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Sonntag, 18. Dezember 2022

Carlsen-Verlag (Hrsg.): Die Eiskönigin. Völlig unverfroren. Das große Buch mit den besten Geschichten


5 von 5 Sternen


Ein schöner Erzählband für alle Fans von Anna und Elsa


Die beiden Animationsfilme zu der „Eiskönigin“ sind die finanziell erfolgreichsten aller Zeiten (Stand: Dezember 2022). Auch meine beiden Töchter lieben die Geschichten um Anna und Elsa. So ist es nicht verwunderlich, dass wir hin und wieder auch etwas von den beiden Schwestern lesen. Dieses Mal haben wir uns für die Lektüre von „Das große Buch mit den besten Geschichten“ entschieden, das thematisch an den ersten Film anknüpft und vom Carlsen Verlag herausgegeben wurde.

 

Der Erzählband beinhaltet insgesamt 12 Geschichten mit einem durchschnittlichen Umfang von 15 Seiten. Dabei ist die erste Geschichte direkt an den Film angelehnt, während es sich bei den übrigen Erzählungen um eigenständige Geschichten handelt. So feiern die beiden Schwestern gemeinsam eine Pyjamaparty, veranstalten als Kinder eine Schneeballschlacht, während ihre Eltern Besuch von einem befreundeten Königspaar empfangen oder suchen gemeinsam mit Christoph, Sven und Olaf nach einem Eismonster in den Bergen. In einer weiteren Geschichte besorgt Elsa Anna ein Geschenk zum Geburtstag und in einer anderen Erzählung finden die Schwestern einen neuen Freund, ein niedliches Rentierjunges. Weiterhin wird Olafs Geburtstag gefeiert und Anna und Christoph springen als Babysitter für die Trollkinder ein. Es werden Winterspiele veranstaltet, ferne Königreiche werden besucht und es wird eine Sommerparade ausgerichtet. Nicht zuletzt erlebt Olaf einen perfekten Sommertag am Strand.

 

Es kommen in den Geschichten also alle beliebten Figuren aus den Filmen vor, mal steht Christoph im Zentrum der Handlung, mal Olaf, mal die beiden Schwestern. Es sind inhaltlich abwechslungsreiche Geschichten, die auch sprachlich altersgerecht gestaltet wurden. Wir sind beim Vorlesen über keine zu schwierige oder unverständliche Textstelle gestolpert. Abgerundet wird der Band durch die vielen tollen Bilder aus der Eisköniginnen-Welt. Auf jeder Seite gibt es schöne Bilder zu betrachten. Und mit Ausnahme der ersten Geschichte handelt es sich um eine vom Film unabhängige Bebilderung, die aber dem Stil der Filme treu bleibt. Das ist gelungen.

 

Fazit

Wir hatten ein paar schöne Vorlesestunden mit diesem Buch, die Texte sind ansprechend und fügen sich ohne weiteres in das Eisköniginnen-Universum ein. Durch die reichhaltige Bebilderung ist das Buch sehr motivierend für alle Kinder, die die Filme der Eiskönigin kennen und lieben. Die Erzählungen haben eine sehr angenehme Vorleselänge und sind auch vom Umfang ähnlich gestaltet worden. Es bietet sich ideal für abendliches Vorlesen an. Ich vergebe 5 Sterne!

 

Freitag, 16. Dezember 2022

Städing, Sabine - Die Stoffis. Alle für einen.


5 von 5 Sternen


Schöne Fortsetzung


Bei dem Kinderbuch „Die Stoffis. Alle für einen“, geschrieben von Sabine Städing und illustriert von Nadine Reitz, handelt es sich um den zweiten Band einer Reihe. Nach meinem Dafürhalten ist es ein gelungenes Kinderbuch mit einem warmherzigen Erzählton und liebreizenden Figuren. Ich empfehle aber mit Band 1 einzusteigen, um sich mit der Vorgeschichte der ausgesetzten Plüschtiere vertraut zu machen. Was mir besonders gut gefällt, ist der Lebensweltbezug der Geschichte. Schließlich spielt jedes Kind gerne mit Stofftieren und auch das Gefühl, alte Stofftiere abzugeben und auszurangieren, ist wohl jedem Kind bekannt. Hier knüpft das Buch schön an das Vorstellungsvermögen der jungen Zuhörer:innen an. 

 

Im Zentrum der Handlung stehen sechs Plüschtiere, die zu Beginn der Geschichte auch in pointierten Einführungstexten kurz eingeführt werden: Sunny bzw. Wunderfell (Einhorn), Minnie (der Kater), Helmut (der Hund), Melisande (Schildkröte), Sternchen (Seestern) und Rumpel (Bär). Das ist gut! Der rote Faden der Geschichte ist auch sehr klar erkennbar: Sternchen wird von Kindergartenkindern, die einen Ausflug unternehmen, einfach mitgenommen, und die anderen Stoffis versuchen nun, ihre Freundin wiederzufinden und zu retten. Dabei lernen sie auch weitere Plüschtiere kennen, die dann im weiteren Handlungsverlauf eine Rolle spielen.

 

Der Schreibstil ist, wie man es von Sabine Städing kennt, sehr flüssig und eingängig. Und die Autorin macht einfach Vieles richtig: Die Kapitel haben eine angenehme Länge zum Vorlesen, sie haben zudem einen ähnlichen Umfang. Die Bilder sind textunterstützend, farbenfroh und äußerst putzig. Der Wortschatz ist kindgerecht. Und anders als in ersten Band wird diese Mal auf die Verwendung anspruchsvollerer Lexik verzichtet. Der Wortschatz ist also etwas vereinfacht worden, was ich schon schade finde (vgl. dazu meine frühere Rezension zu Band 1). Und nicht zuletzt weist das Buch wieder folgende wichtige Themen auf, die man auch beim Gespräch über das Buch nach Bedarf weiter vertiefen kann: „Zusammenhalt“, „Freundschaft“ und „Hilfsbereitschaft“.

 

Noch einige wenige Sätze zu den bunten Zeichnungen, die wirklich liebevoll gestaltet worden sind: Insgesamt enthält das Buch 34 Bilder auf 111 Seiten. Das ist eine Bebilderungsquote von 30%. Im ersten Band lag die Bebilderungsquote bei 32%. Großflächige Bilder, die mehr als eine halbe Seite umfassen, gibt es relativ wenige: Insgesamt 11 (ca. 10%). In Band 1 lag diese Quote noch bei 15%. Was ich damit sagen will: In Band 2 hat sich die Bebilderungsquote etwas verringert und es gibt auch einmal längere Abschnitte ohne ein Bild.

 

Wie schon Band 1 punktet das Buch dafür aber wieder mit motivierenden Belohnungsstickern, die nach jedem gelesenen Kapitel von den Kindern eingeklebt werden können. Was die Nachbereitung der Lektüre betrifft, war der erste Band aber wiederum vielfältiger. Dieses Mal gibt es keine kreative Aufgabe und auch kein Rezept zum Ausprobieren (vgl. meine frühere Rezension). Aber mich hat das nicht gestört. Schließlich kann man ein solches Angebot nicht jedes Mal erwarten.

 

Fazit

Ein durchdacht konzipiertes Kinderbuch mit vielen lebensweltrelevanten Themen. Es ist eine gelungene Fortsetzung zu Band 1, aber man merkt auch, dass Band 1 noch ein Stück besser war. So war die Bebilderungsquote höher, die Lexik war stellenweise auch einmal etwas fordernder und es gab noch mehr Angebote für die Nachbereitung des Textes. Dennoch bleibt das Buch ein äußerst gelungenes Kinderbuch und erhält von mir knappe 5 Sterne.

Sonntag, 11. Dezember 2022

Valentin, Mira - Druidendämmerung


3 von 5 Sternen


Druidenanwärter Mylo als Monsterpfleger

 

Nach langer Zeit habe ich mich mal wieder einem Genre angenähert, das ich schon länger aus den Augen verloren hatte: Fantasy. Seit Patrick Rothfuss bin ich auf der Suche nach Werken, die einen ähnlich reizvollen Charakter aufweisen wie Kvothe. Und „Druidendämmerung“ von Mira Valentin klang hier vielversprechend, auch die Leseprobe las sich gut. Es geht um den Druidenanwärter Mylo, der die verantwortungsvolle Aufgabe übernommen hat, als „Monsterpfleger“ die gefährlichen Geschöpfe eines magischen Waldes zu hüten. Doch dem Vergleich mit Rothfuss kann das Buch leider nicht standhalten, so viel kann ich an dieser Stelle schon verraten.

 

Zunächst zum Positiven: Die Autorin hat sich eine komplexe fiktive Welt überlegt, eine Welt mit vielen magischen Wesen, die auch im Anhang in Form eines kleinen Lexikons näher erläutert werden. Das ist durchaus gelungen und kann überzeugen. Bei Bedarf kann man während der Lektüre immer mal wieder einen Blick in dieses „Lexikon“ werfen. Auf den ersten Seiten werden diese sonderbaren Wesen nach und nach und durchaus kompakt eingeführt und man muss mit den vielen fremdartigen Bezeichnungen zurechtkommen. Das ist zu Beginn etwas fordernd, aber es klappt! Auf jeden Fall ist lobenswert, mit wie viel Liebe zum Detail die Geschöpfe entworfen worden sind. Das ist stark! Sie werden ausschmückend beschrieben, so dass im Kopf des Lesers ein klares Bild entsteht.

 

Was mir auch gut gefallen hat, ist die Darstellung des Beziehungsverhältnisses zwischen Mylo und dem Brownie Broc. Beide freunden sich schon ziemlich zu Beginn miteinander an und Broc bringt ein wenig Humor mit in die Handlung hinein. Leider gerät diese vielversprechende Figurenkonstellation mit voranschreitender Handlung aber immer mehr aus dem Blickfeld. Das fand ich schade! Die Handlung wirkt stringent geradlinig erzählt, ohne Rückblicke oder Perspektivwechsel. Das sorgt für Dynamik und man kann dem Inhalt als Leser leicht folgen.

