Die Schattenseiten des Erfolgs
Nach
dem Prolog folgt ein Schwenk zu Sarah, die ihre Online-Karriere als
Influencerin beenden will. Sie hat ihr intimstes Leben lange Zeit mit der Allgemeinheit
geteilt, kaum ein Aspekt ihres Daseins war nicht öffentlich. Die Follower
durften sie durch ihren Alltag begleiten. Doch davon hat sie genug. Grund für
ihren Rückzug sind die vielen Hasskommentare, die wie eine Welle über ihren
Account schwappen und die sie nicht länger ertragen kann. Sogar ihre Tochter
leidet in der Schule darunter. Sie wird von ihrer Community für den Selbstmord
einer Followerin verantwortlich gemacht. Sarah hat auf einen Hilferuf eines
jungen Mädchens in Form eines öffentlichen Kommentars auf ihrem Instagram-Account
nicht reagiert und diese hat sich später umgebracht. Die Community macht Sarah dafür
verantwortlich und gibt ihr eine Mitschuld. Einige User:innen bezeichnen sie
als Mörderin. Zu Beginn jedes Kapitels werden fiktive Hasskommentare an Sarah vorangestellt,
die die Schattenseiten der sozialen Netzwerke aufzeigen.
Was
während der Lektüre deutlich wird, ist, dass Sarah auch nach der Deaktivierung ihres
Accounts weiter den Erwartungsdruck ihrer Follower spürt und sich selbst große
Vorwürfe macht, dass sie die Hilferufe des Opfers nicht rechtzeitig erkannt hat.
Der Sozialstress, den Sarah als Influencerin erlebt, kommt ebenfalls gut zum
Ausdruck. Sie muss auf Nachrichten reagieren, muss Kontakte pflegen. Sie ist
überfordert mit den vielen Mitteilungen, die sie erreichen (die Kehrseite des
Influencer-Daseins). Eine gefährliche Dynamik entwickelt die Handlung, als ein
Fake-Account von Sarah im Netz auftaucht, auf dem heimlich aufgenommene, intime
Fotos von ihr geteilt werden. Offensichtlich wird sie von jemandem beobachtet, verfolgt
und bedroht. Doch wer steckt dahinter? Und wie wird sich Sarah dagegen zur Wehr
setzen? Das sind die zentralen Fragen, die den Inhalt vorantreiben.
Durch
die Präsenz der Stalkerin in unmittelbarer Schlagdistanz zum Opfer entsteht
eine permanente Bedrohungssituation, die ein gutes Maß an Spannung erzeugt. Das
ist geglückt. Das Tempo ist hoch und es passiert ständig etwas Neues. Die
Autorin greift geschickt auf spannungserregende Impulse zurück, es gibt einige
Wendungen und am Ende kommt es auch zu unerwarteten Überraschungen. All das
überzeugt. Der psychische Zustand von Sarah verschlechtert sich zusehends. Auch
das kommt gut zum Ausdruck und ist gelungen arrangiert. Beiläufig werden auch
die Gefahren sozialer Medien auf diese Weise problematisiert. Auch das ist
lobenswert. Das einzige, was bei mir nicht aufkam, war eine Sogwirkung. Ich
habe das Buch nicht „inhaliert“, und das obwohl Russ so viel richtig macht. Das
bleibt für mich ein offenes Rätsel für die Zukunft. Wie schaffen es manche
Bücher, eine Sogwirkung zu erzeugen und andere nicht, obwohl sie eigentlich
alle Voraussetzungen dafür hätten. Ich hoffe, dass ich die Antwort darauf
irgendwann finde. Von mir gibt es 4 Sterne.
1 Kommentar:
Dein Kommentar zeigt deutlich auf, um was es hier geht. Es ist beängstigend, wie man mit Social-Media jemanden zu Grunde richten kann. Das ist die Realität, wenn das Buch auch eine Fiktion ist. VG
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