True-Crime-Kurzgeschichten
„Die
meisten Dinge sind kompliziert, und mit der Schuld ist es so eine Sache“ (vgl. Vorwort,
S. 7)
In
mehr als 700 Verfahren hat der Autor Ferdinand von Schirach Klienten
verteidigt. In seinem Debut-Erzählband „Verbrechen“ (2009 erschienen) berichtet
er in Form von „True-Crime-Kurzgeschichten“ von Fällen, die sich tatsächlich zugetragen
haben. Sein Erzählstil ist sachlich, knapp, präzise und klar, mit
professioneller Distanz zum Geschehen, fokussiert aufs Wesentliche. Zudem
pointiert und kompakt. Das Werk liest sich sehr flüssig und eingängig. Das hat
mir gut gefallen.
In
den Verbrechen, die er schildert, geht es immer auch um die komplexe Frage der
Schuld, die sehr differenziert in den Blick genommen wird. Von Schirach legt
Wert darauf, die Hintergründe einer Tat zu beleuchten. Es schwingt stets die
Frage mit, wie es soweit kommen konnte, was der Grund für das Vergehen war. Der
Autor betreibt Ursachenforschung, es geht ihm aber nicht darum, die Taten zu
rechtfertigen. Von Schirach bleibt neutraler, distanziert-nüchterner
Beobachter, der den Blick auf das Geschehen erweitert.
Im
ersten Fall geht es beispielsweise um einen hochbetagten Arzt, der seine eigene
Frau mit der Axt umgebracht hat, nachdem er jahrelang unter ihrem strengen
Regime gelitten hat. Bei einem anderen Fall geht es um das Thema Sterbehilfe.
Eine Schwester bringt ihren Bruder um, nachdem er nach einem Motorradunglück
seine geistigen Fähigkeiten einbüßt. Sie wird wegen Mordes angeklagt. Noch ein
Delikt: Eine Frau prostituiert sich aus Liebe für ihren kriminellen Partner, um
dessen Schulden aus Drogengeschäften zu begleichen. Sie erzählt ihm davon
natürlich nichts. Als er davon erfährt, bringt er sie um und will das
Verbrechen ihrem Freier anhängen. Tragisch: Er wusste nicht, dass sie ihn aus
Liebe hintergangen hat. Auch einige psychische Störungen werden thematisiert
(z.B. ein Mandant mit Kannibalismus-Fantasien).
Die
verschiedenen Fälle sind durchweg außergewöhnlich und interessant. Allerdings
auch äußerst tragisch und dramatisch. Ich konnte nie mehr als zwei bis drei Kurzgeschichten
am Stück lesen. Der Inhalt „hallte“ zu sehr nach, das Erzählte ging oft nahe,
machte betroffen. Darauf muss man sich einstellen, wenn man dieses Buch liest. Keine
einfache Lektüre! Besonders die letzte Geschichte fand ich beklemmend: Die Lebensgeschichte
eines Bankräubers, der nach Äthiopien ausgewandert ist, um dort ein zweites
Leben zu beginnen. Zurück in Deutschland wird er dann verurteilt und
inhaftiert.
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