 

Nun zu dem, was mich beim Lesen gestört hat: Es hat lange gedauert, bis ich einen Zugang zum Werk gefunden habe. Lange war mir auch nicht klar, welches Ziel Mylo überhaupt verfolgt. An vielen Stellen wird mir zu wenig erläutert, warum bestimmte Handlungen bestimmte Auswirkungen haben, es fehlte mir Kontext. Wie z.B. gewinnt man eine Haut? Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, was für eine Aufgabe Mylo konkret zu lösen hat, was er dafür tun muss.

 

Einiges erscheint mir auch zu konstruiert: Warum wird einem Anwärter die Verantwortung auferlegt, allein solch gefährliche Wesen zu pflegen? Warum setzt man ihn einer solchen Gefahr aus? Warum muss er dann allein Hilfe bei dem bösartigsten Wesen des Waldes suchen? Nicht immer passten die auszuführenden Handlungen zum Charakter: So ist die Schilderung von Mylos Begegnung mit Torvis recht amüsant gestaltet, aber wenn man bedenkt, dass er ihre Haut beschaffen soll, passt dieser Erzählton für mich nicht zur Situation. Überhaupt passt ein solches Verhalten nicht zu Mylo, er wirkt auf mich keineswegs heimtückisch oder gar kalt und berechnend. Grundsätzlich hätte ich mir gewünscht, dass die Gefühls- und Gedankenebene der Charaktere stärker zur Geltung kommt.

 

Insbesondere in der ersten Hälfte des Buchs ging mir einiges viel zu schnell vonstatten. So erfährt Mylo gerade erst, wie er sich vom Fluch befreien kann, schon findet er sich ein paar Seiten später bei dem bösartigen Wesen, dem Nuckelavee wieder. Grundsätzlich waren mir beim Lesen die Sprünge von einem Handlungsabschnitt zum nächsten manchmal etwas zu hastig, vor allem zu Beginn. Die Übergänge zwischen den Handlungsschritten hätten fließender ausgestaltet werden können. Auch hätte ich mir gewünscht, dass man mehr über das Leben als Druide bzw. Druidenanwärter erfährt.

 

Fazit

Mir fiel es schwer Zugang zum Inhalt des Buchs zu finden. Die fiktive Fantasiewelt ist zwar mit viel Liebe zum Detail ausgestaltet worden, auch das Beziehungsverhältnis von Mylo und Broc ist gelungen. Aber in meinen Augen hat das Werk doch einige „handwerkliche“ Schwächen. Insgesamt war mir der Text zu ziellos, die Figuren besitzen zu wenig psychologische Tiefe. Ich vergebe 3 Sterne!

Samstag, 10. Dezember 2022

Lesch, Harald - Was hat das Universum mit mir zu tun?


5 von 5 Sternen


Kosmologie – für Laien verständlich und faszinierend erklärt


Harald Lesch dürfte den meisten Leser:innen durch seine Fernsehsendungen bekannt sein, so z.B. durch Leschs Kosmos auf dem ZDF. Er ist zudem Professor für Theoretische Astrophysik an der Universität München. Mir gefällt sein sehr verständlicher Sprachstil. Und da ich mich für Kosmologie interessiere, habe ich sein kompaktes Sachbuch „Was hat das Universum mit mir zu tun“ gelesen. In diesem Werk nimmt uns der Autor mit auf eine interessante Reise durch den Kosmos und erläutert in knappen Kapiteln hochkomplexe Sachverhalte weitestgehend auch für Laien nachvollziehbar.

 

Eine viel zu kurze Geschichte der Astronomie

Im ersten Kapitel wird ein knapper historischer Abriss zum Wissenschaftszweig der Astronomie gegeben. Dabei werden klassische Begriffe wie „big bang“ oder „Lichtgeschwindigkeit“ eingeführt. Der Autor geht hier nicht wesentlich über das hinaus, was man als kosmologisch Interessierter von seinem Allgemeinwissen her kennt. Interessant fand ich aber den Hinweis, dass die Anordnung der Planeten in unserem Sonnensystem keinen Normalfall unter den Sternensystemen darstellt. Ebenso fand ich die Bemerkung zur aktuellen Erkenntnisschranke interessant. Die dunkle Materie und die dunkle Energie würden immer noch ein großes Rätsel für die kosmologische Forschung darstellen. Auch wissenswert: Über einen bestimmten Zeitpunkt des Kosmos könne man aufgrund der zu hohen Hintergrundstrahlung nicht hinausblicken. Die frühen Anfänge des Universums würden uns bisher verborgen bleiben, so Lesch.

 

Stabilität im Kosmos

Was der Autor in meinen Augen hier gut vermittelt, ist die Vorstellung über das ungeheure Ausmaß des Kosmos. Auch wird klar veranschaulicht, dass die Evolution eine gewisse Kontinuität und Stabilität benötigte, damit die Entwicklung ungestört voranschreiten konnte. Es sei nie zu einem totalen Abbruch in der Evolution gekommen. Auch gebe es Kräfte, die überall wirken, einerseits die Schwerkraft, andererseits die elektromagnetische Kraft. Das Universum sei nicht chaotisch und verändere sich nicht pausenlos.

 

Von den Gesetzen der Natur

In diesem Kapitel wird gut deutlich, dass die Abläufe der Gestirne auf die Entwicklung der Geschichte der Menschheit einen großen Einfluss ausübten. Auch geht es um die Entdeckung der Naturgesetze und um die Frage, ob diese Naturgesetze tatsächlich existieren oder ob sie für den Menschen nur ein Hilfsmittel sind, um mit der Natur zurechtzukommen. Nach Ansicht des Autors gelten Naturgesetze auch unabhängig von der menschlichen Existenz. Eine höchst philosophische Frage! Was ich ebenfalls sehr treffend fand, war die Aussage des Autors, dass das Universum ein sich selbst stabilisierender Selbstorganisationsprozess ist.

 

Unser Bild von der Natur

Hier stellt der Autor die Leistungen großer Entdecker heraus, darunter Kopernikus und Kepler sowie Galilei oder Newton. Die Fortschritte bei der Berechnung der Himmelsmechanik hätten sich auch in den Ideen zur Aufklärung niedergeschlagen. Die Menschen glaubten daran, die Natur mit Hilfe von Zahlen und Formeln begreifbar und kontrollierbar zu machen, so Lesch. Dem Autor gelingt es gut, einen Bogen zur geistesgeschichtlichen Entwicklung zu schlagen. Sehr lesenswert!

 

Der Stoff aus dem die Sterne sind

Hier widmet sich der Autor der Frage, wie die Atome entstanden sind. Dafür wird einiges über die Sonne erläutert. So sei z.B. im 19. Jahrhundert noch völlig unklar gewesen, woher die Sonne ihre Energie nimmt und wie lange sie überhaupt existiert. Es habe lange gedauert, bis sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass Sterne Fusionsreaktoren sind. Auch der Kreislauf von Sternentstehung und Ableben des Sterns wird sehr anschaulich erläutert.

 

Unser kosmisches Zuhause wird geboren – von wandelnden Riesenplaneten

Hier widmet sich der Autor der Bildung der Gasriesen in unserem Sonnensystem. Diese hätten sich als erste Planeten überhaupt gebildet. Jupiter und Saturn wären zudem im Laufe der Jahrmillionen „gewandert“ und hätten ihre Position im Sonnensystem verändert. Das wusste ich noch nicht! Auch böten beide Gasriesen der Erde zufällig auch noch einen gewissen Schutz, da sie mit ihrer Gravitation gefährliche Asteroiden von der Erde fernhalten.

 

Staub wird zu Fels

In diesem Kapitel geht es thematisch um die Herausbildung der Gesteinsplaneten. Der Autor beschreibt den Prozess, der sich bei der Bildung von Planeten ereignet, angefangen von einem ersten Staubkorn über einen ersten großen Gesteinsbrocken bis hin zum Planeten selbst. Sehr interessant! Auch wird von Lesch die Theorie in den Raum gestellt, dass unsere Erde zu einer noch sehr frühen Zeit von einem Protoplaneten getroffen worden sei. So sei dann der Mond entstanden. Und ohne den Mond wiederum würde die Achse der Erde viel stärker schwanken. Das biologische Leben hätte ohne den Mond also schlechtere Bedingungen vorgefunden. Faszinierend! Das irdische Wasser wiederum sei vermutlich von Kometen auf die Erde gebracht worden.

 

Der schönste Planet der Milchstraße

In diesem Kapitel habe ich ebenfalls eine neue Information erhalten: Die Leuchtkraft der Sonne hat mit der Zeit zugenommen, so der Autor. Die habitable Zone um die Sonne habe sich also im Laufe der Zeit verändert. Spannend! Lesch erläutert darüber hinaus, wie überhaupt flüssiges Wasser auf der Erde entstehen und sich halten konnte. Letztlich wurde mir als Leser einfach einmal wieder deutlich, wie viele glückliche Umstände nötig waren, damit Leben auf der Erde entstehen konnte.

 

Die Bausteine des Lebendigen

Der Autor nimmt hier eine physikalische Definition von Leben vor. Lesch macht deutlich, dass der Mensch zu 92% aus Material besteht, das zuvor in Sternen erbrütet worden ist. Auch widmet sich der Autor der Frage, wann das Leben auf der Erde erstmals begonnen hat und wie es wohl aussah.

 

Von möglichen Unfällen, Katastrophen und Zufällen

In diesem Kapitel geht es um die Frage, ob kosmische Superereignisse das Schicksal der Erde oder des Sonnensystems negativ beeinflussen könnten. Bisher zeichne sich nicht ab, dass die Stabilität, die in unserem Planetensystem herrscht, gestört werden könnte.

