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Samstag, 28. Dezember 2024

McFadden, Freida - Sie wird dich finden


Bauch, Beine, Po



Millie ist häuslich geworden. Sie ist Mutter von zwei Kindern, seit 11 Jahren mit Enzo verheiratet und hat mit ihrem Mann ein selbst erworbenes Haus frisch bezogen. Zu Beginn lernen wir vor allem erst einmal ihre Nachbarschaft kennen, so z.B. Suzette, die bereits einige Spitzen gegen die Immobilie von Millie und Enzo verteilt und sich angeberisch sowie besserwisserisch verhält. Spannung liegt in der Luft und zwischen Suzette und Millie geht es giftig zur Sache. Und als ob das noch nicht genug wäre, scheint Suzette auch ein Auge auf Enzo geworfen zu haben und flirtet im Beisein von Millie ungeniert mit deren Ehemann. Ein emotionaler Beginn, wie wir ihn auch bereits aus den vergangenen Büchern kennen. Toxische Weiblichkeit at its best. Herrlich!

 

Des Weiteren lernen wir das Familienleben von Millie kennen und begegnen Janice, einer weiteren Nachbarin, die ihren Sohn überbehütend großzieht und die Nachbarschaft sehr genau beobachtet. An vielen Stellen geriet ich ins Schmunzeln. Übertreibungen und Überzeichnungen erzeugen oft einen amüsanten Erzählton. Es ist lustig zu lesen, mit welchen Vorurteilen sich die Figuren jeweils begegnen und konfrontieren. Munter wird über Dritte gelästert und übereinander getratscht. V.a. Janice versucht Unruhe zu stiften und Millie zu verunsichern, was die Treue ihres Mannes und den Hauskauf betrifft. Auch fällt auf, wie sehr Millie doch auf Äußerlichkeiten achtet. Das scheint ihr extrem wichtig zu sein. Das habe ich in den vergangenen Bänden nicht so extrem wahrgenommen. Sie wirkt dadurch in ihrem Selbstbild nicht sehr gefestigt.

 

Millie wird zunehmend eifersüchtig und entwickelt gegenüber Suzette ein großes Misstrauen. Beide Frauen schwirren um Enzo herum wie zwei Motten um eine Lampe. Ich weiß nicht, ob dieser Umstand und die Selbstunsicherheit von Millie ein großes Identifikationspotential für eine weibliche Leserschaft aufweist. Ich könnte mir vorstellen, dass einige Leserinnen davon genervt sind. In den vergangenen beiden Bänden erschien sie mir irgendwie „tougher“. Hinzu kommt, dass man zu Beginn des Buches noch nicht richtig weiß, worauf das Ganze hinausläuft. Es werden Alltagsbegebenheiten und zwischenmenschliche Reibungen in dramatisierender Weise geschildert. Auch fließen wieder viele Geschlechterklischees ein, die eine hohe emotionale Beteiligung bei der Leserschaft bewirken dürften. Doch lange Zeit dachte ich: Wo bleibt hier der „Thrill“? Habe ich es dieses Mal mit einem Familienroman zu tun? Erst recht spät ereignet sich dann eine unvorhersehbare Wendung und das Buch schlägt eine neue Richtung ein. Erst ab diesem Zeitpunkt wird es für mich zu einem Thriller, der sehr souverän und mit Überraschungseffekten erzählt wird, wie wir es auch aus den vergangenen Büchern gewohnt sind.

 

Letztlich wirkt das Buch durch den eher komödiantischen Beginn und die spät einsetzende Dramatik nicht so rund wie die übrigen Bände (vgl. dazu frühere Rezensionen). Es ist zu vermuten, dass die Autorin ausgetretene Pfade einmal verlassen wollte (was ja grundsätzlich auch gut ist). Doch ich bezweifle, dass dieses Buch dieses Mal so extrem erfolgreich werden wird wie Teil 1 und 2 (auch weil Millie dieses Mal nicht so stark wirkt). Mir hat das Buch aber dennoch gut gefallen. Man fliegt durch die Seiten und es liest sich wieder sehr flüssig. Dieses Mal gibt es von mir 4 Sterne. Und ich bin mir recht sicher, dass ich auch die nächsten Bücher, die von der Autorin ins Deutsche übersetzt werden, lesen werde.

Montag, 23. Dezember 2024

Obi-Wan-Kenobi (Staffel 1)


Spannend und episch



Von allen Star-Wars-Serien, die es gibt, hat mich Obi-Wan-Kenobi am meisten interessiert. Warum? Vermutlich weil darin Figuren vorkommen, die man bereits kennt: Obi-Wan-Kenobi und Darth Vader (das Cover deutet dies schon an). Sie treffen erneut in einem epischen Duell aufeinander. Anakin möchte sich an seinem ehemaligen Meister für das, was dieser ihm angetan hat, rächen. Und es geht auch gleich gut los. Die Serie knüpft direkt an die Ereignisse von Episode III an.

 

Zu Beginn wird in einer kurzen Sequenz gezeigt, wie die letzten Jedi allmählich vernichtet werden. Danach gibt es einen Zeitsprung von 10 Jahren. Wir sind auf dem Planeten Tatooine. Auch dort jagen Abgesandte des Imperiums, so genannte Inquisitoren, die letzten verbliebenen Jedi-Ritter. V.a. Obi-Wan-Kenobi steht auf ihrer Suchliste ganz weit oben. Bei den Inquisitoren handelt es sich um ehemalige Jedis, die sich der dunklen Seite zugewandt haben. Darth Vader ist ihr Oberbefehlshaber. Dort, wo sie auftauchen, verbreiten sie Angst und Schrecken.

 

Obi-Wan ist auf Tatooine untergetaucht, verhält sich unauffällig und lebt sehr zurückgezogen. Er wirkt hoffnungslos und desillusioniert. Für ihn ist der Krieg verloren. Seine Jedi-Künste behält er für sich. Albträume und Erinnerungen an das, was geschehen ist, quälen ihn. Er hält Anakin Skywalker für tot. Aus sicherer Distanz beobachtet er Luke beim Aufwachsen. Lukes Stiefvater Owen möchte nicht, dass der Junge Kontakt zu Obi-Wan hat.

 

In einem parallelen Handlungsstrang erfahren wir etwas über die Prinzession Leia Organa und sehen, unter welchen Bedingungen sie aufwächst. Sie soll zu einer Senatorin ausgebildet werden und sie weiß, dass es sich bei den Organas nicht um ihre leiblichen Eltern handelt. Und eines wird sofort klar: Sie scheint andere Menschen sehr gut lesen zu können. Dann der erste Schock: Sie wird entführt und ihr Stiefvater bittet Obi-Wan um Hilfe. Er soll sie ausfindig machen und retten. Er nimmt den Auftrag nur widerwillig an und begibt sich selbst in große Gefahr. Seine Deckung könnte auffliegen…

 

Mit den Inquisitoren wird dem Star-Wars-Universum ein neues Element hinzugefügt. Es hat mich nicht gestört und ich finde die Idee kreativ, weil damit eine neue Hierarchie-Ebene eingefügt wird, die Darth Vader noch machtvoller erscheinen lässt. Auch hat dieses Element zur Folge, dass Darth Vader nicht ständig selbst als handelnde Figur auftreten muss, sondern anderen den Vortritt lassen kann. Auch das finde ich gelungen konzipiert. In anderen Rezensionen habe ich teils sehr Kritisches gelesen. So wird z.B. die Frage diskutiert, inwieweit die Serie in den Kanon der Filme passt und ob sie nicht inhaltlich dagegen verstößt. Ich kann mich der kritischen Sichtweise jedoch nicht anschließen. Nach meinem Empfinden fügt sich die Serie sehr gut und v.a. widerspruchslos in das bestehende Star-Wars-Universum ein. Man merkt, dass sich die Macher viele Gedanken gemacht haben und viele Anknüpfungspunkte, die die Filme inhaltlich bieten, behutsam und sensibel integrieren.

 

Den Kritikpunkt, den ich in anderen Rezensionen besser nachvollziehen konnte, ist der Vorwurf von kleineren und größeren Logiklöchern. Da gibt es tatsächlich einige Stolperstellen, die (auch mir) auffallen. Warum z.B. wird das Mittel des Gedankenlesens mal eingesetzt und mal nicht? Weiterhin fand ich unlogisch, warum das automatisierte Handelsschiff, auf dem Obi-Wan und Leia fliehen, nicht einfach abgefangen wird. Oder noch etwas: Warum erkennen die Stormtrooper, die bei Frank mitfahren, Obi-Wan und Leia nicht als die Gesuchten? Eine Suchmeldung zu den beiden wird bestimmt schon kursiert haben und an die Soldaten des Imperiums verschickt worden sein. Und es gibt noch mehr solcher Szenen, die man nun herauspicken könnte. Doch wozu? Es ist doch klar, dass im Sinne der Spannung einiges hinausgezögert werden muss und nicht sofort aufgelöst werden kann. Deswegen läuft Darth Vader bei seinem ersten Duell mit Obi-Wan auch nicht einfach ums Feuer herum. Schließlich soll ja noch ein Duell folgen und es muss darüber hinaus deutlich werden, dass Obi-Wans Kontrolle über die Macht noch eingeschränkt ist. Ich habe mich letztlich nicht weiter daran gestört und großzügig darüber hinweggesehen. Nach meiner Meinung überwiegt das Positive der Serie. Man muss es nur erkennen wollen!

