nicht zuletzt ist auch die Atmosphäre lobenswert, die bei der Lektüre erzeugt wird. Die Umgebung, in der die Handlung spielt, ist idyllisch, die Naturbeschreibungen sind malerisch. Es entsteht eine Art „Sommerfeeling“ während des Lesens.

Fazit

Wer Romane der Autorin kennt, wird womöglich über den neuen Erzählton überrascht sein. Mir hat dieser Schreibstil sehr zugesagt. Ich empfehle den Roman dringend weiter und vergebe 5 Sterne! Bronsky beschreibt sehr differenziert und feinfühlig die zwischenmenschlichen Beziehungen, treibt die Handlung geschickt durch offene Fragen voran und lässt auch Spielraum für Interpretation.

Montag, 16. Mai 2022

Stronk, Cally und Patrick Fix - Die Jagd nach dem magischen Detektivkoffer Bd. 2. Vorsicht, Ganoven!


4 von 5 Sternen


Gelungene Text-Bild-Verzahnung

Mit Interesse bin ich auf die Detektiv-Reihe „Die Jagd nach dem magischen Detektivkoffer“ aus dem Ravensburger Verlag gestoßen und habe mir den zweiten Band „Vorsicht, Ganoven!“ von Cally Stronk mit Illustrationen von Patrick Fix einmal genauer angeschaut. Und ich bin vom Konzept überzeugt. Einmal haben wir mit den Zwillingen Marie und Lukas zwei gewitzte, schlaue Kinderhauptfiguren, die Potential zur Identifikation bieten,  und mit Theodor Topf und Doris Deckel gibt es zwei Bösewichte, mit klarem Wiedererkennungswert. Hinzu kommt der magische Detektivkoffer mitsamt magischen Gegenständen, den die Ganoven den Kindern abluchsen wollen. Dies alles wird direkt auf den ersten Seiten anschaulich eingeführt, so dass man mit jedem Band in die Reihe einsteigen kann.

Die Handlung entspricht einer klassischen Detektivgeschichte. Marie und Lukas müssen stets auf der Hut sein, einige Gefahren erkennen und sie entwickeln einen Plan, wie sie die Ganoven überlisten können. Das ist durchdacht. Zwischendurch werden immer mal wieder Krimirätsel zum Mitraten eingebaut, die das Interesse der jungen Zuhörerinnen und Zuhörer wecken.

Insgesamt gibt es fünf Rätsel, die alle das gleiche Aufgabenformat aufweisen: Man muss auf den Bildern etwas suchen und entdecken. Das bringt Abwechslung in die Handlung. Allerdings fände ich es noch besser, wenn noch mehr Rätsel vorhanden gewesen wären und wenn sich die Formate der Aufgaben stärker voneinander unterschieden hätten. Vielleicht ist das in späteren Bänden der Reihe auch der Fall. Ich kenne leider nur diesen zweiten Band.

Was mir aber während des Lesens besonders positiv aufgefallen ist, ist der Umstand, dass zwischen Text und Bild eine sehr enge inhaltliche Verzahnung hergestellt wird. Man entdeckt viele Details aus dem Text direkt auf den Bildern wieder. Das ist schon richtig gut gemacht und das habe ich in der Qualität auch selten gesehen. Insgesamt ist der zweite Band aus dieser Reihe reich bebildert. Auf jeder Seite gibt es farbenprächtige Bilder mit vielen zu entdeckenden Details. Die Bilder sind oft großflächig und nehmen die ganze Seite ein.

Die Sprachgestaltung ist ebenfalls altersangemessen, sowohl Wortschatz als auch Satzkonstruktionen sind nicht zu anspruchsvoll. Ich bin beim Lesen über keine Textstelle gestolpert. Das zeugt von einem guten Lektorat. Lustig sind auch die Versprecher, die den Ganoven hin und wieder unterlaufen. Was ich allerdings nicht mag, ist, dass das Schriftbild von einzelnen Wörtern hin- und wieder durch Vokal- und Konsonantenhäufungen „verunstaltet“ wird, um sie so zu intensivieren („THEEEODOOOOR! HÜÜLFE!!“, S. 88, „Ahhhhh“, S.90, „TatÜÜTATAAAA!!!, S. 90 etc.). Ich hoffe inständig, dass solche Schreibweisen sich nicht immer mehr in Kinderbüchern durchsetzen, denn die Kinder ahmen sie später nach. Man findet solche Schreibeweisen dann später in Schulaufsätzen wieder. Das sehe ich kritisch.

