Dieses Blog durchsuchen

Samstag, 23. Dezember 2023

Zeh, Juli - Spieltrieb





Kinder des Nichts 


Nachdem ich das Debut von Juli Zeh gelesen habe, das mir nicht ganz so gut gefiel (vgl. eine frühere Rezension), wollte ich mir gerne ihren zweiten Roman „Spieltrieb“ (2004) genauer anschauen. Und was soll ich sagen: Auch dieser Roman hat mich (leider) nicht überzeugt, was aber dieses Mal an einer persönlichen Vorliebe von mir liegt. Das Buch strotzt nur vor Passagen mit detailliertem und ausuferndem Erzählerbericht. Schon allein der Beginn, als Ada charakterisiert wird, ist unglaublich informationsreich gestaltet worden (ich möchte fast von „Infodumping“ sprechen). Bei mir hat das den Effekt, dass ich mich oft durch die Seiten kämpfen musste, ich schweife gedanklich bei solch dicht geschriebenen Textstellen schnell ab. Mir fehlt dann die Lebendigkeit und Unmittelbarkeit, ich fühle mich von zu vielen Informationen überflutet, die ich mir sowieso nicht alle merken kann. Dafür punktet das Buch aber mit einer schönen Sprachgestaltung, vor allem die kreative Verwendung von Metaphern ist mir positiv aufgefallen. Doch der Reihe nach…


Erst einmal zum Inhalt: Im Mittelpunkt steht die 14-jährige Schülerin Ada, die alles andere als ein leichter Charakter ist. Sie ist unterfordert und ihren Mitschülern intellektuell überlegen. Sie verhält sich distanziert, äußert sich im Unterricht oft provokativ und erscheint uns als Außenseiterin. Was sie auszeichnet, ist darüber hinaus eine besondere emotionale Kälte. Auch Angst und Unterdrückung am fiktiven Ernst-Block-Gymnasium werden thematisiert. Von einer Mitschülerin wird Ada außerhalb des Klassenzimmers attackiert, nachdem sie sie während des Unterrichts bloßgestellt hat. Sie wird zum Opfer und weiß nicht, wie sie sich wehren soll. Ada behält diese Verletzung zunächst für sich, nur ihrem Mitschüler Olaf vertraut sie sich vorsichtig an. Zu ihm entwickelt sich dann eine eigenartige, gefühllose Beziehung, bei der es auch zu einer sexuellen Handlung durch Ada kommt, die Olaf und sie dann auseinanderbringt. Das ist die zweite Verletzung, die Ada erlebt. Sie erfährt eine Ablehnung durch Olaf. Und es zeigt sich schon an dieser Stelle, dass Ada leicht von anderen beeinflussbar ist. 


Hinzu kommen zwei weitere wichtige Charaktere: Der Lehrer Smutek und der Mitschüler Alev, der erst nach dem Beziehungsende von Ada und Olaf als neuer Mitschüler in der Handlung auftaucht. Zwischen Alev und Ada entsteht eine weitere sonderbare Beziehung, bei der Ada sich erneut in der schwächeren Position befindet. Alev ist äußerst manipulativ. Und im weiteren Handlungsverlauf entsteht eine brisante Dreiecksgeschichte, die auch schon auf dem Klappentext angedeutet wird. Alev und Ada verbünden sich gegen Smutek, den sie erpressen wollen. Ihr Ziel: Ada soll Smutek verführen und Alev dokumentiert das Geschehen mit der Kamera. Spätestens ab diesem Zeitpunkt gewinnt die Handlung etwas an Zugkraft. Man fragt sich, ob der Plan der beiden aufgeht und wie es dann mit Smutek, Ada und Alev weitergeht. Auch wundert man sich als Leser:in über Ada, die sich bereit erklärt, bei diesem „Spiel“ mitzumachen. Es benötigt beim Lesen allerdings einen langen Atem. 


Was insgesamt auffällt: Dem Roman fehlt es durchgängig an positiven Gefühlen wie an Liebe, Nähe, Geborgenheit und Warmherzigkeit. Das Gegenteil davon steht im Mittelpunkt. Emotionale Kälte, Gleichgültigkeit, Rücksichtslosigkeit, Sachlichkeit und Distanziertheit prägen die Handlung. Darauf sollte man sich einstellen. Und was mir noch aufgefallen ist: Das Geschehen wird mit langsamen Tempo erzählt, es gibt wenige Dialoge, dafür, wie schon erwähnt, umso mehr (informationsreichen) Erzählerbericht. Die Handlung verläuft größtenteils ereignislos. Hinzu kommen einige Textstellen, in denen es auch einmal philosophisch zugeht (v.a. zu den Themen „Nihilismus“ und „Spieltheorie“). Auch intertextuelle Anspielungen findet man (z.B. „Der Mann ohne Eigenschaften“). Auch die Nähe zu Nabokovs „Lolita“ ist erkennbar. So etwas sollte man mögen. 


Mit Ada erschafft die Autorin eine eigentümliche und sonderbare Figur, die bei mir wenig Sympathie erzeugt. Ich habe mich des Öfteren gefragt, warum Ada sich von anderen so manipulieren lässt, obwohl sie doch so intelligent ist. Leider konnte ich darauf keine befriedigende Antwort finden. Das bleibt eine Leerstelle. Ist es womöglich ein geringes Selbstwertgefühl? Und ich hätte mir gewünscht, dass die psychologische Tiefe und Motivation der Figuren noch mehr zum Ausdruck kommt. Auch bei der Erpressung blieb mir größtenteils unklar, warum Ada und Alev überhaupt einen solchen Plan schmieden. Was ist ihr Ziel? Was erhoffen sie sich? Wo soll das Ganze hinführen? Darüber erfährt man erstaunlich wenig, wie ich finde. Und natürlich stellt man sich im Zusammenhang mit dem Lehrer Smutek ebenfalls viele Fragen, die man diskutieren kann: Warum lässt er sich verführen? Und warum lässt er sich erpressen und sucht keine Hilfe? Die ganze Geschichte um Smutek ist in meinen Augen erneut höchst sonderbar. Eine Erpressung stelle ich mir anders vor, als sie im Buch dargestellt wird. Smuteks Agieren erschließt sich mir nicht


3 Kommentare:

Volker Kaiser hat gesagt…

Das klingt auf jeden Fall nach einer komplizierten und schwierigen Lektüre. Hast du eine Idee, wie der Buchtitel mit dem Geschehen in Einklang gebracht werden kann? VG

Tobias hat gesagt…

Alev und Ada interessieren sich für philosophische Konzepte, u.a. für die Spieltheorie und beziehen sie auf das menschliche Verhalten. Daher wohl der Titel. Der Mensch zeichnet sich durch seinen Spieltrieb aus und Ada und Alev spielen selbst ein Machtspiel mit ihrem Lehrer Smutek. VG

Volker Kaiser hat gesagt…

Das klingt einleuchtend. Vielen Dank für die Erläuterung. VG

Kommentar veröffentlichen