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Mittwoch, 29. Januar 2025

Der Mandalorianer (Staffel 1)


Star-Wars-Western



Zu Beginn lernen wir einen namenlosen Kopfgeldjäger – den Mandalorianer – kennen und erleben mit, wie er einen ersten Auftrag ausführt. Als er sein Kopfgeld bei seinem Auftraggeber einfordert, bietet dieser ihm einen neuen Auftrag an. Er soll ein Zielobjekt tot oder lebendig ausfindig machen. Der Mandalorianer erhält dazu nur unvollständige Informationen und einen Peilsender, was seine Suche erschwert. Am Ende der ersten Folge wird dann überraschend klar, um wen es sich bei der Zielperson handelt (ich verrate hier nichts). Ein schöner Einstieg! Und man fragt sich direkt: Was wird Mando nun weiter tun?

 

Was auffällt: Die Serie hat Stilelemente eines Western. Mando ist der einsame Held, der außerhalb des Gesetzes steht und sich gegen Ungerechtigkeit zur Wehr setzt. Ehre, Loyalität und Überleben sind zentrale Themen. Es kommt zu einigen Duellen und kämpferischen Auseinandersetzungen. Dabei zeigt sich, dass Mandos Fähigkeiten herausragend sind und er andere Kontrahenten übertrifft. Und der Kopfgeldjäger steckt in einem moralischen Dilemma. Er muss sich zwischen seinen materiellen Zielen und dem Wohl seines Zielobjekts entscheiden.

 

Die Handlungsorte sind oft unwirtlich und wüstenhaft, die Umgebung ist rau. Die Siedlungen ärmlich und abgewrackt. Ein „Präriecharakter“ wird also deutlich. Es gibt zahlreiche Szenen, die in Bars und „Saloons“ spielen. Dort treffen sich die „outlaws“, die am Rande der Gesellschaft existieren. Auch das erinnert ans Western-Genre. Die Handlung ist fünf Jahre nach Zerfall des Imperiums angesiedelt. Gezeigt wird eine chaotische Nachkriegszeit. Die neue Republik ist noch nicht gefestigt. Auch in Western wird oft eine solche Phase des Übergangs thematisiert, weg vom Chaos hin zur Zivilisation. Nicht zuletzt weist die Musik Westernelemente auf.


Was ich gut finde, ist, dass fünf der acht Folgen in sich abgeschlossen sind (mit Ausnahme der ersten und der letzten beiden Episoden). Man könnte sie also weitestgehend unabhängig voneinander schauen. Das ist inzwischen ja selten, wenn man sich die Serienlandschaft so anschaut. Was ich aber etwas schade fand (und das ist mein einziger Kritikpunkt an dieser Serie), ist der Umstand, dass man noch wenig Hintergründe über Mando und seinen kleinen Schützling erfährt. Ich gehe davon aus (und hoffe sehr), dass man in der zweiten Staffel mehr über die beiden mitteilt. Insgesamt hat mir die Serie sehr gut gefallen und ich bin neugierig zu erfahren, wie es weitergeht. 

Freitag, 24. Januar 2025

Stridsberg, Sara - Das große Herz


Das Leben in Beckomberga



Der Einstieg in diesen Roman ist tragisch. Es beginnt mit dem Suizid des Protagonisten Olof, der sich von einem Sendemast stürzt. Durch seine Krankheit fühlt er sich vom Rest der Welt abgeschottet und so, als ob er nicht zu ihr dazugehört. Frisch aus der psychiatrischen Klinik entlassen, weiß er nichts mit seinem Leben anzufangen.

 

Danach lernen wir verschiedene Patientenschicksale in der Heilanstalt kennen, es bleibt aber lange unklar, wer uns das Geschehen eigentlich präsentiert und spricht. Später erfahren wir dann, dass es sich um Jackie handelt. Sie ist die 14-jährige Tochter desjenigen, der sich zu Beginn des Romans das Leben genommen hat, und besucht ihn regelmäßig in der Klinik. Die Zeitebenen verschwimmen. Sie trifft dort auf Patienten, führt viele Gespräche mit ihnen und richtet neugierige Nachfragen an sie. Auch verliebt sie sich dort. Es wird jedenfalls deutlich, dass das Thema Suizid allgegenwärtig ist und das Schicksal der Kranken wenig hoffnungsvoll wirkt. Schwermut wird greifbar. Die Last des Lebens wiegt schwer.

