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Montag, 17. April 2023

Hauff, Kristina - In blaukalter Tiefe


4 von 5 Sternen


Charakterstudie


Wer sich für zwischenmenschliche Feinheiten und Abgründe interessiert, der ist bei dem Roman „In blaukalter Tiefe“ von Kristina Hauff genau richtig. Erzählt wird im Wechsel von vier verschiedenen Perspektiven, so dass man verschiedene Standpunkte kennen lernt und  nah dran an den Gedanken und Gefühlen der Protagonisten ist. Und durch die asymmetrisch angelegten Beziehungsverhältnisse entsteht viel emotionaler „Zündstoff“. Die beiden befreundeten Paare passen nicht gut zusammen. Und begleitet werden die vier Passagiere von einem eigenbrötlerischen, wortkargen Skipper, über den man nicht viel erfährt und der mysteriös wirkt.

 

Daniel und Tanja nehmen die Einladung von Andreas und seiner Frau Caroline zu einem Segeltörn an, auch wenn Tanja sich dabei nicht wirklich wohl fühlt. Sie wirkt zu Beginn ziemlich unsicher, aber auch sehr authentisch und fürsorglich. In ihrer Partnerschaft ist sie aufopferungsvoll, begibt sich aber auch in Abhängigkeit von Daniel. Caroline kommt hingegen unterkühlt, berechnend und fordernd daher und wirkte auf mich äußerst unsympathisch, weil sie aus allem ein kleines Machtspiel veranstaltet. Anders als Tanja agiert sie meist souverän und selbstsicher. Sie kennt ihren Mann genau und es reizt sie, ihn zu provozieren. Auch beobachtet sie ihre Mitreisenden genau und durchschaut sie mühelos. Der Kontrast zwischen den Frauenfiguren ist interessant gestaltet worden. Beide stammen aus ganz unterschiedlichen Lebenswelten. Und Caroline scheint eine große innere Leere zu verspüren.

 

Die männlichen Protagonisten stehen hierarchisch nicht auf derselben Stufe. Beide sind Juristen in derselben Kanzlei. Andreas ist Daniels Chef und Daniel versucht sich auf dem Segeltörn zu profilieren. Es besteht also ein Abhängigkeitsverhältnis, das Andreas geschickt für sich auszunutzen weiß. Und Daniel gerät schon bald in Gewissenskonflikte. Denn auch im Urlaub spielt die Arbeit bald eine Rolle und hält die beiden Kollegen auf Trab. Andreas wirkt anfangs kontrollsüchtig, es fällt ihm nicht leicht, Verantwortung abzugeben, und das Altern bereitet ihm Schwierigkeiten. Er erzählt gern von sich und steht gern im Mittelpunk. In brenzligen Situationen ist er darum bemüht, jederzeit einen kühlen Kopf zu bewahren und souverän zu agieren. In seinem Inneren plagen ihn aber tiefe Selbstzweifel. Daniel wirkt aufgrund der beruflichen Problematik sehr angespannt und auch ungeduldig. Und irgendwann kommt es zwischen beiden Männern zu einem Konflikt. Andreas beginnt Grenzen zu überschreiten und fordert Daniel heraus. Und Daniel beginnt sich zu verbiegen. Das alles ist klug konzipiert!

 

Was ebenfalls gelungen und lobenswert ist: Alle Figuren entwickeln sich weiter. Tanja wird stärker, Caroline wird kaltblütiger, Andreas wird unberechenbarer und Daniel wird schwächer. Zusätzliche Würze erhält der Inhalt zudem noch durch weitere Zutaten:  Einerseits durch den Handlungsort (ein Segelboot) und andererseits durch Eric, den Skipper. So müssen Andreas, Caroline, Tanja und Daniel im Boot auf engstem Raum zusammenleben und sich miteinander arrangieren, auch wenn Konflikte aufbrechen. Es gibt so gut wie keine Privatsphäre und keine Möglichkeit, die anderen zu meiden und sich zurückzuziehen. Eine Flucht ist auf offener See nicht möglich. Und beim Segeln müssen alle als Team agieren und ihre persönlichen Befindlichkeiten außen vor lassen. Eric, der Skipper, bemüht sich darum, professionelle Distanz zu seinen Passagieren zu wahren. Doch das hält er nicht lange durch und schon bald wird er mit in die Krise an Bord hineingezogen. Das alles liest sich spannend! Sehr metaphorisch ist auch die Schilderung des Wetters und des Wellengangs: Die Unruhe auf dem Meer spiegelt den inneren Zustand der Mannschaft wider. Klasse!

 

Fazit

Vorrangig geht es in diesem Buch um verschiedenartig gelagerte Beziehungsdramen. So etwas sollte man mögen. Menschliche Abgründe und zwischenmenschliche Machtspiele machen den Reiz aus. Es handelt sich um eine klug angelegte Charakterstudie, bei der die Figurenzeichnung in meinen Augen äußerst gelungen ist. Was für Dynamik sorgt: Die Charaktere entwickeln sich allesamt weiter und die Allianzen zwischen den Beteiligten wechseln munter. Das einzige, was mich nicht zu 100% überzeugen konnte, war das Ende. Einige Verhaltensweisen der Figuren fand ich nicht schlüssig, v.a. was Daniel und Tanja betrifft. Auch empfand ich den Schluss passagenweise als etwas zu überhastet erzählt. Ich gebe 4 Sterne, ganz knapp an den 5 Sternen vorbei!

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