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Donnerstag, 29. August 2024

Eschbach, Andreas - Die Abschaffung des Todes


Mehr als nur Atome?



Was wäre, wenn es einer Firma gelänge, Genetik und Nanotechnologie miteinander zu verbinden? Welche medizinischen Fortschritte wären dann denkbar? Könnte gar der Tod abgeschafft werden, wie es der Titel bereits verrät? Wieder einmal beweist Eschbach sein Geschick, ein interessantes Gedankenspiel zu entwerfen, das ich über weite Strecken mit großer Faszination gelesen habe.



Auf einem Investoren-Treffen soll der äußerst mitteilsame Ich-Erzähler mehr über das Start-up-Unternehmen aus Kalifornien herausfinden und seine Chefin beraten, ob sich eine Investition in die Idee lohnt. Was hat es nur mit dieser dubiosen Firma auf sich, die sich sehr gut abschottet und kaum Informationen nach außen dringen lässt?

 

Es dauert ein wenig, bis man in den Plot hineinfindet und der Ich-Erzähler hat mich mit seinem Hang zur Weitschweifigkeit auch stellenweise ein wenig genervt, aber spätestens mit dem Eintreffen des Erzählers auf dem Investoren-Treffen, wird es interessant. Ab diesem Zeitpunkt wird das Projekt genauer umrissen und erläutert. Und sofort wird Eschbachs Erzählkraft spürbar. Und man stellt sich im Anschluss folgende Frage: Wie wird der Ich-Erzähler sich entscheiden? Ist er von dem Vorhaben des Start-ups überzeugt? Rät er seiner Chefin zu einem Investment? Und welche Konsequenzen hätte es für die Gesellschaft, wenn das Unternehmen, seine Idee tatsächlich in die Tat umsetzen könnte?

 

Mit Faszination habe ich das Gedankenspiel gelesen und bin an vielen Stellen wieder ins Nachdenken geraten. Viele interessante Fragen werden aufgeworfen: Was ist der Mensch? Ist er mehr als nur die Summe seiner Atome? Wie funktioniert Wahrnehmung, wie Erinnerung? Was ist Bewusstsein? Wie entstehen Emotionen und Erleben, wie Gedanken und Entscheidungen? Auch habe ich mit dem Begriff des „Konnektoms“ etwas Neues hinzugelernt. Auch zur Funktionsweise des Gehirns habe ich Interessantes gelesen. Prima! Ich konnte an vielen Stellen Bezüge zu einem Buch herstellen, das ich vor einiger Zeit gelesen und ebenfalls (kritisch) rezensiert habe („Mehr als nur Atome“ von Sabine Hossenfelder). Auch zu anderen Science-Fiction-Büchern lassen sich wunderbar Bezüge herstellen. Letztlich eine sehr gewinnbringende Lektüre, die mir viel Lesefreude bereitet hat. 5 Sterne kann ich aber trotzdem nicht geben, weil es mir über weite Strecken etwas ziellos erzählt vorkam. Auch wurde ich mit dem Ich-Erzähler und seinem Hang zu Redundanzen nicht warm. Ich komme auf 4 Sterne!

Montag, 26. August 2024

Strobel, Arno - Stalker


Die Macht des Unterbewusstseins



Nachdem Eric in einer Folge des Tatort mitgespielt hat, erlebt er seinen Durchbruch als Schauspieler. Er schwimmt auf der Welle des Erfolgs, merkt aber auch sofort, dass der Ruhm seinen Preis hat. Ein unbekannter Stalker gründet einen Fake-Account in Erics Namen und postet Kommentare zu Beiträgen von Userinnen und Usern, die Eric zu seinem Erfolg gratulieren. Auf diese Weise will der Neider Eric in ein schlechtes Licht rücken und dessen Außenwirkung zerstören. Bald darauf erhält Eric Mails, die einen bedrohlichen Charakter haben. Und als Leser fragt man sich sofort, wie weit es der Troll treiben wird. Und wie kann sich Eric dagegen wehren?

 

Ein spannendes Ausgangsszenario, dass sich Strobel dieses Mal ausgedacht hat. Man merkt als Leser, wie die Geschehnisse Eric umtreiben und er in eine Abwärtsspirale von Verleumdung und Rufmord gerät. Was im Netz passiert, wirkt sich äußerst negativ auf seine reale Lebensführung aus. Beiläufig ein Hinweis des Autors auf die Gefahren von sozialen Medien. Und Strobel hat sich dieses Mal etwas Neues einfallen lassen. An die Stelle von Täterkapiteln rücken dieses Mal Traumsequenzen, die einen Einblick in ein Trauma gewähren, das Eric zu verarbeiten hat. Mal etwas anderes. Klasse!

 

Insgesamt hat mir der Thriller sehr gut gefallen. Wie man es von Strobel kennt, ist der Stil äußerst tempo-, wendungs- und ereignisreich. Immer neue Ereignisse und Überraschungen treiben die Handlung prima voran und es gibt keine Stagnation. Auch der Grad an Spannung ist hoch und flacht nicht ab. Genau das schätze ich an den Thrillern des Autors (vgl. dazu frühere Rezensionen). Es gibt in meinen Augen kaum einen anderen deutschen Thrillerautor, der so dynamisch und durchgängig spannend schreibt (außer vielleicht noch Max Bentow, Henri Faber und Phillip P. Peterson). Und in meinen Augen benötigen gute Thriller v.a. zwei Zutaten: Spannung und Tempo (ist aber nur meine persönliche Meinung)! Und das liefert Strobel (zuverlässig).

 

Das einzige, was mich dieses Mal nicht so recht überzeugt hat, ist die Gestaltung der psychiatrisch-psychologischen und strafrechtlichen Seite. Sie wirkt auf mich dieses Mal nicht ganz so realistisch und plausibel, ja sogar etwas konstruiert (aber ich bin auch kein Experte und kann die Recherchearbeit von Strobel nicht in Zweifel ziehen). Allerdings wird eine interessante Frage aufgeworfen, die nach meinem Geschmack ruhig noch weiter hätte vertieft werden können: Inwieweit sind medizinische Eingriffe bei begangenen Straftaten berechtigt? Was dürfen Medizin und Justiz? Von mir gibt es 4 Sterne!

Dienstag, 20. August 2024

Carter, Chris - Der Totenarzt


Besser als „Blutige Stufen“?