Fazit

Ein durchdacht konzipiertes Kinderbuch, das durch die Rätsel zum Mitraten und durch die gute inhaltliche Verzahnung zwischen Text und Bild besticht. Ich vergebe 4 Sterne, weil es noch mehr Krimirätsel mit verschiedenen Aufgabenformaten hätten sein dürfen.

Ewan, C.M. - Das Ferienhaus. Und du denkst, du bist sicher


3 von 5 Sternen


Der kleinere und der größere Mann

Der Thriller „Das Ferienhaus“ von C. M. Ewan ist ein geradlinig erzählter Thriller mit viel Action, ohne viel „Schnickschnack“. Das Setting ist vielversprechend: ein einsames, abgelegenes Haus inmitten der schottischen Abgeschiedenheit, eine traumatisierte Familie, die dort zur Ruhe kommen will, und ein Einbruch mitten in der Nacht, aus der sich eine rasante Verfolgungsjagd ergibt. Dieses Ereignis wird wohl jeder Leser auf sich selbst übertragen können, und das lässt beim Lesen Gänsehaut entstehen. Hat nicht jeder von uns nachts schon einmal wach gelegen und gedacht, dass er jemandem im Haus gehört hat? Und was würde man selbst in einer solchen Situation tun? Der Autor spielt hier gekonnt mit den Urängsten eines jeden Menschen. Und was ebenfalls gelungen ist: C.M. Ewan nimmt sich auf den ersten hundert Seiten Zeit, die Familienmitglieder einzuführen und zu verdeutlichen, was sie in der Vergangenheit durchlebt haben. Es handelt sich um eine krisengeschüttelte Familie, eine Familie, die ihren Sohn bei einem Autounfall verloren hat, und die in einer dunklen Seitengasse überfallen worden ist.

Auch das Gefühlsleben verliert der Autor nicht aus dem Blick. Sehr beklemmend und passend zur Situation wird das innere Erleben des Familienvaters beschrieben, der seine Familie schützen will. Und interessant ist, dass der Vater hier nicht als der heldenhafte Einzelkämpfer auftritt, sondern als seelisch Leidender, der selbst Ängste aussteht.

Das alles ist gut arrangiert und ich denke, der Thriller wird viele begeisterte Leser und Leserinnen finden. Die Handlung lebt von der geschilderten Situationsdramatik. Und darüber hinaus fragt man sich beim Lesen ständig, welche Motive die Einbrecher wohl haben und welches Ziel sie verfolgen. Das treibt die Handlung voran.

Doch ich muss offen gestehen, dass ich auch so  meine Schwierigkeiten mit dem Werk hatte, das will ich nicht unerwähnt lassen. Ich betone aber, dass sich letztlich jede/r selbst dazu ein Urteil bilden sollte. Punkt 1: Für mich hat sich zu vieles wiederholt, die Handlung dreht sich nach meinem Empfinden über viele Seiten im Kreis. Der Autor bedient sich immer wieder des gleichen Musters. Die Familie gerät von einem Bedrohungsszenario ins nächste. Immer wieder ist sie neuen Gefährdungen ausgesetzt und muss sich behaupten. Und dabei wird auch das Gefühlsleben immer wieder auf die gleiche Weise geschildert. Nach meinem Empfinden nutzt sich das einfach mit der Zeit ab. Mehr Abwechslung hätte hier z.B. durch Perspektivwechsel oder durch die Einbindung polizeilicher Ermittlungsarbeit erreicht werden können. Punkt 2: Zudem gab es nach meinem Empfinden einige Stellen, wo die dargestellte Situation aus dramaturgischen Gründen unrealistisch dargestellt wurde. Ich verzichte hier aber bewusst auf Beispiele, um nicht zu viel von der Handlung zu verraten. Bei mir ist es so, dass ich solche Thriller grundsätzlich nicht mag, in denen die Handlung zu konstruiert wirkt, nur damit ein Effekt erzielt wird.

