Unrealistisch, überdreht und unglaubwürdig
Worum
geht es: Hannah Herbst, Expertin für Mikoexpression, wurde nach einer Operation
aus dem Krankenhaus entführt und befindet sich in der Gewalt eines
psychopathischen Sadisten, genannt „Der Chirurg“. Dieser hat mit falschem
Arzttitel Operationen an Menschen durchgeführt und sich daran ergötzt, diese
aufzuschneiden. Die Protagonistin leidet unter Gedächtnisverlust und kann sich
an nichts erinnern. Sie weiß also nicht,
warum sie überhaupt entführt wurde. Grund für die Amnesie ist die an ihr vorgenommene
Anästhesie im Rahmen der OP. Der Chirurg behauptet, Hannah habe ein Verbrechen
begangen und spielt ihr ein Geständnisvideo vor, in dem sie einen Mord zugibt. Stimmt
das, was er sagt oder will er sie verwirren? Haben wir es mit einer Form von „Gaslightning“
zu tun, die der Entführer anwendet? Im weiteren Handlungsverlauf geht es darum,
dieses Rätsel zu lösen und herauszufinden, was wirklich passiert ist. Was wird
Hannah Herbst herausfinden?
Zunächst
zum Positiven: Der Beginn ist in Ordnung, das Anmesie-Motiv erzeugt Neugier und was
mir auch gut gefallen hat, ist das Stilmittel der sogenannten „Splitpages“, die
Fitzek im Nachwort erwähnt. Sie erzeugen Dynamik und dienen dazu, parallele
Handlungsstränge simultan abzubilden. Clevere Idee! Doch ansonsten hat mich der
Thriller leider nicht überzeugt. Die typischen Fitzek-Elemente waren wieder
deutlich spürbar: Vieles wirkt arg konstruiert nach dem Motto „was nicht passt,
wird passend gemacht“ und unrealistisch, förmlich an den Haaren herbeigezogen. Hannah
Herbst läuft z.B. im gesamten Werk mit einer Stichverletzung in der Milz herum,
aber das macht ihr nicht viel aus (Was soll das bitte?). Schon der Einstieg ins
Werk ist verworren, konfus und unübersichtlich, hat mich nicht überzeugt. Es
ist mir auch bis zum Ende nicht klar geworden, wie einzelne Geschehnisse mit
anderen zusammenhängen oder wie sie überhaupt motiviert sind (warum ist Hannah
Herbst überhaupt vom Chirurg entführt worden??). Aber nun gut…Ich habe mich immer
wieder dazu gezwungen, mich auf das Gelesene einzulassen und mich durch das
Buch „durchzubeißen“. Vielleicht habe ich dabei auch etwas überlesen.
Was
mir auch wieder negativ auffällt, ist Folgendes: Handlungselemente sind teilweise
überdreht (Neudeutsch: „einiges ist einfach drüber“). Man findet bei Fitzek
nicht einfach nur ein Opfer. Nein, man findet ein Opfer mit ausgerenktem
Unterkiefer, das aufgrund eines Morphiumentzugs zu viel gegähnt hat. Und
natürlich wird der Kieferknochen mit einem Handgriff beiläufig einfach mal eben
schnell wieder eingerenkt, um mit dem Opfer im Anschluss reden zu können. Abgefahren!
Ein weiterer Punkt: Die psychologisch-psychiatrische Seite erscheint mir
unglaubwürdig (Mimiktests und begleitende MRT-Aufnahmen bei Kindern, um
Psychopathen frühzeitig erkennen zu können?).
Ich
mache weiter: Die Kompetenz von Hannah Herbst kam mir nicht genug zur Geltung.
Es gab nur wenige Textstellen, in denen sie ihre Fähigkeit der Analyse von
Mikroexpression einmal anwendet und ihr Gegenüber liest und durchschaut. Und die
Schilderung davon bleibt dünn. Kein Vergleich zu Carlotta Weiss aus „Engelsmädchen“
von Max Bentow oder Evie Cormac aus der Cyrus-Haven-Reihe von Robotham. Stellenweise
hatte ich das Gefühl, dass der Autor spontanen Eingebungen folgt, die er zu
Papier bringt, wenn er die Handlung entwickelt. Auf mich wirkt nicht alles durchdacht
und in sich konsistent, eher planlos und improvisiert. Es gibt inhaltliche
Entwicklungen, die aus dem Nichts heraus entstehen und in keiner Weise
frühzeitig angelegt worden sind. Letzter Aspekt: Die Figuren bleiben allesamt
flach. Sie haben keine psychologische Tiefe. Deshalb kann ich nicht mitfiebern…
Kurzum:
Es bleibt für mich dabei. Ich verstehe den Erfolg der Bücher von Sebastian
Fitzek, die ich kenne, nicht und werde es wohl auch nicht verstehen. Natürlich soll jede:r lesen,
was sie:er mag. Und Geschmäcker sind verschieden. Aber bei mir war es nun
definitiv das letzte Mal, dass ich einen Fitzek lese. Wenn ich seine Bücher
lese, raufe ich mir jedes Mal die Haare. Mir fällt es schwer, an seinen Zeilen
haften zu bleiben. Das macht keinen Spaß, also lasse ich es. Ich greife lieber
zu Thrillern anderer Autoren wie Arno Strobel, Henri Faber, Judith Merchant, Christian
Piskulla, Michael Robotham, Max Bentow, Steve Cavanagh, Linus Geschke etc.
(vgl. dazu meinen Blog).
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