 

So erhält Darth Vader durch die Serie eine klare Profilschärfung. Seine Grausamkeit und Machtfülle kommt noch einmal stärker zum Ausdruck.  Auch die Anfänge einer späteren Rebellion werden gut deutlich. Im Untergrund des Imperiums gibt es einige wenige aufrechte Menschen, die für eine gute Sache arbeiten. Und die Charakterzeichnung der aufstrebenden Inquisitorin, die eigene Ziele verfolgt, um Darth Vader möglichst nahezukommen, finde ich auch gelungen. Was mir ebenfalls gefallen hat, war die Charakterzeichnung von Leia, die für ihr Alter schon sehr reif wirkt. Und es wird nun deutlich, dass Leia eine starke Bindung zu Obi-Wan hat. So erklärt sich auch, warum sie gerade ihn in Episode IV um Hilfe bittet. Am Ende jeder Folge gibt es gut gestaltete Cliffhanger, auch daran gibt es nichts auszusetzen. Die Spannung ist nach meinem Gefühl durchgängig stark ausgeprägt. Alles läuft auf den großen Kampf von Obi-Wan und Darth Vader am Ende hinaus. Das ist gut arrangiert. Und das Duell der beiden ist episch inszeniert. Fand ich großartig. Noch etwas, was ich nicht unerwähnt lassen möchte, ist die starke schauspielerische Leistung von Ewan McGregor. Ebenfalls klasse!

 

Das einzige, was ich unpassend fand, war das Verhör der 10-jährigen Leia (und was soll sie denn bitte eigentlich wissen?). Vielleicht sollte sich Disney auch davon verabschieden, so viele Kinderdarsteller in die Star-Wars-Serien zu integrieren. Meiner Ansicht nach schlägt das Franchise hier eine falsche Richtung ein. Ich hätte eine etwas ältere Leia besser und passender gefunden (eher so 14 bis 16 Jahre). Doch es ist auch klar, was das Ziel dahinter ist. Es sollen mehrere Zielgruppen (in diesem Fall v.a. jüngere) angesprochen werden (doch dafür ist die Serie doch insgesamt viel zu düster?!). Unklar ist, ob es noch weitere Staffeln zu Obi-Wan-Kenobi geben wird. Ewan McGregor selbst sieht zwar noch viel Potential, aber Disney hält sich bisher bedeckt. Und ehrlich gesagt, kann ich das verstehen. Einerseits wirkt die Serie nach Staffel 1 in sich abgeschlossen (und ich rechne den Machern der Serie hoch an, dass sie das Duell zwischen Obi-Wan und Darth Vader nicht ewig hinausgezögert haben, sondern es direkt in Staffel 1 einfließen lassen). Andererseits wird es schwierig, in ähnlicher Qualität noch einmal nachzulegen. Es bleibt also spannend. Mich hat die Serie sehr gut unterhalten. Ich gebe 5 Sterne (trotz einiger Logiklöcher)!

Donnerstag, 19. Dezember 2024

Olsberg, Karl - Die achte Offenbarung


Kenntnisreich und spannend



Zu Beginn des Thrillers besucht Eddie Wheeler ein Forschungslabor der Heimatschutzbehörde, aus dem womöglich eine Substanz entwendet worden ist: synthetisiertes DNA-Material, aus dem sich ein tödlicher Virus herstellen lässt. Oder ist die Inventur der Proben nur fehlerhaft durchgeführt worden? Die beschriebenen Sicherheitsvorkehrungen lassen es jedenfalls unmöglich erscheinen, dass jemand dort eingedrungen sein könnte. Höchst mysteriös und gleichzeitig beängstigend…

 

Danach kommt es zu einem Szenenwechsel. Wir sind in einem Hörsaal der Hamburger Universität und wohnen einer Veranstaltung zur mittelalterlichen Kryptologie bei, in der es im Rahmen eines Seminars um eine mysteriöse Schrift geht. Von einem Zuhörer des Seminars wird der Redner, Paulus Brenner, im Anschluss in ein Gespräch verwickelt, bei dem ihm ein Buch übergeben wird, das in einem schwer entzifferbaren Kode geschrieben wurde und der Großmutter von Paulus gehört haben soll. Der Zuhörer bittet den Kryptologen darum, sein Erbe zu entschlüsseln. Und tatsächlich: Das Buch wird von Paulus im Folgenden einer kryptologischen Analyse unterzogen und es macht den Anschein, als habe ein zweiter Nostradamus das Werk verfasst. In dem mittelalterlichen Manuskript werden Geschehnisse mit genauem Datumsangaben vorhergesagt, die der Verfasser nicht kennen kann. Wie ist das möglich? Kann es eine logische Erklärung dafür geben? Ein weiterer spannungserregender Impuls entsteht dadurch, dass Paulus bald darauf in gefährliche Situationen gerät. Er wird verfolgt. Auch andere Personen haben es auf das Manuskript abgesehen. Immer wieder muss Paulus flüchten. Das liest sich sehr spannend!

 

Der Thriller lässt eine ausführliche und exakte Recherche erkennen, und zwar in vielerlei Hinsicht. So wird z.B. die methodische Vorgehensweise der kryptologischen Analyse nachvollziehbar geschildert. Zudem lernen wir etwas über mittelalterliche Handschriften, über Kirchengeschichte oder über den Kölner Dom. Der inhaltliche Bogen wird weit gespannt (sogar bis zur Quantenphysik). Das gefällt mir richtig, richtig gut. Es hat etwas von Dan Brown, was Karl Olsberg hier mit „Die achte Offenbarung“ abliefert. Und auch die Spannungskurve ist über das ganze Werk hinweg stark ausgeprägt. Dadurch, dass das Manuskript schrittweise entschlüsselt wird, ist man als Leser fortwährend neugierig, wie es weitergeht und welche Prophezeiungen noch enthalten sind. Und die Spannung erreicht ihren Höhepunkt, als Paulus Vorhersagen entschlüsselt, die unmittelbar die Gegenwart betreffen. Es wird klar, dass das Schicksal der Menschheit bedroht ist…

 

Zudem sind die entschlüsselten Passagen äußerst kreativ gestaltet worden und laden zum Miträtseln ein. Auch das ist gelungen. Die Handlung schreitet stetig voran, es gibt keine Längen. Auch das finde ich klasse! Nicht zuletzt ist die Figurenzeichnung für einen Thriller nach meinem Empfinden ebenfalls gut gelungen und wird auf den Punkt gebracht. D.h. die Figuren haben ein klares Profil, aber es wird nicht zu tiefgründig und auch nicht zu oberflächlich. Kurzum: Erneut ein Buch von Olsberg, das mich wieder überzeugt hat. Schon „Boy in a white room“, „girl in a strange land“, „virtua“ und „Das System“ fand ich klasse (vgl. dazu frühere Rezensionen). Das kommt nicht häufig vor, dass ein Autor in der Lage ist, mich immer wieder aufs Neue zu fesseln. Und dieses Mal geht es nicht um KI und virtuelle Realität, sondern der Autor beschreitet neue erzählerische „Pfade“. Ich bin mir sicher, dass ich noch weitere Bücher von Olsberg lesen werde.

Montag, 16. Dezember 2024

Tree, Joshua - Die Verschwundenen


Spannend, spannend, spannend



Bücher mit der Umsetzung eines Amnesie-Motivs finde ich stets reizvoll, weil sie einen hohen Grad an Spannung versprechen. Wohl nicht zuletzt aus diesem Grund habe ich zu dem Science-Fiction-Thriller „Die Verschwundenen“ von Joshua Tree gegriffen, von dem ich bisher „Der Vorfall“ gelesen habe, welches mir gut gefallen hat (vgl. dazu eine frühere Rezension). Und eines vorweg: Der Thriller hat auf mich bis zur Auflösung eine ungeheure Sogwirkung entfaltet. Ein richtiger Knaller! Das hätte ich Vorfeld so gar nicht erwartet. Doch worum geht es?

 

Ein Ich-Erzähler wacht ohne Erinnerung auf und weiß nicht, wer er ist. Er befindet sich in einem Flugzeug und hat keine Ahnung, wohin die Reise geht. An seinem Arm bemerkt er ein Implantat, auf dem ein Countdown von 24 Stunden heruntergezählt wird. Bei anderen Flugpassagieren beobachtet er ähnliche Implantate. Alle Fluggäste scheinen ähnliche Erinnerungslücken zu haben wie er selbst. Sehr mysteriös! Als das Flugzeug landet, ist der Flughafen komplett verwaist. Die Passagiere müssen den Flieger über die Notrutschen verlassen. Was geht nur vor sich? Auch die Crew scheint nicht zu wissen, was los ist. Aber die Piloten und Flugbegleiterinnen wirken beruhigend auf die Passagiere ein. Oder wissen sie vielleicht doch mehr, als sie zugeben? Mehr will ich an dieser Stelle nicht verraten. Denn alles, was ich an zusätzlichen Informationen preisgeben würde, würde anderen Leserinnen und Lesern die Spannung nehmen.