Fazit

Ich bin immer auf der Suche nach Büchern, die etwas Innovatives bieten, die sich von der breiten Masse abheben. Der Thriller „Das Ferienhaus“ ist nach meinem Dafürhalten leider kein solcher Thriller. Nein, er ist absoluter Durchschnitt. Mir ist die erzählerische Gestaltung zu simpel, es wiederholt sich zu viel, und zu viel wirkt konstruiert. Deshalb vergebe ich 3 Sterne und spreche eine Leseempfehlung für diejenigen aus, die geradlinig erzählte Action mögen.

Donnerstag, 12. Mai 2022

Morris, Brandon Q - Enceladus


5 von 5 Sternen


„Das Zeitalter der Fragen“

Was wäre, wenn man auf dem Saturnmond Enceladus Spuren biologischer Aktivität findet? Und wie könnte man sich die bemannte Mission vorstellen, die nach Beweisen außerirdischen Lebens sucht? Was wäre, wenn die Mission durch eine Katastrophe womöglich zum Scheitern verurteilt wäre? Um diese Fragen geht es in dem Roman „Enceladus“ von Brandon Q Morris, der in Wirklichkeit Matthias Matting heißt. Und es ist der erste Science-Fiction-Roman aus der Feder des Autors, also sein Debut. Und das Werk hat mir richtig gut gefallen, hier beweist Morris sein Potential als Hard-Science-Fiction-Autor. Dies möchte ich auch unbedingt an dieser Stelle erwähnen, weil mir der Einstieg in die Bücher von Morris schwer gefallen ist. Sowohl „The Hole“ als auch „Mars Nation. Teil 1“ konnten mich nicht restlos überzeugen, obwohl deutlich wurde, dass Morris ein ungeheures Talent hat, realistische und detailgetreue Near Future Science-Fiction zu schreiben.

„Enceladus“ hat mich begeistert, weil das Spannungslevel hoch ist, die Crew ausreichend tiefgründig gestaltet wurde und die technischen Abläufe und Details realistisch und anschaulich daherkommen. Was ich lesenswert fand, war ebenfalls der Umstand, dass in Rückblicken über die Vorbereitungen auf die Mission erzählt wird. So muss die Mannschaft einige Herausforderungen bewältigen: Der kilometerdicke Eispanzer des Mondes muss mit einem Bohrer durchstoßen werden und die 6-köpfige Crew muss ganze 27 Monate miteinander auskommen, was eine enorme psychologische Belastung darstellt. Hinzu kommt ein forderndes Astronautentraining inklusive Schleudersitz-, Unterwasser-, Druckkammer- und Schwerelosigkeitstraining. Das alles wird äußerst kenntnisreich und differenziert dargestellt. Dafür ein großes Lob an den Autor!

Und auch im Weltraum ist die Mannschaft ständig mit neuen Herausforderungen konfrontiert: Nicht nur Pflanzen müssen trotz fehlender Gravitation mit Nährstoffen und Wasser versorgt werden, sondern die Astronauten müssen sich auch körperlich fit halten, um dem Abbau der Knochendichte entgegenzuwirken. Hinzu kommen spannend geschilderte Außenbordeinsätze und Probleme mit der Navigation beim Landeanflug auf den Saturnmond. Auch hier zeigt sich, dass der Autor diese Inhalte sehr kompetent und anschaulich vermitteln kann. Auch das Ende hat mich überzeugt. Die Darstellung des fremdartigen Lebens ist dezent und in meinen Augen gerade deswegen gelungen.

Noch ein Satz zur Figurenzeichnung, die ich in „The Hole“ und „Mars Nation. Teil 1“ teils bemängelt habe. In „Enceladus“ finde ich die Crew für einen Hard-Science-Fiction-Roman tiefgründig genug gestaltet. Man merkt zwar, dass sich die meisten Gespräche vor allem auf Sachebene bewegen und professionelle Missions-Themen betreffen, aber das hat mich nicht sonderlich gestört. Denn die Sogwirkung erzeugt das Buch durch die bereits genannten Aspekte. Und mit Martin entwirft der Autor auch eine Figur, die interessant ausgestaltet ist. Er wirkt wie ein Nerd, der Schwierigkeiten im zwischenmenschlichen Umgang hat. Er wirkt einerseits unbeholfen, wächst dann aber auch bei den Außenbordeinsätzen über sich hinaus. Und durch eine Liebesgeschichte zwischen Amy und Hayato wird auch noch etwas Abwechslung erzeugt.

