Art Mayer – eigensinnig, stur und desillusioniert
Nach
diesem Einstieg folgt ein Schwenk zum Ermittler Art Mayer, der bei mir auf
Anhieb Interesse weckte, weil er als Figur sehr gut konzipiert ist. Er ist ein
kauziger, eigensinniger Einzelgänger, der sich durch einen starken
Beschützerinstinkt auszeichnet und Schwierigkeiten mit Autoritäten hat. Stellenweise
wirkt er auch einmal stur und zugeknöpft. Er wägt z.B. genau ab, wem er wann
welche Informationen zukommen lässt. Von seinem Job als Polizist wirkt er
desillusioniert. Er legt wenig Wert auf ein wohnliches Ambiente und ermittelt
auf eigene Faust im Fall einer vermissten Nachbarin, die als Stripperin
gearbeitet hat. Dafür heuert er in einem Nachtklub als Türsteher an und macht
sich auf die Suche nach ihr. Wird er sie aufspüren? Ein weiteres
Charakteristikum: Art ist Diabetiker, der sich selbst behandelt und seine
Erkrankung immer wieder auf die leichte Schulter nimmt. Ratschläge eines Arztes
nimmt er nicht an.
In
einem weiteren Handlungsstrang findet man bei einem Verkehrsunfall zufällig auf
der Ladefläche eines Transporters eine Leiche, die sich als Frau des
Gesundheitsministers entpuppt. Der Fahrer hat sich direkt nach dem Unfall aus
dem Staub gemacht. Auf dem Opfer ist die private Wohnungsadresse des
Bundeskanzlers notiert. Ist auf ihn etwa ein Anschlag geplant? Hat der
anstehende G20-Gipfel etwas damit zu tun? Ist der Bundeskanzler das nächste Ziel?
Der Umstand, dass die Taten in der politischen Elite des Landes angesiedelt
sind, verleiht ihnen eine besondere Brisanz. Das hebt diesen Thriller von
vielen anderen, die ich kenne, ab.
Mit
Nele Tschaikowsky wird eine noch unerfahrene Beamtin an den Tatort gerufen, die
erst jüngst das positive Ergebnis ihres Schwangerschaftstests erfahren hat. Sie
ist Kommissaranwärterin und es handelt sich um ihr erstes Mordopfer. Später wird
ihr Art Mayer als Kollege zur Seite gestellt. Beide ergeben ein ungleiches
Team. Sie sind sich nicht grün. Art tritt Nele gegenüber zu Beginn äußerst
schroff, barsch und herablassend auf. Er lässt sie immer wieder auflaufen. Allerdings
lässt sich Nele von ihm nicht einschüchtern und behauptet sich. Nur so viel sei
hier verraten: Mit der Zeit nähern sich beide einander an. Und das
Zusammenspiel der beiden Ermittler ist gelungen konzipiert. Hat mir gut
gefallen! Grundsätzlich hat mir auch die Schilderung des brüsken Umgangstons
zwischen den verschiedenen Beamten zugesagt. Es blitzen immer mal wieder
Reibereien und Rivalitäten auf. Man geigt sich gegenseitig auch einmal die
Meinung.
Am
Beispiel einer Volontärin, die sensationsgierig Fotos vom Opfer geschossen hat,
wird auch die Rolle der Presse kritisch beleuchtet, die aufgrund der Brisanz
des Falls mit einer Informationssperre belegt wird. Wird sie sich daran halten?
Und die Polizeiarbeit wird durch weitere Einflüsse von außen erschwert. Anonyme
Leaks im Internet geben Täterwissen und unter Verschluss gehaltene erste Ermittlungsergebnisse
preis. Wer steckt dahinter? Auch das ist interessant konzipiert worden.
Insgesamt
handelt es sich um einen souverän erzählten Thriller, der viel Positives
aufweist (z.B. eine gelungene Charakterzeichnung, v.a. von Art Mayer). Für mich
gibt es jedoch einige Aspekte, die zu einem perfekten Leseerlebnis gefehlt
haben. So hätte ich mir ein höheres Erzähltempo gewünscht. Stellenweise empfand
ich die Schilderungen als etwas zu langatmig. Ich hätte mir punktuell mehr
Stringenz gewünscht, weniger Weitschweifigkeit. Und was mir auch nicht zugesagt
hat, ist, dass ein Handlungsstrang, der zu Beginn des Thrillers angelegt wurde,
offen gelassen wird. Auf diese Weise soll das Interesse der Leserinnen und
Leser geweckt werden, auch den nächsten Band zu lesen. Mich schreckt so etwas
eher ab. Schade!
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