Vor kurzem erst habe ich „Blutige Stufen“ von Chris Carter gelesen (vgl. eine frühere Rezension) und war angetan von der dynamischen Schreibweise und davon, wie hervorragend der Plot am Ende ineinander greift. Wie schlägt sich sein neuestes Werk „der Totenarzt“ nun im Vergleich? Ist es nicht mehr so brutal und weniger blutig, wie von vielen Rezensenten behauptet? Darauf will ich weiter unten gern eine Antwort geben. Doch zuvor zum Inhalt…

 

Wie schon in „Blutige Stufen“ erfolgt der Einstieg in den Thriller unmittelbar. Der Autor startet sofort durch. Es geht sofort zur Sache. Es wird geschildert, wie ein Täter sein Opfer quält. Und der Inhalt geht sofort unter die Haut. Wieder wird deutlich, dass Carter großen Wert darauf legt, den Sadismus des Täters zu beschreiben. Nichts für zartbesaitete Leser!

 

Im Anschluss werden Hunter und Garcia mit einem kuriosen Fall konfrontiert, der nur durch Zufall entdeckt wird. Bei der Autopsie eines Verkehrsopfers fällt auf, dass die Verletzungen, die aus dem Unfall resultieren, nicht mit anderen Verletzungen zusammenhängen können, für die sich keine plausible Ursache finden lässt. Nicht alle Verletzungen lassen sich mit dem Autounfall in Verbindung bringen. Kurzum: Der Unfalltod wurde vorgetäuscht! Garcia und Hunter nehmen die Ermittlungen auf und irgendwann wird klar, dass ein Serienmörder sein Unwesen treibt, der sehr geschickt darin ist, seine Taten zu verschleiern. Ein sehr kniffliger Fall! Und als Leser stellte ich mir folgende Fragen: Was ist sein Motiv? Nach welchen Kriterien werden die Opfer ausgewählt? Was ist das Muster, das den Fällen zugrunde liegt? Wie werden Hunter und Garcia dem Täter auf die Spur kommen?

 

Wie schon in „Blutige Stufen“ macht die Darstellung der Forensik einen gut recherchierten sowie authentischen Eindruck. Der Autor bringt aus seiner eigenen Biographie Expertise mit. Und das merkt man. Sehr gelungen! Und zu Beginn schreibt der Autor auch durchaus dynamisch und spannend, doch das bleibt nicht so. Für mich ist das erzählte Tempo nicht mit „Blutige Stufen“ vergleichbar. Die Ermittlungen schreiten im weiteren Handlungsverlauf langsam voran, Zeugenvernehmungen nehmen viel Raum ein. Es liest sich mehr wie ein Kriminalroman, weniger wie ein Thriller. Was ist da los?

 

Nein, das war nicht mehr der Carter, den ich in „Blutige Stufen“ kennen gelernt habe. Der Stil hat sich spürbar geändert. Die Dynamik ist verloren gegangen. Die kontextuellen Hinführungen zu einzelnen Passagen sind teils sehr ausführlich geraten, Randfiguren erhalten zu viel Tiefe (interessanterweise bleiben Hunter und Garcia aber weiterhin recht austauschbar und lassen wenig individuelles Profil erkennen). Ich finde das sehr schade. Ich habe bisher (leider) nur wenige Autoren ausfindig machen können, die temporeich schreiben. Wie kann sich Carter nur selbst eine „Bremse“ auferlegen und das Tempo so stark drosseln? Selbst am Ende ist spürbar, wie Dynamik verloren geht, weil auf einmal ausführlich erläutert wird, wie eine Falltür genau aufgespürt worden ist.

 

Und noch etwas: Der Thriller wurde tatsächlich entschärft, v.a. was die ausschweifende Schilderung der blutrünstigen Tatorte betrifft. Da gebe ich vielen Rezensenten Recht, die behaupten, dass Thriller nun weniger blutig ist als noch „Blutige Stufen“. Aber die Schilderung des Sadismus hat nach meinem Empfinden keineswegs nachgelassen, was sich v.a. am Ende des Thrillers zeigt. Und in meinen Augen ist es insbesondere der dargestellte Sadismus des Täters, der unter die Haut geht. Vielleicht könnte dieser stärker entschärft werden? Oder ist es dann etwa kein Carter mehr?

 

Wenn ich mir für den folgenden Band aus der Reihe etwas wünschen dürfte, so bitte Folgendes: Rückkehr zum dynamischen Schreibstil und weniger ausschweifende Schilderungen von Sadismus. „Blutige Stufen“ hat mir im direkten Vergleich besser gefallen. Ich gebe 4 Sterne!

Montag, 19. August 2024

Hillenbrand, Tom - Lieferdienst


Höher, schneller, weiter…



V.a. mit „Hologrammatica“ und „Drohnenland“ hat mich Tom Hillenbrand überzeugt (vgl. dazu frühere Rezensionen). Keine Frage, dass mich auch sein neuestes Science-Fiction-Werk interessiert hat. Doch so viel bereits vorweg: Es ist mehr gesellschaftskritische Satire als Spannungsroman. Das sollte man im Vorfeld wissen, wenn man „Lieferdienst“ liest. Denn dieser Umstand hat nach meinem Empfinden zur Folge, dass die Spannungskurve nicht sonderlich stark ausgeprägt ist. Wer darauf also großen Wert legt, der könnte enttäuscht werden.

 

Es wird eine futuristische Gesellschaft geschildert, in der nur diejenigen Lieferdienste den Zuschlag erhalten, die am schnellsten ein Produkt ausliefern. Der Kunde muss nur den Artikel bezahlen, den er als erstes zugestellt bekommt. Die Lieferdienste erstellen ihre Produkte mit Hilfe von 3D-Druckern und stellen sich dann dem Wettkampf um die schnellste Auslieferung. Unter Gefahr für Leib und Leben werden Mikrowellen und Konsolen an die Leute gebracht. Mit Sicherheit ein Seitenhieb auf die Auswüchse unserer gegenwärtigen Konsumgesellschaft. Denn wohin wird uns diese noch führen? Könnte das, was Hillenbrand sich hier überlegt hat und in der Zukunft verortet, vielleicht irgendwann Wirklichkeit werden? Die Lektüre ließ mich oft schmunzeln. Es gibt viele versteckte Seitenhiebe und Anspielungen, es wird mit Übertreibungen gearbeitet. Wertvorstellungen werden auf die Schippe genommen. Hat mir gut gefallen!