Nicht zuletzt punktet der Roman auch wieder mit einem umfangreichen Nachwort. Darin zu finden ist ein ausführlicher Sachtext mit Hintergrundwissen zum Saturnmond Enceladus. Als Nachbereitung zum Gelesenen unbedingt zu empfehlen.

Fazit

Dieses Debut von Brandon Q Morris hat mich absolut überzeugt. Hier zeigt der Autor, was er drauf hat: Er entwirft ein spannendes, realistisches und detailliertes Near-Future-Science-Fiction-Szenario. Unbedingt als Einstieg in das Gesamtwerk des Autors zu empfehlen!

Moore, Graham - Verweigerung


4 von 5 Sternen


Geschworene 272

Wer gerne einen amerikanischen Justiz-Thriller lesen will und dabei einmal einen anderen Autor als John Grisham kennen lernen möchte, der ist bei Graham Moore genau richtig. In „Verweigerung“ wird eine Besonderheit des amerikanischen Gerichtswesens genauer in den Blick genommen: Die Jury und ihr Agieren. Und der Autor weicht in meinen Augen dabei gekonnt von dem ab, was man üblicherweise schon aus anderen „Jury-Thrillern“ kennt. Er kreiert einige neue Ideen und wirft einen sehr differenzierten Blick hinter die Kulissen. Der Einblick in die Prozesse der Entscheidungsfindung einer Jury fällt dabei deutlich detaillierter aus als z.B. bei „Thirteen“ von Steve Cavanagh. Vor allem die Schilderung der Gruppendynamik innerhalb der Gruppe von Geschworenen fand ich interessant und gelungen. Doch worum geht es überhaupt?

Am 19. Oktober 2009 wurde der Lehrer Bobby Nock durch die Jury von der Anklage freigesprochen, seine Schülerin Jessica Silver umgebracht zu haben. Die Leiche des vermeintlichen Opfers wurde nie gefunden. Und dieses Urteil verfolgt die Mitglieder der Jury auch zehn Jahre danach noch immer. Vor allem Rick Leonard denkt, dass die Entscheidung von damals ein Fehler war. Er behauptet einen unwiderlegbaren Beweis für die Schuld von Bobby gefunden zu haben und will diesen publik machen. Doch kurz vor Veröffentlichung dieses Beweises findet man ihn tot auf. Der Verdacht für den Mord fällt dann auf Maya Seale. Sie war in dem umstrittenen Prozess von 2009 ebenfalls Geschworene, bevor sie dann selbst Anwältin geworden ist. Besonders brisant: Sie hat die anderen in der Jury von der Unschuld Bobbys überzeugt und sie umgestimmt. Und alle Indizien sprechen nun gegen sie.

Die große Stärke des Thrillers ist in meinen Augen, dass hier vor allem einmal das in den Mittelpunkt gerückt wird, was sich außerhalb des Gerichtssaals abspielt. Und Maya ist zudem eine Hauptfigur mit „Zugkraft“. Sie ist interessant gestaltet, vor allem weil sie alle Rollen im Justizsystem einmal selbst durchläuft: Von der Geschworenen über die Anwältin bis hin zur Angeklagten. Durch ihr juristisches Wissen ist sie als Angeklagte gut in der Lage, sich selbst zu verteidigen. Als Anwältin kann sie sich sehr gut in die Jury hineinversetzen. Und als Geschworene blitzt zudem ihr Talent auf, überzeugend zu argumentieren. Sie schafft es, nach und nach alle auf ihre Seite zu ziehen.

Ebenfalls überzeugend ist, dass die große Anzahl der Personen nicht zu einer Überforderung beim Lesen führt. Der Autor schafft es, jedem Mitglied der Jury ein „eigenständiges Gesicht“ zu geben. Insbesondere in den Rückblicken, in denen die Verhandlung des alten Falls genauer dargestellt wird, erhält nahezu jede/r Geschworene ein eigenes Profil.

