„Du bist ein Hai“
Wer gut durchkonstruierte Thriller mit geschickt arrangierten
Perspektivwechseln mag und auch einmal eine andere Perspektive als die eines
klassischen Ermittlerteams einnehmen will, der ist bei dem Thriller „Die
Verborgenen“ von Linus Geschke genau richtig. Schon der Einstieg in den
Thriller ist in meinen Augen sehr gelungen, weil er irritiert. Selten liest man
eine „Du-Perspektive“. Und ich habe mich anfangs als Leser dagegen gewehrt, die
von außen aufgestülpte Perspektive zu übernehmen. Man bekommt eine fremde
Perspektive förmlich aufgedrängt. Ein schöner Effekt (und ist mir in dieser
Form noch nicht begegnet bisher)! Bei mir hat das sofort Neugier und Interesse
geweckt.
Im Anschluss folgen die Ich-Perspektiven von Sven und Franziska
Hoffmann. Und schnell wird klar, dass sich Sven fremdbestimmt und unglücklich
fühlt. Seine Frau nennt er abschätzig „Familien-Managerin“. Er versinkt in
Selbstzweifeln und stellt sein eigenes Lebensglück in Frage. Und auch Franziska
spürt die Entfremdung von ihrem Mann. Routinen sind in die Ehe eingekehrt. Kurzum:
Die Ehe befindet sich in einem kritischen Zustand. Das kommt gut zum Ausdruck.
Der Schreibstil ist eingängig und der Autor versteht es sehr gut,
Spannung sowie Abwechslung zu erzeugen und auch überraschende, unvorhersehbare
Wendungen einzubauen. Und ich war froh, dass die Handlung nicht zu sehr ins
Übersinnliche abdriftete (auch wenn Franziska anfangs recht esoterisch auf mich
wirkte). Und auch eine unheimliche Atmosphäre entsteht. In das Haus der
Hoffmanns dringt ein sog. „Phrogger“ ein, der in die intimsten Winkel eindringt
und die Privatsphäre der Bewohner verletzt. Ein weiteres Element, das die Spannung
steigert: Der Job von Sven. Er ist Journalist und berichtet über den Fall eines
vermissten Mädchens. Das verleiht der Handlung noch einmal zusätzliche „Triebkraft“.
Prima! Ebenfalls gelungen: Die eingestreuten Hinweise darauf, dass jede Figur
mehr weiß, als sie sagt. Alle Beteiligten haben ihre persönlichen Geheimnisse,
die man als Leser:in Schritt für Schritt aufdeckt. Heimlichkeiten und Lügen
spielen eine große Rolle. Und mit der Zeit wird das gegenseitige Misstrauen der
einzelnen Familienmitglieder größer und größer (auch befördert durch die
Aktionen des Phroggers). Das ist toll arrangiert!
Die Stärke des Autors ist es, Thriller sehr gut durchzukonstruieren.
Die Wechsel der Perspektiven sind geschickt platziert. Und Linus Geschke hat
viele kreative Ideen (auch was die Wendungen und die psychologische Seite der
Figuren angeht), das spürt man. Und das gefällt mir! Meine Erwartungen wurden
an vielen Stellen wunderbar durchbrochen. Und das macht einen sehr guten
Thriller aus! Das wirklich einzige, was man evtl. noch bemängeln könnte, ist
der Umstand, dass die Charakterzüge der Figuren stets auf dem „Silbertablett“
präsentiert werden (teils sehr kompakt), also sehr direkt und explizit. Das
Wesen der Protagonisten ergibt sich weniger aus ihren Handlungen und Worten, es
wird also nicht subtil vermittelt. Mich stört das aber nicht, weil Geschke
dafür andere Qualitäten an den Tag legt.
Fazit:
Mit Linus Geschke als Autor bin ich erstmals durch „Das Loft“
in Berührung gekommen; ein Thriller, der mir sehr gut gefallen hat (vgl. eine
frühere Rezension). Auf mich macht es den Eindruck, als ob der Autor ein Garant
für gut konstruierte, wendungsreiche Thriller mit geschickt platzierten
Wechseln von Perspektiven ist. Das Buch ist v.a. für solche Leser:innen geeignet,
die es unblutig und psychologisch mögen. Die Spannung entsteht vor allem
dadurch, dass die Figuren eine verborgene Seite aufweisen, die nach und nach
ans Tageslicht kommt. Und durch die Heimlichkeiten und Lügen entsteht Misstrauen.
Ich finde den Thriller sehr gut, aber nicht herausragend. Das Spannungsniveau
könnte noch ein wenig stärker ausgeprägt sein. 4 Sterne von mir!
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