 

Die Welt, die sich der Autor mit seinen vielen findigen Begrifflichkeiten überlegt hat, ist durchdacht, ausgefallen und kreativ. Sie wird detailliert dargelegt. Man taucht sofort ein in diese Zukunftsvision. Klasse! Schon in „Hologrammatica“ hat Hillenbrand ja bewiesen, dass er bei seinen Weltenentwürfen äußerst einfallsreich ist. Das ist bei „Lieferdienst“ nicht anders. Der Konkurrenzdruck, der zwischen den verschiedenen Lieferdiensten herrscht, ist hoch und kommt gut zum Ausdruck. Und irgendwann wirft Hillenbrand eine wichtige Frage auf: Was bewirkt Fortschritt? Was sind seine Konsequenzen?

 

Im Mittelpunkt steht der Bringer Arkadi, seinen Arbeitsalltag begleiten wir. Und schnell merken wir, dass dem Protagonisten sein Job über alles geht. Arkadi ist pflichtbewusst bis hin die Haarspitzen. Der Kodex für Bringer ist ihm „heilig“. Aufträge führt er aus, ohne sie zu hinterfragen. Doch eines Tages gerät er in eine undurchsichtige Machenschaft. Er muss plötzlich um sein Leben fürchten und sich in wilden Verfolgungsjagden behaupten. Doch für mich kam nicht so recht Spannung auf, was ich schade fand.


Fazit: Für mich reicht „Lieferdienst“ nicht an „Hologrammatica“ oder „Drohnenland“ heran, aber dennoch hat mir die Lektüre viel Lesefreude bereitet, weil sie einfach clever und mit einem großen satirischen Augenzwinkern gestaltet worden ist. Sie war nur anders als gedacht, weil ich eine stärkere Spannungskurve erwartet hätte. Aus diesem Grund gebe ich „nur“ 4 Sterne.

Samstag, 17. August 2024

Kling, Marc-Uwe - Views


Politisch aufgeladener Thriller



Polizistin Yasira ist gerade mitten in einem Date, als ein Video viral geht. Darin ist zu sehen, wie ein Mädchen von drei Männern vergewaltigt wird. Yasira soll die Ermittlungen in dem politisch heiklen Fall übernehmen. Das Opfer soll ausfindig gemacht und die Täter sollen überführt werden. Und sie rechnet schon früh damit, dass aufgrund der ethnischen Herkunft der Täter der Rassismus im Land schlagartig zunehmen wird. Und tatsächlich gründet sich schnell eine rechtsradikale Vereinigung, die die Aufklärung des Falls sowie die Bestrafung der Täter in die eigene Hand nehmen will. Die stetige Wahrnehmung der Ermittlungen durch die gesellschaftliche Öffentlichkeit erhöht den Druck auf Yasira und ihre Kollegen. Das ist gelungen arrangiert! Und was mir auch positiv aufgefallen ist, die ermittelnden Beamten denken oft um die Ecke. Prima!

 

Und das Werk ist auf der Höhe der Zeit, was die Gefahren von technischen Möglichkeiten betrifft. Auch bei den Ermittlungen der Beamten spielt Digitales eine große Rolle. Das hat mir gut gefallen, es verleiht dem Inhalt einen modernen, zeitgemäßen „Touch“. Darüber hinaus ist mir aufgefallen, dass sich der Inhalt durch Wokeness auszeichnet. So etwas sollte man mögen. Mich hat es nicht gestört, aber ich könnte mir vorstellen, dass einige Leserinnen und Leser sich an diesem Umstand „reiben“ werden. Ein weiteres Thema, das gestreift wird, ist das Folgende: Drogenkonsum.

 

Der Inhalt ist politisch stark aufgeladen, und zwar stärker, als ich es im Vorfeld vermutet hätte. Viele wichtige Themen, die den aktuellen Zeitgeist atmen, werden angeschnitten. Grundsätzlich konnte ich mich auch darauf einlassen und es war definitiv mal etwas anderes (by the way: eine schöne Abrechnung mit Verschwörungstheoretikern), aber stellenweise kam  mir die Vermittlung der politischen Botschaft auch einmal zu "oberlehrerhaft" vor. Zu Beginn des Thrillers blitzt noch ein wenig Humor durch (v.a. bei Dialogen und bei der Gestaltung von Figuren-Attributen), was die Dramatik des Inhalts in meinen Augen konterkariert. Fand ich zunächst unpassend. Es nimmt dem Fall die Schärfe. Doch im weiteren Handlungsverlauf hat der Autor davon nach meinem Gefühl glücklicherweise immer mehr Abstand genommen.

 

Wie sieht es bei weiteren wichtigen Zutaten für einen Thriller aus? Das Tempo war nach meinem Empfinden nicht allzu hoch (Kling kann mit einem Strobel oder einem Bentow nicht mithalten) und die Spannung war leider nur mittelmäßig ausgeprägt (lediglich die Auflösung am Ende stach positiv hervor). Schade! Und noch etwas hat mich gewundert (war etwas konstruiert): Yasira stützt sich ab einem gewissen Punkt etwas zu einseitig auf eine bestimmte Spur bei den Ermittlungen, ohne Alternativen zu berücksichtigen. Von mir gibt es 4 Sterne, ganz knapp an den 3 Sternen vorbei!

Montag, 12. August 2024

Bronsky, Alina - Pi mal Daumen


Amüsant und ernsthaft




Von Alina Bronsky habe ich mit Ausnahme eines Buchs all ihre Werke gelesen und rezensiert (vgl. dazu meine früheren Rezensionen). Wie schlägt sich nun „Pi mal Daumen“ im Vergleich? Kann das Buch z.B. mit „Barbara stirbt nicht“ und „Baba Dunjas letzte Liebe“ mithalten? Das will ich weiter unten gern beantworten.

Oscar und Moni bilden ein herrlich schräges, ungleiches Paar. Sie lernen sich in einer Mathematik-Vorlesung kennen und finden sich zunächst gezwungenermaßen als Zweier-Lerngruppe zusammen. Der hochbegabte Oscar wirkt sehr von sich überzeugt und eingenommen, arbeitet am liebsten allein. Und Moni hat das Studium im fortgeschrittenen Alter von 53 Jahren aufgenommen, steht mit beiden Beinen im Leben und hat Kinder und Enkelkinder zu versorgen. Gleichzeitig kümmert sie sich um Oscar wie um ihren eigenen Sohn, während Oscar es an sozialen Kompetenzen vermissen lässt (der Charakter hat mich ein wenig an Sheldon Cooper aus „The big bang theory“ erinnert).