Interessant ist auch, wie im Laufe der Handlung immer auch Fragen zum Verhältnis von Recht und Gesetz, Gerechtigkeit und Recht, Wahrheit und Recht angerissen werden. All diese Dinge können weit auseinander liegen und Wahrheit ist niemals schwarz-weiß, sondern sehr komplex. Das wird gut deutlich. Auch war lehrreich und aufschlussreich für mich, wie eine Verteidigungsstrategie aussieht, wenn Indizien gegen einen sprechen. Nicht Moral und Gewissen spielen dabei eine Rolle, sondern es wird die Strategie gewählt, die erfolgsversprechend ist.

Fazit

Ein Justiz-Thriller, der vor allem die Gruppendynamik innerhalb einer Jury differenziert in den Blick nimmt und einmal das thematisiert, was sich außerhalb des Gerichtssaals abspielt. Maya ist eine gut konzipierte Figur und auch die Nebenfiguren werden nicht vernachlässigt. Nicht zuletzt enthält der Thriller einige Themen, die zum Nachdenken anregen. Insgesamt also ein sehr guter Justiz-Thriller. Herausragend fand ich ihn nicht, weil mir die Spannung zu sehr auf der Strecke blieb.

Montag, 9. Mai 2022

Khider, Abbas - Die Orangen des Präsidenten


5 von 5 Sternen


„Im Reich hinter der Sonne“

Betrachtet man das literarische Gesamtwerk von Abbas Khider, so lässt sich der Roman „Die Orangen des Präsidenten“ als ein weiterer Mosaikstein in einer Gesamtkomposition betrachten. Bisher habe ich von Abbas Khider „Der falsche Inder“, „Brief in die Auberginenrepublik“, „Ohrfeige“ und nicht zuletzt „Der Erinnerungsfälscher“ gelesen. Und alle Romane konnten mich begeistern (vgl. frühere Rezensionen). Das zentrale Thema aller Roman war bisher: „Flucht aus dem Irak“. Und in jedem seiner Romane wird eine andere Perspektive eingenommen und ein neuer Blickwinkel auf das Thema eröffnet.

In diesem Werk nun geht es um die Geschichte von Mahdi Hamama, den Taubenzüchter. Es wird erzählt, wie er einem Zufall zum Opfer fällt und ohne Anklage und Prozess zu einem politischen Häftling wird. Als Leser begleiten wir Mahdi während seines grausamen Gefängnisalltags. Und wir sind ganz nah dran am Geschehen, was an der Wahl der Ich-Perspektive liegt. In Rückblicken erzählt uns Mahdi aus seiner Kindheit und Jugend. Wir erhalten auf diese Weise einen Einblick in den Iran-Irak-Krieg (= Erster Golfkrieg). Später rückt auch der zweite Golfkrieg von 1990/91 ins Blickfeld des Lesers.

In den bisher genannten Werken von Abbas Khider wurde das Thema „Haft“ immer nur am Rande gestreift, es stand aber nie so im Zentrum wie in diesem Roman. Und der Inhalt ist bedrückend und bewegend zu lesen. Auffällig ist vor allem, mit welcher Authentizität und Detailgetreue von dem zweijährigen Haftalltag berichtet wird. Es wirkt auf mich fast so real wie ein Augenzeugenbericht. Aber ich möchte an dieser Stelle nicht darüber spekulieren, inwieweit sich autobiographische Bezüge zur Lebensgeschichte des Autors herstellen lassen. Das kann nur der Autor selbst beantworten. Ich kann nur festhalten, dass das Gelesene bei mir eine tiefe emotionale Wirkung hinterlassen hat. Das Werk hat eine hohe „emotionale Kraft“. Und das liegt auch daran, dass die Schilderung so realistisch wirkt.

Ich finde den Schreibstil zudem unheimlich fesselnd. Mahdis Schicksal hat mich betroffen gemacht, ich habe mit ihm mitgelitten, ich wollte wissen, was aus ihm wird. Ungewöhnlich ist sicherlich auch der anekdotenhafte Stil sowie der humorvolle Erzählton, der stellenweise aufblitzt, und das, obwohl die beschriebenen Vorfälle und Begebenheiten drastisch und tragisch sind.

Fazit

Der Roman „Die Orangen des Präsidenten“ fügt sich gut ein in das Gesamtwerk des Autors. Dieses Mal geht es um den grausamen Haftalltag von Mahdi Hamama. In den anderen Romanen, die ich bisher von Abbas Khider gelesen habe, ging es vorrangig um das Thema „Flucht aus dem Irak“. Dieses Mal erhalten wir einen tiefergehenden Einblick in das krisengeschüttelte Land selbst.