 

In den nachfolgenden Kapiteln, die ich nicht mehr im Detail darstellen möchte, erläutert Lesch dann nachvollziehbar die Grundkräfte, die im Universum herrschen, dazu gehört u.a. die Gravitation. Auch geht der Autor auf die Welt der Moleküle ein. Es schließen sich zudem weitere Überlegungen zur Zeit und zur dunklen Materie an. Bis heute sei immer noch unklar, woraus die dunkle Materie besteht. Ein weiteres Thema, das Lesch beleuchtet: Schwarze Löcher.

 

Fazit

Lesch nimmt die Leser:innen mit auf eine faszinierende Reise durch den Kosmos, und das auf verständliche und nachvollziehbare Art und Weise. Ich habe durch die Lektüre wieder einiges Neues dazulernen können, z.B. dass sich die Position der Gasplaneten in unserem  Sonnensystem sowie die der habitablen Zone um die Sonne im Laufe der Zeit verändert hat. Auch zur Entstehungsgeschichte des Mondes habe ich einige interessante neue Fakten kennengelernt. So macht Kosmologie Spaß! Ich vergebe 5 Sterne.

Freitag, 9. Dezember 2022

Scherzer, Greta und Lejla Tiro Scherzer - Luki träumt von der Schule.


5 von 5 Sternen


Luki bringt den Schulalltag durcheinander


Die Geschichte wird aus der Perspektive des Katers erzählt, was dafür sorgt, dass bei den jungen Zuhörer:innen Empathie gefördert wird. Aus Versehen gerät Luki mit in die Schule und sorgt dann dort für ein wenig Chaos, als Mila ihren Ranzen öffnet. Was mir gut gefallen hat, ist der Umstand, dass die Lehrerin situationsangemessen reagiert und das Tier prompt in den Unterricht integriert. Sie spricht mit den Kindern über das Thema „Haustiere“ statt über Mathe.

 

Man merkt, dass die Kinder motiviert sind, sich mitzuteilen und über ihre eigenen Haustiere zu sprechen. Es ist schön, dass hier einmal nicht das Klischee einer strengen, mürrischen Lehrerin bedient wird, die nur auf die Einhaltung von Regeln besteht, wie man es auch des Öfteren in Kinderbüchern findet, sondern dass hier das Bild einer freundlichen, zugewandten Lehrkraft gezeigt wird, die pädagogisch angemessen reagiert und den Spaß der Kinder zulässt.

 

Grundsätzlich ist dieses Buch auch eine gute Auseinandersetzung mit dem Thema „Haustierhaltung“. Gerade für Kinder, die sich ein Haustier wünschen, wird hier bereits deutlich gemacht, dass auch Verantwortung für das Tier mit der Haltung einhergeht. Beiläufig lernt man ein wenig über Katzen dazu und darüber, was sie fressen oder wie alt sie werden.

 

Es ist in diesem Buch aber nicht so, dass der Kater den Schulalltag aus seiner Perspektive erlebt und schildert. So hatte ich es mir ursprünglich vorgestellt. Sondern es geht darum, dass der Schulalltag durch sein Auftauchen ein wenig durcheinandergewirbelt wird. Es geht also nicht um das Thema „Einschulung“ o.ä. Mit dieser falschen Erwartungshaltung bin ich anfänglich an dieses Kinderbuch herangegangen.

 

Die Bebilderung ist ansprechend, Luki steht hier ganz klar im Zentrum der Aufmerksamkeit. Er taucht auf den meisten Bildern auf und spielt ganz klar die Hauptrolle in diesem Buch. Die Sprachgestaltung ist kindgerecht, die Satzkonstruktionen sind einfach gehalten und auch der Wortschatz ist schon für jüngere Kinder gut verständlich.

 

Das einzige, was ich noch als Verbesserungsvorschlag unterbreiten kann, ist das Folgende: Auf S. 14 wird nicht klar zwischen den Begriffen „Katze“ und „Kater“ unterschieden. Das hätte sich hier jedoch durchaus angeboten.

 

Fazit

Ein Kinderbuch, das sich schon für jüngere Kinder gut als Vorlesebuch eignet. Der Wortschatz und die Satzkonstruktionen sind einfach gehalten. Das Thema ist für Kinder, lebensweltrelevant. Denn der Wunsch nach Haustieren kommt ja immer wieder einmal auf. Hier wird beiläufig etwas Wissen zu Katzen vermittelt. Zudem agiert die Lehrerin hier freundlich und zugewandt. Das hat mir ebenfalls gut gefallen. Ich vergebe knappe 5 Sterne!

Mittwoch, 7. Dezember 2022

Van Rensburg, Laure - Nur du und ich


4 von 5 Sternen


Das Wochenende der Abrechnung


Ich mag psychologisch-angehauchte Thriller mit viel Innensicht. Aus diesem Grund entschied ich mich für die Lektüre von „Nur du und ich“ von Laure van Rensburg. Und mich hat die Handlung überzeugt, die Ausarbeitung der Gefühls- und Gedankenebenen der Figuren ist sehr gut gelungen.

Auf den ersten 100 Seiten werden die beiden zentralen Protagonisten recht langsam und ausführlich eingeführt. Die Autorin nimmt sich Zeit und das ist gut so. Der Kontrast zwischen der anfänglichen Harmonie und dem dann einsetzenden Drama wird so deutlicher. Zu Beginn ist alles harmonisch, Ellie und Steven genießen ihre Zweisamkeit. Körperlichkeit und Intimität spielen anfangs eine große Rolle. Die Atmosphäre ist idyllisch. Die Gefühlsebene beider Figuren wird gut eingefangen und dargestellt. Allerdings blitzen auch schon erste besitzergreifende Gedanken bei Steven auf. Das ist sehr gut gemacht! Es wird schon gut deutlich, dass Steven der dominante Part in der Beziehung ist. Es macht auch zu Beginn den Eindruck, dass Ellie sich etwas abhängig von Steven macht.

Als der zweite Tag des gemeinsamen Wochenendes anbricht, ereignet sich eine unvorhersehbare und interessante Wendung. Steven findet sich plötzlich gefesselt wieder und kann sich an nichts erinnern. Seine anfängliche Machtposition ändert sich nun. Und von diesem Zeitpunkt an, nimmt auch die Spannung zu. Es folgt ein intensives Psychoduell auf engstem Raum. Und man fragt sich: Was ist Steven passiert? Was wird man ihm antun? Und was sind die Hintergründe? Das hat mir gut gefallen. Das Wechselspiel der Dominanz ist gut arrangiert. Und das Psychoduell wird mit der Zeit immer intensiver. Die Bedrohung für Steven nimmt immer mehr zu. Man fragt sich, was er in seiner aussichtslosen Position des Ausgeliefertseins tun wird und wie er sich verhalten wird. Letztlich geht es um die Themen „Rache“ und „Selbstjustiz“. Und zu spät erkennt Steven, wie viele Warnzeichen er in der Vergangenheit nicht wahrgenommen hat.

Das Werk bietet viel Innensicht, man taucht tief ein in die Gefühlsebenen der Protagonisten. Immer wieder werden vergangene Ereignisse reflektiert, um die Handlung verständlich zu machen. Das alles hat mir gut gefallen. Und was man der Autorin hier hoch anrechnen muss: Die Innensicht der Figuren wurde unheimlich detailliert und plausibel ausgearbeitet. Das ist anspruchsvoll! In meinen Augen eine große schriftstellerische Leistung von Laure van Rensburg. Nur die Spannung leidet natürlich etwas darunter. Wir haben es hier nicht mit einem temporeichen Thriller zu tun, sondern mit einem intensiv-psychologisch angehauchten Werk. Es handelt sich mehr um Spannungsliteratur. Mich hat das aber überhaupt nicht gestört, im Gegenteil.  

Trotzdem habe ich noch einige wenige Verbesserungsvorschläge: Was in meinen Augen noch etwas ausführlicher hätte ausgeführt werden können, sind die psychischen Probleme von Ellie, die immer einmal wieder unter Panikattacken leidet. Hier wird erzählerisches Potential in meinen Augen nicht genutzt. Darüber hinaus empfand ich die eingeschobenen Kapitel mit Datumsangaben als „leseflussstörend“. Nach meinem Gefühl hatten sie keinen dramatisierenden Effekt. Man hätte sie auch auslassen können.

 

Fazit

Laure van Rensburg legt hier ein Werk vor, in dem ein intensives Psychoduell auf engstem Raum geschildert wird. Die Themen sind „Rache“ und „Selbstjustiz“. Geboten wird viel Innensicht, die sehr differenziert und logisch nachvollziehbar gestaltet worden ist. Es handelt sich um psychologisch angehauchte Spannungsliteratur, die bestimmt viele interessierte Leser:innen finden wird. Man verfolgt das Geschehen um Steven gebannt und möchte erfahren, was aus ihm wird. Ich vergebe 4 Sterne. Warum nicht 5 Sterne? Weil ich doch einige wenige Verbesserungsvorschläge unterbreiten konnte.

Dienstag, 6. Dezember 2022

Glukhovsky, Dmitry - Geschichten aus der Heimat


4 von 5 Sternen


Glukhovsky – Ein Seismograph der russischen Gesellschaft


Der Autor Dmitry Glukhovsky wird vielen Lesern durch seinen Bestseller „Metro 2033“ bekannt sein. Nun ist im Heyne-Verlag die Übersetzung von vielen seiner Erzählungen, die vorwiegend aus den Jahren 2010 und 2012 stammen (russ. Originaltitel „Рассказы о родине“, Anm. d. Verf.), in Form einer Anthologie erschienen. Darin werden schon sehr weitsichtig und feinsinnig gesellschaftliche Missstände anprangert. Titel dieses Sammelbands „Geschichten aus der Heimat“, toll übersetzt von Christiane Pöhlmann, Franziska Zwerg und M. David Drevs. Und der Inhalt ist aufgrund des brutalen Angriffskriegs auf die Ukraine wieder sehr aktuell geworden. Ich wundere mich beispielsweise über den ausbleibenden zivilen Widerstand in Russland. Und Glukhovsky macht in seinen Erzählungen an fiktiven Geschichten gut deutlich, wie die russische Gesellschaft „tickt“. Inzwischen ist der Autor im eigenen Land zur Fahndung ausgeschrieben und musste das Land verlassen.

