Dieses Blog durchsuchen

Montag, 26. Februar 2024

Hossenfelder, Sabine - Mehr als nur Atome






Forschung in der Sackgasse?


In ihrem Sachbuch „Mehr als nur Atome“ stellt Sabine Hossenfelder der Kosmologie ein schlechtes Zeugnis aus: zu viel Spekulation, zu wenig gesichertes Wissen, zu wenig Erklärungskraft. Das wird an der Diskussion verschiedener Forschungsfragen in vielen Kapiteln deutlich. Es ist eine bittere Bilanz, die sie zieht. Zwar lässt sie auch an vielen Stellen erkennen, dass sie die Hoffnung hegt, dass durch bessere Messungen und mehr Daten in Zukunft genauere Modelle entwickelt werden können, aber das, was man zum jetzigen Zeitpunkt über das Universum zu wissen glaubt, ist höchst umstritten. Nach ihrer Meinung scheint sich die Forschung aktuell eher in einer Sackgasse zu befinden. Und ich empfand es beim Lesen als wohltuend und erfrischend, dass das auch einmal jemand ausspricht. Oft wird in Sachbüchern ja ein ganz anderer Eindruck erweckt.


Aufmerksam geworden auf das Buch bin ich übrigens durch einen Beitrag von Dr. Bernhard Weßling, der auf diesem Blog aus seiner Expertensicht eine Rezension dazu veröffentlicht hat (s. unter Gastbeitrag), die auch in leicht veränderter Form in der Naturwissenschaftlichen Rundschau (Heft 8/2023) erschienen ist. Anders als ich kennt sich Weßling bestens aus mit der Materie. Er hat selbst ein Buch geschrieben, in dem es viele Schnittmengen mit Themen aus Hossenfelders Werk gibt. Eine vergleichende Lektüre lohnt sich also. Und er bemängelt in seiner Rezension einige inhaltliche Aspekte, die fraglich oder gar falsch erscheinen. Kurzum: Ich empfehle zusätzlich die Lektüre von Weßlings Rezension hier auf diesem Blog. Ich spreche im Folgenden lediglich aus Laiensicht einige Dinge an, die ich kritisch gesehen habe. 


Ein Beispiel dafür, dass die Forschung (aktuell) in einer Sackgasse steckt, betrifft die mögliche zukünftige Entwicklung des Universums: Nach Einschätzung der Autorin sind dazu keine klaren Aussagen machbar, weil viele Faktoren veränderlich sein können, ohne dass wir es zum heutigen Zeitpunkt wissen (z.B. die dunkle Energie). Letztlich kann die Forschung nur Mutmaßungen anstellen! Viele Spekulationen lassen sich zudem nicht überprüfen, weil die Zeiträume im All zu gigantisch sind, um Hypothesen zu verifizieren. Klar scheint wohl nur eines: Die Entropie wird immer weiter zunehmen und irgendwann wird das Universum den Zustand der maximalen Entropie erreicht haben und sich im Gleichgewicht befinden. Dieser Prozess ist unumkehrbar und unausweichlich! Fraglich ist dann aber wieder, was danach passiert. Wird das späte Universum die Entropie zerstören? Gibt es einen Zyklus? Und die Autorin merkt auch an, dass man momentan nicht wisse, wie man Entropie mit Raumzeit und Gravitation in Verbindung bringen kann.

 

Was ich insgesamt schade finde, ist der Umstand, dass man sehr, sehr deutlich merkt, aus welcher Wissenschaftsdisziplin die Autorin kommt. Ihr Blick auf die Welt und die vielen ungelösten Fragen ist sehr verengt auf eine rein physikalisch-mathematisch-naturwissenschaftliche Sichtweise. An einer Stelle stellt sie sogar die Frage in den Raum, ob die Sprache der Mathematik diejenige Sprache der Natur ist, die es zu entschlüsseln gilt. Ich hätte mir gewünscht, dass Hossenfelder bei verschiedenen Fragestellungen, denen sie sich widmet, auch einmal über den Tellerrand ihrer eigenen Disziplin hinausschaut, z.B. wenn es um die Frage nach Bewusstsein und nach einem freien Willen geht. So glaubt die Autorin beispielsweise, dass man Gehirne irgendwann einmal Atom für Atom nachbauen kann und meint, dass das Gehirn nicht mehr sei, als die Summe seiner atomaren Teile. Eine solche Sichtweise ist mir zu einseitig. Was sagt denn die Neurowissenschaft dazu? Es ist doch unklar, wie die neuronalen Bestandteile miteinander interagieren und wechselwirken. Hier allein auf noch nicht erklärbare Quanteneffekte Bezug zu nehmen, um menschliche Entscheidungsfähigkeit zu erklären, überzeugt mich (als Laie!) nicht, aber ich bin natürlich kein Experte. Eine solche verengte Perspektive wird dem komplexen Untersuchungsgegenstand nach meinem Empfinden aber nicht gerecht.

