Gerold Plassek – Der Nasenbohrer vom Dienst?
Auf
Daniel Glattauer bin ich erst recht spät aufmerksam geworden, und zwar durch
seinen Roman „Die spürst du nicht“, der mir sehr gut gefallen hat. Vor allem
der Schreibstil ist grandios (vgl. eine frühere Rezension). Was den Autor in
meinen Augen ebenfalls auszeichnet: Er fühlt und analysiert Sprache
unnachahmlich. Und in seinem Roman „Geschenkt“ beweist Glattauer abermals sein
erzählerisches Können. Er entwirft interessante, facettenreiche Figuren, die
sich weiterentwickeln, und differenzierte Personenkonstellationen. Besonders
einfühlsam wird die Vater-Sohn-Beziehung geschildert.
Gerold
Plassek ist zu Beginn des Buchs der klassische Verlierertyp ohne größere
Ambitionen. Er hat sich seinen Alltag so eingerichtet, dass er seine
Komfortzone nicht verlassen muss, konsumiert auch regelmäßig große Mengen
Alkohol, legt wenig Wert auf sein äußeres Erscheinungsbild und in seinem Job
als Journalist zeigt er kaum Anstrengungsbereitschaft. Was ihn aber
auszeichnet, ist ein hohes Maß an Empathiefähigkeit und ein soziales Gewissen,
das sich auch in seinen Zeitungsmeldungen widerspiegelt, die er Tag für Tag
schreibt. Er löst bei seinen Leser:innen Betroffenheit aus. Als ihm dann
plötzlich sein unehelicher Sohn aus einer früheren Beziehung vorgestellt wird,
der nicht weiß, wer sein Vater ist, und zeitgleich auf einmal anonyme Spenden bei
Menschen eingehen, über die Gerold in seinen Texten berichtet hat, entwickelt
sich Gerold allmählich in eine ganz neue Richtung. Plötzlich wird er für seinen
Sohn Manuel zu einem Vorbild und er stellt fest, dass er mit seiner
journalistischen Tätigkeit etwas bewirken kann. Und das macht etwas mit Gerold.
An einer wichtigen Weggabelung im Leben trifft Gerold nun die richtigen
Entscheidungen und beweist Courage. Er wächst förmlich über sich hinaus und
blüht auf. Und aus dem anfänglichen Zyniker wird ein Macher und Gestalter.
Doch
nicht nur die Entwicklung von Gerold und der Vater-Sohn-Beziehung, die
emotional geschildert wird, trägt den Roman, auch will man wissen, wer hinter
den Spenden steckt und warum gerade Gerolds Texte den Wohltäter dazu bewegen,
Menschen größere Geldsummen zukommen zu lassen. Wird die Identität des Spenders
gelüftet? Wird Manuel erfahren, wer sein Vater ist? Und natürlich darf auch
eine kleine Romanze nicht fehlen. Finden Rebecca und Gerold zueinander? Beiläufig
gibt es auch noch einen Einblick in die Abläufe des Pressebetriebs. Und auch
humorvolle Passagen findet man (Gerolds Fahrradkauf, herrlich!). Und spannende,
überraschende Wendungen bleiben ebenfalls nicht ausgespart (ich will nicht zu
viel verraten). Sie treiben die Handlung ebenfalls gut voran und sorgen für
Abwechslung.
Fazit:
Wer einen Roman mit starken Figuren und tiefgründig ausgestalteten
Beziehungsverhältnissen mag, der ist hier genau richtig. Daniel Glattauer kann
erzählen und das auf angenehme, humorvolle Art und Weise. Das beweist er mit „Geschenkt“.
Seine Figuren sind charmant und lebensecht. Und auch wichtige,
gesellschaftspolitisch relevante Themen kommen nicht zu kurz. In diesem Buch
geht es vor allem um die Frage der sozialen Gerechtigkeit. Das hat mir gut
gefallen! Wenn ich den Roman mit einem anderen vergleichen müsste, so fiele mir
„Der Markisenmann“ von Jan Weiler ein. Und auch sind Berührungspunkte zu
anderen Romanen von Daniel Glattauer erkennbar: Das Spiel mit der Anonymität
hat auch in „Gut gegen Nordwind“ eine zentrale Rolle gespielt. Und das Thema „Flucht“
wird in „Die spürst du nicht“ wieder aufgegriffen. Von mir gibt es 5 Sterne!
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