 

Schon in seinem Vorwort macht der Autor deutlich, was er von seinem Vaterland hält. Mit einem bitterbösen, bissigen Ton kommentiert er den Wandel, den das Land seit Zusammenbruch der UdSSR durchlaufen hat. Mit seinen Geschichten möchte Glukhovsky seiner Heimat eine Art Diagnose stellen. Und dabei nimmt er kein Blatt vor den Mund. Er bedient sich dafür vor allem der Mittel von Satire, Sarkasmus, Ironie und Polemik. Darauf muss man sich gefasst machen, wenn man dieses Werk liest.

Die Anthologie enthält 20 Erzählungen, die ich nicht alle im Detail besprechen kann. Ich beschränke mich hier auf solche Geschichten, die ich persönlich als Highlight empfunden habe.

 

„Alles hat seinen Preis“

In dieser Erzählung geht es um den Tadschiken Abdurrahim, der als Wanderarbeiter in einer Arbeitsbrigade auf einer Baustelle am höchsten Wolkenkratzer in Moskau arbeitet. Er muss feststellen, dass in den obersten Stockwerken ein Organhandel stattfindet. Den armen tadschikischen Wanderarbeitern werden die Organe entnommen. In einer anderen Perspektive werden gleichzeitig die Arbeitgeber und ihre skrupellosen Machenschaften dargestellt. Es geht hier also um eine Kritik an der Ausbeutung von Fremdarbeitern. Der Erzählton ist grob, hart und direkt.

 

„From Hell“

Michail Semjonowitsch, ein Geologe auf Forschungsreise in Sibieren, entdeckt bei seinen Bohrungen zufällig die Unterwelt und trifft auf ein unheimliches Monster. In Moskau droht man ihm mit der Psychiatrie, sollte er seine Entdeckung publik machen. Eingeflochten in diese sehr gelungene Erzählung sind kursiv gedruckte Passagen zu Medienberichten des russischen Fernsehens, in denen die mediale Beeinflussung der Bevölkerung satirisch aufs Korn genommen wird. Gleichzeitig wird eine Kritik an den Zuständen der Sowjetunion deutlich, in der Systemkritiker dadurch mundtot gemacht wurden, dass man ihnen psychische Krankheiten attestierte.

Bevor Semjonowitsch seine Arbeiten publik machen kann und einen Vortrag hält, erhält er plötzlich und unerwartet einen Anruf vom Gazprom-Konzern, der ihm einen neuen Job anbieten. Doch der Geologe bleibt standhaft. Es geht ihm um die Wahrheit, doch er wird nur verlacht. Auch hierin steckt natürlich eine bissige Kritik am Unternehmen. Sehr amüsant ist hierbei auch die Anspielung auf Faust. So erhält ein Mitarbeiter von Gazprom mephistophelische Züge. Gazprom steht in direkter Verbindung mit der Hölle. Diese liefert das Gas für das Staatsunternehmen. Diese Erzählung hat mir sehr gut gefallen.

 

„Vor der Flaute“

In dieser Geschichte geht es darum, dass ein erfolgreicher Moderator aufgrund von Erfolglosigkeit abgesetzt werden soll. Die neue Programmpolitik konzentriert sich auf die Themen „Sex“, „Tod“ und „Geld“, da sei für Wladimir Bogow mit seiner Sendung kein Platz mehr. Im Zentrum steht hier also die Medienkritik. Herzhaft lachen musste ich bei der Metapher des Heißluftballons. Der abgesetzte Moderator entwickelt daraufhin ein neues Konzept für seine Sendung, um damit seinen eigenen Job zu sichern. Bezeichnenderweise trägt die neue Sendung dann den schlagkräftigen Titel „Keilerei“. Letztlich wird gut deutlich, dass der Autor hier einerseits die Propaganda, die in den Medien betrieben wird, kritisiert, und andererseits ihre Verrohung.

 

Was mir gut an den Erzählungen von Glukhovsky gefallen hat, sind die zahlreichen intertextuellen und intermedialen Anspielungen, die immer einmal wieder vorkommen. Natürlich kann man die Lektüre seines Buchs mehr genießen, wenn man etwas landeskundliche Kenntnisse besitzt und weiß, wie sich die russische Gesellschaft in den letzten Jahren entwickelt hat. So sollte man bei dem Text „Vor der Flaute“ (S. 57-77) beispielsweise wissen, wer Boris Nemzov und Wladimir Schirinowski sind. Sonst versteht man die versteckten Anspielungen nicht. Als Ergänzung zu dieser Anthologie kann ich wärmstens das Sachbuch „Die Wahrheit ist der Feind“ von Golineh Atai empfehlen (vgl. dazu eine frühere Rezension). Atai verweist z.B. auch darauf, dass der Ton in den Medien insgesamt aggressiver geworden sei.

 

In den anderen Erzählungen werden weitere wichtige Themen angeschnitten, die ein facettenreiches Bild der russischen Gesellschaft zeichnen: Korruption im Polizeiwesen (Erzählung „Eine gute Sache“), Kritik am Personenkult um den Premierminister und um den Präsidenten (Erzählung „Die wichtigste Nachricht“), Kritik am Verhalten von russischen Diplomaten im Ausland (Erzählung „Utopia“), Kritik am von oben verordneten Patriotismus (Erzählung „Eine für alle“), Alkoholismus (Erzählung „Am Boden“), Wahlbetrug (Erzählung „Ex machina“), Seilschaften und Vetternwirtschaft (Erzählung „Appell“), Kritik am russischen Rechtssystem (Erzählung „Telefonjustiz“), Bestechlichkeit (Erzählung „Die Offenbarung“), Kritik an Arbeitsbedingungen (Erzählung „Schwefel“) und nicht zuletzt eine Kritik am Gesundheitssystem (Erzählung „Ein Jahr wie drei“),

 

Darüber hinaus ist auch die bildhafte Sprache, die der Autor an vielen Stellen verwendet, lobenswert. Über die kreative Sprachgestaltung, besonders in Form von interessanten Personifikationen, musste ich des Öfteren schmunzeln. Punktuell sind die verwendeten Bilder aber auch einmal recht anzüglich („Die gealterte, aufgehübschte Twerskaja streckte ihre steinernen Schenkel vor ihnen aus, die Limousine bretterte über den Roten Platz (…) Die Limousine penetrierte die Kremlmauer (…) und so landete Iwan Wladimirowitsch im Kreml wie ein einsames, völlig verblüfftes Spermatozoid in einem Präservativ aus Stein“, S. 247). Auch vor Tabubrüchen schreckt der Autor bei seinen Seitenhieben nicht zurück (vgl. z.B. S. 274). In einigen Erzählungen finden sich zudem Science-Fiction-Elemente. Auch das empfand ich als sehr kreativ.

 

Fazit

Die Anthologie vereint zahlreiche Erzählungen, die einen bitterbösen Erzählton aufweisen und eine schonungslose und harte Abrechnung mit der russischen Gesellschaft darstellen. Es gibt einige erzählerische Highlights. Die Geschichte, die mir am besten gefallen hat, trägt den Titel „From Hell“. Auch die bildhafte Sprachgestaltung hat mich bestens unterhalten. Ich vergebe 4 Sterne! Warum nicht 5 Sterne? In meinen Augen sind nicht alle Geschichten gleich gut. Auch versteht man in einigen Erzählungen die Anspielungen ohne Hintergrundwissen nicht immer angemessen. Hier hätte ich einen Anhang mit Erläuterungen hilfreich gefunden.

Montag, 5. Dezember 2022

Ware, Ruth - Das Chalet


5 von 5 Sternen


Ein mehrperspektivischer Thriller von Ruth Ware

In ihrem Thriller „Das Chalet“ greift Ruth Ware gegenüber ihren übrigen Werken auf eine andere erzähltechnische Herangehensweisen zurück (vgl. dazu meine früheren Rezensionen). Und das ist gelungen! Sie erzählt die Ereignisse nun aus zwei Blickwinkeln, die sich abwechseln. Auch haben wir eine Vielzahl an Figuren, die aber durch ein Personenregister „leserentlastend“ zu Beginn bereits eingeführt werden. Eine gute Orientierungshilfe! Dennoch ist gerade der Einstieg ins Buch fordernd. Das ist anders als bei den übrigen Thrillern, die ich von Ruth Ware bisher kennen gelernt habe. Man muss erst alle Figuren mit ihren Eigenheiten jeweils kennenlernen. Aber durch die Schilderung der Ankunft im Chalet nimmt sich die Autorin genügend Zeit für die Einführung der Charaktere. Es handelt sich um Angehörige eines Start-Up-Unternehmens, das eine Musik-App entwickelt hat, und die nun eine Entscheidung über eine mögliche Übernahme diskutieren wollen.

 

Es werden zwei Perspektiven im Wechsel dargeboten, auf der einen Seite die von Liz, bei der man lange nicht weiß, welche Rolle sie eigentlich im Unternehmen einnimmt, und auf der anderen Seite Erin, die Gastgeberin im Chalet, die die Gäste bewirtet und für das leibliche Wohl sorgt. Erin nimmt eine Art Beobachterrolle ein und betrachtet das Handeln der Gruppe von außen. Natürlich kommen die klassischen „Ruth-Ware-Elemente“ nicht zu kurz: Wir haben eine gelungene Charakterzeichnung. Besonders gut gefallen hat mir die Konzeption von Liz, die wie eine wenig selbstsichere Außenseiterin wirkt und psychische Probleme zu haben scheint. Sie macht einen instabilen, labilen Eindruck. Das ist gelungen. Auch die Charakterisierung von Topher hat mich überzeugt. Er ist überheblich, stur, wenig empathisch, ungeduldig und hart in seinem Urteil gegenüber anderen.

