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Montag, 5. Juni 2023

Fischer, Franziska - Unsere Stimmen bei Nacht


3 von 5 Sternen



"Stillleben in warmen Farben"


Der Einstieg in das Werk „Unsere Stimmen bei Nacht“ von Franziska Fischer ist gelungen. Es beginnt mit der Protagonistin Lou, die mit Gloria, der das Haus der WG gehört, ein Vorstellungsgespräch führt und die WG besichtigt, in die sie einziehen möchte. Die sprachliche Gestaltung konnte mich auf Anhieb überzeugen. Der Einbau ausgefallener Details und die kreative, teils bildliche Beschreibung visueller Eindrücke haben mir gut gefallen. Auch das Setting erscheint auf den ersten Eindruck äußerst reizvoll: Eine bunt zusammengewürfelte Wohngemeinschaft mit Menschen in verschiedenen Lebensphasen und mit unterschiedlichen Lebensentwürfen. Werden sie miteinander auskommen? Ich habe mich auf ein interessantes Miteinander eingestellt.

 

Doch meine Erwartungen haben sich im weiteren Handlungsverlauf leider nicht erfüllt. Die Erwartungshaltung wird stattdessen (bewusst?) durchbrochen. Die Charaktere kommen alle sehr gewöhnlich daher und zeichnen sich nicht durch irgendwelche Eigenheiten oder Schrulligkeiten aus. Mir fehlte irgendwie die besondere Würze in der Geschichte. Am interessantesten fand ich noch die Lebenskünstlerin Lou, alle anderen Figuren sind unspektakulär. Die Leistung der Autorin besteht darin, Gewöhnlichkeit und ereignislose Normalität darzustellen. Die Szenen werden teilweise so dargestellt, dass man an eigene Familienbegebenheiten erinnert wird.

 

Das muss man mögen! Wer gerne Harmonie und warmherzigen Umgang miteinander lesen möchte, der wird sich hier gut unterhalten fühlen. Es gibt auch einige schöne tiefgründige Dialoge. Wer aber z.B. gerne mehr über die Vorgeschichte der Bewohner erfahren möchte, wird weitestgehend enttäuscht. Auch sonst fehlen spannungserregende Impulse. Ja, aufkommende Neugier des Lesers wird teilweise sogar (bewusst?) ausgebremst (was hat es z.B. mit den Geldproblemen von Herbert auf sich?) Es gibt keinen Streit, keine Meinungsverschiedenheiten, keine Konflikte, keine Probleme. Stattdessen: Gegenseitige Rücksichtnahme, Ratschläge, Unterstützung und Lebenshilfe. Alle gehen unheimlich tolerant und wertschätzend miteinander um. Man hört einander zu, hilft sich. Kurzum: Idylle!

 

Jetzt kann man sich fragen, ob das dann realistisch und lebensecht ist. Ist das nicht zu schön, um wahr zu sein? Ist das nicht genauso konstruiert wie das Gegenteil davon? Ich habe während der Lektüre darauf gewartet, dass endlich irgendetwas passiert, dass die Idylle irgendwie gefährdet wird. (auf eine Krise oder ein außergewöhnliches Ereignis, das die Handlung belebt). Doch das bleibt über weite Strecken aus. Und ich habe die starke Vermutung, dass dies absichtsvoll so gestaltet worden ist. Erst auf den letzten 15 Seiten passiert dann tatsächlich doch noch etwas. Mir reichte das dann aber auch nicht mehr. Der spannungserregende Moment kam zu spät und war zu knapp. Es zeigt aber, dass die Autorin Neugier hervorrufen kann, wenn sie es denn will. Das beweist, dass sie bewusst mit den Erwartungshaltungen ihrer Leser:innen spielt. Nicht mein Fall! Das Ende könnte das Ausgangsszenario für einen weiteren Roman sein (den ich dann aber nicht lesen werde).

 

Fazit

Eine Geschichte für harmoniebedürftige Leser, die auf spannungserregende Impulse verzichten können und gerne eine unaufgeregte Geschichte lesen wollen. Eine Geschichte, in der vor allem Gewöhnlichkeit und ein warmherziger Umgang miteinander zum Ausdruck gebracht werden. Mir war das zu langweilig. Aber gegen die Charakterzeichnung ist nichts einzuwenden. Die  Autorin scheint sich bewusst für diesen Weg entschieden zu haben. Und es wird sicherlich Leser:innen geben, die genau diese Art von Geschichten mögen. Ich gehöre leider nicht dazu. Mir war das zu langweilig. Bei mir hat die Handlung zu wenig Neugier erzeugt. Deshalb nur 3 Sterne!

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