"Stillleben in warmen Farben"
Der Einstieg in das Werk „Unsere Stimmen bei Nacht“ von Franziska Fischer ist gelungen. Es beginnt mit der Protagonistin Lou, die mit Gloria, der das Haus der WG gehört, ein Vorstellungsgespräch führt und die WG besichtigt, in die sie einziehen möchte. Die sprachliche Gestaltung konnte mich auf Anhieb überzeugen. Der Einbau ausgefallener Details und die kreative, teils bildliche Beschreibung visueller Eindrücke haben mir gut gefallen. Auch das Setting erscheint auf den ersten Eindruck äußerst reizvoll: Eine bunt zusammengewürfelte Wohngemeinschaft mit Menschen in verschiedenen Lebensphasen und mit unterschiedlichen Lebensentwürfen. Werden sie miteinander auskommen? Ich habe mich auf ein interessantes Miteinander eingestellt.
Doch
meine Erwartungen haben sich im weiteren Handlungsverlauf leider nicht erfüllt.
Die Erwartungshaltung wird stattdessen (bewusst?) durchbrochen. Die Charaktere
kommen alle sehr gewöhnlich daher und zeichnen sich nicht durch irgendwelche
Eigenheiten oder Schrulligkeiten aus. Mir fehlte irgendwie die besondere Würze
in der Geschichte. Am interessantesten fand ich noch die Lebenskünstlerin Lou,
alle anderen Figuren sind unspektakulär. Die Leistung der Autorin besteht
darin, Gewöhnlichkeit und ereignislose Normalität darzustellen. Die Szenen
werden teilweise so dargestellt, dass man an eigene Familienbegebenheiten
erinnert wird.
Das
muss man mögen! Wer gerne Harmonie und warmherzigen Umgang miteinander lesen
möchte, der wird sich hier gut unterhalten fühlen. Es gibt auch einige schöne
tiefgründige Dialoge. Wer aber z.B. gerne mehr über die Vorgeschichte der
Bewohner erfahren möchte, wird weitestgehend enttäuscht. Auch sonst fehlen
spannungserregende Impulse. Ja, aufkommende Neugier des Lesers wird teilweise
sogar (bewusst?) ausgebremst (was hat es z.B. mit den Geldproblemen von Herbert
auf sich?) Es gibt keinen Streit, keine Meinungsverschiedenheiten, keine
Konflikte, keine Probleme. Stattdessen: Gegenseitige Rücksichtnahme,
Ratschläge, Unterstützung und Lebenshilfe. Alle gehen unheimlich tolerant und
wertschätzend miteinander um. Man hört einander zu, hilft sich. Kurzum: Idylle!
Jetzt
kann man sich fragen, ob das dann realistisch und lebensecht ist. Ist das nicht
zu schön, um wahr zu sein? Ist das nicht genauso konstruiert wie das Gegenteil
davon? Ich habe während der Lektüre darauf gewartet, dass endlich irgendetwas
passiert, dass die Idylle irgendwie gefährdet wird. (auf eine Krise oder ein
außergewöhnliches Ereignis, das die Handlung belebt). Doch das bleibt über
weite Strecken aus. Und ich habe die starke Vermutung, dass dies absichtsvoll so
gestaltet worden ist. Erst auf den letzten 15 Seiten passiert dann tatsächlich
doch noch etwas. Mir reichte das dann aber auch nicht mehr. Der
spannungserregende Moment kam zu spät und war zu knapp. Es zeigt aber, dass die
Autorin Neugier hervorrufen kann, wenn sie es denn will. Das beweist, dass sie
bewusst mit den Erwartungshaltungen ihrer Leser:innen spielt. Nicht mein Fall!
Das Ende könnte das Ausgangsszenario für einen weiteren Roman sein (den ich
dann aber nicht lesen werde).
Fazit:
Eine Geschichte für harmoniebedürftige Leser, die auf spannungserregende
Impulse verzichten können und gerne eine unaufgeregte Geschichte lesen wollen.
Eine Geschichte, in der vor allem Gewöhnlichkeit und ein warmherziger Umgang
miteinander zum Ausdruck gebracht werden. Mir war das zu langweilig. Aber gegen
die Charakterzeichnung ist nichts einzuwenden. Die Autorin scheint sich bewusst für diesen Weg
entschieden zu haben. Und es wird sicherlich Leser:innen geben, die genau diese
Art von Geschichten mögen. Ich gehöre leider nicht dazu. Mir war das zu
langweilig. Bei mir hat die Handlung zu wenig Neugier erzeugt. Deshalb nur 3
Sterne!
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