 

Hossenfelder diskutiert auch, inwieweit das menschliche Verhalten deterministisch ist. Sie selbst gibt sich als Befürworterin des Determinismus zu erkennen. Den freien Willen hält die Autorin für eine Illusion. Ich vermute sehr stark, dass sie mit ihrer Position polarisieren und eine Diskussion anstoßen möchte. Für mich ist die Frage, ob es einen freien Willen gibt sehr komplex und vielschichtig. Die Autorin gibt vieles dazu nur sehr verkürzt wieder. Das finde ich dem Gegenstand gegenüber nicht angemessen, zumal vieles aus anderen Wissenschaftsdisziplinen hier gar nicht angeführt wird (damit ließen sich ja auch viele weitere Bücher füllen). Schade! Ich könnte nun einfach die Gegenthese aufstellen und sagen, dass ich ein Anhänger des Libertarismus bin. Meine These: Wenn ich z.B. ein Stück Pflaumenkuchen und ein Stück Apfelkuchen vor mir stehen habe, zwischen denen ich wählen müsste. Ist dann etwa vorhersehbar, welches Stück ich esse?

 

Dann geht es an einer Stelle auch wieder um die Frage des Zufalls und um das anthropische Prinzip (vgl. dazu meine Rezension zu Weßling 2022: Was für ein Zufall!). Hossenfelder lehnt das Prinzip ab. Sie hält es sogar für falsch. Ich finde diese kategorische Einschätzung schwierig, zumal das, was die Autorin als Argument dagegen anführt im Konjunktiv formuliert ist. Noch hat man aber kein anderes intelligentes Leben gefunden, oder? Was ist daran falsch, anzunehmen, dass wir als lebende Subjekte die Naturkonstanten als Konstruktionsleistung unseres Intellekts hervorgebracht haben? Ohne uns könnten die Konstanten nicht beobachtet und auch nicht formuliert werden. Oder existieren sie etwas außerhalb der menschlichen Wahrnehmung? Und falls ja, wie ließe sich das überprüfen?

 

Am Ende ihres Buchs stellt die Autorin selbst eine irrwitzige These auf, die sie dann selbst entkräftet und verwirft: z.B. ist das Universum ein riesiges Gehirn, bei dem unsere Galaxie nur ein Neuron ist? In meinen Augen war das ein nettes Gedankenspiel, aber ich konnte die Ausführungen nicht richtig ernst nehmen. Dieses Kapitel hätte ich nicht benötigt. Spannender hingegen fand ich wiederum eine andere Frage, der sich Hossenfelder widmet: Ist das Universum vielleicht auf eine Art miteinander verbunden, die wir nicht verstehen? Kann auf diese Weise die Begrenzung der Lichtgeschwindigkeit umgangen werden? Eine interessante Spekulation. Dieses Mal von der Autorin selbst. Aber auch hier stellt sich die Frage, wie man diese Spekulation überprüfen will.

 

Was ich an dem Buch gut finde, ist der selbstkritische Impetus, mit dem es geschrieben wurde. Das kommt im Nachwort auch gut zum Ausdruck, wie ich finde. Wissenschaftler sollten sich der Grenzen ihres Wissens bewusst sein und auch einräumen, dass sie bestimmte Dinge einfach nicht wissen. Wissenschaft kann nicht alles erklären. So ist es! Ich empfehle dieses Buch solchen Leser:innen, die sich für Kosmologie interessieren und die gerne von der Autorin vor Augen geführt bekommen möchten, wie viel man eigentlich noch nicht weiß.

1 Kommentar:

Dr. Bernhard Weßling hat gesagt…

Lieber Herr Kallfell, danke für Ihre Rezension - für mich sehr interessant zu lesen, weil ich daran erkennen kann, wie Leser, die sich nicht (so wie ich) schon tiefer mit dem Themenkreis des Buches von Frau Hossenfelder beschäftigt haben, ihr Buch aufnehmen.

Ich habe selbst eine Rezension aus meiner Sicht geschrieben, u.a. kritisierte ich die (von der Autorin nicht näher belegte) Auffassung, wonach der 2. Hauptsatz der Thermodynamik "höchst suspekt" sei. Damit in Zusammenhang steht, daß ihr physikalisches Weltbild von Gleichgewichts-Thermodynamik und Determinismus geprägt ist, was der Komplexität und Nicht-Linearität der Welt, des Kosmos überhaupt nicht entspricht.
- Meine Rezension erschien in "Naturwissenschaftliche Rundschau" Heft 8 / 2023 und kann auch hier gelesen werden: https://www.bernhard-wessling.com/buchbesprechung-hossenfelder-mehr_als_nur_atome

Kommentar veröffentlichen