 

Oscar ist v.a. daran interessiert, sein Studium erfolgreich zu meistern, hat aber keine Selbstzweifel, dass er die ihm gestellten Leistungshürden überwinden wird. Er hat einen klaren Plan vor Augen und ist es gewohnt, erfolgreich zu sein. Doch schnell stellt er fest, dass das in der Schule vermittelte Wissen nicht ausreicht, um dem Stoff problemlos folgen zu können. Letztlich ein schöner Seitenhieb auf die stark selektiven Universitäts-Strukturen, die auf fordern statt fördern setzen. Auch die soziale Ungleichheit im (universitären) Bildungssystem wird am Beispiel von Monis Lebensbedingungen angeprangert.

 

Erstaunlicherweise übt Moni auf Oscar eine große Faszination aus und er hilft ihr, wo er kann und unterstützt sie beim Lernen. Kurzum: Er hat einen guten Kern. Es ist ihm positiv anzurechnen, dass es ihm immerhin auffällt, dass Moni es nicht leicht im Studium hat. Anders als Oscar ist Moni aber viel weniger bereit, die widrigen Umstände des Studiums zu akzeptieren. Sie hinterfragt deutlich mehr, was z.B. die Defizite in der Lehre betrifft. An Lebenserfahrung hat sie ihm einiges voraus. Was in meinen Augen ebenfalls gut zum Ausdruck kommt, ist der professorale Habitus, der den Gelehrten anhaftet und an vielen Stellen auf die Schippe genommen wird. Und noch etwas hat mir gut gefallen: Beide Figuren durchlaufen eine interessante Entwicklung. Oscar wird etwas sozialverträglicher und Moni entwickelt sich immer mehr zu einer stattlichen Mathematikerin. Sie nähern sich in gewisser Weise einander an. Doch wird Moni es schaffen, einen Abschluss zu erhalten und erfolgreich zu sein?


Die Figuren sind herrlich skurril angelegt und mit launigen Attributen ausgestattet. Bronskys typisch schwarzer Humor blitzt wieder auf, den man aus vielen ihren vergangenen Büchern nur allzu gut kennt und den ich grundsätzlich mag (sofern die Autorin nicht wie bei „Der Zopf meiner Großmutter“ über das Ziel hinausschießt und die Grenze des guten Geschmacks zu sehr verletzt). Im weiteren Handlungsverlauf wird der Erzählton nach meinem Empfinden immer ernster und die Heiterkeit tritt stärker zurück. So wird der Kritik am Bildungssystem in meinen Augen auch passend mehr Gewicht verliehen. Prima! Erzählerisch knüpft Bronsky vom Stil wieder stärker an solche Werke wie „Barbara stirbt nicht“ und „Baba Dunjas letzte Liebe“ an. Die Autorin ist ja in der Lage zwischen verschiedenen Stilarten zu „switchen“ (das hat sie mit ihren Büchern „Schallplattensommer“, „Scherbenpark“ oder  „Das Geschenk“ bewiesen). Von mir gibt es 5 Sterne! Ein rundum gelungenes Werk!

Dienstag, 6. August 2024

Logan, T. M. - The Catch


Ein guter Fang?




Von T. M. Logan habe ich zuletzt „Trust Me“ gelesen und war zwiegespalten. Die ersten 100 Seiten offenbarten eine große schriftstellerische Qualität (vgl. dazu eine frühere Rezension). Deshalb wollte ich dem Autor gern noch eine zweite Chance geben. Und so viel vorweg: Ich habe es nicht bereut. Das Werk „The Catch“ (2023), das ich nun besprechen werde, hat sich als echter Kracher erwiesen, und zwar von Anfang bis Ende.

 

Abbie stellt ihren Eltern ihren neuen Verlobten Ryan vor, der um die Hand ihrer Tochter anhält. Er macht einen äußerst sympathischen, netten Eindruck. Nur Ed, der Vater von Abbie, hat ihm gegenüber große Vorbehalte und ein äußerst ungutes Gefühl (hat mich ein wenig an die Komödie „Meine Braut, ihr Vater und ich“ mit Robert de Niro erinnert). Doch was veranlasst ihn zu diesem Misstrauen? Und wird er mit seinem Gefühl Recht behalten?

 

Der Vater beginnt, den potentiellen Schwiegersohn genauer in den Blick zu nehmen und startet zunächst eine Internetrecherche. Er beschattet ihn sogar und stellt diskrete Nachforschungen an. Es wird nur allzu deutlich, dass der Vater einen ausgeprägten Beschützerinstinkt hat. Oder agiert er eher übervorsichtig? Er hat jedenfalls Angst, dass seiner Tochter etwas Schlimmes passieren könnte. Doch er steigert sich immer stärker in seine Verlustängste hinein und verletzt immer mehr Grenzen von Ryans Privatsphäre. Und ich stellt mir bei der Lektüre folgende Fragen: Wird Ed etwas herausfinden? Wenn ja, was? Wie weit wird er gehen, um Infos über Ryan ans Tageslicht zu befördern? Sind Eds Vorahnungen berechtigt oder wird ihn sein obsessives Misstrauen auf Abwege führen? Und wie wird seine Tochter reagieren, wenn sie herausfinden sollte, was ihr Vater treibt?

 

Was dem Autor wieder geschickt gelingt, ist die Platzierung von gut getimten Perspektivwechseln, so dass ein facettenreiches Bild entsteht und man als Leser immer wieder andere Blickwinkel einnimmt. Und es gibt weitere lobenswerte Aspekte, die den Thriller in meinen Augen auszeichnen: Die Figuren haben klare Konturen und eine psychologische Tiefe, die Dialoge sind packend und pointiert gestaltet worden, und es wird durchweg spannend, abwechslungs- sowie wendungsreich erzählt. Die Sprache ist klar und verständlich. Ich bin nur so durch die Seiten geflogen. Ein Lob an die Übersetzung! Ein rundum gelungenes Werk, das mir sehr viel Lesefreude bereitet hat. 5 Sterne!

Sonntag, 4. August 2024

Lind, Jessica - Kleine Monster


Elternschaft, Vergänglichkeit und Verlust




Der Roman „Kleine Monster“ startet höchst rätselhaft. Viel Unausgesprochenes liegt in der Luft. Wir erfahren nur, dass der siebenjährige Luca gegenüber einer Mitschülerin eine Grenze überschritten hat. Was genau er getan hat, bleibt zunächst im Dunkeln. Die Eltern werden aufgrund des Vorfalls zu einem Gespräch mit der Klassenlehrerin gebeten. Nach dem Vorkommnis werden sie dann aus der Eltern-Whatsapp-Gruppe entfernt. Es ist bezeichnend, dass nicht miteinander, sondern übereinander geredet wird.



