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Sonntag, 4. Februar 2024

Bjerg, Bov - Auerhaus






Birth, school, work, death

 

„Our house, it has a crowd / There’s always something happening and it’s / usually quite loud”

 

Frieder, der beste Freund des Ich-Erzählers Höppner, unternimmt einen Selbstmordversuch und landet danach in der Psychiatrie. Höppner, der jugendlich-unbeschwert und mit einer „Was-kostet-die-Welt-Einstellung“ lebt, besucht ihn dort und das Gespräch verläuft unbeholfen. Wie spricht man jemanden darauf an, dass er sich umbringen wollte? Nach der Entlassung aus der Psychiatrie ziehen Höppner, seine Freundin Vera und Frieder in das leerstehende Haus von Frieders Großvater, ein altes Bauernhaus. Eine willkommene Gelegenheit für den Ich-Erzähler, vor seinem ungeliebten Stiefvater zu flüchten. Und damit Vera nicht das einzige Mädchen in der WG ist, zieht ihre Freundin Cäcilia ebenfalls mit in das sogenannte Auerhaus ein. Im weiteren Handlungsverlauf wird das bunte Leben der WG geschildert. Darum geht es in dem Roman „Auerhaus“ von Bov Bjerg, der eigentlich Rudolf Schmidt heißt.

 

Der jugendliche Drang nach Freiheit und nach Selbstbestimmung kommt gut zum Ausdruck. Die WG-Bewohner agieren oft gedankenlos und leichtsinnig. Doch gleichzeitig schwebt über der Lebenswelt von Höppner, Vera, Frieder und Cäcilia stets eine gewisse Unsicherheit, weil Frieder nicht völlig stabil ist (ein schöner Kontrast zwischen Ernsthafthaftigkeit und Unbeschwertheit, die hier deutlich wird). Die Themen „Suizid“ und „Depression“ werden auf diese Weise vertieft. Und eine zentrale Frage spielt eine Rolle: Wie geht man mit jemandem um, der suizidgefährdet ist? Doch der Erzählton ist nicht melancholisch-schwergängig, sondern amüsant, locker-leicht. Der Humor ist oft trocken. Es hat mich sehr an „Herr Lehmann“ von Sven Regener erinnert. Oft musste ich beim Lesen schmunzeln. Herrlich ist z.B. die Schilderung der Musterung oder das Schreiben der Deutschklausur im Abitur. Und was auch gut zum Ausdruck kommt: Die Ratlosigkeit des Ich-Erzählers, was er mit seinem Leben nach der Schule anfangen will. Das alles sind Themen, die auch jugendliche Leser ansprechen sollten, auch wenn einige der geschilderten Situationen nicht mehr zur heutigen Lebenssituation passen (z.B. die Sorge vor der Einberufung zum Wehrdienst).


Das Zusammenleben der vier Bewohner nimmt oft groteske Formen an und verläuft unkonventionell, stellenweise ist es auch rauschend-überschwänglich sowie tabulos-exzessiv-provokativ. Der Inhalt ist an vielen Stellen politisch-inkorrekt, viele Verhaltensweisen werden nicht moralisierend beschrieben. Darauf sollte man sich einstellen. Gerade für Lehrkräfte, die dieses Buch im Unterricht besprechen möchten, kann das zu einer Herausforderung werden. Da ist viel Fingerspitzengefühl gefragt (ich stelle es mir ehrlich gesagt schwer vor, mit Lernenden über solch privaten Themen, wie sie im Buch angesprochen werden, im Unterricht ins Gespräch zu kommen). Und am Beispiel des Ich-Erzählers wird nur allzu deutlich, dass seine Lebenswirklichkeit und die schulischen Anforderungen, die an ihn gestellt werden, weit auseinanderklaffen. Er ist mit seinen Gedanken ganz woanders und wälzt völlig anderes Probleme, als das was schulisch von ihm erwartet wird. Auch die Sprachgestaltung ist an vielen Stellen kreativ. Das alles hat mir sehr gut gefallen.

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