 

Ich kann nur Folgendes sagen: Bei mir hat das Amnesie-Motiv eine große Neugier auf den Fortgang der Handlung erzeugt. Ähnlich wie die Figuren bin auch ich als Leser auf der Suche nach Antworten, was vor sich geht. Und durch die Ich-Perspektive sind wir nah dran an den Gefühlen und Gedanken des Protagonisten. Der Autor versteht es sehr gut, die Ungewissheit über das Geschehen lange aufrechtzuerhalten. Erfahrungsgemäß kommt es bei Büchern mit einem solchen Motiv auf die Auflösung an. Denn man liest das Buch mit einer großen Erwartungshaltung und hofft, dass sich alles plausibel aufklärt. Und auch hier kann ich sagen, dass dies dem Autor in meinen Augen gelungen ist. Ich bin nicht enttäuscht worden und mir erschien das Ganze nicht zu weit hergeholt. Prima!

 

Was mir ebenfalls richtig gut gefallen hat, ist die Darstellung des inneren Zustands der Figuren. Dieser kommt an vielen Stellen sehr gut zum Ausdruck und hat mich oft mitfiebern lassen. Und noch etwas: Dadurch dass immer neue Ereignisse die Handlung beeinflussen und weiter verrätseln, bleibt die Spannung kontinuierlich stark ausgeprägt (zumindest bis zur Auflösung). Man bleibt als Leser im Ungewissen, ob die Figuren sich in einer gefährlichen Situation befinden, und rechnet stets damit, dass sie in eine bedrohliche Lage geraten. Auch bleibt unklar, ob das Flugzeugpersonal nicht mehr weiß, als es zugibt. Auch das schafft Unsicherheit und Raum für Überraschungen.


Zur Spannungskurve: Diese schwankt geringfügig. Bis zur Auflösung ist die Spannung, wie schon gesagt, sehr, sehr stark ausgeprägt (zumindest nach meinem Empfinden). Dann folgt die Enträtselung, die man mit Neugier und Faszination liest, und die Handlung erhält noch ein wenig moralische Tiefe. Entspannung tritt ein. Ich wusste dann anfänglich nicht so recht, auf was das Ganze hinauslaufen soll. Doch zum Glück gibt es dann noch einmal eine Wendung, wodurch der Grad an Spannung wieder anzieht. Eine gute Idee des Autors! Diese Wendung ist auch sehr geschickt konzipiert, weil man als Leser nun einen anderen Blick auf das Geschehen einnimmt. Wusste man vorher genauso viel wie die Figuren, hat man nun einen Wissensvorsprung und begleitet die Protagonisten neugierig aus einer Beobachterposition. Das hat mir gut gefallen! Von mir gibt es für das Buch 5 Sterne!

Donnerstag, 12. Dezember 2024

Olsberg, Karl - Das System


Spannend und faszinierend



Von Karl Olsberg habe ich inzwischen einige Bücher gelesen (vgl. frühere Rezensionen). Ich habe den Autor für mich neu entdeckt, ich kannte ihn vorher überhaupt nicht. Und bisher hat mich noch kein Buch, das ich von ihm gelesen habe, enttäuscht. Es handelt sich inhaltlich um Werke mit einem near-future-Setting, die häufig das Thema „Künstliche Intelligenz“ und „Virtuelle Realität“ behandeln. In meinen Augen sind das hoch interessante Themen. Spätestens seit ChatGPT ist das Thema ja in aller Munde und fasziniert weltweit. Und auch im Bereich von virtueller Realität gibt es Fortschritte (vgl. z.B. Meta Quest 3S). Aus Interesse habe ich nun zu einem sehr frühen Roman von ihm gegriffen, der bereits 2007 erschienen ist und sein erster großer Erfolg war: „Das System“. Darin entwirft er erneut eine erschreckend realistische Bedrohung, wie sie hoffentlich niemals Wirklichkeit werden wird.

 

Zu Beginn des Buchs sind wir an Bord der ISS, wo sich die zwei Besatzungsmitglieder aufgrund eines Computerfehlers streiten. Das Computersystem scheint aus unerfindlichen Gründen überlastet zu sein. Der russische Astronaut verdächtigt seinen italienischen Kollegen, Sabotage begangen zu haben. Zeitgleich findet in Hamburg die Präsentation der Software DINA statt. Dabei handelt es sich um eine KI, an die man Fragen richten kann und die in der Lage ist, natürlichsprachlich zu reagieren. DINA funktioniert bei der Vorführung allerdings noch fehlerhaft, so dass die Mitarbeiter der Firma anschließend in Streit geraten und sich gegenseitig Vorwürfe machen. Sie fürchten aufgrund des Misserfolgs von DINA um ihren Arbeitsplatz. Kurze Zeit später wird Ludger, ein Mitarbeiter der Software-Firma, der ebenfalls in den Streit verwickelt war und die Software maßgeblich entwickelt hat, tot aufgefunden. Er wurde ermordet, doch von wem und warum bleibt unklar. Wer steckt dahinter? War der Streit der Grund für die Gewalt? Schnell rückt der Protagonist Mark ins Visier der Ermittler und die Handlung entwickelt sich in die Richtung eines Kriminalromans. Interessant wird es in meinen Augen dadurch, dass der verdächtige Mark sich dazu entschließt, auf eigene Faust in der Mordsache zu ermitteln und vor der Polizei flieht. Was wird er herausfinden? Eingeschoben werden auch immer wieder kurze Kapitel, in denen Computerprobleme thematisiert werden. Mal wird beschrieben, wie Auffälligkeiten im Internet beobachtet werden, mal wird ein System überlastet, mal taucht ein neues Computervirus auf, das sich anschließend selbst löscht, mal kommt es zu Störungen im Mobilfunknetz. Auch auf der ISS kommt es weiter zu technischen Defekten. Was geht da vor sich?  

 

Mit großer Faszination habe ich die Passagen gelesen, in denen mit DINA kommuniziert wird. Sie ist in der Lage auf Äußerungen, die man mittels Tastatur eingibt, natürlichsprachlich zu reagieren und Fragen zu beantworten. Aus heutiger Sicht macht es auf mich fast (!) den Eindruck, als habe Olsberg die Funktionsweise von ChatGPT vorausgeahnt (auch wenn die Ausführlichkeit der Antworten von ChatGPT noch deutlich differenzierter ausfällt, als das, was sich Olsberg in seinem Buch überlegt hat). Faszinierend! (vgl. S. 45: „Sie (= DINA, Anm. d. Verf.) analysiert die Texteingaben, sucht darin nach Worten, die sie kennt, und interpretiert diese anhand vorgegebener Regeln. Dann wertet sie einfach das Programm, das unser Kunde ihr zur Ausführung gegen hat, danach aus. Das hat mit Denken nicht viel zu tun.“). Das Buch liest sich durchweg sehr spannend. Olsberg lässt sich viel einfallen, damit die Handlung nicht stagniert und sich immer wieder in neue Richtungen entwickelt. Handelt es sich anfänglich noch um einen Kriminalroman, so wird es später eher zu einem futuristischen Thriller. Die Ermittlungen treten dann wieder ganz in den Hintergrund und verlaufen im Sande. Was gut zum Ausdruck kommt, ist, wie abhängig die Menschheit von Technik ist und welche Gefahren das in sich birgt. Kurzum: Auch „Das System“ hat mich nicht enttäuscht, auch wenn der Roman noch nicht ganz so rund ist wie spätere Romane (z.B. „Virtua“).


Allerdings ist mir aufgefallen, dass Olsberg in diesem Buch v.a. die Gefahren von KI thematisiert. Nur an einer Stelle wird erwähnt, dass KI auch in der Lage sein könnte, die Probleme der Menschheit zu lösen. Doch nach meinem Eindruck überwiegt insgesamt eher die negative Sicht. Auch in seinen späteren Büchern, die ich kenne (!), werden v.a. die Nachteile und die Gefahren des technischen Fortschritts problematisiert (Ausnahme: „Virtua“, wo eine Computerspielfigur als Mathe-Coach agiert). Es scheint v.a. die Sorge zu überwiegen, dass man die Kontrolle über KI-Systeme verlieren könnte. Es bleibt zu hoffen, dass Olsberg mit seinen düsteren Vorahnungen nicht Recht behält, und die Entwicklungen sich stattdessen als nützlich für die Menschheit erweisen. So bietet ChatGPT zum Lernen einige Möglichkeiten und kann auch dazu dienen, eigene Ideen kreativ weiterzuentwickeln oder z.B. bei Planungen zu entlasten (vgl. dazu z.B. „Christoph Drösser: Was macht KI mit unserer Sprache?, S. 53 ff.“). Wenn man KI als Assistenzsystem begreift, so sehe ich große Vorteile. Allerdings gibt es dann Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen dem, was man als „eigene“ Leistung anerkennen kann, und dem, was von einer KI erzeugt wurde (wobei die Formulierung eines passenden „prompts“ ja auch als eigene Leistung angesehen werden kann). Für Bildungsinstitutionen ist der Umgang damit eine Herausforderung. Aber ich finde es gut, dass sich die KMK z.B. nicht gegen gesellschaftlich-technologische Entwicklungen sperrt und die Nutzung von KI verbietet, weil damit evtl. Missbrauch betrieben werden könnte, sondern stattdessen einen kritisch-konstruktiven Umgang empfiehlt (vgl. dazu „Handlungsempfehlung für die Bildungsverwaltung zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz in schulischen Bildungsprozessen“ vom Oktober 2024). Denjenigen, die KI als Assistenzsystem für sich nutzen, kann man nach meiner Meinung ja nicht automatisch böse Absichten unterstellen (es gibt Lehrkräfte in Schulen, die ChatGPT inzwischen für ihre Unterrichtsplanung nutzen). 