Lucas Eltern werden für das Vergehen ihres Sohnes, für das es außer einer Aussage der Mitschülerin, keine stichhaltigen Beweise zu geben scheint, von den anderen Eltern ausgeschlossen. Und das Ungesagte, also das, was genau passiert ist, bleibt lange Zeit im Raum „schweben“. Lucas Eltern führen mit ihrem Sohn ein Gespräch und versuchen so, mehr aus ihm herauszubekommen. Doch Luca schweigt, was die Situation nicht einfacher macht. Die Eltern finden einfach keinen Zugang zu ihrem Sohn. Stattdessen begegnet v.a. die Mutter ihrem Sohn zunehmend misstrauisch und beäugt ihn kritisch.

 

Erzählt wird aus der Ich-Perspektive der Mutter. In ihrer Gedankenwelt sind wir präsent. Wir erleben mit, wie sie ihrem eigenen Sohn zunehmend mit Misstrauen begegnet. V.a. die Angst, etwas in der Erziehung falsch gemacht zu haben, ist deutlich spürbar. Große Selbstzweifel und starke Sorgen werden greifbar. Die Mutter ist sehr mit sich selbst beschäftigt. Und gleichzeitig löst der Vorfall etwas bei ihr aus. Sie erinnert sich an ihre Kindheit. Und es wird schnell klar, dass sie etwas aus der eigenen Vergangenheit zu belasten scheint, was wieder an die Oberfläche dringt (das erklärt auch ihre psych. Instabilität).

 

Ich muss zugeben, dass der Titel und der Klappentext bei mir eine völlig andere Erwartungshaltung erzeugt haben. Ich hätte gedacht, dass die Handlung viel stärker in der Schule verortet ist und dass das Miteinander der Schüler eine größere Rolle spielt. Das ist aber nicht der Fall. Es ist vor allem die Vergangenheit der Mutter, die im zunehmenden Handlungsverlauf, eine immer größere Rolle erhält. V.a. die Beziehung zu den eigenen Eltern und zu den Schwestern wird in den Blick genommen und vertieft. Die Geschehnisse um den Sohn rücken sehr in den Hintergrund (was ich sehr schade fand) und lassen mich als Leser etwas ratlos zurück.

 

Bei der Lektüre werden auch einige, nicht einfach zu beantwortende Fragen aufgeworfen: Was ist kindliche Neugier und Spiel? Und ab wann werden Grenzen überschritten? Und ich wunderte mich schon darüber, was Luca für Absichten unterstellt werden (er ist 7 Jahre!). Die Erwachsenen agieren verunsichert und wirken auf mich oft verkrampft. Müssten sie sich nicht auch einmal fragen, woher ihr Sohn oder die Mitschülerin die Idee hatten, der zum Vorfall geführt hat? Der Umgang mit dem Vorkommnis ist in meinen Augen insgesamt höchst fragwürdig (auch was das Agieren der Lehrer und der anderen Eltern betrifft).

 

Das Ereignis führt dazu, dass die Mutter von Luca viel über Elternschaft nachdenkt. Und es wird offensichtlich, dass sie viel mit sich selbst ausmacht und viel in Dinge hineininterpretiert. Mit ihrem Mann spricht sie erstaunlich wenig über das, was in ihrem Kopf vorgeht. Die Partnerschaft der beiden ist einen genaueren Blick wert. Und noch weitere Themen kommen vor: Vergänglichkeit und der Umgang damit sowie Trauer und die Verarbeitung von Verlust. Die Erlebnisse aus der Vergangenheit verdrängen die aktuellen Probleme um Luca zunehmend. Das fand ich unerwartet und irgendwie auch schade. Und das Ende des Romans hat mich auch nicht wirklich erreicht. So bleibe ich mit dieser Lektüre etwas ratlos zurück. Ich hätte inhaltlich etwas anderes erwartet. Von mir gibt es 3 Sterne.

Peterson, Phillip P. - Transport 4. Mondbeben


Nicht so gut wie Teil 1-3



Wie man es von Peterson kennt, hält er sich nicht mit Nebensächlichkeiten auf und startet sofort mit einem furiosen Auftakt in die Handlung. Durch das Transportersystem auf New California kommt ein Fremder in die Kolonie. Er warnt Russell und die anderen Siedler vor einer mysteriösen Gefahr, die zunächst im Dunkeln bleibt und bittet sie um Hilfe, bevor er ins Koma fällt. Das erzeugt natürlich sofort Neugier. Um welche tödliche Gefahr handelt es sich? Wovor will der Fremde die Kolonisten warnen? Wird er wieder aus dem Koma erwachen und ihnen nähere Informationen geben können? Und was hat es mit der von ihm verfassten Liste mit Transporter-Codes auf sich, die er mit sich führt? Genügend Fragen, die mich direkt weiterlesen lassen. Prima!

 

Man erhält zu Beginn (wieder) einen Einblick in das Leben der Kolonisten, das stark von militärischen Übungen zur Verteidigung geprägt ist. Auch wird deutlich, dass die jüngere Generation langsam in die Fußstapfen ihrer Eltern treten muss. V.a. Russell hat als Figur direkt einen Wiedererkennungswert und trägt den Roman maßgeblich. Die Randfiguren bleiben eher blass und sind austauschbar. Was mir inhaltlich gut gefallen hat: Es kommt wieder vermehrt zu Reisen durch den Transporter und neue Welten müssen entdeckt werden. Dabei erzeugt die permanente Gefahrensituation gut Spannung. Diejenigen, die durch den Transporter reisen, wissen im Vorfeld nicht, was auf sie zukommt. Immer wieder müssen neu auftretende Probleme gelöst werden.

 

Der Schreibstil ist, wie gewohnt, fesselnd und packend. Peterson weiß, wie man Spannung erzeugt und setzt immer wieder neue Impulse, um das Geschehen geschickt voranzutreiben. Das gelingt ihm nach meinem Gefühl über weite Strecken sehr, sehr gut. Allerdings gab es dieses Mal im Mittelteil durchaus auch Längen (z.B. als das verzweigte Transportersystem näher vorgestellt wird und das Team um Russell viele Pläne schmiedet, statt aktiv zu handeln). Aus diesem Grund kann Teil 4 auch nicht mit den anderen drei Bänden mithalten und ist in meinen Augen das bisher schwächste Buch aus der Reihe. Was mir fehlte, waren die typischen ausweglosen Situationen, die Peterson in den anderen Werken so stark gestaltet hat.

