Ein mehrperspektivischer Thriller von Ruth Ware
In ihrem Thriller „Das Chalet“ greift Ruth Ware gegenüber ihren
übrigen Werken auf eine andere erzähltechnische Herangehensweisen zurück (vgl.
dazu meine früheren Rezensionen). Und das ist gelungen! Sie erzählt die
Ereignisse nun aus zwei Blickwinkeln, die sich abwechseln. Auch haben wir eine
Vielzahl an Figuren, die aber durch ein Personenregister „leserentlastend“ zu
Beginn bereits eingeführt werden. Eine gute Orientierungshilfe! Dennoch ist
gerade der Einstieg ins Buch fordernd. Das ist anders als bei den übrigen
Thrillern, die ich von Ruth Ware bisher kennen gelernt habe. Man muss erst alle
Figuren mit ihren Eigenheiten jeweils kennenlernen. Aber durch die Schilderung
der Ankunft im Chalet nimmt sich die Autorin genügend Zeit für die Einführung
der Charaktere. Es handelt sich um Angehörige eines Start-Up-Unternehmens, das
eine Musik-App entwickelt hat, und die nun eine Entscheidung über eine mögliche
Übernahme diskutieren wollen.
Es werden zwei Perspektiven im Wechsel dargeboten, auf der einen Seite
die von Liz, bei der man lange nicht weiß, welche Rolle sie eigentlich im
Unternehmen einnimmt, und auf der anderen Seite Erin, die Gastgeberin im
Chalet, die die Gäste bewirtet und für das leibliche Wohl sorgt. Erin nimmt
eine Art Beobachterrolle ein und betrachtet das Handeln der Gruppe von außen.
Natürlich kommen die klassischen „Ruth-Ware-Elemente“ nicht zu kurz: Wir haben
eine gelungene Charakterzeichnung. Besonders gut gefallen hat mir die
Konzeption von Liz, die wie eine wenig selbstsichere Außenseiterin wirkt und
psychische Probleme zu haben scheint. Sie macht einen instabilen, labilen
Eindruck. Das ist gelungen. Auch die Charakterisierung von Topher hat mich
überzeugt. Er ist überheblich, stur, wenig empathisch, ungeduldig und hart in
seinem Urteil gegenüber anderen.
Und was der Autorin ebenfalls gut gelingt: Das Einfangen der
Gruppendynamik. Hier kehrt Ruth Ware zurück zu ihren Ursprüngen, d.h. zu ihrem
Erstlingswerk. Auch im Thriller „Im dunklen, dunklen Wald“ werden die
gruppendynamischen Prozesse sehr gut erzählerisch aufbereitet. Es ist einfach
geschickt, Erin als Beobachterin von außen als Figur ins Spiel zu bringen. Sie
seziert das Geschehen förmlich. Sie nimmt die Grüppchenbildung und die Spannung
in der Luft sofort wahr. Toll! Hinzu kommen dann noch Gewissenskonflikte
innerhalb der Gruppe und die Frage nach Loyalitäten bzw. Egoismus. Die Stimmung
ist aufgeheizt. Auch das wird gut dargestellt. Die Spannung resultiert aus der
Frage, wer von den Gästen wie abstimmt, was das Übernahmeangebot betrifft.
Die Atmosphäre in den Bergen wird ebenfalls gut beschrieben. Hierfür
sorgt z.B. das gemeinsame Skifahren. Auch der Handlungsort ist geschickt
gewählt: Ein abgelegenes Chalet, von der Außenwelt abgeschnitten. Ein typisches
Ruth Ware Charakteristikum! Die Spannung zieht dann spätestens dann an, als
nach der Rückkehr von einer gemeinsamen Ski-Tour ein Mitglied der Gruppe
vermisst wird und eine Lawine dafür sorgt, dass das Chalet von der Außenwelt
abgeschnitten ist. Was ich hier sehr bezeichnend fand: Die Gruppe wirkt trotz
der Ereignisse geschäftsmäßig, macht sich mehr Gedanken über die bevorstehende Übernahme
als über das menschliche Leid. Dann kommt es zu einem Mord, was der Klappentext
ja bereits verrät. Noch einmal steigert sich die Spannung.
Und dann wendet die Autorin einen weiteren erzähltechnischen
Kunstgriff an: Sie verengt das Figurenensemble auf zwei Charaktere. Es entsteht
dadurch ein psychisches und physisches Duell. Das ist prima arrangiert und
steigert die Spannungsintensität noch einmal zusätzlich. Auch erscheinen auf
einmal Dinge aus der Vergangenheit in einem anderen Licht. Das hat mich
ebenfalls überzeugt.
Fazit:
Ruth Ware beschreitet in erzähltechnischer Hinsicht neue Wege.
Sie erzählt nun abwechselnd aus zwei Perspektiven. Mir gefällt das richtig gut!
Es eröffnet neue Möglichkeiten, um Spannung zu erzeugen. Und hinzu kommen weitere
klassische Elemente, die man auch aus ihren übrigen Thrillern kennt: Ein
abgelegener, atmosphärisch aufgeladener Handlungsort (hier: ein Chalet),
stimmige und psychologisch tiefgründig gestaltete Figuren und der Verzicht auf
die Darstellung von viel Blut und Gewalt. Das finde ich stark. Und was ich auch
lobend erwähnen möchte. Verglichen mit den anderen Thrillern verzichtet sie
dieses Mal nach meinem Empfinden weitestgehend auf das Erzeugen einer unheimlichen
Stimmung und fokussiert sich dieses Mal mehr darauf, eine hohe Spannung zu
erzeugen. Weiter so! 5 Sterne von mir!
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