Freitag, 6. Dezember 2024

Poznanski, Ursula - Scandor


Wer lügt, verliert



Zu Beginn lernen wir Philipp und Tessa kennen, die die Möglichkeit erhalten, an einem Wettbewerb teilzunehmen und 5 Millionen Euro zu gewinnen. Die Bedingung für den Gewinn ist, dass sie mehrere Tage nicht lügen dürfen und sich von einem hochentwickelten Lügendetektor mit dem Namen Scandor überwachen lassen, der in der Lage ist, jede Lüge zu erkennen. Bei der Challenge treten 100 Teilnehmer gegeneinander an. Wer zum Schluss übrig bleibt, der gewinnt das Preisgeld. Für die Teilnahme müssen Philipp und Tessa auch ihren Einsatz festlegen. Verlieren sie, müssen sie sich ihrer größten Angst stellen.

 

Der Grad an Spannung nimmt zu, wenn der Wettbewerb beginnt. Man fragt sich natürlich, wer am Ende übrig bleiben wird und wer sich wodurch verraten und ausscheiden wird. Kommt es etwa zu einem Aufeinandertreffen von Philipp und Tessa? Die Kapitelzahlen werden ergänzt um eine weitere Zahl, die anzeigt, wie viele Teilnehmer noch übrig sind. Und in kurzen Einschüben erfahren wir hin und wieder auch, wenn jemand verliert und was der Grund dafür war. Es sind aber nur einzelne ausgewählte Teilnehmer, deren Schicksal des Ausscheidens uns näher gebracht wird. Dabei wird immer wieder sehr gut deutlich, wie schnell man sich doch verplappern kann. Oft sind es z.B. Höflichkeitsfloskeln, die - unbedarft geäußert - zum Ausscheiden führen.

 

Eine schöne Idee, die die Handlung belebt, hat sich die Autorin ebenfalls einfallen lassen: Scandor schickt ab und zu auch Handlungsanweisungen und Aufforderungen zur Teilnahme an Challenges an die Spieler, die sie dann zu erfüllen haben. Auf diese Weise werden die Mitspieler in schwierig zu meisternde Kommunikationssituationen gebracht, in denen sie leicht „stolpern“ können. Die beiden Protagonisten müssen sich stark zusammenreißen und jedes Wort abwägen, wenn sie auf Fragen antworten. Ein Moment der Unaufmerksamkeit und man scheidet aus. Eine weitere interessante Idee ist, dass einzelne Teilnehmer versuchen, den anderen Mitspielern das Leben schwer zu machen und dabei mit unfairen Tricks agieren. Dadurch dass die Autorin diese verschiedenen belebenden Elemente und kreativen Impulse in die Handlung integriert, wird es nicht langweilig und die Handlung gerät nicht zu gleichförmig. Es dreht sich nicht zu sehr im Kreis. Es kommt immer wieder zu neuen Duellen zwischen den Teilnehmern, bei denen es darauf ankommt, die geschickteren Fragen zu stellen, um dem Gegenspieler ein Bein zu stellen. Das hat mir gut gefallen!


Würde ich das Buch als Klassenlektüre empfehlen? Leider nein. Aus folgenden Gründen: 1. Der Preis für das Paperback-Buch ist mit ca. 20 Euro viel zu hoch, 2. Die Charakteristik der Figuren und die Beziehungsverhältnisse zwischen den Figuren geben in meinen Augen für eine Analyse zu wenig her. 3. Die thematische Bandbreite ist zu schmal, es gibt zu wenig Anknüpfungspunkte, die man vertiefen kann. Als Jugendbuch für eine individuelle Lektüre würde ich es aber empfehlen. Das Buch ist kurzweilig und die Protagonisten haben Zugkraft. Man fiebert mit ihnen mit und will wissen, wie es am Ende ausgeht. Von mir gibt es 4 Sterne! Warum „nur“ 4 Sterne? Das Ende hat mich nicht restlos überzeugt. 

Montag, 2. Dezember 2024

Kaltenegger, Lisa - Sind wir allein im Universum. Meine Suche nach Leben im All


Tolles Überblickswerk zum Thema "Exoplaneten"



Lisa Kaltenegger legt ein äußerst verständlich geschriebenes Buch mit dem Titel „Sind wir allein im Universum? Meine Suche nach Leben im All“ vor, in dem sie sich dem Forschungsgegenstand von Exoplaneten widmet und die Frage danach stellt, ob dort außerirdisches Leben möglich ist und wie wir es überhaupt entdecken können. Dank zahlreicher textunterstützender Illustrationen wird der Inhalt an vielen Stellen anschaulich nähergebracht.

 

Kapitel 1 – 4,6 Mrd. Jahre Einsamkeit

In diesem Kapitel erläutert die Autorin zunächst, welche Typen von Exoplaneten es gibt. Hier sind Mini-Neptune, Super-Erden, Eisgiganten, Heiße Jupiter und sog. Steppenwölfe zu nennen, die jeweils mit ihren Spezifika vorgestellt werden. Die Forschung habe am meisten Interesse an Felsplaneten, die sich in einer habitablen Zone befinden. Gleichzeitig macht Kaltenegger aber auch am Beispiel der Drake-Formel und des Fermi-Paradox klar, welche gewaltigen Hürden zu nehmen sind, um überhaupt außerirdisches Leben zu entdecken. Abschließend legt sie dar, was sich die Forschung von der Erforschung von Exoplaneten verspricht.

 

Kapitel 2 – Unser Platz im Universum

Hier rücken v.a. Sterne als Forschungsobjekt in den Mittelpunkt. So wird zunächst auf unsere Sonne eingegangen und erläutert, wie weit unser Heimatstern von anderen Sternen entfernt ist. Danach wird uns der Evolutionsprozess veranschaulicht, den ein Stern durchläuft. In diesem Zusammenhang wird auch dargelegt, was im Inneren eines Sterns für chemische Prozesse stattfinden. Des Weiteren wird erklärt, mit welchen Geschwindigkeiten sich Sterne (teils voneinander) entfernen. Dabei wird in meinen Augen gut deutlich, welche unvorstellbare Ausdehnung unser Kosmos einnimmt, sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Hinsicht. Abschließend wirft die Autorin einen Blick auf das kosmische Zentrum unserer Milchstraße und wagt eine Vorausschau auf die Zukunft unserer Galaxie. In diesem Kontext wird auch auf den Ursprung unseres Universums verwiesen und Kaltenegger geht der Frage nach, wie groß der beobachtbare Teil unseres Kosmos ist. Kurzum: Eine gut strukturierte und verständlich-kompakte Sammlung von zentralen Fakten, die jeder kosmologisch versierte Laie schon einmal irgendwo gelesen oder gehört hat.

 

Kapitel 3 – Faszinierende Welten in unserem Sonnensystem

Die Autorin rückt nun unser Sonnensystem stärker ins Zentrum des Interesses. Mit anschaulichen Analogien wird die unterschiedliche Dichte der einzelnen Planeten gut erläutert. Auch die Entfernung der verschiedenen Planeten von der Sonne wird sehr bildhaft veranschaulicht. In diesem Kontext wird auch auf die Gravitationskraft von Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Neptun und Uranus eingegangen und dargestellt, wie die Menschen die Anziehungskraft nutzen, um Flugobjekte durchs Sonnensystem zu manövrieren. Am Ende des Kapitels finden auch Zwergplaneten Erwähnung (hierzu zählt auch Pluto). Darüber hinaus widmet sich Kaltenegger der Frage, wie ein Planetensystem entsteht. Hierbei wird unser Planetensystem mit Kepler-11 und Kepler-62 in Beziehung gesetzt. Weitere Inhalte dieses Kapitels: Die Entstehung von Jahreszeiten auf der Erde (Achtung: Hierfür ist die Achsenneigung der Erde verantwortlich!), die spezifischen Charakteristika des Erdmondes. Abschließend begibt sich die Autorin auf eine Reise durch unser Sonnensystem und schenkt solchen Himmelskörpern besondere Aufmerksamkeit, auf denen Leben existieren könnte (= Venus, Mars, die Jupitermonde Io, Europa, Ganymed und Kallisto, die Saturnmonde Enceladus und Titan).