 

Viel Raum nahm im weiteren Handlungsverlauf die Frage ein, mit welchem Gegner es die Kolonisten überhaupt zu tun haben. Das hat mich nicht so mitgerissen. Auch das Ende war leider nicht ganz so furios, wie erhofft. Die Schilderung von Schusswechselszenen sind einfach nicht mein Ding (anders als in Filmen). Noch dazu wurde es mir dann zum Ende zu „zombielastig“. Da ich über weite Strecken aber dennoch gut unterhalten wurde und der Beginn außerordentlich spannend war, komme ich auf 4 Sterne.

Freitag, 2. August 2024

Raabe, Melanie - Die Falle



Wunsch und Wahn



Die erfolgreiche Autorin Linda Conrads lebt seit 10 Jahren zurückgezogen in ihrem Haus, das sie nicht verlässt. Seit dem Mord an ihrer Schwester, den sie aus unmittelbarer Nähe erlebt hat, leidet sie unter eine PTBS und Depressionen. Der Mörder ihrer Schwester wurde nie erfasst. Doch eines Tages schaut sie eine Nachrichtensendung im Fernsehen und meint, in dem renommierten Journalisten Victor Lenzen, der die Sendung moderiert, den Mörder ihrer Schwester erkannt zu haben. Doch ist das möglich? Oder erliegt Linda einer Sinnestäuschung? Ist Linda vielleicht verrückt geworden? Sie fasst den Plan, Lenzen für ein Interview zu ihrem neuen Buch in ihr Haus zu locken und ihn mit seiner eigenen Tat zu konfrontieren. Auch zu den ermittelnden Polizisten von damals nimmt sie Kontakt auf. Ihr Vorhaben: Sie will den potentiellen Mörder zur Rechenschaft ziehen. Das ist das Ausgangssetting von „Die Falle“ von Melanie Raabe.

 

Als Lockmittel für das Interview schreibt Linda ein neues Buch (einen Krimi), über das sie mit dem potientiellen Mörder, der uns als Journalist erscheint, reden möchte. In dem Krimi verarbeitet Linda zugleich den Mord an ihrer Schwester. Das Schreiben ist für sie Therapie. In die Handlung sind auch in regelmäßigen Abständen Kapitel aus diesem Buch im Buch eingeflochten, deren Inhalt erahnen lässt, was sich bei der Tat zugetragen hat. Sie haben mich allerdings nicht so gepackt. Die Ebene um das Aufeinandertreffen von Linda und Lenzen fand ich viel interessanter und spannender. Während der Lektüre fragte ich mich ständig, ob Linda sich nicht vielleicht in eine Wahrnehmungstäuschung hineinsteigert und sich alles einbildet. Ihre Anschuldigungen, Verdächtigungen und Vorahnungen zu Lenzen spielen sich insbesondere in Lindas Gedankenwelt ab. Sie malt sich über ihr Gegenüber unglaubliche Szenarien aus, die zutreffen können, aber nicht müssen. Das ist von Raabe interessant gestaltet worden, zumal uns Victors Gedanken verborgen bleiben. Oder ist es gar möglich, dass Linda mit ihren Vermutungen zu Lenzen Recht behält? Ist er wirklich der Mörder, der ihre Schwester umgebracht hat? Wird er sich im Interview durch irgendetwas verraten oder ein Geständnis ablegen?

 

Kurzum: Ein Thriller, der mich über weite Strecken gut unterhalten hat. Nur die Auflösung am Ende hat mich nicht völlig überzeugt. Die psychologische Seite ist durchdacht und stimmig arrangiert. Die möglichen Wahnvorstellungen von Linda sind gelungen konzipiert worden. Das Tempo ist nicht allzu hoch, aber die Spannung ist durchgängig vorhanden. Lediglich die eingeschobenen Kapitel aus dem Buch im Buch haben mich nicht gepackt. Ich habe sie mehr überflogen. In meinen Augen wären sie gar nicht nötig gewesen, nach meinem Empfinden haben sie den Handlungsverlauf eher gelähmt als belebt.


Donnerstag, 1. August 2024

Raabe, Marc - Der Morgen


Art Mayer – eigensinnig, stur und desillusioniert



Nach dem Besuch in einem Kiosk wird ein namenloser Junge von älteren Jugendlichen gedemütigt. Er kassiert Prügel, wird bloßgestellt. Sie entwenden ihm Geld und wollen aus ihm ein Mobbing-Opfer machen. In regelmäßigen Abständen soll er ihnen finanzielle Mittel von den Eltern beschaffen. In Form von Rückblicken wird das Schicksal dieses namenlosen Jungen immer wieder im weiteren Handlungsverlauf thematisiert. Wie geht es mit ihm weiter? Und um wen handelt es sich? Ich will hier nicht zu viel verraten. Nur so viel: Die eingebauten Rückblenden sind ein großer Gewinn für die Handlung. Themen wie „Erste Liebe“ und „Mutproben“ werden hier vertieft. Sie sind spannend geschrieben, erfüllen eine wichtige Funktion und nehmen anfangs mehr Raum ein, als ich zunächst vermutet habe. Klasse!

 

Nach diesem Einstieg folgt ein Schwenk zum Ermittler Art Mayer, der bei mir auf Anhieb Interesse weckte, weil er als Figur sehr gut konzipiert ist. Er ist ein kauziger, eigensinniger Einzelgänger, der sich durch einen starken Beschützerinstinkt auszeichnet und Schwierigkeiten mit Autoritäten hat. Stellenweise wirkt er auch einmal stur und zugeknöpft. Er wägt z.B. genau ab, wem er wann welche Informationen zukommen lässt. Von seinem Job als Polizist wirkt er desillusioniert. Er legt wenig Wert auf ein wohnliches Ambiente und ermittelt auf eigene Faust im Fall einer vermissten Nachbarin, die als Stripperin gearbeitet hat. Dafür heuert er in einem Nachtklub als Türsteher an und macht sich auf die Suche nach ihr. Wird er sie aufspüren? Ein weiteres Charakteristikum: Art ist Diabetiker, der sich selbst behandelt und seine Erkrankung immer wieder auf die leichte Schulter nimmt. Ratschläge eines Arztes nimmt er nicht an.