 

Zwischendrin kommt es immer mal wieder zu Notfällen, die in die Klinik eingeliefert werden. Und zwischen dem Oberarzt und dem Opfer vom Beginn des Romans (Olof) finden Gespräche statt. Es wird klar, dass der Oberarzt Vertrauen in ihn setzt und ihm Mut zuspricht, das Leben außerhalb der Klinik allein bewältigen zu können. Die Klinik ist für viele eine wichtige Stütze. Bricht sie weg, kann es für den einen oder anderen zu einer Überforderung werden (die dann auch tragisch enden kann). Viele haben auch die Erlaubnis, das Klinikgelände zu verlassen. Für andere ist es aber eher Gefängnis als Klinik.

 

Beiläufig werden auch Informationen zur Entstehungsgeschichte der Klinik eingebaut und wir erfahren, welche Idee ihr überhaupt zugrunde lag (sie wurde 1995 geschlossen). Es handelt sich um den Ort „Beckomberga“ in Schweden, den es wirklich gab. Es war eines der größten psychiatrischen Krankenhäuser Europas. Zu Spitzenzeiten beherbergte es ca. 2000 Patienten (Ich empfehle dazu eine ausführliche Recherche im Internet).

 

Die Sprache des Buchs ist sehr poetisch, es ist nicht immer einfach, die Dialoge zu durchdringen und einen Zugang zu ihnen zu finden. Teils sind sie chiffriert und künstlerisch-ästhetisch gestaltet, dann aber auch einmal wieder bedeutungsschwer. Die Gedankenführung ist oft sprunghaft und zeichnet sich durch assoziative Verkettung aus. Das mag nicht jedem Leser und jeder Leserin zusagen. Die Handlung ist grundsätzlich schwer greifbar, es fehlt ein klarer roter Faden oder Spannungsbogen. Über weite Strecken herrscht Handlungsarmut. Der Alltag in der Klinik und das, was außerhalb passiert, bleibt oft nebulös-vage. Zudem fehlt eine klare und griffige Sprache, was das Verständnis erschwert und eine hohe emotionale Beteiligung verhindert (leider!). Auch Bildlichkeit ist stark ausgeprägt. Was mich aber etwas irritiert hat: Die Vater-Tochter-Beziehung spielt in diesem Roman kaum eine Rolle und findet kaum Erwähnung. Oder ist es gerade das, was die Beziehung der beiden ausmacht: Abwesenheit? Insgesamt fiel es mir schwer, mich auf diesen Stil einzulassen. Mir war es zu ästhetisch-experimentell. Deshalb nur 2 Sterne!

Montag, 20. Januar 2025

Hefter, Martina - Hey guten Morgen, wie geht es dir?


Über Internetbekanntschaften und das Zusammenleben mit einem Pflegebedürftigen



Juno, die mit einem pflegebedürftigen Mann zusammenlebt, um den sie sich kümmern muss, vertreibt sich nachts die Zeit mit sog. „love-scammern“. Sie denkt sich abstruse Geschichten aus und führt die Betrüger auf diese Weise selbst an der Nase herum. Möglicherweise baut sie auf diese Weise Frust ab und will es den Scammern mit gleicher Münze heimzahlen. Amüsant ist jedenfalls der Kontrast zwischen den teils tiefgründigen Messages von Juno und den oberflächlichen Komplimenten der Internetbekanntschaften, die überhaupt nicht auf das Geschriebene von Juno eingehen und darauf reagieren. Doch ein Betrüger reagiert eines Tages ungewöhnlich. Obwohl er enttarnt worden ist, probiert er weiter sein Glück. Doch Juno misstraut ihm weiterhin, auch wenn beide miteinander häufiger in Kontakt treten. Er ist jedenfalls der Erste, der genauer auf das eingeht, was sie schreibt.

 

Und mit der Zeit fasst Juno ein Stück weit Vertrauen, bleibt zwar vorsichtig und reserviert, aber es entspinnt sich eine Beziehung zwischen ihr und dem Scammer aus Nigeria. Sie fühlt sich hin und wieder ein wenig von ihm geschmeichelt und findet möglicherweise bei ihm die Aufmerksamkeit, die sie von ihrem Mann nicht mehr oft erhält. Denn außerhalb des virtuellen Raums hat Juno ihrem Mann nicht viel mitzuteilen und wirkt unglücklich, ja sogar traurig. Die Unterhaltungen mit ihrem Ehemann verlaufen recht unambitioniert und gleichen einem „Smalltalk“, doch sie macht sich auch stets große Sorgen um ihn (er hat MS). Und in beruflicher Hinsicht betreibt Juno als Künstlerin finanzielle Selbstausbeutung (wie sie selbst meint). Sie lebt v.a. vom Pflegegeld ihres Mannes. Beide leben in relativ bescheidenen Verhältnissen und haben nicht viel Geld auf der „hohen Kante“.


