Dieses Blog durchsuchen

Freitag, 8. März 2024

Suter, Martin - Melody


Verschollene Liebe


Der hochqualifizierte und frisch exmatrikulierte Student Tom versucht nach dem Studium sein Glück auf dem Arbeitsmarkt. Er bewirbt sich auf eine Stelle bei dem sterbenskranken Dr. Peter Stotz in Zürich, der nur noch ein Jahr zu leben hat und ihm ein verlockendes Angebot offeriert: ein einjähriger hochdotierter Arbeitsvertrag inklusive Kost und Logis sowie weiterer Vergünstigungen. Tom sagt zu. Und kaum im Anwesen von Dr. Stotz eingezogen, macht ihm der Alte klar, was er von ihm erwartet. Tom soll seinen Nachlass regeln und ein entsprechendes Bild für die Nachwelt von ihm vermitteln. Dafür wertet Tom alte Unterlagen im Archiv aus und führt Gespräche mit seinem neuen Arbeitgeber.

 

Wir erhalten so einen Einblick in das Leben eines Repräsentanten der höheren Gesellschaftsschicht und merken schnell, es geht förmlich zu. Um den Lebensstil zu verdeutlichen, nimmt die Schilderung diverser „Gaumenfreuden“ viel Raum ein. Auch das ein oder andere Tröpfchen wird regelmäßig und nicht zu knapp degustiert und für annehmlich befunden. Tom kann sich in der neuen Umgebung bewähren, und er und Dr. Stotz finden rasch eine gemeinsame Sprache. Schon bald weiht der Alte seinen Nachlassverwalter in ein Geheimnis ein. Er berichtet ihm von Melody, seiner Liebe auf den ersten Blick, die ihn kurz vor seiner Hochzeit verlassen hat. Und als Leser:in fragt man sich natürlich sofort: Warum hat Melody so gehandelt? Hat sie „kalte Füße“ bekommen? Ist sie vor jemandem aus ihrer Familie geflüchtet? Ist sie mit jemand anderem durchgebrannt? Wo ist sie hin? Und wird Tom sie vielleicht sogar aufspüren und mit ihr reden?

 

Ich war sehr auf die Auflösung gespannt und habe mit Interesse den Erzählungen von Stotz gelauscht, die immer wieder geschickt unterbrochen werden, um die Spannung aufrechtzuerhalten. Auch die Archivarbeit von Tom sorgt für Impulse. Immer wieder werden uns auf diese Weise Bruchstücke aus dem Leben von Stotz präsentiert. Sehr geschickt! Und nach der Lektüre kann ich sagen, dass ich von einigen Wendungen absolut überrascht worden bin. Ja, ich hätte sogar eine ganz andere inhaltliche Entwicklung erwartet. Aber möge jede:r sich selbst verblüffen lassen. Was mir noch aufgefallen ist: Bei mir hat sich rasch Sympathie für Stotz eingestellt. Er ist redselig, offen, direkt und beschönigt nichts. Zumindest hinterlässt er lange Zeit diesen Eindruck… Kurzum: Das Buch erzeugt Neugier und der Schreibstil ist angenehm, lebendig und „süffig“.

 

Der einzige Umstand, den ich etwas kurios fand, war, dass man dem „Dottore“ seinen schlechten Gesundheitszustand kaum anmerkt. Die Krankheit oder eine Verschlechterung des Zustands von Stotz rücken sehr in den Hintergrund. Vermutlich ging es dem Autor um etwas anderes. Und ich finde die inhaltliche Schwerpunktsetzung auch so in Ordnung, ich konnte mich darauf einlassen. Es geht um eine verflossene Liebschaft, nicht um eine gesundheitliche Leidensgeschichte. Beides zusammen hätte vermutlich nicht funktioniert und es hätte den Erzählton des Buchs auch sehr verändert. Aber etwas unrealistisch wirkt es dadurch schon. Aber nun gut… Andere Kritikpunkte fallen mir nicht ein. Es ist ein sehr gutes Buch und ich kann verstehen, warum es fast 40 Wochen in der Beststeller-Liste war (Stand: 03/24).


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen