Ein Werk ohne schlichte Eleganz (Rezension von Dr. Tobias Kallfell)
Seit den Diskussionen um ChatGPT ist das Thema der Künstlichen
Intelligenz wieder in aller Munde. Und auch ich wollte gerne einmal wieder ein
Buch zu diesem Thema lesen. Meine Wahl fiel auf „Dave“ von Raphaela Edelbauer;
ein Buch, das sehr gelobt wurde. So wird auf dem Klappentext Denis Scheck mit
der Aussage „Ein Geistesblitz von einem Roman!“ zitiert. Und auch erhielt das
Buch den österreichischen Buchpreis 2021. Man sollte also annehmen, dass es
sich um einen großartigen Roman handelt, oder etwa nicht?
Eines kann ich vorweg jedenfalls sagen: Es ist eine anspruchsvolle
Lektüre. Die Autorin formuliert an vielen Stellen komplex und abstrakt,
manchmal surrealistisch, auch sind einige seltene Fremdworte anzutreffen.
Anstrengungsbereitschaft wird also beim Lesen absolut vorausgesetzt. Mir hat es
schon stellenweise etwas die Freude am Lesen verdorben. Ich empfand die Sprache
passagenweise als künstlerisch überformt. Andererseits passt dieser
Sprachduktus zu der entworfenen, technisierten Gesellschaft, die die
Erforschung und Entwicklung der Künstlichen Intelligenz als ihr wichtigstes
Ziel ansieht und sich viele Gedanken darum macht, was ein mögliches künstliches
Bewusstsein auszeichnet.
Die Zukunftsvision, die die Autorin entwirft ist düster,
dystopisch-pessimistisch (in meinen Augen stellenweise auch arg überzeichnet
und unrealistisch). Die Erde scheint unbewohnbar geworden, die Menschheit hat
sich selbst zugrunde gerichtet, dargestellt wird in erster Linie das Leben in
der Forschungseinrichtung, die streng hierarchisch organisiert ist und sich
durch totalitäre Züge auszeichnet (z.B. durch vollständige Überwachung). In dem
Forschungszentrum zeichnen sich die Menschen durch eine fanatische
Technologiegläubigkeit aus. Sie setzen alles daran, die künstliche Intelligenz Dave
mit menschlichem Bewusstsein auszustatten, damit die KI alle menschengemachten
Probleme löst.
Es gibt Anhänger unterschiedlicher Strömungen, die verschiedene
Erwartungen mit der Entwicklung von Dave verknüpfen. Einige wollen ihr
Bewusstsein in Dave hochladen, um auf diese Weise ewig weiterleben zu können
(Transhumanisten), andere wollen die KI nutzen, um den Weltraum zu erforschen
und zu besiedeln (Neoterraner).
Im Zentrum der Handlung steht der Programmierer Syz, der als „subject
zero“ fungieren soll. Seine Erinnerungen sollen protokolliert und in Dave
übertragen werden. Sein Bewusstsein soll Vorbild für das programmierte
Bewusstsein von Dave werden. Dave soll ihm nachgebildet werden. Dafür soll Syz
vor allem solche erinnerten Situationen berichten, die für sein Leben prägend
gewesen sind. Ziel ist die Erzeugung einer elektronischen Psyche, eines
künstlichen Charakters. Im Zuge dieser Tätigkeit erlebt Syz einen sozialen
Aufstieg und lernt eine elitäre Parallelwelt innerhalb des Labors kennen. Was
ich mich bei der Lektüre in diesem Zusammenhang gefragt habe: Was zeichnet Syz
aus? Warum ist gerade er als „subject zero“ ausgewählt worden? Hierzu hätte ich
mir noch ein paar Informationen gewünscht.
Die Grundidee des Romans ist also schon relativ abgedreht. Interessant
fand ich aber solche Stellen, in denen man angeregt wird, über die folgenden
Fragen nachzudenken: Was ist Bewusstsein? Was ist freier Wille? Was macht
Persönlichkeit aus? Kann man ein digitales Abbild einer menschlichen Psyche
programmieren und welche Konsequenzen hätte das? Und wie schafft man es eine
sich selbst ordnende Struktur zu programmieren? Spannend fand ich in diesem
Zusammenhang auch die Idee eines relativen Bewusstseins, also eines
Bewusstseins, das erdacht wurde. Hier stellt sich wieder die Frage, ab wann
eine KI überhaupt zu einem eigenen Wesen wird. Wie kann man eine KI kreieren,
die sich selbst kreieren kann? Und wie findet man eigentlich heraus, ob eine
Maschine bewusst agiert? Und was ist besser: Eine von Menschen kontrollierte KI
oder eine autarke KI? Fragen über Fragen. Und hierin sehe ich die große Stärke
des Romans, der Inhalt regt dazu an, genau solche Dinge zu durchdenken. Das
finde ich stark! Allerdings hätte ich es noch besser gefunden, wenn der Roman
auch selbst noch mehr Antworten auf diese Frage mitgeliefert hätte.
Während der Lektüre fragt man sich vor allem, ob es gelingen wird,
Dave „ins Leben zu rufen“ und wie sich die Entwicklung einer Künstlichen Intelligenz
auf das menschliche Zusammenleben auswirkt. Werden die Hoffnungen der
Menschheit erfüllt, die Probleme außerhalb des Labors zu lösen? Hier bleibt
jedoch leider vieles offen. Das fand ich wiederum etwas schade. Und was ich
auch kritisch anmerken will, ist der Umstand, dass das Buch schon auch seine
Längen hat. Aber nun gut, welches Buch hat das nicht? Hinzu kommt die unnötig
sperrige Sprachgestaltung an einigen Stellen, die ich bereits erwähnt habe. Die
Auflösung am Ende hat mich etwas unbefriedigt zurückgelassen, auch fand ich
einige Passagen zu chiffriert und surreal. Manchmal gerät die Herangehensweise
an das Thema auch zu abstrakt-philosophisch. Dem Werk fehlt in meinen Augen
eine schlichte Eleganz.
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