Von der Relevanz der Unschuldsvermutung
Marie
werden Pausenbrote gestohlen und sie beschließt, etwas dagegen zu unternehmen. Darum
geht es in dem Kinderbuch „Der war’s“ von Juli Zeh und Elisa Hoven. Auf den
ersten Seiten wird dafür das Klassengefüge der 6a gut in den Blick genommen. Und
man stellt sich zu Beginn die folgenden Fragen: Wer steckt hinter den
Diebstählen? Warum wird gerade Marie zum Opfer? Wie wird die Sache aufgeklärt?
Und was passiert mit dem Täter? Genug Fragen, die Neugier erzeugen.
Wichtige
Themen, die behandelt werden, sind Selbstjustiz und Mobbing. Es wird
demonstriert, wie schnell Gerüchte entstehen können und welche Folgen es hat,
eine Beschuldigung vorschnell zu äußern. Besonders dramatisch bei dem
geschilderten Fall: Der potentielle Täter erhält anfangs überhaupt keine
Möglichkeit, sich zu äußern. Was ich an diesem inhaltlichen Ansatz gelungen
finde, ist der Umstand, dass man mit seinem Nachwuchs sehr gut das Verhalten
der Figuren reflektieren kann. Gemeinsam kann man überlegen, wie man sich in
einer solchen Situation, wie sie beschrieben wird, stattdessen hätte verhalten
können. Eine sehr gewinnbringende Lektüre, mit der man noch etwas Wichtiges
dazulernt. So macht sich der vermeintliche Täter z.B. noch mehr dadurch selbst
zum Opfer, dass er nichts zu den Anschuldigungen sagt. Kurzum: Genügend Stoff zum
Besprechen.
Und
beiläufig wird noch viel juristisches Wissen kindgerecht vermittelt (z.B. dazu,
wie Verfahren ablaufen, oder, was es mit der Unschuldsvermutung auf sich hat). Sehr
gelungen ist in meinen Augen auch der kompakte Anhang, in dem genauer und auf
anschauliche Art und Weise erklärt wird, wie ein Strafverfahren abläuft.
Beim
Wortschatz ist mir aufgefallen, dass es schon auch das ein oder andere
Fremdwort gibt (z.B. „Verbrechensprävention“, „imaginär“, S. 20; „Ultimatum“,
S. 25; „Persönlichkeitsentwicklung und Selbstwirksamkeitserfahrung“, S. 27; „Observation“,
S. 33 etc.). Auch juristische Fachbegriffe werden an späterer Stelle in die
Handlung integriert. Es ist eine gute Möglichkeit der Wortschatzerweiterung.
Die für den Nachwuchs möglicherweise schwierigen Wörter kamen nach meinem
Empfinden nicht zu gehäuft vor.
Das
einzige, was mich an diesem Buch gestört hat, ist die recht einseitige und
negative Darstellung der Lehrperson (Herr Schindelbart-Bunsemann). Er bemüht
sich nicht ernsthaft darum, die Sache mit den verschwundenen Pausenbroten aufzuklären
und reagiert pädagogisch unangemessen. Auf mich wirkt das vermittelte
Lehrerbild antiquiert und nicht mehr zeitgemäß. Aber inhaltlich soll es ja
nicht darum gehen, das Lehrerverhalten, sondern das Schülerverhalten zu
thematisieren. Von daher verstehe ich, dass die Autorinnen sich dazu
entschieden haben, den Klassenlehrer als „Witzfigur“, dazustellen. So müssen
sich die Kinder selbst helfen, weil sie von außen keine Hilfe erhalten.
Man
hätte natürlich auch überlegen können, ob die Schüler:innen nicht vielleicht
besser pädagogisch von außen angeleitet werden, wenn sie ihr Gerichtsverfahren
durch“spielen“. Aber in einem solchen Fall hätten die Kinder natürlich weniger
eigenständig und selbstwirksam gehandelt. Von daher kann ich schon
nachvollziehen, warum die Autor:innen sich dazu entschieden haben, die
Lerner:innen eigenverantwortlich handelt zu lassen.
Vor
allem für Kinder (aber auch für Eltern), die sich für rechtsstaatliche
Prinzipien interessieren, ist es ein gewinnbringendes Buch! Es wird aufgezeigt,
wie wichtig es ist, nicht vorschnell zu urteilen und nicht unüberlegt auf
Formen der Selbstjustiz zurückzugreifen. Ich halte die inhaltliche Vermittlung
für kindgerecht und auch die vom Verlag vorgeschlagene Altersempfehlung (ab 8
Jahren) finde ich passend. Von mir gibt es 5 Sterne!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen