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Montag, 8. Mai 2023

Glattauer, Daniel - Gut gegen Nordwind



5 von 5 Sternen



„Schreiben ist küssen mit dem Kopf“


Normalerweise lese ich keine Liebesromane. Doch bei „Gut gegen Nordwind“ von Daniel Glattauer habe ich eine Ausnahme gemacht. Und zwar aus zwei Gründen: Ich mag Glattauers Schreibstil und es handelt sich um einen E-Mail-Liebesroman, der schon von der ersten Seite an überzeugt. Bereits die ersten E-Mails, die Leo Leike und Emmi Rothner austauschen, sind klasse. Zwischen beiden entsteht direkt ein witziger verbaler Schlagabtausch. Beide Protagonisten sind nicht auf den Mund gefallen und necken sich kreativ und humorvoll. Und man will wissen, wie es mit den beiden weitergeht und was aus ihnen wird. Interessant ist auch der Beruf von Leo. Er ist Uni-Assistent für Sprachpsychologie und Kommunikationsberater und das schlägt sich auch in seiner Wortwahl und seinem Charakter großartig nieder. Was er am Sprachgebrauch von Emmi herausliest, ist einfach unnachahmlich. Der Autor hat hier einfach tolle Charaktere entworfen, die Faszination beim Lesen erzeugen. Und über allem schwebt die Frage: Werden sich Leo und Emmi irgendwann begegnen?

 

Beide Protagonisten können überaus geschliffen formulieren und man merkt den E-Mails an, dass sie zunehmend ernsthafter werden. Das Interesse aneinander und die Offenheit  nehmen stetig zu. Leo schüttet Emmi gegenüber sein Herz aus, sie wiederum ist anfangs eher distanziert. Und was auch auffällt: Beide gehen überaus direkt miteinander um, v.a. Emmi. Vermutlich auch in dem Wissen, dass sie den Kontakt jederzeit abbrechen können. Im Verlauf der Beziehungsentwicklung beginnen beide sehnsüchtig auf Mails des jeweils anderen zu warten, doch ihr Privatleben lassen sie zumindest anfangs außen vor. Sie schaffen einen virtuellen Raum nur für sich beide, in dem sie spielerisch mit ihren Gefühlen umgehen. Es ist ein Flirt in einem geschützten Zwischenraum, in einem Raum voller Unverbindlichkeit.

 

Was mir während der Lektüre nahegegangen ist: Emmis charakterliche Entwicklung. An vielen Stellen fand ich sie oft verletzend und auch oberflächlich. Sie möchte Leo auf Abstand halten und ihm nicht viel Einblick in Privates gewähren. Mit zunehmender Dauer des Kontakts treten auch Eifersüchteleien und Verlangen zutage. Ich empfand Emmi häufig als sehr egozentrisch. Leo tat mir fast schon leid. Aber evtl. sehen das andere Leser:innen anders. Das sollte jede(r) selbst herausfinden. Reizvoll ist für beide jedenfalls, dass sie jeweils nur in idealtypischer Form in der Vorstellungswelt des anderen existieren.

 

Und wieder tritt das Talent des Autors hervor, treffsicher zu formulieren und sprachliche Nuancen außerordentlich feinfühlig zu gestalten. Er hat einen unglaublich scharfsinnigen, analytischen Blick auf das Innenleben seiner Figuren und er ist in der Lage, die inneren Zustände und die Gefühle der beiden psychologisch nachvollziehbar, empfindsam und differenziert zum Ausdruck zu bringen. So sind z.B. auch die Ungeduld und das Warten aufeinander förmlich greifbar. Die Charaktere wirken unheimlich lebensecht (bis auf die Tatsache, dass sich wohl nur wenige Menschen so geschliffen ausdrücken können wie Emmi und Leo). Eine großartige schriftstellerische Leistung!

 

Fazit

Ein Liebesroman mit unnachahmlichen Charakteren, die beide eine interessante Entwicklung durchmachen. Die E-Mails, die sich beide schicken, sind unheimlich kreativ, spielerisch und gewähren einen empfindsamen Einblick ins Innere von Leo und Emmi. Lesemotivation entsteht durch die Frage, was aus beiden wird und ob sie sich im realen Leben begegnen werden. Ein tolles Buch, das ich erst spät für mich entdeckt habe. Aber ich bin froh, dass ich es – wenn auch verspätet – noch gelesen habe. Absolute Empfehlung!

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