 

Und was der Autorin ebenfalls gut gelingt: Das Einfangen der Gruppendynamik. Hier kehrt Ruth Ware zurück zu ihren Ursprüngen, d.h. zu ihrem Erstlingswerk. Auch im Thriller „Im dunklen, dunklen Wald“ werden die gruppendynamischen Prozesse sehr gut erzählerisch aufbereitet. Es ist einfach geschickt, Erin als Beobachterin von außen als Figur ins Spiel zu bringen. Sie seziert das Geschehen förmlich. Sie nimmt die Grüppchenbildung und die Spannung in der Luft sofort wahr. Toll! Hinzu kommen dann noch Gewissenskonflikte innerhalb der Gruppe und die Frage nach Loyalitäten bzw. Egoismus. Die Stimmung ist aufgeheizt. Auch das wird gut dargestellt. Die Spannung resultiert aus der Frage, wer von den Gästen wie abstimmt, was das Übernahmeangebot betrifft.

 

Die Atmosphäre in den Bergen wird ebenfalls gut beschrieben. Hierfür sorgt z.B. das gemeinsame Skifahren. Auch der Handlungsort ist geschickt gewählt: Ein abgelegenes Chalet, von der Außenwelt abgeschnitten. Ein typisches Ruth Ware Charakteristikum! Die Spannung zieht dann spätestens dann an, als nach der Rückkehr von einer gemeinsamen Ski-Tour ein Mitglied der Gruppe vermisst wird und eine Lawine dafür sorgt, dass das Chalet von der Außenwelt abgeschnitten ist. Was ich hier sehr bezeichnend fand: Die Gruppe wirkt trotz der Ereignisse geschäftsmäßig, macht sich mehr Gedanken über die bevorstehende Übernahme als über das menschliche Leid. Dann kommt es zu einem Mord, was der Klappentext ja bereits verrät. Noch einmal steigert sich die Spannung.

Und dann wendet die Autorin einen weiteren erzähltechnischen Kunstgriff an: Sie verengt das Figurenensemble auf zwei Charaktere. Es entsteht dadurch ein psychisches und physisches Duell. Das ist prima arrangiert und steigert die Spannungsintensität noch einmal zusätzlich. Auch erscheinen auf einmal Dinge aus der Vergangenheit in einem anderen Licht. Das hat mich ebenfalls überzeugt.

 

Fazit

Ruth Ware beschreitet in erzähltechnischer Hinsicht neue Wege. Sie erzählt nun abwechselnd aus zwei Perspektiven. Mir gefällt das richtig gut! Es eröffnet neue Möglichkeiten, um Spannung zu erzeugen. Und hinzu kommen weitere klassische Elemente, die man auch aus ihren übrigen Thrillern kennt: Ein abgelegener, atmosphärisch aufgeladener Handlungsort (hier: ein Chalet), stimmige und psychologisch tiefgründig gestaltete Figuren und der Verzicht auf die Darstellung von viel Blut und Gewalt. Das finde ich stark. Und was ich auch lobend erwähnen möchte. Verglichen mit den anderen Thrillern verzichtet sie dieses Mal nach meinem Empfinden weitestgehend auf das Erzeugen einer unheimlichen Stimmung und fokussiert sich dieses Mal mehr darauf, eine hohe Spannung zu erzeugen. Weiter so! 5 Sterne von mir!

Sonntag, 4. Dezember 2022

Bremerich, Annika - Der Superlöwe und die verlorene Superkraft


5 von 5 Sternen


Die Macht der Gedanken

Die Autorin Annika Bremerich legt mit ihrem von Andraniesta schön illustrierten Kinderbuch „Der Superlöwe und die verlorene Superkraft“ ein Werk mit vielen wichtigen Botschaften vor. Man merkt dem Buch an, dass die Autorin als Selbstbehauptungs- und Resilienztrainerin arbeitet und sich dafür einsetzt, dass Kinder über sich hinauswachsen. Ein tolles Buch!

Der Superlöwe vergisst morgens in der Hektik seine Superheldenmaske und verliert damit in der Schule auch seine Superkräfte. Er ist aufgrund seines Missgeschicks zunächst so wütend, dass er gar nicht mehr aufpassen kann. Dann wird er auf einmal so traurig, dass er die ihm gestellte Aufgabe, einen Luftballon auszumalen, gar nicht mehr bewältigen kann. Und zu allem Überfluss wird der Superlöwe dann auch noch von der Mücke genervt, die sich als Angeberin aufspielt und den Löwen entmutigen will. Doch der Löwe überwindet seine negativen Gedanken, kann sich mit der Situation arrangieren und sagt sich, dass er sich auch ohne Maske gut fühlen kann. Er gewinnt wieder seine Zuversicht und Gelassenheit zurück und weist dann auch die Mücke in ihre Schranken, und zwar mit positiver Energie.

Das Kinderbuch enthält viele wichtige Botschaften: Glaub an dich selbst, bleib gelassen, lass dich nicht ärgern, sei freundlich und hole dir gute Dinge in dein Leben. Beiläufig werden auf den Bildern im Hintergrund auch weitere wichtige Ratschläge mit auf den Weg gegeben: „Ich schaffe das“, „ich darf Fehler machen“, „ich gebe mein Bestes“, „mein Leben ist schön“.


Fazit

Ich empfehle das Buch allen Eltern weiter, die ihr Kind stärken wollen. Am Ende des Buchs darf man den Superlöwen auch in den selbst gewählten Lieblingsfarben ausmalen. Ebenfalls eine gelungene Idee mit Bezug zum Gelesenen! Ich vergebe 5 Sterne.

Samstag, 3. Dezember 2022

Carlsen Verlag (Hrsg.) - Disney Girl Power. 5-Minuten Geschichten mit fabelhaften Heldinnen


5 von 5 Sternen


Geschichten mit positive Heldinnen, die Verantwortung übernehmen


Das Kinderbuch „Disney Girl Power. 5-Minuten Geschichten mit fabelhaften Heldinnen“ hat zwar keinen sonderlich schlagkräftigen Titel, aber der Inhalt besticht nach meinem Dafürhalten durch schöne Geschichten mit positiven, stärkenden Botschaften, die sich insbesondere an Mädchen richten. Das ist gelungen. Man findet in dieser Anthologie schön bebilderte Erzählungen zu vielen bekannten und beliebten Disney-Filmen: Arielle, Der König der Löwen, Dornröschen, Zoomania, Küss den Frosch, Mulan, Minnie, Aladdin und Vaiana.

In jeder Geschichte stehen die weiblichen Protagonistinnen im Vordergrund und übernehmen Verantwortung. Und die Botschaft hinter den Geschichten ist gelungen: Trau dir etwas zu, du schaffst das, Freundschaft ist wichtig etc. Die Figuren dienen dabei als Identifikationsmöglichkeit. So wächst Arielle z.B. bei einer Tanzaufführung über sich hinaus und überwindet ihre Aufregung. Nala und Simba durchstreifen gemeinsam ohne Eltern die Savanne, um ein Löwenkumpelversteck zu finden. Dornröschen nimmt an einem Reitturnier teil und muss im Zweikampf bestehen. Judy, das Hasenmädchen, wird Jahrgangsbeste an der Polizeiakademie und nimmt ihre erste Verhaftung vor. Tiana aus „Küss den Frosch“ rettet eine Konzertaufführung und gibt nicht auf. Mulan setzt sich in verschiedenen Duellen gegen ihre männlichen Widersacher durch. Minnie Maus klärt erfolgreich einen Diebstahl auf. Jasmin aus „Aladdin“ gewinnt mit ihren Freundinnen bei einem Polo-Turnier. Und nicht zuletzt unternimmt Vaiana mit ein paar Kindern einen Ausflug in den Dschungel, verliert dabei eines der Kinder, kann es dann aber wiederfinden. Gemeinsam sammeln sie dann Zuckerrohr.

Abgerundet wird der gelungene Inhalt durch eine schöne Bebilderung, auf denen man die Heldinnen oft in verschiedenen Umgebungen ausführlich betrachten kann. Dabei werden die Zeichnungen nicht einfach den Filmen entnommen, sondern es handelt sich um eigenständige Illustrationen, die den Originalen qualitativ in nichts nachstehen. Gerade für Mädchen, die die Disney-Filme kennen und mögen, ist dieser Sammelband ein sehr motivierendes und interessantes Buch, das gerne auch einfach nur durchgeblättert wird. Auf jeder Seite findet man farbenprächtige, großflächige Bilder. So kann das Werk auch einfach als Bilderbuch zum Betrachten schon für Kinder ab 4 Jahren zum Einsatz kommen. Es gibt auch keine düsteren oder gruseligen Bilder. Stattdessen werden viele positive Emotionen illustriert. Auch die Sprachgestaltung ist altersgerecht. Ich bin über keine Stelle gestolpert, die für Verständnisschwierigkeiten sorgen könnte.

Fazit

Ein rundum gelungenes Buch mit einer positiven Botschaft insbesondere für Mädchen, die Disney-Filme kennen und mögen. Im Vordergrund stehen hier Heldinnen, die Verantwortung übernehmen und die an sich glauben. Abgerundet werden die Erzählungen durch farbenprächtige Bilder, die nicht nur den Filmen entnommen sind. Ein motivierendes, interessantes Buch, das auch als Bilderbuch zum Betrachten taugt. Ich habe nichts zu bemängeln und vergebe 5 Sterne.

Freitag, 2. Dezember 2022

Claybourne, Anna - Der Himmel am Tag. Der Himmel bei Nacht


3 von 5 Sternen


Kindersachbuch mit interessanter Idee und integrierten Experimentvorschlägen


Das Kindersachbuch „Der Himmel am Tag, der Himmel bei Nacht“ von Anna Claybourne, illustriert von Kerry Hyndman, hat in meinen Augen zwei klare Stärken. Einmal die interessante, ausgefallene Idee eines Wendecovers, so dass man das Buch entweder von hinten oder von vorne lesen kann. In der Mitte des Buchs treffen die Inhalte des Buchs dann zusammen, und zwar bei den Themen „Sonnernaufgang bzw. Sonnenuntergang“. Das ist durchdacht und kreativ. Und was mir auch gut gefallen hat, sind die anschaulich und nachvollziehbar erklärten Experimente zum selbst machen, die man mit recht einfachen Mitteln selbst durchführen kann. Die Experimente sind meiner Meinung nach nicht zu aufwändig. Die Handlungsanweisungen sind verständlich formuliert und die Dinge, die dort gefordert werden, sind im Haushalt größtenteils vorhanden.