Punktuell wird auch immer wieder geschildert, wie beschwerlich das Leben für Juno und ihren Mann verläuft (z.B. wenn sie gemeinsam Zug fahren). Das, was die Handlung vorantreibt, sind die beiden Beziehungsdynamiken. Wie wird sich der Internetkontakt weiter entwickeln? Wird Juno irgendwann vielleicht sogar Vertrauen fassen? Und wird sich das Verhältnis Junos zu ihrem Mann auf irgendeine Art (zum Positiven?) verändern? Diese Fragen haben mich bei der Lektüre am meisten interessiert. Ich wollte z.B. auch wissen, ob der Scammer es ehrlich mit Juno meint oder ob er sie doch nur hinters Licht führt. Allgemeiner formuliert, entsteht beim Lesen eine zentrale Frage, die das menschliche Zusammenleben in der heutigen Zeit häufiger mit sich bringt (gerade im Hinblick auf die Interaktion in sozialen Netzwerken): Wie viel Vertrauen kann man zu einer Internetbekanntschaft haben? Bei Juno jedenfalls bleibt immer ein gewisses Misstrauen mit im Spiel, das merkt man. Sie hat stets die Sorge, getäuscht zu werden. Gleichzeitig sind die Dialoge im Internet immer auch ein „Fluchtpunkt“ für sie, um aus ihrem Alltag und den vielen Sorgen auszubrechen. Denn die Krankheit ihres Mannes bildet das zweite große Thema dieses tiefgründigen Romans: Wie gestaltet sich das Zusammenleben mit einem Schwerkranken? Wie wirkt es sich auf den Ehepartner aus? Auch hier kann man auf einer allgemeineren Ebene exemplarisch danach fragen, wie schwierig es für Angehörige ist, für jemanden verantwortlich zu sein, der sich nicht mehr allein um sich selbst kümmern kann. In meinen Augen behandelt der Roman wichtige, zeitgemäße Themen und das auf eine mitreißende Art und Weise. Auch sprachlich ist er gut zugänglich. Man nimmt Anteil an Juno und ihrem Schicksal. Von mir gibt es 5 Sterne und ich kann verstehen, warum das Buch den Deutschen Buchpreis erhalten hat. 

Dienstag, 14. Januar 2025

Coben, Harlan - Nur für dein Leben


Mitreißend und clever gestaltet



Mit einer direkten Leseransprache wendet sich der Ich-Erzähler David zu Beginn an die Leser und berichtet davon, was ihm widerfahren ist. Sein dreijähriger Sohn (Matthew) wurde ermordet. David sitzt wegen dieser Tat seit mehreren Jahren in Haft, obwohl er selbst abstreitet, Schuld auf sich geladen zu haben. Im Gefängnis erhält er Besuch von seiner Schwägerin, die ihm ein Foto zeigt, auf dem sein Sohn nun im Alter von acht Jahren zu sehen sein soll. Die Ähnlichkeit ist zumindest frappierend. Wie ist das möglich?


Der Thriller startet also unmittelbar, der Autor hält sich nicht lange damit auf, erst die Figuren und die Beziehungen der Figuren zueinander einzuführen oder relevante Kontextinformationen (künstlich und umständlich) vorzuenthalten. Man ist von der ersten Seite an mittendrin im Geschehen (so wie ich es mag). Und durch den Besuch im Gefängnis entsteht auch sofort Neugier. Wir wissen nicht, woher die Schwägerin das Foto hat. Handelt es sich wirklich um den totgeglaubten Sohn? Und was wird David in der Haftanstalt nun anstellen, um seine Unschuld zu beweisen? All diese Fragen entstehen schon auf den ersten Seiten und regen zum Weiterlesen an.

