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Mittwoch, 13. März 2024

Glasgow, Kathleen - Girl in Pieces


Mädchen in Scherben


Die Protagonistin Charlotte befindet sich zu Beginn des Buchs auf einer psychiatrischen Station, nachdem sie versucht hat, sich das Leben zu nehmen. Sie ist vollkommen in sich gekehrt, schweigt, leidet unter Erinnerungslücken und ist in einem schlechten körperlichen und psychischen Zustand. Wir erhalten einen Einblick in den Tagesablauf von Charlotte und ihren Mitpatientinnen, die alle zu selbstverletzendem Verhalten neigen und verschiedene Therapieformen besuchen.

Das Buch wird aus der Ich-Perspektive erzählt, was gut passt, weil wir auf diese Weise nah an den Gedanken und Gefühlen von Charlotte dran sind. Die sprachliche Darstellung ist sehr gelungen, der psychische Zustand von Charlotte wird unheimlich gut verbalisiert und zum Ausdruck gebracht, und das mit kreativen sprachgestalterischen Mitteln. Das psychische Erleben wird greifbar. Das ist ganz klar eine große Stärke des Buchs! In Worte zu kleiden, was in Charlottes Innerem vorgeht und wie sie sich fühlt, das ist die große Leistung der Autorin. Die Schilderung der psychologischen Seite wirkt unheimlich realistisch und authentisch. Auch das isolierte, behütete Leben auf der Station wird gut deutlich.

 

Charlotte hat ein schweres Leben hinter sich, seit ihrem 8. Lebensjahr nahm sie Medikamente, in Klasse 11 flog sie von der Schule. Sie hat Mobbing und schlimmere, traumatische Dinge erlebt und lebte schließlich für eine längere Zeit auf der Straße. Kurzum: Sie hat eine Abwärtsspirale durchlaufen und wäre fast daran zerbrochen. Als Leser spüren wir, was für ein negatives Selbstbild Charlotte hat, und erleben mit, wie sie auf der Station eine erste positive Entwicklung erlebt. Nach und nach öffnet sie sich. Bruchstückhaft kommen Erlebnisse aus der Vergangenheit zum Vorschein und machen klar, auf was für eine Bahn Charlotte geraten ist.

 

Doch eines Tages soll Charlotte entlassen werden. Und das, obwohl klar ist, dass sie noch Hilfe und Unterstützung benötigt. Doch die Angehörigen können die Unterbringung auf der Station nicht mehr bezahlen. Sie soll wieder bei ihrer Mutter wohnen, mit der sie sich überhaupt nicht versteht. Per Chat bittet sie einen alten Freund eindringlich darum, sie zu retten. Und als Leser:in stellt man sich nun unweigerlich folgende Fragen: Wie geht es mit ihr weiter? Stürzt sie wieder in ein Loch? Gerät sie wieder in die falschen Kreise? Oder kann sie ihre positive Entwicklung beibehalten? Ich will nicht zu viel verraten, nur so viel: Der Roman ist auf gute Weise unvorhersehbar und man ist gespannt, was aus Charlotte wird. Ich habe ihr Schicksal gebannt verfolgt und während der Lektüre gehofft, dass es mit ihr ein gutes Ende nehmen wird. Ich stelle mir viele Fragen: Wird sie auf gute Menschen treffen? Wird sie wieder auf die Beine kommen? Wird sie einen Job finden? Klar ist nur, dass sie noch lange nicht stabil ist.


Das Buch macht in meinen Augen auch gut deutlich, wie schwierig es ist, auf die Beine zu kommen, wenn man erst einmal am Boden liegt. Charlotte muss permanent kämpfen. Kämpfen, um sich über Wasser zu halten. Berührungspunkte mit der Vergangenheit tun ihr nicht gut, wühlen sie auf und sind eine Bewährungsprobe für sie. Alltägliche Sorgen belasten sie schwer. Ich hatte beim Lesen ständig ein ungutes Gefühl, ob Charlotte ihre inneren Dämonen wirklich besiegen kann. Man hofft, dass sie die richtigen Entscheidungen trifft, dass sie standhaft bleibt, dass sie genug Menschenkenntnis hat. Kurzum: Es ist die Schilderung eines Akts der Selbstzerstörung und des Kampfes gegen sich selbst. Ein tolles Buch, das den Leser:innen einiges abverlangt.

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