 

Kapitel 4 – Werkzeuge für die Suche nach fremden Planeten

In diesem Kapitel werden die verschiedenen Methoden vorgestellt, mit denen man Exoplaneten aufspüren kann. Dies geschieht z.B. anhand von Wackelbewegungen eines Sterns, wie die Autorin sehr verständlich erläutert. Was mir in diesem Zusammenhang nur nicht ganz klar geworden ist, ist Folgendes: Wie kann man anhand der Wackelbewegung eines Sterns feststellen, ob an ihm nur ein oder mehrere Planeten ziehen? Oder anders gefragt: Wie kann man feststellen, ob nur ein oder gar mehrere Planeten für die Wackelbewegung eines Sterns verantwortlich sind? Wackelt der Stern dann mehrfach? Oder bewirken mehrere Planeten ein größeres Wackeln? Des Weiteren geht die Autorin auf den ersten entdeckten Planeten außerhalb unseres Sonnensystems ein (51 Pegasi b). Interessant fand ich auch den Hinweis darauf, dass es für die Forschung leichter ist, massereiche Planeten zu entdecken, die in kurzem Abstand um einen Stern kreisen, weil sie leichter identifizierbare Wackelbewegungen zur Folge haben. Dies führt natürlich dazu, dass man anfangs v.a. auf Heiße Jupiter stieß.

Eine weitere Methode ist die Transitmethode, bei der sich ein Stern aufgrund der Umrundung eines Planeten um ihn teilweise verdunkelt. Es lassen sich Helligkeitsschwankungen messen und anhand der Größe der Schwankungen kann man wiederum Rückschlüsse auf die Größe des Planeten ziehen, der einen Stern umkreist. Und auch hier stechen der Forschung natürlich v.a. solche Himmelskörper ins Auge, die ihren Stern in kurzen Abständen (und damit schneller) umkreisen und einen häufigeren und/ oder größeren Verdunklungseffekt nach sich ziehen. Ist ein Planet weit vom Stern entfernt und benötigt mehrere Jahre für die Umrundung, so ist er schwerer auszumachen, weil man viel Geduld für die Beobachtung aufbringen muss. Auch die Größe des Sterns (und des Planeten) ist ein wichtiger Einflussfaktor. Bei einem kleinern Stern lassen sich Helligkeitsschwankungen leichter feststellen, weil ein Planet mehr Oberfläche abdeckt. Gleichzeitig sind kleinere Planeten schwerer auszumachen, da sie weniger Fläche verdunkeln.

Interessant ist auch, dass Kaltenegger darauf hinweist, dass andere Planetensysteme teils ganz andere Planetenkonstellationen aufweisen als unser eigenes Sonnensystem. Es existiert eine große Bandbreite an möglichen Formationen. Und die Autorin weist auch auf mögliche Fehlerquellen bei den Messungen hin, die das Ergebnis verfälschen können. Gleichzeitig wagt sie einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft. Wenn die Messungen noch genauer werden, weil die Instrumente besser sind (Stichwort: PLATO-Mission), so wird man vielleicht bald sogar schon Exomonde ausfindig machen können. Ungeklärt ist auch noch folgende Forschungsfrage: Warum umkreisen Heiße Jupiter ihren Stern oft in falscher Richtung?

Eine weitere Methode zum Aufspüren von Exoplaneten ist die der direkten Bildaufnahme. Dafür erläutert Kaltenegger zunächst, wie es möglich ist, über solch gewaltige Distanzen, das Licht eines Sterns auszublenden, um auf diese Weise Planeten zu entdecken, die dann nicht mehr länger vom Licht des Sterns überstrahlt werden. Als Beispiel stellt sie uns die Sterne HR 8799, Beta-Pictoris sowie Formalhaut vor. Der Stern Formalhaut z.B. wird nur von einem einzigen Planeten umkreist. Bei dieser Methode wird auch wieder eine Herausforderung deutlich. Mit der direkten Bildaufnahme sind v.a. solche Planeten gut auszumachen, die sich in einer großen Distanz zum Stern bewegen (einfach weil sie dann nicht so stark vom Licht des Sterns überstrahlt werden).

 

Kapitel 5 – Toplage ist nicht alles oder: Die Habitable Zone

Nun konzentriert sich die Autorin auf die Habitable Zone als aussichtsreicher Raum für mögliches Leben (wie wir es kennen…). Interessant ist in diesem Zusammenhang der Hinweis von Kaltenegger, dass die Habitable Zone veränderlich ist und sich verschiebt, abhängig vom Alter eines Sterns, seiner Größe und Helligkeit. So ist zu beachten, dass Sterne unterschiedlich lange existieren. Hier stellt sich die überaus interessante Frage, wie viel Zeit dafür notwendig ist, dass sich Leben entwickeln kann. Sind Sterne mit einer kürzeren Lebensdauer überhaupt aussichtsreiche Kandidaten für die Suche nach außerirdischem Leben?

Der älteste Exoplanet, den man bisher gefunden hat, nennt sich Kepler-444 und ist 11 Mrd. Jahre alt. Spannend finde ich in diesem Zusammenhang auch den Gedanken, in wie weit sich unser irdisches und mögliches außerirdisches Leben überhaupt im Gleichklang entwickeln kann. Wer kann schon wissen, ob auf anderen Welten nicht schon Milliarden Jahre vor uns Leben existiert (hat) oder nach uns existieren wird. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich zur gleichen Zeit in beobachtbarer Nähe zueinander intelligentes Leben entwickelt? 

Des Weiteren brauchen Planeten in der Habitablen Zone weitere Eigenschaften, um Leben hervorbringen zu können, z.B. eine bestimmte Geologie sowie das Vorhandensein einer Atmosphäre.

 

Kapitel 6 – Spurensuche nach Leben im All

In diesem Kapitel geht es um die Methoden der Erforschung der Atmosphäre von Exoplaneten. Jeder Planet liefert uns eine Art „Licht-Fingerabdruck“, so die Autorin. Mit Hilfe dieses Abdrucks lässt sich die Atmosphäre genauer analysieren. Dafür nimmt man einen Spektrografen zur Hilfe. V.a. das neue James-Webb-Teleskop hilft dabei, ausreichend Licht von kleineren Exoplaneten einzufangen und auszuwerten. Des Weiteren erläutert Kaltenegger, dass nicht nur ein Bestandteil für sich allein genommen, bereits ein Indiz für Leben ist. Weder Wasser allein noch Sauerstoff allein noch CO2 allein erlaubt eine Aussage darüber, ob es auf einem Exoplaneten Spuren von Leben gibt. Es kommt auf die richtige Kombination an. Das beste Indiz für Leben sei das Vorhandensein von Sauerstoff oder Ozon + Methan auf einem Planeten in einer Habitablen Zone. Für die Erforschung komme aber erschwerend hinzu, dass sich der Licht-Fingerabdruck im Laufe der Zeit verändert. Es handelt sich also nicht um eine feste Größe. Da wir das Licht eines Planeten immer erst zeitversetzt empfangen, wissen wir also nicht, ob nicht auf einem Planeten in diesem Moment Leben existiert, auch wenn es im Spektrum vielleicht noch nicht erkennbar ist. Darüber hinaus lässt sich nicht einschätzen, welche Art von Leben auf einem fremden Planeten existieren könnte (Einzeller vs. intelligentes Leben). Was aber erstaunlich ist: Mit Hilfe der neuesten Generation von Teleskopen kann man anhand der Auswertung von Helligkeitsschwankungen etwas über Rotation des Planeten ableiten. Was wir jedoch wieder nicht wissen, ist der Umstand, wie sich verschiedene Tageslängen auf die Entwicklung von Leben auswirken. Wie viel Sonnenlicht pro Tag benötigt Leben z.B., damit es sich entwickeln kann? Und wie ist es mit der Schwerkraft? Wie wirkt diese sich auf die mögliche Entwicklung von Leben aus? Auch das sind noch offene Fragen. Weiterhin müsste man im Idealfall auch noch mehr über die geologische Aktivität eines Exoplaneten wissen…

 

Kapitel 7 – Der perfekte Planet

In diesem Kapitel widmet sich die Autorin der Frage, wie außerirdisches Leben aussehen könnte. Vermutlich wird es ebenfalls auf der Basis von Kohlenstoff basieren, so Kalteneggers Vermutung. Am Beispiel der sogenannten Kleinen Wasserbären verdeutlich sie aber, dass Leben extreme Formen annehmen kann. Kleine Wasserbären können z.B. bei -200Grad bis +100 Grad existieren, sie kommen 10 Jahre ohne Wasser aus, vertragen eine hohe Strahlendosis und können im Weltraum für 10 Tage ohne Schutzanzug überleben. Die Beschaffenheit von Leben auf anderen Planeten könnte ganz anders sein als auf der Erde. Die Umweltfaktoren könnten ganz andere sein. Denkbar ist z.B., dass außerirdisches Leben einer höheren Strahlung oder einer stärkeren bzw. schwächeren Schwerkraft ausgesetzt ist.

