Übertriebener Hype
Selten
habe ich ein Buch gelesen, das mit so vielen Vorschusslorbeeren bedacht wurde.
Da heißt es auf dem Klappentext „Ein brillantes, messerscharfes Buch“ oder „ein
mitreißender Roman […] etwas wahrhaft Magisches“. Es wird betont, dass es sich
um einen weltweiten Bestseller handelt und natürlich darf Denis Scheck nicht
fehlen, der meint, dass Babel „das Aufregendste im Fantasygenre seit Harry
Potter“ sei. Das schraubt die Erwartungshaltung natürlich ganz schön in die
Höhe. Zentrale Frage dieser Rezension: Ist das Buch wirklich so grandios?
Die
große Stärke des Buchs ist mit Sicherheit das erdachte Magiesystem des sog. Silberwerkens,
in das Kenntnisse aus Sprachwissenschaft und Translationswissenschaft
einfließen. Ich empfand die Idee durchdacht, kreativ und ausgefeilt. Überhaupt
werden einige interessante Reflexionen über Sprache, über Etymologie und über
das Übersetzen in die Handlung eingebunden. Die Passagen, in denen das System
erläutert wird, fand ich faszinierend. Und mit Sicherheit übt das Buch v.a. auf
solche Leser:innen einen Reiz aus, die sich für Sprache interessieren (dazu
zähle ich mich auch). Und was zu Beginn ebenfalls recht klug arrangiert ist: Der
Verstehensprozess der Leser:innen nimmt mit dem Lernprozess von Robin zu.
Doch
so interessant und kreativ die Idee des Silberwerkens auch ist, ich bin während
der Lektüre das Gefühl nicht losgeworden, dass viel Potential ungenutzt blieb. Das
liegt daran, dass das Fantasy-Element insgesamt nur äußerst dezent
durchscheint, ja sogar kaum vorhanden ist. Das unterscheidet dieses Buch z.B.
ganz klar von Harry Potter und macht es zu einem recht eigentümlichen
Fantasy-Epos (und deswegen bin ich auch unsicher, ob sich die
Marketing-Abteilung des Verlags selbst einen Gefallen tut, wenn „Babel“ durch
die Aussage von Scheck mit dem Buch von Rowling in Verbindung gebracht wird). Und
auch ein weiteres Thema, das im Roman angesprochen wird, hätte nach meinem
Gefühl mehr Raum einnehmen können: Der Opiumhandel zwischen China und
Großbritannien. Leider wurde dieses geschichtliche Kapitel nur ganz kurz
angerissen.
Insgesamt
hat der Roman von Kuang in meinen Augen auch zahlreiche erzählerische Schwächen
und auch ein stark schwankendes Spannungsniveau. Die Spannungskurve mäandert
durch die gesamte Handlung hinweg, so dass es immer wieder Passagen gibt, die
sich nur zäh lesen. Allerdings gibt es auch gleichzeitig immer wieder Stellen,
die man sehr gebannt liest. Für mich ergibt sich dadurch ein sehr uneinheitliches
Bild. Und ich mag eher Bücher, in denen ich die ganze Zeit gefesselt werde. Auch
der Start ins Buch verläuft eher schleppend. Man braucht schon etwas Geduld,
bevor die Handlung ihren Reiz entfaltet. Kurzum: Ein paar spannungserregende Momente
und Impulse mehr hätten dem Inhalt gut getan.
Hinzu
kommen Schwächen bei der Figurenzeichnung und der Gestaltung der
Beziehungsverhältnisse zwischen den Figuren. Vor allem die Randfiguren bleiben
äußerst blass. Keine Figur entfaltet so richtig „Zugkraft“, nicht einmal die
Hauptfigur selbst (kein Vergleich zu Kvothe aus „Der Name des Windes“). Und an
einigen Stellen erhalten einzelne Figuren eigene Kapitel, um ihnen mehr Tiefe
zu verleihen. Das fand ich recht unglücklich, v.a. wenn die Handlungsweise
einer Figur erst im Nachgang plausibel gemacht wird.
Nicht
zuletzt hat mich noch gestört, dass einige Dinge im Roman aus dramaturgischen
Gründen recht unrealistisch konstruiert worden sind. Hierzu zähle ich besonders
auch den Schluss, der mich doch enttäuscht hat. Normalerweise stellt das Finale
das Highlight eines Buchs dar. Es wird dann oft so packend, dass man das Buch
nicht mehr aus der Hand legen kann. Handlungsfäden laufen zusammen etc. Das
alles fehlte mir bei „Babel“.
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