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Montag, 19. Juni 2023

Schami, Rafik - Vom Zauber der Zunge


5 von 5 Sternen



Über die Erzählkunst


Was ich an Rafik Schami schätze sind seine Reflexionen über das Erzählen, sein Ideenreichtum, sein Humor und die Auswahl interkultureller Themen. Und auch mit dem schmalen Band „Vom Zauber der Zunge“ bin ich wieder voll auf meine Kosten gekommen. Darin enthalten sind vier Reden, die der Autor im Rahmen von Preisverleihungen gehalten hat (München 1985, Stuttgart 1986, Hameln 1990, Wetzlar 1990).

 

In der ersten Rede beschreibt der Autor immer wieder die Hindernisse, die ihn vom Schreiben des Textes abgehalten haben. Sehr amüsant! Interessant fand ich v.a. seinen Verweis auf das Genre der „Gastarbeiterliteratur“ („…die Welt wäre viel ärmer, wenn sie nur noch aus Deutschen und Nichtdeutschen bestehen würde. Wir sind viel lebendiger und stolzer, als daß wir durch die Negation der Deutschen definiert werden. […] Sie ist weder Exil- noch Arbeiterliteratur, weder den Themen noch der Form nach. Die Deutschen müssen mit und von uns lernen, daß es genau wie die englisch- und französischsprachige auch eine deutschsprachige Literatur von Fremden gibt, eine solche Definition trägt unserer Autonomie Rechnung“). Der Text endet schließlich mit einem Märchen, das den Titel „Der Wald und das Streichholz“ trägt.

 

In der zweiten Rede lernen wir den redegewandten, talentierten Erzähler Onkel Salim kennen. Eine Fee eröffnet ihm, dass er nur noch 21 Wörter zur Verfügung hat, bevor er endgültig verstummt. Sein Umfeld bemüht sich anschließend nach Kräften darum, sieben richtige Geschenke zu machen, um ihm seine Erzählkraft zurückzugeben. Gleichzeitig werden interessante Überlegungen zur Kunst des Erzählens eingeflochten. Die Rede selbst kann als Beispiel für gelungenes Erzählen dienen.

 

In der dritten Rede gefiel mir die Passage am besten, in der Schami über die Hürden des Erlernens der deutschen Sprache sinniert und auch Vergleiche zu seiner Heimatsprache anstellt (mehr davon!). Dafür findet er auch amüsante sprachliche Bilder. Für mich die lesenswerteste Rede im ganzen Buch.

 

In der vierten Rede erweckt der Erzähler eine von ihm erschaffene Figur zum Leben und hält mit ihr ein Zwiegespräch. Der Text ist autofiktional. Ein schönes Zeugnis von Kreativität und Fantasie und gleichzeitig eine Anregung für Autoren, mit den eigenen Charakteren übungsweise in den Dialog zu treten.

 


Fazit

Die vier Reden von Rafik Schami sind äußerst kreativ und enthalten zahlreiche inspirierende Anregungen für Übungen, die eigene Erzählkunst zu trainieren. Sie sind nur gut versteckt und werden subtil vermittelt. Klasse! Aus jeder Rede konnte ich etwas mitnehmen, Neues dazulernen und wurde zum weiteren Nachdenken angeregt. Was will man mehr. Von mir gibt es 5 Sterne!

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