 

Das Leben in der Haftanstalt und die Gespräche zwischen den Insassen sind lebendig und interessant gestaltet worden. Es treffen einige Psychopathen aufeinander. Provokation und Handgemenge sind dort an der Tagesordnung. Eine besondere Bedrohungssituation entsteht dadurch, dass es in der Haftanstalt jemand auf David abgesehen hat. Und auch die später einsetzende Ermittlungsarbeit ist mitreißend konzipiert worden. Verhöre und Zeugenbefragungen sind durchdacht, clever und kreativ. Die Ermittler sind nicht auf den Kopf gefallen und verhalten sich aufgeweckt (kein Einheitsbrei!).

 

Kurzum: Ich empfand den Schreibstil von Coben als sehr elegant. Der Thriller liest sich flüssig, die Dramatik muss nicht künstlich von außen erzeugt werden, sondern sie ergibt sich aus der Handlung von selbst heraus. Der Inhalt wird wendungs- und ereignisreich vorangetrieben. Das Tempo ist hoch. Es gibt immer wieder neue Entwicklungen, die Handlung stagniert nicht und schlägt immer wieder neue Richtungen ein. All das hat mir sehr gut gefallen. Das einzige, wofür ich einen Stern abziehen muss, ist das Ende. Das ist mir dann doch zu weit hergeholt (schade, schade!). Wäre die Auflösung etwas glaubwürdiger ausgefallen, hätte ich 5 Sterne gegeben, so aber komme ich auf 4 Sterne.

Sonntag, 12. Januar 2025

Glattauer, Daniel - In einem Zug


Feinsinnig und humorvoll



Schon der Einstieg in den Roman offenbart wieder den typischen Glattauerschen analytischen Blick für die zwischenmenschliche Kommunikation. Wie er Nonverbales auslotet und Gedachtes entfaltet, und das auf amüsante Art und Weise, macht einfach großen Spaß. Doch worum geht es überhaupt?

 

Ein Ich-Erzähler (Name: Eduard Brünhofer) sitzt im Zug einer Frau (Name: Catrin) schräg gegenüber und versucht krampfhaft einem Gespräch aus dem Weg zu gehen. Doch nach kurzer Zeit kommt es zu einem Dialog zwischen den beiden, weil die Mitreisende den Erzähler mit ihrem ehemaligen Englischlehrer verwechselt. Die Situation wird von Eduard als höchst unangenehm empfunden. Er möchte Geschäftigkeit vortäuschen, um dem Small-Talk aus dem Weg zu gehen (wer kennt das nicht?). Zeitweise überlegt er sogar ernsthaft, den Zug zu verlassen und einen anderen Zug nach München zu nehmen. Gleichzeitig ist er ein wenig gekränkt, dass die Frau, die er für eine potentielle Leserin seiner Bücher hält, ihn nicht als populären Schriftsteller erkennt. Mit ein wenig Hilfestellung gelingt es ihm aber, seine Gesprächspartnerin auf die richtige Fährte zu führen. Was für ein missglückter Start in die Konversation (zumindest aus Eduards Sicht)!

 

Eduard ist spitzfindig in seiner Wortwahl und schlagfertig (v.a. gedanklich), er wägt genau ab, wie er etwas formuliert (wohl ein echter Schriftsteller :-) Zudem fällt auf, dass er ein guter Beobachter und Zuhörer ist. Gleichzeitig richtet er fortlaufend auch immer wieder kritische Nachfragen an seine Gesprächspartnerin. Es ist ihm wichtig, dass sie sich präzise ausdrückt. Durch Eduards Gedankenwelt erfahren wir, welche Fragen zu seinem Beruf ihn besonders nerven. Doch die Mitreisende richtet unbekümmert allerlei nervige Erkundigungen zu seinem Schaffen als Autor und zum Literaturbetrieb an Eduard. Und Eduards Antworten fallen dabei herrlich strukturiert und kenntnisreich aus.

 

Catrin bleibt hartnäckig und stellt zahlreiche Nachforschungen an. Dabei fällt auf, dass die Fragen, die sie an ihn richtet, sehr scharfsinnig sind. Sie ist aufrichtig an ihm und an dem, was er zu erzählen hat, interessiert. Und mit der Zeit wird das Gespräch immer persönlicher und offenherziger, beide nähern sich an. Eduard wird richtig redselig. Und in den Gesprächspausen hängt er seinen Gedanken nach, in die nur wir als Leser eintauchen. Catrin hingegen wird immer mutiger (und indiskreter), was ihre Fragen betrifft. Irgendwann fragt sie ihn unverhohlen nach seiner Beziehung zu seiner Ehefrau aus. Kurzum: Eine interessante Entwicklung, die die beiden durchlaufen. Und die Handlung wird durch die Frage vorangetrieben, wohin das Ganze führen wird. Ich war neugierig zu erfahren, was aus den beiden wird. Oder herrscht die Offenheit zwischen beiden nur vor, weil sie wissen, dass sie sich vermutlich nie wieder sehen?