 

Kapitel 8 – Die Top Ten Planeten, die unser Weltbild revolutioniert haben

Abschließend erstellt die Autorin eine Liste mit zehn Exoplaneten, die für sie besonders erwähnenswert sind. Der erste Planet, den sie nennt, ist 51 Pegasi b (1995 entdeckt). Bei ihm handelt es sich um den ersten Heißen Jupiter überhaupt, den man aufspürte. Er braucht nur wenige Tage, um seinen Stern zu umrunden. Planet Nr. 2: HD 209458 b (1999 entdeckt). Sein Jahr dauert nur dreieinhalb Erdtage. Planet Nr. 3: CoRoT-7b (2009 entdeckt). Ein Felsplanet, der auf mehr als 1000 Grad erhitzt wird. Planet Nr. 4: Gliese 581 d (2009 entdeckt). Ein erster aussichtsreicher Planet für Leben. Er befindet sich in einer Habitablen Zone, umkreist allerdings einen Roten Riesen, der viel älter ist als die Sonne. Planet Nr. 5: GJ 1214 b (2009 entdeckt). Der erste Mini-Neptun, also ein kleiner Gasplanet, zu dem es in unserem Sonnensystem keine Entsprechung gibt. Planet Nr. 6: Kepler-10c (2011 entdeckt). Umrundet seinen Stern in 45 Tagen und ist 20 Mal so schwer wie unsere Erde. Er verdeutlicht, dass Felsplaneten viel größer sein können, als man zwischenzeitlich annahm. Man bezeichnet solche Welten als Mega-Erden. Planet Nr. 7: Kepler-16b (2011 entdeckt). Ein interessanter Planet, weil er von zwei Sonnen beschienen wird. Planet Nr. 8: Kepler-62e und Kepler-62f (2013 entdeckt). Zwei sehr erdähnliche Planeten in einer Habitablen Zone. Beide könnten evtl. lebensfreundlich sein. Noch steht die Auswertung ihres Licht-Fingerabdrucks aus. Planet Nr. 9: Proxima Centauri b (2016 entdeckt). Ein spannender Planet, weil er nur vier Lichtjahre von der Erde entfernt ist. Planet Nr. 10: PSR B1257+12A, B und C (schon 1992 entdeckt). Diese Welten sind von Interesse, weil sie um explodierte Sterne kreisen und damit einen Blick in die Zukunft erlauben.

Kaltenegger macht klar, dass es auch in Zukunft spannend bleibt. So ist noch offen, inwieweit unser Sonnensystem als „normal“ gelten kann. Unterscheidet sich unser System stark oder kaum von anderen Planetensystemen? Ist es gar einzigartig? Oder gibt es ähnliche Systeme? Die Wissenschaft ist jedenfalls immer wieder erstaunt, in welchen Abständen sich Planeten bilden können. Bisher lassen sich keine allgemeinen Regeln formulieren, wo Planeten überhaupt entstehen können. Es ist davon auszugehen, dass noch viele weitere Exoplaneten entdeckt werden und die technischen Möglichkeiten der Auswertung des Lichts immer exakter werden. Vielleicht ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis man einen sehr erdähnlichen Planeten finden wird…

Donnerstag, 21. November 2024

Fox, Brad - Leuten am Meeresgrund. Aus dem Logbuch der ersten Tiefsee-Expedition


Pionierarbeit



Von dem Sachbuch „Leuchten am Meeresgrund. Aus dem Logbuch der ersten Tiefsee-Expedition“ hatte ich mir viel versprochen. Es ist ein Buch über die Pionierarbeit von Otis Barton und William Beebe, die mit ihrer Bathysphäre als erste Forscher überhaupt so tief unter die Meeresoberfläche getaucht sind. Ihr Rekord liegt bei 923 m. Vor den Tauchgängen von Barton und Beebe wusste man nichts darüber, welche Kreaturen sich in der Tiefe des Ozeans verbergen. Beide haben einen völlig neuen Kosmos erschlossen. Ein Kosmos auf der Erde selbst. Ein Kapitel der Menschheitsgeschichte ebenso spannend wie die Mondlandung, wie ich finde. Bei der Lektüre habe ich mich des Öfteren gefragt, wie es sein muss, in einer Tauchkugel so weit in die Tiefe vorzudringen. Und das Buch startet auch vielversprechend.

 

Im ersten Kapitel sind wir am 11.06.1930 dabei, als die von Otis Barton und William Beebe erbaute Bathysphäre erstmals ins Wasser des Ozeans abtaucht. An Deck des Forschungsschiffs protokolliert Gloria Hollister mit Hilfe eines Notizbuchs die Beobachtungen, die die beiden Männer unter der Wasseroberfläche machen. In 300m Tiefe beobachten sie winzige Garnelen in ihrem natürlichen Lebensraum. Bei ihrem ersten Tauchgang geht es hinunter bis auf 427m. Eingebunden in den Text sind auch Abbildungen, die den Text auflockern. Beebe, Hollister und Barton werden zudem näher porträtiert. Dabei wird die gegenseitige Zuneigung von Beebe und Hollister ebenso deutlich wie die Faszination der drei Forscher für die Tierwelt des Ozeans.

 

Auch das zweite Kapitel weiß zu überzeugen. Darin streifen wir die Tierwelt, die man außerhalb der Bathysphäre entdeckt hat. Hierbei stechen vor allem die bioluminiszierenden Fische hervor. Auch untersucht Beebe mit Hilfe eines Spektroskops die Veränderung des Lichtspektrums unter Wasser. In diesen Zusammenhang streut der Autor auch einige wissenschaftshistorische Exkurse zum Thema der Erforschung von Licht und Farbe bei. Sehr interessant!

 

Doch nach diesem vielversprechenden Beginn des Buchs, der mich wirklich für sich eingenommen hat, nimmt die Qualität der Darstellung in meinen Augen stark ab. Nach meinem Eindruck schafft es der Autor nicht, eine stringente Erzählung aus den historischen Begebenheiten zu formen. Vieles bleibt Stückwerk. Teilweise sind die Kapitel recht knapp und zusammenhanglos verfasst. So werden uns z.B. in Kapitel 3 einige biographische Stationen von Beebe erläutert, z.B. seine Begegnung mit Charles Darwin und Theodor Roosevelt. Danach erhalten wir Einblick in einige Tierstudien von Beebe, die er als Biologe noch vor dem ersten Tauchgang mit der Bathysphäre durchgeführt hat etc.

 

Es handelt sich bei den Kapiteln nach meinem Eindruck um einzelne episodenhafte Ausschnitte, die recht unverbunden nebeneinanderstehen. Zusammenhänge werden nicht immer gut deutlich (z.B. Kap. 10-15). Schade! Dabei fällt auch auf, dass vor allem Beebe mit seinen Leistungen und seiner Biographie in den Vordergrund rückt, Hollister wird nur am Rande einmal erwähnt und der Ingenieur Otis Barton kommt so gut wie nicht vor, obwohl letzterer die Bathysphäre konstruiert hat. Darüber hätte ich auch noch gern mehr erfahren. Auch der Schreibstil schafft Distanz zum Geschehen. Er kommt sehr sachlich, rational, unemotional, nüchtern-protokollartig daher. Wie es sich anfühlt, so tief zu tauchen, und das in einer so kleinen Tauchkugel, das kam mir nicht genug zum Ausdruck. Sehr schade!

 

Allerdings blitzen zwischendurch auch immer einmal wieder kleine Highlights durch, z.B. wenn auf den ungeheuren Wasserdruck eingegangen wird, der unter der Meeresoberfläche herrscht, oder wenn erläutert wird, wie wenig wir eigentlich noch über die Tiefen der Ozeane wissen. Bislang ist nur ein minimaler Teil dieses fremden Kosmos überhaupt untersucht worden. Und das, obwohl 70% der Erde mit Wasser bedeckt ist, das kilometerweit in die Tiefe reicht. Nach Aussage des Autors sind schätzungsweise 99% des Lebens auf der Erde im Wasser enthalten. Und darüber weiß man noch erstaunlich wenig. Die Tiefsee ist ähnlich wenig erforscht wie fremde Planeten…

 

Positiv hervorzuheben sind die Abbildungen (insgesamt 70 im ganzen Buch), die teils im Rahmen der Tauchgänge mit der Bathysphäre entstanden sind. U.a. sind einige Farbzeichnungen (insgesamt 31) von Tiefseelebewesen im Buch enthalten. Erstaunlich für mich ist hierbei, dass Leben so weit in der Tiefe unter so ungeheurem Wasserdruck möglich ist und so zahlreich in verschiedenster Ausprägung vertreten ist. Spannend sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen in Kapitel 9. Darin wird erläutert, wie die Zeichnungen entstanden sind. Beebe rekonstruiert allein aus dem Gedächtnis, was er gesehen hat und berichtet davon. Aussehen, Form und Farbe wird von einer fachkundigen Zeichnerin festgehalten. Die Skizzen werden dann von Beebe immer wieder ergänzt und korrigiert. Erstaunlich, dass dabei teilweise sehr exakte Tierskizzen entstanden sind, die in späteren Jahren auch bestätigt werden konnten.


Fazit: Das Thema des Buchs ist faszinierend und man stößt zwischendurch auch immer wieder auf Highlights in der Darstellung. Auch die Abbildungen und der Beginn des Werks wissen zu überzeugen. Mehr als 3 Sterne kann ich aber aufgrund der oben genannten Kritikpunkte nicht vergeben.

Adler, Sabine - Was wird aus Russland?


Warum hadert die russische Gesellschaft nicht mit dem Krieg?



