Medizintechnische Revolution
„Youth’s like diamonds in the sun / and diamonds
are forever“
Was
wäre, wenn ein Medikamentenversuch fehlschlüge und die Probanden mit den
ungeahnten Folgen einer Verjüngung konfrontiert wären? Darum geht es in dem
Roman „Wir werden jung sein“ von Maxim Leo (bei mir stellten sich direkt
Assoziationen zu „Benjamin Button“ ein). Die Folgen des Experiments werden uns
am Beispiel von Einzelschicksalen von fünf Protagonisten vorgestellt, deren
Lebensgeschichte wir näher kennen lernen. Und eines kann ich direkt
vorwegnehmen: Ich fand das Gedankenspiel, das der Autor entwirft, interessant
und habe mit großer Faszination die Lebenswege der Figuren verfolgt.
Zu
Beginn wird uns der 17-jährige Jakob nähergebracht, der unter einer
Herzmuskelschwäche leidet und ständig müde und erschöpft ist. Er verliebt sich
in Marie, die mit ihrer unbefangenen und ehrlich-direkten Art sofort sein Herz
erobert. Als nächstes begegnen wir Herrn Wenger, Immobilien-Patriarch und pedantischer
Planer, der eine tödliche Diagnose erhält und nicht mehr viel Zeit hat. Er
plant daraufhin seinen eigenen Tod in Form von Sterbehilfe und macht sich
daran, sein Erbe zu regeln. Eine weitere Figur: Die ehemalige Profischwimmerin
Verena. Sie knackt bei einem „Rentnerrennen“, das lediglich als Show gedacht
war, den Weltrekord in 100m Freistil. Und plötzlich steht sie unter
Doping-Verdacht. Sie kann sich ihre Leistung selbst nicht erklären. Weiterhin
lernen wir Jenny kennen, die einen unerfüllbaren Kinderwunsch hegt. Trotz
mehrmaliger, belastender In-vitro-Fertilisationen will sich keine
Schwangerschaft einstellen, bis ein Seitensprung plötzlich ihr Leben
grundlegend ändert. Und zuletzt: Die Perspektive des verschrobenen und
menschenscheuen Forschers Martin. Er ist der Projektleiter der Studie, an der
Jacob, Wenger, Verena und Jenny teilnehmen. Sein Ziel ist die Reprogrammierung
von Herzmuskelzellen. Das Medikament testet er auch an sich selbst und seinem
Hund. Nun ist er mit der Situation konfrontiert, dass sich die Probanden des Versuchs
verjüngen, und das mit ungewissem Ausgang. Es entstehen folgende Fragen: Wie
geht es mit den Figuren weiter? Wie wird sich ihr Leben verändern? Und wird
sich die Verjüngung stoppen lassen? Ohne zu viel zu verraten: Die Verjüngung
hat nicht nur Vorteile! Insbesondere die jüngeren Probanden haben mit
Komplikationen zu kämpfen.
Nachdem
sich die Nachricht über die Verjüngung als Nebenwirkung der medizinischen
Behandlung von Jacob, Wenger, Verena und Jenny herumspricht, wollen auf einmal
weitere Menschen mit dem Medikament behandelt werden. Begehrlichkeiten werden
geweckt. Und anhand der Perspektive von Miriam, einer wissenschaftlichen
Beraterin der Regierung, wird eine medizinethische Bewertung des Phänomens
vorgenommen. Sie betrachtet das Für und Wider des möglichen Eingriffs in den
Lebenszyklus des Menschen. Klar ist nur: Die Entdeckung wird das menschliche
Zusammenleben grundlegend ändern. Und am Rande wird auch die Frage nach der
Verantwortung der Wissenschaft gestreift.
Die
Stärke des Autors ist in meinen Augen die Charakterzeichnung. Alle Figuren
haben klare Konturen und werden in ihren Eigenheiten sehr gut deutlich. Maxim
Leo schafft es auf wenigen Seiten, seinen Charakteren ein deutliches Profil zu
verleihen. Und durch einen geschickt eingebauten Zeitsprung wird uns eine
Vorher-Nachher-Perspektive eröffnet. Eine Entwicklung der Protagonisten kommt
zum Ausdruck. Und dadurch, dass die Figuren sich in verschiedenen Lebensstadien
befinden, wird die Frage nach den Auswirkungen des Medikaments auch
unterschiedlich beleuchtet. Das hat mir richtig gut gefallen. Auf diese Weise
entsteht ein differenziertes, facettenreiches Bild. Und durch die beschriebenen
Komplikationen, die ebenfalls auftreten, werden auch Nachteile ins Blickfeld gerückt.
Und noch einen Effekt hat die Erwähnung des Negativen: Man leidet mit den
Patienten mit und spürt als Leser:in emotionale Betroffenheit. Nicht zuletzt
stellt man sich bei der Lektüre selbst die Frage, wie man mit einer solchen
Diagnose umgehen würde. Würde man gern selbst wieder jünger sein? Eine
interessante Frage, wie ich finde. Insgesamt hat mir das Buch sehr gut
gefallen. Eine rundum gelungene Sache. Ich habe keine Verbesserungsvorschläge
und vergebe deshalb 5 Sterne!
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