 

Das Buch ist insgesamt wieder sehr feinsinnig gestaltet (wie man es von Glattauer kennt), mit einem ausprägt-analytischen Blick für das Kommunikative (wie schon erwähnt). Der Dialog zwischen Catrin und Eduard ist kunst- und humorvoll sowie pointiert arrangiert worden, er wirkt äußerst lebendig und unmittelbar. Die Schilderung von Nonverbalem rundet das Ganze weiter ab. Der Charakter und die Stimmung sowie die Beziehung beider Figuren kommt gut zum Ausdruck. Durch die Indiskretion von Catrin fragt man sich als Leser irgendwann, was ihre Absicht ist und was sie im Schilde führt. Irgendwann war ich sogar etwas empört über das Verhalten von Catrin und habe ihr kommunikatives Verhalten als anstrengend empfunden. Ich habe mich irgendwann gefragt, ob sie gar Spaß daran hat, Eduard in Verlegenheit zu bringen. Mit anderen Worten: Man ist emotional involviert, wenn man den Inhalt liest. Klasse! Ein Satz noch zum Ende (ohne zu sehr zu spoilern): Es ist überraschend. Ich habe es nicht kommen sehen. Und ich fand sehr schade, wie das Buch endet. Trotzdem gibt es von mir volle 5 Sterne!

Dienstag, 7. Januar 2025

Nisi, Sarah - Haltlos

Traumabedingte Amnesie



Aus ungeklärter Ursache stürzt Emilys Freundin Liv vor die Londoner U-Bahn und verstirbt dabei. Emily erleidet daraufhin eine traumabedingte Amnesie und muss mit Medikamenten ruhig gestellt werden. Sie leidet unter Gedächtnisverlust, Schlaflosigkeit, einer Angststörung und sie hat Panikattacken. Auch mit Hilfe der Überwachungskamera lässt sich nicht genau rekonstruieren, was vorgefallen ist. Emilys Leben gerät völlig aus der Bahn. Der Verlust ihrer besten Freundin bringt sie ins Wanken. Sie fühlt sich für das Geschehen verantwortlich, gibt sich selbst die Schuld und hat ein schlechtes Gewissen, weil sie sich nicht erinnert. Emily versucht ihr Gedächtnis wiederzuerlangen, begibt sich dafür auf Spurensuche, konfrontiert sich mit Besuchen des Unglücksortes und redet mit einem Mitarbeiter der U-Bahn. Unklar ist, ob es sich um ein Fremdverschulden handelte. Hat evtl. jemand etwas beobachtet?

 

Mit der Figur Shakes lernen wir zudem noch einen Kleinkriminellen kennen, der im Gefängnis saß und dem ein Job als Gefängniskorrespondent angeboten wird, um Missstände offenzulegen (hierfür werden punktuell auch Rückblicke in Shakes Vergangenheit als Gefängnisinsasse geschildert). Er ist der Nachbar von Liv, bestreitet aber, sie gut gekannt zu haben. Doch Emily, die die Wohnung von Liv auflöst und Shakes begegnet, spürt, dass er etwas zu wissen scheint. Hat er etwas zu verbergen? Kannte er Liv besser, als es zunächst den Anschein macht? Zudem werden Auszüge aus Livs Tagebuch eingeschoben, in denen wir erfahren, was sie vor dem Vorfall beschäftigt hat. Und nicht zuletzt werden Therapiesitzungen mit einem namenlosen Patienten integriert, bei dem es sich vermutlich um den Täter handelt.