Morris, Brandon Q - Mars Nation. Teil 1


3 von 5 Sternen


Ansiedlung auf dem roten Planeten

Bei „Mars Nation. Teil 1“ handelt es sich um den ersten Teil einer Trilogie. Es geht vorrangig um das Thema der Ankunft auf dem roten Planeten und um die Herausforderungen der Lebensgründung in den ersten 100 Tagen. Interessant hierbei ist, dass zwei Missionen miteinander konkurrieren: Auf der einen Seite haben wir eine vierköpfige NASA-Crew, die den Nachbarplaneten erforschen und dann zurückkehren soll. Auf der anderen Seite planen zwanzig Männer und Frauen auf dem Mars sesshaft zu werden. Sie reisen mit einem Raumschiff der durch Spenden finanzierten Initiative „Mars für Alle“ (kurz: MfA) zum roten Planeten.

Was mich absolut überzeugt hat, war die Darstellung der Geologie und Topographie des Mars, dem Autor gelingt es wunderbar die Atmosphäre auf dem fremden Planeten einzufangen und Bilder vor dem inneren Auge des Lesers entstehen zu lassen. Und auch die vielen technischen Abläufe werden fundiert dargestellt. So, wie Morris es beschreibt, könnten tatsächlich die Herausforderungen des Alltags auf dem Flug zum Mars und innerhalb einer zu gründenden Marsstation aussehen. Das wirkt alles sehr plausibel und detailliert aufbereitet.

Nicht zuletzt hat mir gut gefallen, dass der Autor einen lesenswerten achtseitigen Sachtext zum Mars im Nachwort aufführt, Titel: „Die neue Biografie des Mars“. Darin findet man, auf kompakte und kenntnisreiche Weise vermittelt, die wichtigsten Fakten zu unserem Nachbarplaneten.

Inhaltlich hat mich vor allem der Anfang des Romans in seinen Bann ziehen können, also die ersten 144 Seiten. Die „MfA-Crew“ hat Schwierigkeiten beim Anflug auf den Nachbarplaneten und erhält Unterstützung durch die NASA-Astronauten. Dabei wird ein gutes Maß an Spannung erzeugt.

Doch leider verliert das Buch nach meinem Dafürhalten ab S. 144 enorm an Qualität und Sogkraft. Und das ist eine erstaunliche Parallele zu „The Hole“ von Brandon Q Morris, das ich ebenfalls gelesen habe. Woran liegt das? Ein vielversprechender Handlungsstrang, den der Autor eröffnet, wird einfach nicht weiterverfolgt. Ich hatte das Gefühl, dass er sich die Auflösung des Rätsels lieber für die Folgebände aufheben wollte. Und das fand ich enorm schade. Stattdessen verschiebt sich der erzählerische Schwerpunkt hin zu etwas anderem und ab S. 203 wird es dann hanebüchen und sehr konstruiert. Das konnte mich leider nicht überzeugen. Vielleicht wäre ein Einzelband doch vielversprechender gewesen?

Was ich auch bemängeln muss, ist die schwache Figurenzeichnung. Bücher leben davon, dass man mit Protagonisten mitfiebert, im Idealfall identifiziert man sich mit einer Figur oder leidet mit ihr mit, entwickelt eine Sympathie für sie. Das fehlt mir ganz klar in diesem Roman. Die Charaktere entfalten keinerlei „Zugkraft“. Das liegt in meinen Augen an zwei Gründen: Einerseits fehlt es bei allen Figuren an psychologischer Tiefe, andererseits gibt es kaum interessante Beziehungsverhältnisse. Dies führte bei mir dazu, dass ich das Geschehen mit ziemlicher Distanz verfolgt habe, das Schicksal der beiden Crews hat mich wenig tangiert. Es wurden bei mir keinerlei Gefühle beim Lesen ausgelöst. Da fand ich die Figurenzeichnung bei „The Hole“ deutlich besser gelungen, vor allem in der ersten Hälfte des Buchs.