 

Inhalt

In der einen Hälfte des Buchs geht es um das, was sich tagsüber beobachten lässt. Themen sind hier: „Der Himmel“, „altertümliche Vorstellungen vom Himmel“, „die Sonne“, „Wolkenlandschaften“, „Niederschlag“, „Unwetter“, das ungewöhnliche Thema „Himmelsrätsel“, „Vögel“, „Insekten und Spinnen“, „Tiere, die durch die Luft gleiten können“ sowie „verschiedene Fluggeräte“.

In der anderen Hälfte des Buchs steht im Vordergrund, was man nachts wahrnehmen kann. Hier geht es um das Thema „Dunkelheit“ und um die Frage, warum es dunkel wird. Weitere Themen: „frühzeitliche Vorstellungen von der Nacht“, „Sternbilder“, „Planeten“, „der Mond“, „Sternschnuppen“, „Fledermäuse“, „nachtaktive Vögel und Insekten“, „Weltraum“, „Satelliten“, „Großstadtbeleuchtung“, „Polarlichter“. Kurzum: Es wird eine sehr große Bandbreite an Themen abgedeckt.

Ursprünglich hatte ich die Vorstellung, dass ein- und dieselben Themen einmal für die Nacht und einmal für den Tag behandelt werden, sozusagen aus zwei verschiedenen Perspektiven. Dem ist aber nicht so.

 

Illustrationen und Textgestaltung

Die Zeichnungen sind lebensecht und passen gut zu den Kapitelüberschriften. Was die Textgestaltung angeht, möchte ich aber einen Verbesserungsvorschlag machen: Mehr Struktur und Systematik hineinbringen! Es koexistieren in meinen Augen zu viele kleinere Texte nebeneinander. Denkbar wäre z.B. ein längerer Fließtext, dem dann verschiedene Infoboxen zugeordnet sind. Ich empfand die Textpräsentation auf den Seiten einfach als zu unstrukturiert, teilweise auch als zu überfrachtet. Auch für das Layout hätte ich Ideen: Die Schriftfarbe sollte sich deutlich vom Hintergrund abheben, sonst fällt das Vorlesen schwer. Auch hätte ich bei einigen Texten eine größere Schriftart gewählt. Als Referenz verweise ich hier auf die sehr schöne Kindersachbuchreihe „Schauen und Wissen!“, in der die Texte sehr ansprechend und systematisch gestaltet sind.

 

Fazit

Das Wendecover sowie die integrierten Experimente sind tolle Ideen, die Themenauswahl ist vielfältig und abwechslungsreich, die Zeichnungen sind lebensecht und passen zu den Kapiteln, lediglich die Textgestaltung lässt noch zu wünschen übrig und bietet Verbesserungspotential. Deshalb vergebe ich auch nur 3 Sterne.

Donnerstag, 1. Dezember 2022

Fitzek, Sebastian - Der Heimweg


1 von 5 Sternen


Unrealistische Effekthascherei

An Sebastian Fitzek scheiden sich scheinbar die Geister. Einerseits spricht der Erfolg für ihn, seine Bücher haben sich bereits über 13 Millionen Mal verkauft und sie wurden in 24 Sprachen übersetzt. Andererseits gibt es viele Leser:innen, die seinem Werk gar nichts abgewinnen können. Es scheint, als müsste jeder für sich selbst herausfinden, ob man die Bücher von ihm mag oder eben nicht. Ich habe mich nun einmal an „Der Heimweg“ herangetraut, um mir ein Urteil zu bilden. Bisher kannte ich von Fitzek nur sein Debut „Die Therapie“ und war nicht wirklich überzeugt (vgl. eine frühere Rezension).

Das Setting ist durchaus vielversprechend. Jules Tannberg erhält eines Abends einen mysteriösen Anruf und wird unvorhergesehen in einen Strudel von Gewalt hineingezogen. Die Frau am Telefon schildert ihm ihr Martyrium. Und als Leser fragt man sich direkt: Wer ist die Frau, die dort anruft? Was will diese Frau? Was hat es mit ihr auf sich? Kann Jules ihr helfen?

Man fühlt sich als Leser zu Beginn relativ orientierungslos und ist auf der Suche nach Informationen, die das Geschehen verständlich machen. Das mag auch daran liegen, dass recht ungeordnet immer einmal wieder Rückblicke in die Handlung eingestreut werden. Man wird mitten hineingeworfen in dieses Telefonat, ohne zu wissen, in was für eine Richtung sich das Gespräch entwickelt. Auf mich wirkte die Erzählweise recht chaotisch und zerfahren.

Die Darstellung suizidaler Handlungen empfand ich als äußerst drastisch. Vorbelastete Leser:innen sollten lieber von diesem Buch Abstand nehmen. Ich empfand auch das Gespräch von Jules mit der suizidgefährdeten Klara als abstrus und unrealistisch. Vermutlich wird es rein aus dramaturgischen Gründen so inszeniert. Kein normaler Mensch würde am Notfalltelefon so mit jemandem umgehen, der sich selbst umbringen will.

Auch die Erzählungen Klaras zu ihrem Klinikaufenthalt sind völlig abwegig und realitätsfremd. Ihre Teilnahme an einem Experiment zur künstlichen Herbeiführung von Wahnvorstellungen: absurd! In meinen Augen sind es genau solche Darstellungen wie bei Fitzek, die bei einem Großteil der Bevölkerung zu falschen Vorstellungen führen. Nach meinem Dafürhalten sollte der Autor lieber realistische Aufklärungsarbeit in Bezug auf psychische Krankheiten betreiben.

Fitzeks größtes Problem in diesem Buch ist einfach sein fehlender Realismus. Das war schon in „Die Therapie“ zu beobachten und bestätigt sich hier erneut. Da hilft es in meinen Augen auch nicht, dass der Autor im Nachwort darauf hinweist, dass es ihm nicht um eine realistische Darstellung geht. Ich habe große Schwierigkeiten, mich darauf einzulassen. Was soll das Ziel einer solchen Darstellung sein? Geht es hier nur um den dramatischen Effekt? Befördert so etwas denn nicht, dass bei den Leser:innen ein fehlerhaftes Bild von psychischen Krankheiten entsteht? Sollte Unterhaltung nicht auch einen gewissen Anspruch haben?

Auch die Figuren sind überzeichnet. Noch dazu fehlt es ihnen an psychologischer Tiefe. Nicht zuletzt habe ich facettenreich ausgestaltete Beziehungsverhältnisse vermisst. Vieles wirkt konstruiert oder sogar „überdreht“, ganz im Sinne von einfacher Effekthascherei. Für mich ein klarer Mangel dieses Werks. Die Darlegung der sadistischen Gewaltpassagen empfand ich als abstoßend. Man sollte sich vor der Lektüre darüber im Klaren sein, was auf einen zukommt. Eine Triggerwarnung wäre wohl angebracht gewesen. Fitzek spart Obszönitäten und Perversionen nicht aus.

Fazit

In meinen Augen ist der Thriller von schlechter Qualität, er ist unrealistisch, teils absurd, oft stark konstruiert. In erzähltechnischer Hinsicht ist er chaotisch und konfus. Die Figurenzeichnung ist flach, eine klug arrangierte Personenkonstellation habe ich vermisst. Die vielen Gewaltpassagen sind oft abstoßend und in meinen Augen unnötig drastisch. Meine Vermutung: Der Autor betreibt Effekthascherei um jeden Preis. Der Thriller entspricht überhaupt nicht meinem Geschmack. Ich bin von den vielen positiven Rezensionen überrascht, kann ich sie doch nicht nachvollziehen. Wer einen guten Thriller lesen will, greife lieber zu den folgenden Autoren: Henri Faber, Romy Hausmann, Linus Geschke oder Judith Merchant. Ich vergebe einen Stern.

 

Dienstag, 22. November 2022

Weßling, Bernhard - Anhang zum Buch: Was für ein Zufall!


3 von 5 Sternen


Was hält die Welt im Innersten zusammen? – Anhang

Bei dem Anhang zum Sachbuch „Was für ein Zufall!“ von Bernhard Weßling handelt es sich im Wesentlichen um eine Beschreibung der langjährigen Berufstätigkeit des Autors. Der Text ist stark autobiographisch geprägt. Weßling schildert die täglichen Herausforderungen, mit denen er während seines Berufsalltags konfrontiert war. Er stellt dar, welche Probleme sich ihm stellten und wie er diese bewältigt hat. Der Einfallsreichtum des Autors ist beachtlich. Seine Leistung ist beeindruckend. Bei der Lösung der verschiedenen Probleme war auch der Zufall immer einmal wieder mit im Spiel. Als Leser erhält man einen interessanten Einblick in die Berufspraxis eines Chemikers. Und sehr ehrlich und offen berichtet der Autor auch von seinen quälenden Nachdenkprozessen. Viel Raum nimmt die Dispersionsforschung ein.

Ich halte den Anhang eher für solche Leser:innen für geeignet, die an Chemie interessiert sind und die mehr in die Tiefe von Weßlings Grundlagenforschung eintauchen möchten. Für mich als Chemie-Laie waren viele Passagen unverständlich. Und mich hätten durchaus auch noch Ausführungen zum Arbeitsalltag in China interessiert, wo der Autor 13 Berufsjahre verbracht hat.