Der Thriller ist angenehm zu lesen, der Schreibstil ist flüssig, man bleibt an den Zeilen haften und es werden viele verschiedenartige Blickwinkel integriert, die das ganze Geschehen gut verrätseln. Es ist einer dieser Thriller, bei denen man ungeduldig darauf wartet, wie sich das Gesamtbild am Ende zusammenfügt. Noch dazu ist der Inhalt psychologisch durchdacht und konnte mich überzeugen. Das Konzept der traumabedingten Amnesie ist plausibel in die Handlung integriert worden. Man stellt sich fortlaufend die Frage, ob sich Emily an das tragische Ereignis erinnern wird und was dabei zum Vorschein kommt. Durch diese Ungewissheit entsteht ein hohes Maß an Spannung und es wird Raum für Überraschungen und unberechenbare Wendungen eröffnet. Auch der Umstand, dass andere Figuren die Gedächtnislücken von Emily für sich ausnützen könnten, erzeugt Anspannung. Man weiß als Leser nicht mehr als die Figur selbst und begleitet sie neugierig auf ihrem Weg. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass man sich nicht sicher sein kann, ob die Erinnerungen real sind oder ob es sich nur um verfälschte Einbildungen handelt. Als Leser konnte ich nachempfinden, wie verunsichert und verängstigt sich Emily mit ihrem Gedächtnisverlust fühlen muss. Auch das kommt gut zum Ausdruck. Kurzum: Ein sehr souverän erzählter Thriller, der mich gut unterhalten hat. Aber er hat mich auch nicht so gepackt, dass ich dafür 5 Sterne geben kann. Es ist leider kein Kracher. So komme ich auf 4 Sterne!

Samstag, 4. Januar 2025

Strobel, Arno - Das Dorf


Konfus und verworren



Bastian erhält eines Tages einen unerwarteten Anruf seiner Ex-Freundin Anna, die ihn zwei Monate zuvor ohne besondere Begründung verlassen hat. Beide haben sich in einer Kneipe kennen und lieben gelernt und eine intensive, aufregende Zeit von vier Wochen zusammen verbracht, bevor Anna dann einfach verschwand. Nun ruft sie ihn an und bittet ihn um Hilfe. Das Gespräch endet abrupt. Das einzige, was Bastian heraushören kann, ist der Ort, an dem sie sich befindet: Frundow. Er macht sich sofort auf die Suche nach ihr, um ihr zu helfen.

 

Bastian wendet sich auch an die Polizei, wird dort aber zunächst nicht sonderlich ernst genommen. Zwar ergreift sie Maßnahmen zur Aufklärung, aber die Verdachtsmomente reichen nicht aus, um dringlichere Schritte einzuleiten. Bastian fühlt sich machtlos und ist weitestgehend auf sich allein gestellt. Er macht insgesamt keinen sehr stabilen Eindruck. Nur ein guter Freund (Safi) begleitet ihn auf der Fahrt nach Frundow. Im Dorf angekommen, hören sich die beiden bei den Bewohnern um, lernen dabei verschrobene Menschen kennen und stoßen auf Widerstände. Sie finden aber auch eine erste relevante Spur von Anna und stoßen auf ein dunkles Geheimnis, das die Dorfbewohner zu verbergen suchen…

 

Die Atmosphäre des Dorfs wirkt beklemmend und gespenstisch. Es macht einen rückständigen und heruntergekommenen Eindruck. Hinzu kommt, dass der Handyempfang im Dorf schlecht ist und es aufgrund eines Leitungsschadens vom Rest der Welt abgeschnitten ist. All das ist gelungen arrangiert. Eingeschoben sind auch knappe Kapitel aus einer anderen Perspektive, die ich als Leser lange Zeit nicht einschätzen konnte. Um wen handelt es sich? Was sind das für Aufzeichnungen? Das verrätselt den Inhalt weiter und weckt Neugier.

 

Während der Lektüre hat man immer auch wieder Zweifel, was den Geisteszustand von Bastian betrifft. Man fragt sich mit zunehmendem Handlungsverlauf immer mehr, was Realität und was Einbildung ist. Auf die Wahrnehmung von Bastian ist immer weniger Verlass. Sein mentaler Zustand verschlechtert sich fortlaufend. Man sollte sich also bei der Lektüre darauf einstellen, dass das Thema „Wahnvorstellungen“ eine immer größer werdende Rolle einnimmt. Mir als Leser fiel es ab einem gewissen Punkt schwer zwischen dem zu unterscheiden, was wirklich passiert ist, und dem, was sich Bastian nur einbildet.