Sabine Adler legt ein Sachbuch zu Russland vor, das einen interessanten Titel trägt: „Was wird aus Russland?“ Diese Frage stelle ich mir auch regelmäßig. Der Krieg dauert nun schon 1000 Tage und es macht nicht den Eindruck, als würde ein Ende der Kämpfe nahen. Nein, stattdessen sieht es danach aus, als würde nun eine neue Eskalationsstufe erreicht. Was mich nach wie vor wundert, ist der Umstand, warum es in Russland selbst nicht „rumort“. Die Regierung sitzt nach wie vor fest im Sattel, es macht nicht den Eindruck, als haderten die Russen mit dem von Putin losgetretenen Angriffskrieg. Oder ist die Angst vor den Repressionen einfach zu groß? Brodelt es unter der gesellschaftlichen Oberfläche vielleicht mehr als man ahnt? Das sind schwierig zu beantwortende Fragen. Was mich beschäftigt ist aber die Frage, warum kein „Ruck“ durch die russische Gesellschaft geht, in der schon lange keine Pressefreiheit mehr herrscht und die Leute mit Propaganda indoktriniert werden. Woran liegt das? Adler liefert mit ihrer Analyse einige Antworten auf diese Fragen. 

 

Grund 1: Die russische Bevölkerung erhält keine Berichte zum echten Verlauf des Krieges und wird mit „Fake News“ (bzw. Propaganda) durch das russische Fernsehen beliefert. Adler macht deutlich, wie schwer es für Journalisten im Land geworden ist, Informationen zu beschaffen. Sie hätten mit starken Repressionen zu kämpfen und würden massiv eingeschüchtert. Es gibt nur wenige Mutige, die unter Gefahr für Leib und Leben im Untergrund weiter ihrer journalistischen Arbeit nachgehen. Doch die Gesellschaft lebt in einer vom Kreml geschaffenen Wirklichkeitsblase.

 

Grund 2: Nach Einschätzung der Autorin ist die russische Bevölkerung wenig von den Sanktionen betroffen. Adler erläutert, dass sich in der Bevölkerung sogar eine Art Trotzreaktion entwickelt hätte und sie der Meinung sei, der Krieg müsse um jeden Preis gewonnen werden, um das Ansehen des Landes zu bewahren. Man sei zwar nicht zufrieden damit, dass der Krieg begonnen worden ist, und finde es auch nicht gut, dass Putin das Land in diese Lage gebracht hat, aber nun sei es wichtig, einen Sieg zu erringen. Viele russische Bürgerinnen und Bürger hätten Angst vor der Zukunft und davor, dass Russland den Krieg verliert. Inzwischen ließe sich auch unter den jüngeren Russen, die früher dem Krieg kritisch gegenübergestanden hätten, eine Meinungsänderung beobachten. Oft würde eine Täter-Opfer-Umkehr betrieben und den Ukrainern eine Mitschuld an dem Ausbruch des Krieges gegeben. Anteilnahme am Leid der Ukraine lasse sich selten erkennen, so Adler.

 

Grund 3: Adler erläutert das Phänomen des „homo sovieticus“. Durch die Erfahrungen mit dem kommunistischen Totalitarismus habe sich die Gesellschaft auf eine negative Art und Weise verändert, so die These. So seien die Menschen auch nach Zusammenbruch der Sowjetunion immer noch gewohnt, sich zu fügen, unterzuordnen, nichts zu hinterfragen, keine eigene Meinung zu haben und sich ihre Freiheit ohne Widerstand nehmen zu lassen. Gehorsam, Gefolgschaft und Anpassung rückten an die Stelle des selbstständigen Denkens. Diese Einstellung hätte das russische Volk tief verinnerlicht und es sei ihm bis heute nicht gelungen, sich davon zu befreien, auch weil keine kritische Aufarbeitung der Vergangenheit stattgefunden hat. Die Russen seien es nicht gewohnt, aufzubegehren. Dies verhindere die Stimmung eines gesellschaftlichen Umbruchs. Der „homo sovieticus“ existiere weiter und Putin hätte sich diesen Umstand zunutze gemacht, um wieder ein autoritäres Regime zu errichten. Wie schon zu Sowjetzeiten wird der Westen wieder als Feindbild aufgebaut, um eine Homogenisierung nach innen zu erreichen, und die Informationen werden, wie damals, staatlich kontrolliert. Ziel von Putin sei es, eine Bedrohungslage und Angst zu erzeugen, um die Gesellschaft auf Linie zu bringen.

 

Grund 4: Die Demokratie habe durch die (wirtschaftliche) Unsicherheit in den 1990er Jahren keinen guten Start in Russland gehabt. Der Großteil der Bevölkerung blieb arm, während sich einige findige Oligarchen munter bereicherten. Diese Erfahrungen hätten die russischen Bürgerinnen und Bürger skeptisch gegenüber demokratischen Strukturen werden lassen. Viele waren mit ihren eigenen Problemen beschäftigt und haben sich lieber ins Private zurückgezogen. Hinzu komme ein großes politisches Desinteresse der Gesellschaft. Das Bedürfnis, politisch Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen, wenn etwas falsch läuft, sei nur gering ausgeprägt. V.a. die jungen Leute interessierten sich mehr für Konsum als für die eigene Freiheit. Hinzu kommt, dass diejenigen, die sich zu sehr politisch engagieren oder gar opponieren, Sanktionen zu befürchten hätten. Der Staatsapparat habe einige Anstrengungen unternommen, um die Meinungsfreiheit zu untergraben und eine politische Opposition auszuschalten. Die Russen hätten daraus v.a. gelernt, sich lieber „wegzuducken“, statt politisch aktiv zu werden, um sich nicht selbst zu gefährden. Auch diese Faktoren erschweren ein gesellschaftliches Umdenken.

 

Grund 5: Putin selbst habe in seiner Amtszeit als Präsident dafür gesorgt, die ersten demokratischen Entwicklungen abzuwerten und als von außen aufgezwungen zu ettiketieren. Er hat stattdessen an alte Sowjetzeiten angeknüpft und bedient dabei den Wunsch seiner Bevölkerung, als Großmacht in der Welt wahrgenommen zu werden. Auch die Sehnsucht der Russen nach Stabilität und Sicherheit hat er geschickt für sich ausgenutzt und sich selbst als starken Anführer präsentiert. Bezeichnend ist z.B. auch der Umstand, dass Putin immer dann als besonders beliebt bei der Bevölkerung gilt, wenn er Kriege führt. Seine Kriegslüsternheit werde ihm als Durchsetzungsstärke und Entschlossenheit ausgelegt, so Adler. Die Bezüge Putins auf Russlands imperialistische Vergangenheit dienten auch dazu, dem Land seine Selbstachtung wiederzugeben und das Ansehen als Großmacht nach innen und außen wiederherzustellen. Etwas, das Russland in den orientierungslosen 1990er Jahren verloren hat.

 

Vieles, was die Autorin ansonsten in ihrem Buch beschreibt ist ein Blick in die Glaskugel. Wer weiß schon, was passiert, wenn Russland den Krieg verliert (oder gewinnt...). Wird Putin dann entmachtet? Wer wird ihm nachfolgen? Werden dann Privatarmeen für bürgerkriegsähnliche Zustände sorgen? Oder wird Russland tatsächlich die Konfrontation mit der NATO suchen? Es lassen sich viele und die wildesten Hypothesen aufstellen. Das möchte ich im Rahmen dieser Rezension lieber außen vor lassen und mich nicht daran beteiligen. Sicher ist nur eines und da gebe ich der Autorin absolut Recht: Europa wird einen Weg finden müssen, mit Russland weiter umzugehen, egal wie dieser Krieg ausgeht und wann er endet. Europa und Russland werden Nachbarn bleiben. Daran führt kein Weg vorbei. Wie die Gestaltung dieses Weges dann aussieht, ob sich Russland von innen neu ausrichtet und ob sich die geopolitischen Verhältnisse in Zukunft ändern oder verschieben, wird die Zeit zeigen. Ich bin aber inzwischen skeptisch, wenn es darum geht, dass aus Russland jemals ein demokratisches Land werden wird. Da hatte ich in der Vergangenheit einmal eine andere, optimistischere Meinung und größere Hoffnungen…

Montag, 18. November 2024

Olsberg, Karl - Virtua


Spannend und faszinierend



Was wäre, wenn eine Firma kurz vor der Entwicklung einer starken Künstlichen Intelligenz stünde? Welche Absichten würde eine solche KI dann verfolgen? Um diese Fragen dreht sich der Near-Future-Thriller „Virtua“, den ich mit großem Interesse gelesen habe. Die düstere Zukunftsvision, die sich der Autor überlegt hat, könnte tatsächlich in dieser Form irgendwann Realität werden (hoffentlich nicht), wenn die Firma, die die KI entwickelt hat, eines Tages die Kontrolle über sie verliert. Doch worum geht es überhaupt?

