Das Auf und Ab einer Freundschaft
Eines
gleich vorweg: Die Stärke des Romans „Morgen, morgen und wieder morgen“ von
Gabrielle Zevin ist die Gestaltung der Beziehung zwischen Sam und Sadie, den
beiden Hauptprotagonisten. Das stetige Auf und Ab in der Freundschaft und in
ihrem professionellen Arbeitsverhältnis ist das, was die Handlung im
Wesentlichen trägt und ausmacht. Schon auf den ersten 100 Seiten werden beide
Figuren geschickt und mit ausreichend Tiefe eingeführt. Und im weiteren
Handlungsverlauf wird aus der zunächst einträchtigen Zusammenarbeit der beiden
eine Kooperation mit Konkurrenzdenken, Rivalitäten, Krisen und Meinungsverschiedenheiten.
Erfolg und Misserfolg liegen dicht beieinander. Man merkt dem Buch aber auch
den drehbuchartigen Charakter an, so etwas sollte man mögen.
Zu
Beginn wird vor allem die Lebenssituation von Sadie in den Blick genommen, die
ein Studium als Computerspieledesignerin aufgenommen hat und sich in dieser
Männerdomäne behaupten muss. Auch geht sie eine eigenartige Beziehung mit ihrem
Dozenten ein, dem sie sich völlig unterordnet. Er ist es allerdings auch, der
ihr kreatives Talent als Spieleentwicklerin erkennt.
In
unerwarteten und plötzlichen Rückblicken wird immer auch einmal wieder ein
Blick in die Kindheit von Sam und Sadie geworfen. Hierbei kommt auch gut zum
Ausdruck, dass Sam mit einem schweren Schicksalsschlag und mit schweren
gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu kämpfen hatte (und immer noch hat). Doch
Sadie stand als Freundin stets an seiner Seite. Bis es eines Tages zu einem
Streit zwischen beiden kommt.
Später
entwickeln Sam und Sadie ihr erstes eigenes Computerspiel. Man erhält einen
interessanten, aber auch recht oberflächlichen Einblick in den Spielentwicklungsprozess
(ich hätte mir tatsächlich noch viel mehr technische Details bei der
Darstellung gewünscht). Und was ebenfalls deutlich wird: Sam und Sadie haben jeweils unterschiedliche
Stärken. Sadie ist das Ausnahmetalent, sie übertrifft Sam mit ihren
Fähigkeiten. Dafür hat Sam wieder andere Qualitäten. Er repräsentiert die
Spiele nach außen und kann öffentlichkeitswirksam auftreten. Kurzum: Beide sind
ein gutes Team, sie ergänzen sich gegenseitig. Bei der Vermarktung von Spielen
bleibt Sadie aber lieber im Hintergrund. Und was Sadie noch sehr stark von Sam
unterscheidet: Persönliche Freiheit ist ihr sehr wichtig. Sam hingegen ist eher
ein Opportunist.
Das
Buch hat aber auch ein großes Manko: Die Autorin tendiert dazu, vom Haupthandlungsstrang
immer einmal wieder abzuweichen und Nebenschauplätze recht ausschweifend zu
erzählen. Nicht alle Nebenschauplätze bereichern die Handlung. Passagenweise
ist der Erzählstil recht sprunghaft. Zeitweise gerät die Beziehung zwischen Sam
und Sadie dadurch zu sehr aus dem Blick. Auch sind die anderen
Beziehungsverhältnisse im Roman längst nicht so gut ausgestaltet worden wie das
zwischen Sam und Sadie. Und noch etwas: Sam ist in meinen Augen der deutlich interessantere
Charakter. Mit ihm fiebert man mit. Man hofft als Leser, dass er seine
persönlichen Krisen, die aus seinen gesundheitlichen Einschränkungen
resultieren, überstehen wird.
Weitere
Kritikpunkte: Die Gefühlsebene kommt mir an einigen Stellen im Roman deutlich
zu wenig zum Ausdruck. Das betrifft in meinen Augen vor allem das letzte
Drittel des Buchs. Hier kommt es zu einer unerwarteten Wendung, die die
Handlung in eine andere Richtung treibt. Doch die emotionale Wucht blieb aus. Viel
zu schnell kehrt wieder Normalität ein.
Und
noch eine Empfehlung an die Marketing-Abteilung des Eichborn-Verlags:
Übertreibt nicht so mit Superlativen. Nach „Liebewesen“ und „Babel“ fällt schon
wieder auf, wie aggressiv positiv das Werk beworben wird. Sowas schürt unnötig
hohe Erwartungshaltungen. Auch verliert man als Verlag mit der Zeit an
Glaubwürdigkeit, wenn jedes Werk so gehyped wird. Der Roman ist sicher in
Ordnung und er hat auch lobenswerte Aspekte (Sam und Sadies
Beziehungsverhältnis), aber mehr auch nicht.
Fazit:
Der Roman besticht durch eine wendungsreiche Freundschaftsgeschichte. Sam und
Sadie sind ein interessantes Gespann, das sich gut ergänzt. Die
Charakterzeichnung der beiden ist gelungen, mit Sam leidet man mit. Allerdings
weist das Buch in meinen Augen auch Schwächen auf: Mir sagte der drehbuchartige
Charakter nicht so zu. Die Beziehungsverhältnisse zwischen den anderen Figuren
sind längst nicht so gut ausgearbeitet wie die zwischen Sam und Sadie. Was die
Handlung betrifft, gibt es viele unnötige Abschweifungen. Rückblicke werden
sehr abrupt und nicht immer geschickt platziert eingeschoben. Nicht zuletzt
kommt die Gefühlsebene oft viel zu kurz. Man sollte sich als Leser:in nicht zu
sehr von dem aggressiven Marketing blenden lassen. Von mir gibt es 3 Sterne!
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