Schule als Freiheitsentzug
Die
Schülerinnen und Schüler werden durch die Klassenlektüren „gepeitscht“, ihr
Wissen dazu wird in Form geschlossener Wissensabfragen abgeprüft (oft
unangekündigt und überraschend). Und wer nichts angemessen reagiert, der wird
fertig gemacht, gedemütigt und vorgeführt. Ständiger Druck, ständige Angst vor
Sanktionen. Das ist die Lernatmosphäre am Marianum. Und der Dolinar gibt vor,
was die Lerndenden zu denken haben. Neben dem Einblick in den Unterrichtsstil
vom Dolinar erhalten wir einen Einblick in die vielen Unfreiheiten des
Schulbetriebs. Die Lehrkräfte erscheinen allesamt als skurrile Exoten. Die
Berufswege am elitären Internat sind vorgezeichnet und beschränken sich auf die
folgenden drei Möglichkeiten: Jura, Medizin oder BWL. Und die meisten der
Lernenden hinterfragen ihren vorherbestimmten Werdegang nicht.
Till
ist einer der Schüler am Marianum. Er ist die zweite Hauptfigur, die wir durch
sein Schulleben begleiten. Er hält sich lieber im Hintergrund und ist
mathematikinteressiert. Schon aus diesem Grund ist er eine Ausnahme an dem eher
sprachlich ausgerichteten Internat (zu den Pflichtfächern zählen drei
Fremdsprachen und Latein). Für den Dolinar ist Till ein „Zahlenmensch“, kein „Kulturmensch“..
Schublade auf, Schüler rein, fertig. Das kennt wohl jeder Leser aus eigener
Erfahrung. Und wir sehen, dass Till rastlos einer außerschulischen Leidenschaft
nachgeht. Dem Spielen von Age of Empires 2. Darin ist er überdurschnittlich und
beweist besondere Fähigkeiten. Er durchdringt das Spiel völlig. Ein schöner
Kontrast, der hier deutlich wird. Die Schule als Ort der Unterdrückung auf der
einen Seite, die Flucht in die virtuelle Realität auf der anderen Seite. Doch die
Anerkennung des Lehrers bleibt Till versagt. Was Till außerschulisch zu leisten
im Stande ist, das interessiert den Dolinar nicht…
Bei
Age of Empires erlebt Till Erfolgserlebnisse, während er sich in der Schule
gerade so über Wasser halten kann. Was mir auch gefiel: Der computerspielbasierte
Sprachgebrauch kommt gut und authentisch zum Ausdruck. Es wird ein
interessanter Einblick in diese jugendliche Lebenswelt von „Gaming“ und die dahinterliegende
Spielkultur vermittelt, der die Erwachsenen nichts abgewinnen können. Das wird
nur allzu deutlich, besonders am Beispiel der Mutter. Als Till ihr das Spiel
demonstriert und ihr erklären will, worum es geht, versteht sie kein Wort und
ist überfordert. Er ist der Experte, sie bleibt unverständiger Laie. Sie finden
keine gemeinsame Sprache.
Nun
zu den Punkten, die mir bei der Lektüre nicht so gut gefallen haben: Der Autor
verlor sich nach meinem Geschmack oft in redundanten Nebenschauplätzen.
Mitschüler:innen werden teils sehr ausführlich vorgestellt, stellenweise sind
mir die Schilderungen des Schulalltags zu ausführlich, zu detailverliebt und
nicht pointiert sowie zielführend genug (z.B. auch das Treiben im Rauchereck). Am
besten gefallen hat mir das erste Drittel des Buchs, danach „zerfasert“ mir die
Handlung zu sehr. Für mich war mit zunehmendem Handlungsverlauf keine klare
Schwerpunktsetzung mehr erkennbar. Verschiedene Episoden aus dem Schulalltag
werden recht zusammenhanglos aneinandergereiht, es gibt keinen Spannungsbogen
o.ä.. Ich hätte mir gewünscht, dass das Thema „Gaming“ noch stärker in den
Vordergrund gerückt wird (z.B. die Schilderung eines Turniers o.ä.).
Das
Bild von Schule wirkte auf mich zudem aus der Zeit gefallen. Oder funktioniert
Schule heute noch so, wie im Buch dargestellt? Ich denke, nicht. Das Schulleben,
das Lernklima und die Atmosphäre am Marianum stellen einen Mikrokosmos dar, der
für sich steht. Man kann daraus aber keine allgemeine Kritik am Schulsystem
ableiten. Lediglich der Lehrertypus des Dolinar dürfte jedem Menschen bereits
in der eigenen Schulbiographie begegnet sein (ich fühlte mich z.B. sehr stark
an meinen früheren Lateinlehrer erinnert). Aber dennoch: Das Lernen und Lehren
am Marianum kann in meinen Augen nicht exemplarisch für die Schulwirklichkeit
an anderen Schulen stehen und ist nicht repräsentativ. Spannend hätte ich
gefunden, wenn Schachinger nicht ein elitäres Internat als Handlungsort gewählt
hätte.
2 Kommentare:
So einen Lehrer wünscht sich niemand. Trotzdem glaube ich, dass die Schilderungen im Buch etwas aus der Zeit gefallen sind. Kein Schüler läßt sich heutzutage so eine Behandlung gefallen. Warum hättest du es spannender gefunden, wenn es nicht um ein elitäres Internat gegangen wäre? VG
Wäre nicht ein elitäres Internat als Handlungsort gewählt worden, sondern evtl ein Gymnasium in einer x-beliebigen Stadt, dann hätte man stärker eine mögliche allgemeine Kritik daraus ableiten können. So bleibt es auf den Mikrokosmos des Marianum beschränkt.
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