Verschollene Liebe
Wir
erhalten so einen Einblick in das Leben eines Repräsentanten der höheren
Gesellschaftsschicht und merken schnell, es geht förmlich zu. Um den Lebensstil
zu verdeutlichen, nimmt die Schilderung diverser „Gaumenfreuden“ viel Raum ein.
Auch das ein oder andere Tröpfchen wird regelmäßig und nicht zu knapp
degustiert und für annehmlich befunden. Tom kann sich in der neuen Umgebung
bewähren, und er und Dr. Stotz finden rasch eine gemeinsame Sprache. Schon bald
weiht der Alte seinen Nachlassverwalter in ein Geheimnis ein. Er berichtet ihm
von Melody, seiner Liebe auf den ersten Blick, die ihn kurz vor seiner Hochzeit
verlassen hat. Und als Leser:in fragt man sich natürlich sofort: Warum hat
Melody so gehandelt? Hat sie „kalte Füße“ bekommen? Ist sie vor jemandem aus
ihrer Familie geflüchtet? Ist sie mit jemand anderem durchgebrannt? Wo ist sie
hin? Und wird Tom sie vielleicht sogar aufspüren und mit ihr reden?
Ich
war sehr auf die Auflösung gespannt und habe mit Interesse den Erzählungen von Stotz
gelauscht, die immer wieder geschickt unterbrochen werden, um die Spannung
aufrechtzuerhalten. Auch die Archivarbeit von Tom sorgt für Impulse. Immer
wieder werden uns auf diese Weise Bruchstücke aus dem Leben von Stotz
präsentiert. Sehr geschickt! Und nach der Lektüre kann ich sagen, dass ich von
einigen Wendungen absolut überrascht worden bin. Ja, ich hätte sogar eine ganz andere
inhaltliche Entwicklung erwartet. Aber möge jede:r sich selbst verblüffen
lassen. Was mir noch aufgefallen ist: Bei mir hat sich rasch Sympathie für Stotz
eingestellt. Er ist redselig, offen, direkt und beschönigt nichts. Zumindest hinterlässt
er lange Zeit diesen Eindruck… Kurzum: Das Buch erzeugt Neugier und der
Schreibstil ist angenehm, lebendig und „süffig“.
Der
einzige Umstand, den ich etwas kurios fand, war, dass man dem „Dottore“ seinen
schlechten Gesundheitszustand kaum anmerkt. Die Krankheit oder eine
Verschlechterung des Zustands von Stotz rücken sehr in den Hintergrund.
Vermutlich ging es dem Autor um etwas anderes. Und ich finde die inhaltliche Schwerpunktsetzung
auch so in Ordnung, ich konnte mich darauf einlassen. Es geht um eine
verflossene Liebschaft, nicht um eine gesundheitliche Leidensgeschichte. Beides
zusammen hätte vermutlich nicht funktioniert und es hätte den Erzählton des
Buchs auch sehr verändert. Aber etwas unrealistisch wirkt es dadurch schon.
Aber nun gut… Andere Kritikpunkte fallen mir nicht ein. Es ist ein sehr gutes
Buch und ich kann verstehen, warum es fast 40 Wochen in der Beststeller-Liste
war (Stand: 03/24).
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