 

In einem weiteren Handlungsstrang findet man bei einem Verkehrsunfall zufällig auf der Ladefläche eines Transporters eine Leiche, die sich als Frau des Gesundheitsministers entpuppt. Der Fahrer hat sich direkt nach dem Unfall aus dem Staub gemacht. Auf dem Opfer ist die private Wohnungsadresse des Bundeskanzlers notiert. Ist auf ihn etwa ein Anschlag geplant? Hat der anstehende G20-Gipfel etwas damit zu tun? Ist der Bundeskanzler das nächste Ziel? Der Umstand, dass die Taten in der politischen Elite des Landes angesiedelt sind, verleiht ihnen eine besondere Brisanz. Das hebt diesen Thriller von vielen anderen, die ich kenne, ab.

 

Mit Nele Tschaikowsky wird eine noch unerfahrene Beamtin an den Tatort gerufen, die erst jüngst das positive Ergebnis ihres Schwangerschaftstests erfahren hat. Sie ist Kommissaranwärterin und es handelt sich um ihr erstes Mordopfer. Später wird ihr Art Mayer als Kollege zur Seite gestellt. Beide ergeben ein ungleiches Team. Sie sind sich nicht grün. Art tritt Nele gegenüber zu Beginn äußerst schroff, barsch und herablassend auf. Er lässt sie immer wieder auflaufen. Allerdings lässt sich Nele von ihm nicht einschüchtern und behauptet sich. Nur so viel sei hier verraten: Mit der Zeit nähern sich beide einander an. Und das Zusammenspiel der beiden Ermittler ist gelungen konzipiert. Hat mir gut gefallen! Grundsätzlich hat mir auch die Schilderung des brüsken Umgangstons zwischen den verschiedenen Beamten zugesagt. Es blitzen immer mal wieder Reibereien und Rivalitäten auf. Man geigt sich gegenseitig auch einmal die Meinung.

 

Am Beispiel einer Volontärin, die sensationsgierig Fotos vom Opfer geschossen hat, wird auch die Rolle der Presse kritisch beleuchtet, die aufgrund der Brisanz des Falls mit einer Informationssperre belegt wird. Wird sie sich daran halten? Und die Polizeiarbeit wird durch weitere Einflüsse von außen erschwert. Anonyme Leaks im Internet geben Täterwissen und unter Verschluss gehaltene erste Ermittlungsergebnisse preis. Wer steckt dahinter? Auch das ist interessant konzipiert worden.

 

Insgesamt handelt es sich um einen souverän erzählten Thriller, der viel Positives aufweist (z.B. eine gelungene Charakterzeichnung, v.a. von Art Mayer). Für mich gibt es jedoch einige Aspekte, die zu einem perfekten Leseerlebnis gefehlt haben. So hätte ich mir ein höheres Erzähltempo gewünscht. Stellenweise empfand ich die Schilderungen als etwas zu langatmig. Ich hätte mir punktuell mehr Stringenz gewünscht, weniger Weitschweifigkeit. Und was mir auch nicht zugesagt hat, ist, dass ein Handlungsstrang, der zu Beginn des Thrillers angelegt wurde, offen gelassen wird. Auf diese Weise soll das Interesse der Leserinnen und Leser geweckt werden, auch den nächsten Band zu lesen. Mich schreckt so etwas eher ab. Schade!

Calden, Saskia - Die falsche Patientin


Psychisch krank oder doch gesund?



Judith Lennard wacht in einer psychiatrischen Klinik auf einer geschlossenen Station in einem Bett fixiert auf und weiß nicht, was los ist. Man hält sie für eine gewisse Frau Jansen. Sie streitet dies ab, doch man nimmt sie nicht ernst. Eine Horrorvorstellung! Und von der ersten Seite an stellt man sich natürlich als Leser sofort die Frage, wie es um den Geisteszustand der Erzählerin bestellt ist. Wird sie irrtümlich festgehalten oder leidet sie unter einen zweifelhaften Selbsteinschätzung? Hat sie sich ihr ganzes Leben, an das sie sich erinnert, etwa nur eingebildet? Die Auflösung dieser Frage treibt die Handlung zu Beginn gut voran. Und die Ohnmacht und Machtlosigkeit von Judith erzeugt beim Lesen eine hohe emotionale Beteiligung.

 

Was man auf den ersten Seiten auch sofort gut spürt, ist die Verzweiflung der Patientin. Sie fühlt sich ausgeliefert und befürchtet, für längere Zeit in der Klinik festzusitzen. Der behandelnde Psychiater, die Pfleger und die Schwestern um sie herum glauben ihr nicht und attestieren ihr eine dissoziative Persönlichkeitsstörung. Unter Zwang werden Judith Medikamente verabreicht. Besonders perfide an der Situation ist, dass Judith meint, eine Tochter zu haben, die nun unbeaufsichtigt zu Hause sitzt. Sie steht große Ängste aus. Und noch etwas kommt erschwerend hinzu: Die Einrichtung wirkt trist, trostlos und abstoßend. Wenig einladend. Die psychiatrische Klinik macht eher den Eindruck eines Gefängnisses. Judith ist der Gewalt und Willkür ihrer Behandler und Pfleger wehrlos ausgeliefert.

 

In einem parallelen Handlungsstrang wird durch die Beamtin Evelyn Holm ein Tatort untersucht. Eine Leiche wird gefunden. Es folgen die klassischen Vernehmungen von Angehörigen des Opfers. Auch bei der Obduktion sind wir dabei. Nach meinem Eindruck zeichnet sich dieser Strang leider nicht durch eine besondere Finesse oder kreative Ideen aus. Er hat mich insgesamt am wenigsten gepackt. Teilweise werden redundante Dinge geschildert (Wo ist nur der Locher geblieben?). Die Polizeiarbeit läuft gewöhnlich ab und verläuft eher schleppend, ohne größere Überraschungen. Die Geschehnisse in der Klinik habe ich mit deutlich größerem Interesse verfolgt.

 

Was mir gut gefallen hat, ist der Umstand, dass die Autorin eine starke Wendung in ihren Thriller einbaut, der die Handlung plötzlich in einem anderen Licht erscheinen lässt und die Ereignisse in eine neue Richtung lenkt. Das ist toll arrangiert und raffiniert! Was ich mir noch gewünscht hätte, wäre eine etwas kunstvollere, schönere Sprachgestaltung. Die Sprache wirkt doch insgesamt recht schlicht und einfach. Und noch etwas: Der Antagonist trat mir insgesamt zu wenig in Erscheinung. Schade!