 

Der Psychologe Daniel hofft auf einen neuen Job bei der Firma „Mental Systems“. Dort wird es seine Aufgabe sein, das Arbeitsklima zu verbessern bzw. am Laufen zu halten, Konflikte zu klären und auf die Gesundheit der Mitarbeiter zu achten. Und obwohl er in seinem Bewerbungsgespräch offen über seine eigenen psychischen Probleme spricht (er fühlt sich für den Suizid einer ehemaligen Klientin verantwortlich und lebt mit großen Schuldgefühlen), kriegt er letztlich den Zuschlag für den neuen Job. Sein Arbeitgeber rechnet ihm seine Offenheit hoch an. Die Firma, in der Daniel fortan arbeitet, betreibt die Entwicklung einer starken KI und entwickelt Technologien für das sog. Metaverse, in dem sich viele Menschen in ihrer Freizeit aufhalten. Die Arbeit bringt es mit sich, dass Daniel einige dieser technischen Dinge kennen lernt und die angespannte Stimmung der Belegschaft erlebt. Einiges, was er sieht, verschlägt ihm regelrecht den Atem. Die Simulationen, die er am eigenen Leib erfährt, wirken so echt, dass er sogar an der Wirklichkeit zu zweifeln beginnt. Was ist noch echt? Was ist nur simuliert? Eine Unterscheidung fällt ihm schwer. Daniel taucht mit der Zeit immer tiefer in die Geheimnisse von „Mental Systems“ ein. Und er spürt, dass die Mitarbeiter der Entwicklung der KI namens „Virtua“ Misstrauen entgegenbringen. V.a. die getroffenen Sicherheitsvorkehrungen werden immer wieder zum Thema. Gleichzeitig steht „Mental Systems“ unter großem Erfolgs- und Konkurrenzdruck. Eine gefährliche Mischung! Auf diese Weise wird auch thematisiert, dass Firmen eine große Verantwortung für ihre technologischen Entwicklungen tragen.

 

In einer anderen Perspektive tauchen wir in eine künstlich simulierte Realität ein, in das sog. Metaverse, und begleiten den jugendlichen Anwaltssohn Jerry bei seinen Abenteuern in einer virtuellen Fantasywelt. Jerry ist oft sich selbst überlassen, weil sich niemand um ihn kümmert. Seine schulischen Leistungen lassen zu wünschen übrig. Und ihm graut davor, eines Tages in die Fußstapfen seines dominanten Vaters treten zu müssen, der ihm ständig Vorschriften macht und Erwartungen an ihn richtet. Auch aus diesen Gründen flüchtet er sich oft ins Metaverse und spielt dort „Unlife“. Dort hat er als Vampirlord Erfolgserlebnisse und findet Anerkennung. Etwas, das ihm in der wirklichen Welt verwehrt bleibt. Bei seinen Streifzügen durch die Fantasywelt von Unlife trifft er auf eine simulierte Spielefigur, zu der er sich stark hingezogen fühlt. Von ihr fühlt er sich verstanden. Er gerät immer stärker in einen gefährlichen Sog von Suchterfahrung und verliert sich zunehmend in der virtuellen Spielewelt.

 

Anscheinend hat der Autor ein Faible für virtuelle Fantasywelten, auch in anderen Büchern von ihm bin ich bereits auf diese Idee gestoßen (vgl. dazu frühere Rezensionen zu „Boy in a white room“ und „girl in a strange land“). Und noch etwas ist mir aufgefallen. Die Behandlung der Themen von KI und virtueller Realität sind nicht einseitig negativ. Das finde ich gut! Der Autor beleuchtet immer auch Vorteile, die die neuen Technologien mit sich bringen könnten. So wird die Spielefigur, in die sich Jerry verliebt zu haben scheint, zu einer Art Mathecoach für ihn. Sie vermittelt ihm Inhalte, die er in der Schule nicht verstanden hat, motiviert ihn zum Lernen und verbessert durch ihr individuelles Training seine schulischen Leistungen. Auch im weiteren Handlungsverlauf wird immer wieder in der Schwebe gehalten, ob Virtua ehrlich oder unehrlich agiert. Das Thema Vertrauen spielt in diesem Zusammenhang eine große Rolle. Täuscht die KI die Menschen über ihre wahren Absichten oder meint sie es gut mit ihren Schöpfern? Mir hat sehr gut gefallen, dass ich als Leser mal in die eine, mal in die andere Richtung mit meiner Einschätzung gelenkt wurde. Das ist richtig gut arrangiert!

 

Stellenweise blitzt auch auf, welche gesellschaftlichen Transformationsprozesse vor sich gehen, die durch die Entwicklung von neuen Technologien verursacht werden. So ist z.B. an einer Stelle die Rede davon, dass immer mehr Berufsgruppen ihre Arbeit verlieren, weil sie durch KI ersetzt werden. Zudem wird ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt. Die Handelsstrukturen der Welt sowie das Konsumverhalten verändern sich. Nicht zuletzt wirkt sich der Aufenthalt im Metaverse negativ auf die zwischenmenschliche Beziehungsgestaltung aus. Und ich hatte während der Lektüre oft das Gefühl, dass sich einige Vorahnungen des Autors womöglich tatsächlich in naher Zukunft so ereignen könnten. Seine Visionen wirken nicht zu weit hergeholt. Das hat mich oft nachdenklich werden lassen.

 

Im letzten Drittel greift der Autor an zwei Stellen geschickt auf das Mittel von Zeitsprüngen zurück, um das Geschehen nochmals in eine neue Richtung zu lenken und der Handlung neue Impulse zu verleihen. Auch das hat mir richtig gut gefallen. Und noch etwas fand ich sehr gelungen: Das Nachwort! Darin zeichnet der Autor die jüngsten Entwicklungen im Bereich der KI-Forschung nach und äußert sogar die Sorge, dass man in naher Zukunft (vielleicht schneller als man denkt) in der Lage sein wird, eine KI zu entwickeln, die man vielleicht nicht mehr kontrollieren kann. Eine beängstigende Vorstellung, die hoffentlich niemals Realität wird und nur eine Idee im Bereich der Science-Fiction bleibt. Kurzum: Der Thriller „Virtua“ hat mir richtig, richtig gut gefallen. Ein tolles Buch! Olsberg wird langsam zu einem meiner neuen Lieblingsautoren.

Mittwoch, 13. November 2024

Strauss, Annika - Nachtfahrt


Schnell, schneller, Annika Strauss



Die Protagonistin Katha wird von zahlreichen Schicksalsschlägen heimgesucht. Im Alter von 12 Jahren verlor sie ihre Mutter, in jüngerer Vergangenheit noch dazu ihre Schwester sowie ihren Schwager und nun ist auch noch ihr Vater verstorben, während er auf dem Motorrad eine Fahrstunde abhielt und von einem Auto scheinbar absichtsvoll von der Fahrbahn gedrängt worden ist. Katha muss sich nun um die Fahrschule sowie die 13-jährige Ronja kümmern, die Tochter ihrer Schwester, um die sich zuvor ihr Vater gekümmert hat.

 

Katha, die eigentlich vor drei Jahren nach Berlin geflüchtet ist, um einen Verlobten und ihr altes Leben als Fahrlehrerin hinter sich zu lassen, muss sich nun wieder in das Geschäft einfügen und ihren alten Job übernehmen. Sie kehrt unfreiwillig in ihr altes Leben zurück, weil sie den Nachlass regeln muss. Dabei trifft sie auch auf Personen von früher, denen sie lieber nicht begegnet wäre. Sie muss sich Situationen stellen, die sie lieber vermieden hätte. Eine schwierige Lage. Erschwerend kommt hinzu, dass sich ihre Nichte ihr gegenüber abweisend verhält. Sie steckt mitten in der Pubertät und ihr fällt es schwer, mit den zahlreichen Verlusten umzugehen.

 

Kaum hat Katha ihre neue Tätigkeit übernommen, kommt es zu einer nächsten Katastrophe. Ein Fahrzeug ist manipuliert worden und eine Fahrschülerin erleidet einen Unfall. Spätestens ab diesem Zeitpunkt fragt man sich, wer es auf die Fahrschule und die Familie rund um Katha herum abgesehen hat. In einer weiteren Perspektive, lernen wir auch einen uns unbekannten Täter kennen, der eine junge Mutter entführt hat und dieser ihr eigenes Kleinkind vorenthält. Er verlangt von ihr, Prüfungen zu bestehen, um zu beweisen, dass sie eine gute Mutter ist. Nach und nach fügt sich das Puzzle dann zusammen, wie die verschiedenen Handlungsstränge zusammenhängen.

 

Was mir besonders gut an diesem Thriller gefällt, ist der Umstand, dass die Autorin mit einem sehr, sehr hohen Tempo die Geschehnisse vorantreibt. Die Kapitel sind kurz und knackig und es gibt keinen Stillstand. Man kommt als Leser kaum zum Durchatmen, ständig passiert etwas Neues und es kommt zu neuen Verwicklungen und Ereignissen. Schnell wird zwischen den verschiedenen Personen und Handlungsorten gewechselt. Ich mag eine solch dynamische Erzählweise sehr, da sie mich beim Lesen in einen Zustand erhöhter Anspannung versetzt. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen und bin durch die Seiten geflogen. So muss ein temporeicher Thriller sein! Da hat die Autorin in meinen Augen viel richtig gemacht. Und ich hoffe, sie behält ihren rasanten Stil in Zukunft bei. Kurzum: Ein überraschend guter Thriller, bei dem ich voll auf meine Kosten gekommen bin. Den Namen der Autorin werde ich mir merken. Ich hoffe auf weiteren so guten Lesestoff von ihr.