 

Fazit

Der Anhang bietet interessierten Leser:innen die Möglichkeit, noch mehr in die Tiefe von Weßlings Grundlagenforschung einzutauchen und die Herausforderungen seines Arbeitsalltags als Chemiker kennenzulernen. Für mich als Laie war dieses Buch aber über weite Strecken zu sperrig und unverständlich. Es ist also eher etwas für Fachleute. Deshalb vergebe ich 3 Sterne!

 

 

 

Weßling, Bernhard - Was für ein Zufall! Über Unvorhersehbarkeit, Komplexität und das Wesen der Zeit


4 von 5 Sternen


Was hält die Welt im Innersten zusammen?

In seinem sehr lesenswerten Buch „Was für ein Zufall!“ widmet sich der Autor Bernhard Weßling den großen allgemein-menschlichen Fragen von Unvorhersehbarkeit, Komplexität und dem Wesen der Zeit. Er gibt sich dabei als „Sinn-Suchender“ zu erkennen und unterbreitet auf der Grundlage eigener Erfahrungen Vorschläge, wie man die Beschaffenheit der Welt mit Hilfe der folgenden Begriffe besser beschreiben könnte: Zufall, Nicht-Gleichgewichtssystem, Entropie und Zeit. Und was ich direkt zu Beginn dieser Rezension bereits lobend herausstellen kann: Der Autor schreibt weitestgehend anschaulich und ist sehr darum bemüht, den Leser bzw. die Leserin auf seiner gedanklichen Reise „mitzunehmen“. Sein Text zeichnet sich in großen Teilen durch Verständlichkeit aus, was einerseits an den nachvollziehbaren Erklärungen liegt, andererseits an den zahlreichen Beispielen, die er anführt. Da der Autor jedoch mit vielen Internetquellen arbeitet, empfehle ich, die digitale Version des Buchs zu lesen, um den Hyperlinks folgen zu können, und sie nicht mühsam in die Adresszeile einzutippen.

 

Schon das Vorwort ist ein gelungener Einstieg ins Buch und macht Lust auf mehr, flüssig und leserlich geschrieben. Vereinfachend, aber nicht zu simplifizierend! Es wird ein eingängiger, leserfreundlicher und leserzugewandter Sprachstil verwendet. Auch die vielen direkten Leseransprachen lockern den Text gut auf und lassen ihn äußerst lebendig wirken. Ebenso sorgen die stellenweise eingestreuten chinesischen Sprichwörter dafür, dass der Fließtext nicht zu trocken wird. Und der Autor macht gut deutlich, um welche zentralen Fragen es ihm geht: Woher kommt der Zufall? Wie kommt er in unsere Welt? Warum ist er normal? Wie entsteht Komplexität? Auch der interessante Begriff des „Nicht-Gleichgewichtssystems“ wird von ihm eingeführt. Das führt zu den nächsten zentralen Fragen: Warum befinden sich kompliziert strukturierte Systeme nicht im Gleichgewicht? Gibt es einen Zusammenhang zwischen Zufall und „Nicht-Gleichgewicht“? Und was ist das Wesen der Zeit? Der Autor gibt in diesem Zusammenhang auch unumwunden zu, dass er sich an vielen Stellen nicht an der klassischen Lehrmeinung orientiert, sondern eigene Wege beschreitet, um die genannten Fragen zu beantworten. Deshalb möchte ich zu Beginn meiner Rezension auch direkt festhalten: Ich kann als Nicht-Chemiker und Laie nicht alle Inhalte auf Plausibilität hin überprüfen. Fachliche Inhalte kann ich aufgrund fehlender Expertise nicht einschätzen, die vielen Thesen kann ich nicht alle auf Stichhaltigkeit hin prüfen. Ich kann mich nur meines eigenen Verstandes bedienen und im Wesentlichen solche „Stolperstellen“ benennen, die mir unklar oder nicht nachvollziehbar in Erinnerung geblieben sind.

 

Kapitel 1 – Der Zufall nimmt seinen Lauf (S. 1-14)

Ungewöhnlich für ein Sachbuch ist der recht autobiographisch geprägte Einstieg in die einzelnen Kapitel. Man lernt viel Privates über den Autor kennen. Vorteil dieser Herangehensweise: Der Autor ist für mich als Leser kein anonymer Fremder, über den ich nichts weiß, sondern ich kann eine persönliche Beziehung zu ihm herstellen. Ein ungewöhnlicher Stil, der die Leser aber in meinen Augen auch anspricht. Ich konnte mich jedenfalls darauf einlassen, wusste aber nach der Lektüre des ersten Kapitels noch nicht so recht, auf welche gedankliche Reise Weßling mich mitnehmen wird. Am interessantesten für mich war der Exkurs zum Internet und zu seiner Erfindung, den der Autor hier auf Basis seines persönlichen Erfahrungsschatzes skizziert.

 

Kapitel 2 – Der Zufall ist überall (S. 15-60)

Hier geht es nun vor allem um Zufälle. Der Autor nimmt eine inhaltliche Systematisierung vor und spielt an Beispielen durch, was für verschiedene Arten von Zufällen es gibt. Die zugrundeliegende Botschaft des Kapitels ist recht klar: Überall ist unser Leben von zufälligen Ereignissen geprägt. Für mich wurde das zweite Kapitel vor allem dann spannend, als der Autor sich der wissenschaftlichen Erforschung des Phänomens „Zufall“ widmet (S. 29 ff.). Es wird deutlich, dass es Weßling vor allem um sogenannte „essenzielle Zufälle“ geht (vgl. S. 33 ff.), also um solche Zufälle, die unvorhergesehen passieren. Sie seien dadurch charakterisiert, dass zwei oder mehr Kausalketten, die voneinander unabhängig sind, zusammentreffen. Mehr als eine Ursache läge ihnen zugrunde. Was dem Autor dabei gut gelingt, ist es, den essenziellen Zufall mit vielen konkreten Beispielen nachvollziehbar zu veranschaulichen.

Weßling ist es wichtig zu betonen, dass Zufall nicht bedeute, „dass das entsprechende Ereignis keine Ursache hat“ (S. 39). So werde es von Anhängern anderer Fachrichtungen aber häufig verstanden, so der Autor. Jedes Ereignis habe eine Ursache, meist mehrere, und bei essenziellen Zufällen hätten die zu den Ursachenden führenden Ereignisketten ursprünglich nichts miteinander zu tun, so Weßling. An vielen Stellen widerspricht Weßling der gängigen Lehrmeinung, was für mich insofern in Ordnung ist, als er die Leser auf diese Weise stärker dazu veranlasst, sich mit der Herangehensweise des Autors intensiv auseinanderzusetzen. Er fordert die Leser sozusagen zum Mitdenken förmlich heraus. Das ist gelungen. Aber man muss sich auf so etwas einlassen wollen.

Letztlich kann ich die gesamte, spannende und zum Nachdenken anregende Diskussion zum Zufall hier nicht im Detail wiedergeben, das würde den Rahmen dieser Rezension sprengen. Ich möchte aber schon deutlich machen, dass ich nicht allen Aussagen des Autors zustimmen kann. Häufig ist er mir auch zu kategorisch in seinen Schlussfolgerungen.

Für mich persönlich ist der Zufall eine „Wahrnehmungskategorie“, d.h. abhängig von der eigenen Wahrnehmung. Erst meine eigene Bewertung und der Umstand, dass ich ein Ereignis mit Bedeutung auflade, macht es zu einem Zufall. Das, was ich selbst als Zufall erkenne oder nicht, hängt also von mir selbst ab, es ist subjektiv. Sonst müssten ja mehrere Menschen gleichzeitig denselben Zufall identisch wahrnehmen. Doch ist es nicht unterschiedlich, ob das, was der eine als Zufall wahrnimmt, von einem anderen Menschen auch als Zufall wahrgenommen wird? Ist der Zufall nicht eine „Wirklichkeitskonstruktionsleistung“ des Gehirns?  Das gebe ich hier zu bedenken. Kurzum: Ich finde das anthropische Prinzip, das der Autor ablehnt (vgl. S. 43-44), selbst am schlüssigsten. Und die Frage danach, warum es Zufälle gibt, lässt sich in meinen Augen also gar nicht beantworten. Erst der Mensch selbst verleiht dem Zufall mit seiner Wahrnehmung Bedeutung. Und auch die Einschätzung der Häufigkeit von Zufällen ist ja subjektiv. Dem Autor geht es in seinem Buch um solche Zufälle, die sich unabhängig von der menschlichen Wahrnehmung ereignen. Trotzdem meine Frage: Kann es solche Zufälle überhaupt geben?

 

Kapitel 3 – Kreativität ist Zufall im Gehirn (S. 61-96)

Nach einem kurzen autobiographischen Exkurs, der das Gelesene auflockert, gewährt der Autor einen Einblick in die Dispersionsforschung. Er berichtet von den Erfolgen und Vorteilen angewandter Forschung. An einem Beispiel eigener Grundlagenforschung verdeutlicht er, dass er sich auch schon zu diesem Zeitpunkt der anerkannten wissenschaftlichen Meinung widersetzt habe und dennoch erfolgreich gewesen sei. Der Autor beschreibt, wie es ihm gelungen ist, erstmals leitfähige Polymere zu dispergieren und präsentiert eigene Forschungsergebnisse. Als Laie konnte ich hier viele Passagen nicht nachvollziehen.

Am Ende gelangt Weßling zu der Schlussfolgerung, dass in Nicht-Gleichgewichtssystemen andere Arten von Gesetzmäßigkeit herrschten als in Gleichgewichtssystem. Ein wichtiges Kennzeichen von Nicht-Gleichgewichtssystemen sei das Vorhandensein hochkomplexer Strukturen.  Im Anschluss führt der Autor auf nachvollziehbare Weise viele Beispiele für Nicht-Gleichgewichtssysteme an, z.B. Mayonnaise oder Eiscreme.