 

Auch darf man nicht zu viel Wert auf eine wirklichkeitsnahe Darstellung von Psychiatrie legen. Die geschilderten Verhältnisse erinnern mehr an russische Haftbedingungen. Aus dramaturgischen Gründen wurde wohl einiges übertrieben geschildert. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass eine Patientin so rechtlos wie Judith behandelt wird (z.B. die vom Psychiater angeordnete Isolationshaft, bei der Judith unbekleidet ist). Auf der anderen Seite gibt mir allerdings der Fall von Gustl Mollath zu denken. Vielleicht hat die Autorin sich von dieser Geschicht inspirieren lassen?! Im Nachwort findet man dazu allerdings nichts Konkretes. Wer daran denkt, sich Hilfe in einer psychiatrischen Klinik zu holen, der sollte besser nicht dieses Buch lesen…

 

Fazit: Dieser Thriller ist etwas für Leser, die sich für die rechtlose Situation von Patienten in einer Psychiatrie interessieren (auch wenn das dargestellte Bild sicherlich nicht ganz realistisch ist) und mit einer Protagonistin mitfühlen wollen, die sich hilflos und ausgeliefert fühlt. Die Leser erwartet bei der Lektüre eine raffinierte Wendung. Sie sollten aber damit umgehen können, dass die Polizeiarbeit wenig kreativ daherkommt, die sprachliche Gestaltung wenig kunstvoll erscheint und insbesondere der Antagonist blass bleibt. Auch die übrigen Figuren sind eher statisch angelegt. Wer also Wert auf eine ausgefeilte Figurenentwicklung legt und differenzierte Beziehungsverhältnisse zwischen den Charakteren schätzt, der sollte eher Abstand von diesem Thriller nehmen.

 

Bentow, Max - Eulenschrei


Der Lebkuchenmann




Lust auf einen stimmig, dynamisch und spannend erzählten Thriller, der in sich geschlossen ist und trotzdem zu einer Reihe gehört, die man unabhängig voneinander lesen kann? Dann kann man mit „Eulenschrei“ von Max Bentow definitiv nichts falsch machen. Was ich an seinen Büchern, die ich kenne, schätze, sind zwei Dinge (vgl. dazu frühere Rezensionen). Erstens ist es der temporeiche, schnell getaktete, ereignisreiche Stil, mit dem höchstens noch Strobel mithalten kann, zweitens ist es die reizvolle und interessante Figur der Carlotta Weiß, die zwar nicht ganz so charismatisch wie eine Evie Cormac aus der Reihe um Cyrus Haven daherkommt, aber einige Parallelen zu ihr aufweist. Wie Evie ist Carlotta eine Wahrheits-Zauberin, die die Mikromimik ihres Gegenübers lesen kann. Noch dazu ist sie hypersensibel und verfügt über eine außergewöhnliche Intuition. Ihre Methoden sind ausgefallen, aber außerordentlich erfolgreich. Sie kann sich unglaublich gut in die Psyche der Täter hineinversetzen. Dieses Talent zeichnet sie aus und macht sie in meinen Augen als Charakter so interessant.

 

Doch worum geht es überhaupt? Zu Beginn des Buchs wird deutlich, dass Carlotta aufgrund ihres letzten Ermittlungserfolgs karrieremäßig aufsteigt und mehr Verantwortung übertragen bekommt. Sie soll als mögliche Nachfolgerin für Nils Trojan aufgebaut werden. Ihr Vorgesetzter Landsberg bringt beide Ermittler dafür in eine Konkurrenzsituation, die sie anspornen soll. Zudem muss Carlotta die ihr gestellte Bewährungsprobe bestehen und sich als teamfähig erweisen. Wird sie diese Hürde nehmen und im Laufe der Handlung zugänglicher werden? Das möge jeder selbst herausfinden…

 

Nun zum Fall: Eines Morgens findet eine zwölfjährige Tochter in ihrem Lieblingsbaumhaus ihre ermordete Mutter, und zwar mit abgetrennten Händen. Bei dem Opfer wird ein Lebkuchenmann mit eingebackenen Haaren hinterlassen. Die Herkunft der Haare bleibt zunächst rätselhaft. Das ist der erste Mord. In rascher Abfolge kommt es danach zu weiteren Morden, bei denen den Opfern mit einer elektrischen Säge Körperteile entfernt werden. Ein Serienmörder treibt sein Unwesen und verfährt bei seinen Taten nach einem ähnlichen Muster. So werden z.B. alle Ermordeten in Decken eingehüllt und erblicken kurz vor ihrer Emordung einen Lebkuchenmann. Auch am Tatort wird dieses Gebäck hinterlassen. Der Täter scheint die potentiellen Opfer und ihre Angehörigen im Vorfeld genau zu beobachten. Und auf den ersten Blick scheint es keine Gemeinsamkeiten zwischen den Opfern zu geben. Es ist Carlottas und Trojans Aufgabe (und damit auch die der Leser), Verbindungen zwischen den Taten herzustellen und das Motiv zu erkennen. Besonders interessant fand ich die Schilderung der besonderen (instinktiven) Ermittlungsmethode von Carlotta, die in der Lage ist, einen Tatort förmlich zu „erfühlen“. Sie beweist eine besondere Sensibilität und kann sich in die Psyche des Täters ebenso hineinversetzen wie in die Tatabläufe. Sehr gelungen!

 

Was mir noch sehr gut gefällt: Die Dynamik zieht zum Ende des Thrillers hin an und das Geschehen wird wendungsreich erzählt. Carlotta selbst gerät in Gefahr, auch der Täter erkennt in ihr etwas Besonderes. Er fühlt sich den Ermittlern zunehmend überlegen, ist ihnen immer einen Schritt voraus und spielt mit ihnen. Die Jagd nach ihm wird zunehmend zu einem Wettlauf gegen die Zeit. Äußerst spannend!

 

Fazit: Dieser Thriller ist für solche Leser geeignet, die dynamisch erzählte Thriller mögen, in denen die Handlung aufs Wesentliche verknappt ist. Mir kommt dieser Stil entgegen. Jede und jeder muss für sich selbst herausfinden, ob dies bei ihnen auch so ist. Das Spannungslevel ist durchweg hoch, es gibt keine Längen. Des Weiteren zeichnet sich das Werk durch die interessant gestaltete Figur der Carlotta Weiß aus, die sich durch Hypersensibilität auszeichnet und schrullig daherkommt. Dies ist in meinen Augen eine weitere Stärke des Buchs. Themen, die dem Buch zugrunde liegen, sind häusliche Gewalt und Alkoholismus.