Kindheit in Hesterberg
In
dem autofiktionalen Roman „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ von
Joachim Meyerhoff, in dem unklar bleibt was Dichtung und was Wahrheit ist,
spielt ein Handlungsort eine zentrale Rolle, der inzwischen eine unrühmliche
Bekanntheit erlangt hat: Die Einrichtung für Kinder- und Jugendpsychiatrie in
Hesterberg. Und eines vorweg: Sprachlich hat mich das Werk durchaus überzeugt,
es blitzt an vielen Stellen das kreative Spiel mit Bildlichkeit auf, inhaltlich
konnte ich dem Buch allerdings nur wenig abgewinnen.
Der
ehemalige Patient Günter Wulf hat über seine Zeit dort ein erschütterndes
Dokument verfasst („Sechs Jahre in Haus F. Eingesperrt, geschlagen,
ruhiggestellt. Meine Kindheit in der Psychiatrie“). Und Wulf beschreibt, wie
mit dem Direktor Hermann Meyerhoff, der 1971 die Leitung der Kinder- und
Jugendpsychiatrie in Hesterberg übernommen hat, Verbesserungen eintraten. Als Direktor
hat er die Klinik reformiert (Für Interessierte lohnt sich eine weitere
Recherche im Internet). Und Joachim Meyerhoff setzt seinem Vater hier eine Art
Denkmal. Zwischen den Zeilen wird sehr deutlich, wie sehr der Protagonist im
Buch seinen Vater bewundert und zu ihm aufschaut. Hermann Meyerhoff erscheint
als gebildeter, menschenscheuer Mann mit hohem Verantwortungsbewusstsein, der
stets situationsangemessen reagiert.
Joachim
Meyerhoff, Autor und Schauspieler, ist der Sohn von Hermann Meyerhoff und er
beschreibt seine Kindheit in Hesterberg. Er wohnt mit seiner Familie mitten auf
dem Gelände der Klinik und der Umgang mit psychisch und körperlich Beeinträchtigen
ist für ihn etwas Alltägliches. Jeden Tag hat er mit den Patienten Kontakt. In
einzelnen Episoden, die anekdotisch und ohne erkennbaren roten Faden
präsentiert werden, schildert der junge Protagonist sein Familienleben. So
leidet er z.B. unter seinen älteren Brüdern, die sich oft über ihn amüsieren. Die
Feierlichkeiten zum 40. Geburtstag des Vaters werden ebenso beschrieben wie das
Krippenspiel zu Weihnachten oder die Ausrichtung des Sommerfests in der Klinik.
Auffällig
für mich: Die Patienten werden nach meinem Dafürhalten recht schonungslos und
direkt mit ihren Skurrilitäten beschrieben. Viele von ihnen wirken nicht sehr
sympathisch und machen keinen vertrauenserweckenden Eindruck. Der Erzählton ist
oft schwarzhumorig. Damit hatte ich an manchen Stellen so meine
Schwierigkeiten: So ist der Blick auf die Bewohner der Einrichtung nach meinem
Eindruck nicht immer wertschätzend, stellenweise werden sie der Lächerlichkeit
preisgegeben. Das hat mir überhaupt nicht zugesagt. Manches war mir auch zu
albern und zu überzeichnet. Eine solche Darstellung sollte man mögen. Wenn man die
dunkle Geschichte von Hesterberg kennt, so finde ich die literarische
Aufbereitung irgendwie unpassend. Aber Humor ist ein schwieriges Thema, andere
Leser:innen mögen das ganz anders empfinden als ich.
Erstaunlicherweise
scheine ich mit dieser Einschätzung aber allein dazustehen. Liest man sich auf
Perlentaucher.de die Zusammenfassung der Rezensionen aus dem Feuilleton durch,
so wird dieser Aspekt von keinem Rezensenten bemängelt. Martin Halter aus der
FAZ meint sogar, dass manche der Geschichten „zum Brüllen komisch“ seien (vgl.
FAZ vom 16.08.2013). Das hat mich schon ein wenig gewundert. Aber nun gut.
Geschmäcker sind nun einmal verschieden. Für mich war die Darstellung der Patienten
oft geschmacklos.
Fazit:
Der Roman setzt der Einrichtung in Hesterberg und ihrem Direktor Hermann
Meyerhoff ein literarisches Denkmal. In sprachlicher Hinsicht ist das Buch durchaus
gelungen und die Gestaltung kreativ. Joachim Meyerhoff kann schreiben und
beherrscht das Spiel mit Bildlichkeit. In inhaltlicher Hinsicht konnte man das
Buch nicht überzeugen. Ich fand den Erzählton an vielen Stellen unpassend, die
anekdotische Darstellung ohne roten Faden hat mir auch nicht zugesagt. Die
schwarzhumorige Darstellung der Patienten war stellenweise geschmacklos. Ich
gebe 3 Sterne!
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