Fazit

Ein Science-Fiction-Roman, dessen atmosphärische Schilderung des Lebens auf dem Mars ganz klar überzeugt, der aber eine zu schwache Figurenzeichnung aufweist. Auch fand ich schade, dass ein vielversprechender Handlungsstrang einfach offen gelassen wurde. Mich reizen die restlichen beiden Teile der Trilogie nicht. Keine Leseempfehlung!

Donnerstag, 5. Mai 2022

Isaka, Kotaro - Bullet train


5 von 5 Sternen


Kuriositäten-Kabinett

Bei vielen Büchern bin ich immer auf der Suche nach dem „innovativen Element“, also nach etwas, das sich durch etwas Besonderes von anderen Büchern abhebt. Der Thriller „Bullet train“ von Kotaro Isaka ist in meinen Augen innovativ. Warum? Weil er sich durch seine skurrilen Figuren und kuriosen Beziehungsgeflechte und Verwicklungen von anderen Thrillern unterscheidet, und weil der Ort der Handlung ungewöhnlich ist: ein Schnellzug. In diesem Schnellzug, auf engstem Raum, agieren fünf Gangster, die sich allesamt durch bizarre Besonderheiten auszeichnen (vgl. Klappentext), in einer Art Kammerspiel zusammen. Und es macht Spaß, das zu lesen. Ob es allerdings für jeden Geschmack das Richtige ist, das sei dahingestellt. Für mich war die Lektüre unheimlich vergnüglich. Und ich denke für jeden, der gerne Tarantino-Filme schaut, ist dieses Werk genau das Passende. Denn die Dialoge, die verbalen Schlagabtausche und die Psychoduelle zwischen den Protagonisten erinnerten mich beim Lesen sehr an Quentin Tarantinos Filme. Grotesk und erheiternd fand ich zum Beispiel die redselige Offenherzigkeit, mit der einige der Auftragskiller Gespräche mit normalen Fahrgästen führten. Das einzige, was ich nicht mochte, waren solche Passagen, in denen mir der beschriebene Sadismus zu ausgeprägt war. So etwas mag ich einfach nicht, aber solche Textstellen kamen glücklicherweise nicht zu gehäuft vor. Dafür mochte ich solche Textstellen, in denen menschliches Verhalten sehr genau beobachtet und präzise eingeschätzt wurde. Der vierzehnjährige Oji war dementsprechend die Figur, die ich am interessantesten ausgestaltet fand. Nicht zuletzt verleihen der Handlungsort, der Erzählton sowie der Wechsel der Perspektiven, durch die hin und wieder ein- und dieselbe Situation aus verschiedenen Blickwinkeln dargestellt wird, dem Geschehen eine besondere „Würze“. Auch das sei hier lobend erwähnt. Lesenswert fand ich auch die integrierten intermedialen und intertextuellen Anspielungen.

Oft werden in Klappentexten des Verlags ja Dinge versprochen, die nicht erfüllt werden (vgl. zum Beispiel meine Rezension zu „Love in the big City“ von Sang Young Park). Hier habe ich das einmal ganz anders empfunden: Der Thriller ist wirklich unglaublich, und er ist tatsächlich originell. Und ich kann mir dieses Buch auch hervorragend als Film vorstellen. Ich freue mich sogar schon darauf, die Kinoverfilmung zu sehen und sie mit dem Buch zu vergleichen. Es gibt also bis auf die explizite Darstellung sadistischer Gewaltfantasien so gut wie nichts zu bemängeln. Man muss sich nur vor der Lektüre klar darüber sein, worauf man sich einlässt. Dieses Werk ist einfach mal ganz anders als viele herkömmliche Thriller. Doch genau deshalb ist er in meinen Augen innovativ. Und für mich war das einmal eine willkommene Abwechslung. Andere mögen das anders empfinden.

Fazit

Ein Thriller, der sich vor allem durch die Skurrilität der Figuren auszeichnet. Für mich ein Werk, das innovativ daherkommt und sich dadurch von anderen herkömmlichen Thrillern unterscheidet. Geeignet für Leserinnen und Leser, die einmal etwas anderes lesen wollen und die Tarantino-Filmen gegenüber positiv eingestellt sind. Von mir gibt es 5 Sterne und vor allem aufgrund der vorhandenen innovativen Elemente eine klare Leseempfehlung!