Irgendwann war mir der Inhalt zu abgedreht, zu verworren und zu konfus. Das hat sich negativ auf die Spannungsentfaltung ausgewirkt. Ich habe den Thriller zu Beginn zwar noch mit Interesse gelesen und fand ihn auch anfangs spannend, aber ich war dann mit zunehmendem Handlungsverlauf immer weniger überzeugt von dem Gelesenen (auch wenn mich die Auflösung weiterhin interessiert hat). Für mich wäre hier weniger mehr gewesen. Es dreht sich für mich auch zu sehr im Kreis, was die Wahnvorstellungen angeht. Eine Abkürzung des Verwirrtheitszustands wäre gut gewesen. Aber vielleicht liegt es auch an mir und andere Leser steigen besser durch und finden Gefallen daran. Geschmäcker sind ja bekanntlich verschieden… Weitere Kritikpunkte: Die Darstellung der Gewaltpassagen erscheint mir hier drastischer als in jüngeren Strobel-Büchern. Brauche ich nicht. Und die Auflösung am Ende ist mir zu weit hergeholt. Von mir gibt es drei Sterne. Ich habe schon viel bessere Thriller von Strobel gelesen.

Mittwoch, 1. Januar 2025

Isaka, Kotaro - Suzukis Rache


Kurios und skurril



Mit der Lektüre tauchen wir in die Machenschaften der Unterwelt von Tokio ein. Zu Beginn lernen wir zwei Auftragsmörder näher kennen: Den Wal, der seine Opfer bevorzugt in den Selbstmord treibt, von Halluzinationen verfolgt wird und unter Schwindelanfällen leidet, und Zikade, der seine Opfer mit dem Messer malträtiert und sich von seinem Auftraggeber ausgebeutet fühlt. Mittendrin bewegt sich Suzuki, ein ehemaliger Mathematiklehrer, der sich für den brutalen Mord an seiner Frau rächen will. Doch kurz bevor er den Verantwortlichen selbst zur Rechenschaft ziehen kann, funkt ihm der sog. Pusher dazwischen, der den Mörder von Suzukis Frau auf die Fahrbahn stößt, so dass dieser ums Leben kommt. Suzuki verfolgt daraufhin den Pusher und versucht herauszufinden, wo er wohnt. So leicht will er sich nicht um das Gefühl von Rache bringen lassen… Während Suzuki sich darum kümmert, den Pusher dingfest zu machen, geht das Treiben von dem Wal und Zikade munter weiter.

 

Wie wir es schon aus Bullet Train gewohnt sind, treffen wir auch in diesem Thriller wieder auf höchst skurrile Charaktere. Es werden stellenweise immer wieder kuriose Momente und Situationen in die Handlung integriert. So zitiert der Auftraggeber von Zikade beispielsweise im Gespräch ständig einen Rockmusiker mit seinen Weisheiten und erscheint uns so geizig, dass er Teebeutel gleich mehrfach aufgießt. Ein weiteres humorvolles Element entsteht dadurch, dass Suzuki viel improvisieren muss, um an den Pusher heranzukommen. Auch die Dialoge sind oft ausgefallen. Aber eines will ich gleich klarstellen: Das Buch kommt bei Weitem nicht an den ersten Teil heran. In Bullet Train waren die Figuren noch wunderlicher und mit der Wahl des Schnellzuges als Handlungsort entstand eine ganz andere Dynamik, weil die Figuren auf engstem Raum agierten.


Auch dieses Mal kreuzen sich die Wege der einzelnen Figuren teilweise, ohne dass sie etwas davon wissen. Manchmal wissen sie auch nur vom Hörensagen voneinander. In der Unterwelt spricht sich schnell herum, dass der Pusher wieder aktiv geworden ist. Während der Lektüre habe ich mich öfter gefragt, worauf das Ganze hinausläuft. Ich habe neugierig weitergelesen, weil ich auf die Auflösung am Ende gespannt war. So hat mich interessiert, ob Suzuki sich für den Mord seiner Frau noch rächen wird und die anderen Killer in seine Schranken weisen wird. Und ich habe damit gerechnet, dass sich die verschiedenen Figuren noch begegnen werden und es zu einem großen Show-down am Ende kommt (diese Erwartungshaltung wird in meinen Augen auch v.a. durch den Klappentext evoziert). Leider war ich dann aber doch etwas enttäuscht, wie sich die Handlung entwickelt hat. Das Finale war nicht so stark wie erwartet und insgesamt ließ die Spannung zu wünschen übrig. Und was mich ebenfalls während des Lesens gestört und in meinem Lesefluss behindert hat, waren unlogische Verhaltensweisen der Figuren, die immer mal wieder vorkamen. Der Thriller war einfach nicht rund. Ich komme auf 3 Sterne.