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Montag, 5. Dezember 2022

Ware, Ruth - Das Chalet


5 von 5 Sternen


Ein mehrperspektivischer Thriller von Ruth Ware

In ihrem Thriller „Das Chalet“ greift Ruth Ware gegenüber ihren übrigen Werken auf eine andere erzähltechnische Herangehensweisen zurück (vgl. dazu meine früheren Rezensionen). Und das ist gelungen! Sie erzählt die Ereignisse nun aus zwei Blickwinkeln, die sich abwechseln. Auch haben wir eine Vielzahl an Figuren, die aber durch ein Personenregister „leserentlastend“ zu Beginn bereits eingeführt werden. Eine gute Orientierungshilfe! Dennoch ist gerade der Einstieg ins Buch fordernd. Das ist anders als bei den übrigen Thrillern, die ich von Ruth Ware bisher kennen gelernt habe. Man muss erst alle Figuren mit ihren Eigenheiten jeweils kennenlernen. Aber durch die Schilderung der Ankunft im Chalet nimmt sich die Autorin genügend Zeit für die Einführung der Charaktere. Es handelt sich um Angehörige eines Start-Up-Unternehmens, das eine Musik-App entwickelt hat, und die nun eine Entscheidung über eine mögliche Übernahme diskutieren wollen.

 

Es werden zwei Perspektiven im Wechsel dargeboten, auf der einen Seite die von Liz, bei der man lange nicht weiß, welche Rolle sie eigentlich im Unternehmen einnimmt, und auf der anderen Seite Erin, die Gastgeberin im Chalet, die die Gäste bewirtet und für das leibliche Wohl sorgt. Erin nimmt eine Art Beobachterrolle ein und betrachtet das Handeln der Gruppe von außen. Natürlich kommen die klassischen „Ruth-Ware-Elemente“ nicht zu kurz: Wir haben eine gelungene Charakterzeichnung. Besonders gut gefallen hat mir die Konzeption von Liz, die wie eine wenig selbstsichere Außenseiterin wirkt und psychische Probleme zu haben scheint. Sie macht einen instabilen, labilen Eindruck. Das ist gelungen. Auch die Charakterisierung von Topher hat mich überzeugt. Er ist überheblich, stur, wenig empathisch, ungeduldig und hart in seinem Urteil gegenüber anderen.

 

Und was der Autorin ebenfalls gut gelingt: Das Einfangen der Gruppendynamik. Hier kehrt Ruth Ware zurück zu ihren Ursprüngen, d.h. zu ihrem Erstlingswerk. Auch im Thriller „Im dunklen, dunklen Wald“ werden die gruppendynamischen Prozesse sehr gut erzählerisch aufbereitet. Es ist einfach geschickt, Erin als Beobachterin von außen als Figur ins Spiel zu bringen. Sie seziert das Geschehen förmlich. Sie nimmt die Grüppchenbildung und die Spannung in der Luft sofort wahr. Toll! Hinzu kommen dann noch Gewissenskonflikte innerhalb der Gruppe und die Frage nach Loyalitäten bzw. Egoismus. Die Stimmung ist aufgeheizt. Auch das wird gut dargestellt. Die Spannung resultiert aus der Frage, wer von den Gästen wie abstimmt, was das Übernahmeangebot betrifft.

 

Die Atmosphäre in den Bergen wird ebenfalls gut beschrieben. Hierfür sorgt z.B. das gemeinsame Skifahren. Auch der Handlungsort ist geschickt gewählt: Ein abgelegenes Chalet, von der Außenwelt abgeschnitten. Ein typisches Ruth Ware Charakteristikum! Die Spannung zieht dann spätestens dann an, als nach der Rückkehr von einer gemeinsamen Ski-Tour ein Mitglied der Gruppe vermisst wird und eine Lawine dafür sorgt, dass das Chalet von der Außenwelt abgeschnitten ist. Was ich hier sehr bezeichnend fand: Die Gruppe wirkt trotz der Ereignisse geschäftsmäßig, macht sich mehr Gedanken über die bevorstehende Übernahme als über das menschliche Leid. Dann kommt es zu einem Mord, was der Klappentext ja bereits verrät. Noch einmal steigert sich die Spannung.

Und dann wendet die Autorin einen weiteren erzähltechnischen Kunstgriff an: Sie verengt das Figurenensemble auf zwei Charaktere. Es entsteht dadurch ein psychisches und physisches Duell. Das ist prima arrangiert und steigert die Spannungsintensität noch einmal zusätzlich. Auch erscheinen auf einmal Dinge aus der Vergangenheit in einem anderen Licht. Das hat mich ebenfalls überzeugt.

 

Fazit

Ruth Ware beschreitet in erzähltechnischer Hinsicht neue Wege. Sie erzählt nun abwechselnd aus zwei Perspektiven. Mir gefällt das richtig gut! Es eröffnet neue Möglichkeiten, um Spannung zu erzeugen. Und hinzu kommen weitere klassische Elemente, die man auch aus ihren übrigen Thrillern kennt: Ein abgelegener, atmosphärisch aufgeladener Handlungsort (hier: ein Chalet), stimmige und psychologisch tiefgründig gestaltete Figuren und der Verzicht auf die Darstellung von viel Blut und Gewalt. Das finde ich stark. Und was ich auch lobend erwähnen möchte. Verglichen mit den anderen Thrillern verzichtet sie dieses Mal nach meinem Empfinden weitestgehend auf das Erzeugen einer unheimlichen Stimmung und fokussiert sich dieses Mal mehr darauf, eine hohe Spannung zu erzeugen. Weiter so! 5 Sterne von mir!

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