Bei seinen Ausführungen zur Kreativität ist gut und wichtig, dass der Autor auch betont, dass die Generierung von Ideen und das Phänomen von Geistesblitzen ein vorbereitetes Gehirn benötigen (vgl. S. 32, Fußnote 32 sowie die Bezugnahme auf Penrose). Doch was bedeutet das konkret? In meinen Augen sind es wohl vor allem die Einflüsse von außen, die hiermit gemeint sind. So handelt es sich bei unserem Gehirn nicht um ein in sich geschlossenes System. Wir setzen uns mit der Umwelt auseinander, führen Gespräche, lesen Publikationen, erhalten Rückmeldungen von Mitmenschen. All das befördert die Generierung von Idee. 

 

Kapitel 4 – „Gleichgewicht ist gut, Nicht-Gleichgewicht ist schlecht – stimmt das?“ (S. 97-118)

Nachdem es im dritten Kapitel vor allem um die mühsame Grundlagenforschung des Autors ging, widmet sich Weßling nun stärker den beiden Begriffen „Gleichgewicht“ und „Nicht-Gleichgewicht“. In diesem Zusammenhang werden auch die Begrifflichkeiten „Fließgleichgewicht“ und „Entropie“ besprochen. Und was mir gut gefallen hat: Die „Entropie“, ein Terminus, auf den man ja auch in der Kosmologie häufig stößt, wird sehr anschaulich erläutert. Insbesondere die Erklärung am Beispiel des Wirtschaftssystems finde ich gelungen. Auch die Darlegung zur Schneeflockengestaltung fand ich spannend. Schneeflocken seien Ergebnisse von Selbstorganisation von komplexen Strukturen in Nicht-Gleichgewichtssystemen. Sehr einleuchtend! Auch anhand der Funktionsweise eines Geysirs wird ein Nicht-Gleichgewichtssystem verständlich und nachvollziehbar erläutert. Weßling führt viele interessante Beispiele an, um sein Anliegen zu vermitteln. Das ist gut!

Abschließend wird konstatiert, dass Nicht-Gleichgewichtssysteme essentiell und lebensnotwendig seien. Ihre Existenz sei nötig.

 

Kapitel 5 – „Fast an der Wissenschaft verzweifelt“ (S. 119-146)

Der Autor beklagt den Umstand, dass die Nicht-Gleichgewichtssysteme in der Forschung immer noch ein Schattendasein führten, obwohl unsere Welt im Wesentlichen aus Nicht-Gleichgewichtssystemen bestehe. Und auch an den Universitäten fände die Nicht-Gleichgewichts-Thermodynamik zu wenig Beachtung, so der Autor. Weßling erläutert das Prinzip der „Irreversibilität“ von solchen Systemen im Rahmen dieses Kapitels dann sehr klar und verständlich. Gleichzeitig macht er durch viele Beispiele aus der eigenen Erfahrung sehr deutlich, dass innerhalb der Wissenschaftsgemeinschaft reflexhafte Abwehrmechanismen zu beobachten seien, wenn es um neue wissenschaftliche Entdeckungen gehe, gerade etablierte Wissenschaftler würden hier keine Ausnahme darstellen. Entdecker neuen Wissens würden eher bekämpft als gefördert. Weßling stellt sogar die provokative These auf, dass innerhalb einer Wissenschaftsdisziplin neue Erkenntnisse einfach ignoriert würden und man diese nicht einmal offen und fair diskutieren würde. Sehr interessant fand ich in diesem Zusammenhang seine kritische Würdigung des Begriffs „Paradigma“. Forschungsparadigmen, so der Autor, würden häufig wie ein Dogma wirken.

Stellenweise finde ich die persönlichen Ansichten des Autors sehr interessant und aufschlussreich. Er berichtet sehr offen und ehrlich von Verletzungen und Misserfolgen, die er selbst im Rahmen seiner Grundlagenforschung und Berufstätigkeit erlitten habe. Auch seine Selbstzweifel finden Erwähnung. Natürlich kann ich als Leser von außen seine Einschätzungen nicht beurteilen, aber ich kann mich gut in seine Situation hineinfühlen. Und seine Einschätzung zu dogmatischen Forschungsparadigmen teile ich.

Des Weiteren hat die Lektüre des Texts bei mir auch dazu geführt, dass ich eigene Überlegungen zum Thema „Sprache“ angestellt habe. So habe ich mir z.B. die Frage gestellt, ob auch Sprachsysteme ein Nicht-Gleichgewichtssystem darstellen. Allerdings kann ich den Begriff der Entropie nicht damit in Zusammenhang bringen. Ich werde weiter darüber nachdenken. Auch könnte man sich fragen, ob und inwieweit es sich bei sprachlichen Fehlern um Zufallsprodukte handelt.

 

Kapitel 6 – „Die Geburt des Zufalls in komplexen Systemen“ (S. 147-190)

Das sechste Kapitel unterscheidet sich in meinen Augen von den anderen Kapiteln. Es ist deutlich anspruchsvoller verfasst. Der Autor erweitert sein Begriffsspektrum um folgende Begrifflichkeiten: „Nicht-Linearität“ sowie „Emergenz“ und „Reduktionismus bzw. Holismus“. Auch das Ereignis von Symmetriebrüchen wird erläutert. Insgesamt fand ich dieses Kapitel bei der Lektüre sehr sperrig, der verständliche und anschauliche Charakter ging mir zu sehr verloren. Es wirkte zu „expertenhaft“. Es wird mir zu viel Vorwissen vorausgesetzt und mir ist nicht klar, wohin die Argumentation des Autors führt. Mir fiel es schwer den Gedankengängen des Autors zu folgen. Resümierende Passagen in Form eines Zwischenfazits wären hilfreich gewesen. Auch hätte Weßling für mich noch deutlicher machen müssen, was das Ziel seiner Ausführungen ist. Mir war nicht klar, wie die verschiedenen Zufälle, denen sich der Autor widmet, nun genau zusammenhängen. Was ist das verbindende Element? Am interessantesten fand ich solche Stellen, an denen ein inhaltlicher Brückenschlag zur Kosmologie stattfand.

 

Kapitel 7 – „Was fließt da, wenn die Zeit fließt, und wohin fließt sie?“

Hier geht es um das Problem der Zeit. Der Autor stellt eine Art kurzen geschichtlichen Abriss über die Forschung zum Thema der Zeit dar. In diesem Zusammenhang fand ich insbesondere wieder die kosmologischen Arbeiten interessant, die Weßling erwähnt. Allerdings macht der Autor auch sehr deutlich, dass er sich mit vielen Hypothesen der theoretischen Physiker nicht anfreunden kann. V.a. die Annahme eines Multiversums sieht er skeptisch.

Auch dieses Kapitel konnte mich nicht so recht überzeugen, es ist nicht so verständlich wie die ersten fünf Kapitel geraten. Was ich mich bei der Lektüre gefragt habe: Mit welchem Ziel stellt der Autor seine Überlegungen zum Wesen der Zeit an? Wozu benötigt er dieses Phänomen? Was ist der Vorteil seiner eigenen Betrachtungsweise?

Am interessantesten fand ich die Passage, wo der Autor den Leser mit Fragen zum Wesen der Zeit konfrontiert und ihn damit zum Nachdenken anregt: Existiert Zeit nur in der Gegenwart? Wie lange dauert die Gegenwart? Das sind schöne Denkanstöße. Und es ist auch einmal spannend, eine andere Herangehensweise an das Thema kennenzulernen, nämlich die eines Nicht-Gleichgewichtssystem-Thermodynamikers. Sonst sind es ja eher die theoretischen Physiker, die sich mit der Frage nach dem Wesen der Zeit beschäftigen. Trotzdem stellt sich mir die Frage: Welche Vorteile bringt eine solche Herangehensweise? Was bringt es uns, wenn wir uns den Themen „Zufall“ und „Zeit“ mit den Augen eines Thermodynamikers annähern?

 

Kapitel 8 – „Unsere Wahrnehmung der Zeit“

Im letzten Kapitel geht der Autor noch einmal darauf ein, dass der Zufall und die Zeit die Entropie in Nichtgleichgewichts-Systemen als Gemeinsamkeit hätten. Die Betrachtung des Konzepts der Zeit wird erweitert um den psychologischen Aspekt der Zeitwahrnehmung und um chronobiologische Betrachtungen. Er erläutert, dass noch unzureichend erforscht ist, wo und wie genau der Ablauf der Zeit wahrgenommen und in Empfindung umgewandelt wird. Es herrsche die einheitliche Vorstellung, dass es körperliche Prozesse seien, die im Gehirn die Wahrnehmung der Zeit veranlassten. Auch widmet sich Weßling einem Phänomen, das wohl jeder kennt: die sogenannt „Verdünnung der Zeit“. Damit ist gemeint, dass im Alter die Zeit scheinbar schneller vorbeigeht. Aus seiner eigenen Erfahrung heraus berichtet der Autor, dass er die Zeit immer dann umso intensiver wahrnehme, je mehr er in seinem Leben erlebe und bekannte Routinen verlasse.

 

Fazit

Der Autor legt hier ein Sachbuch vor, in dem er sich den großen menschlichen Fragen widmet. Er argumentiert aus der Sicht eines Thermodynamikers und stützt sich dabei auf die Theorie von Ilya Prigogine, der 1977 den Nobelpreis für seine Nicht-Gleichgewichts-Thermodynamik erhielt. Weßling liefert viele Denkanstöße. Der Schreibstil ist lebendig, zugewandt und weitestgehend anschaulich und verständlich. Dennoch ist Mitdenken bei der Lektüre gefragt und Wissen zum Fachgebiet der Chemie ist sicherlich verständnisförderlich. Mich persönlich hat die Lektüre bereichert, ich konnte einiges neu dazulernen. Für mich hätte der Autor nur noch etwas stärker herausstellen können, welche Vorteile seine Betrachtungsweise der Beschaffenheit der Welt hat. Nicht immer war mir der inhaltliche Zusammenhang zwischen den einzelnen Kapiteln deutlich genug ausformuliert. Das Ziel der gedanklichen Reise war mir nicht immer klar. Ich vergebe 4 Sterne.