Dieses Blog durchsuchen

Samstag, 23. Dezember 2023

Zeh, Juli - Spieltrieb





Kinder des Nichts 


Nachdem ich das Debut von Juli Zeh gelesen habe, das mir nicht ganz so gut gefiel (vgl. eine frühere Rezension), wollte ich mir gerne ihren zweiten Roman „Spieltrieb“ (2004) genauer anschauen. Und was soll ich sagen: Auch dieser Roman hat mich (leider) nicht überzeugt, was aber dieses Mal an einer persönlichen Vorliebe von mir liegt. Das Buch strotzt nur vor Passagen mit detailliertem und ausuferndem Erzählerbericht. Schon allein der Beginn, als Ada charakterisiert wird, ist unglaublich informationsreich gestaltet worden (ich möchte fast von „Infodumping“ sprechen). Bei mir hat das den Effekt, dass ich mich oft durch die Seiten kämpfen musste, ich schweife gedanklich bei solch dicht geschriebenen Textstellen schnell ab. Mir fehlt dann die Lebendigkeit und Unmittelbarkeit, ich fühle mich von zu vielen Informationen überflutet, die ich mir sowieso nicht alle merken kann. Dafür punktet das Buch aber mit einer schönen Sprachgestaltung, vor allem die kreative Verwendung von Metaphern ist mir positiv aufgefallen. Doch der Reihe nach…


Erst einmal zum Inhalt: Im Mittelpunkt steht die 14-jährige Schülerin Ada, die alles andere als ein leichter Charakter ist. Sie ist unterfordert und ihren Mitschülern intellektuell überlegen. Sie verhält sich distanziert, äußert sich im Unterricht oft provokativ und erscheint uns als Außenseiterin. Was sie auszeichnet, ist darüber hinaus eine besondere emotionale Kälte. Auch Angst und Unterdrückung am fiktiven Ernst-Block-Gymnasium werden thematisiert. Von einer Mitschülerin wird Ada außerhalb des Klassenzimmers attackiert, nachdem sie sie während des Unterrichts bloßgestellt hat. Sie wird zum Opfer und weiß nicht, wie sie sich wehren soll. Ada behält diese Verletzung zunächst für sich, nur ihrem Mitschüler Olaf vertraut sie sich vorsichtig an. Zu ihm entwickelt sich dann eine eigenartige, gefühllose Beziehung, bei der es auch zu einer sexuellen Handlung durch Ada kommt, die Olaf und sie dann auseinanderbringt. Das ist die zweite Verletzung, die Ada erlebt. Sie erfährt eine Ablehnung durch Olaf. Und es zeigt sich schon an dieser Stelle, dass Ada leicht von anderen beeinflussbar ist. 


Hinzu kommen zwei weitere wichtige Charaktere: Der Lehrer Smutek und der Mitschüler Alev, der erst nach dem Beziehungsende von Ada und Olaf als neuer Mitschüler in der Handlung auftaucht. Zwischen Alev und Ada entsteht eine weitere sonderbare Beziehung, bei der Ada sich erneut in der schwächeren Position befindet. Alev ist äußerst manipulativ. Und im weiteren Handlungsverlauf entsteht eine brisante Dreiecksgeschichte, die auch schon auf dem Klappentext angedeutet wird. Alev und Ada verbünden sich gegen Smutek, den sie erpressen wollen. Ihr Ziel: Ada soll Smutek verführen und Alev dokumentiert das Geschehen mit der Kamera. Spätestens ab diesem Zeitpunkt gewinnt die Handlung etwas an Zugkraft. Man fragt sich, ob der Plan der beiden aufgeht und wie es dann mit Smutek, Ada und Alev weitergeht. Auch wundert man sich als Leser:in über Ada, die sich bereit erklärt, bei diesem „Spiel“ mitzumachen. Es benötigt beim Lesen allerdings einen langen Atem. 


Was insgesamt auffällt: Dem Roman fehlt es durchgängig an positiven Gefühlen wie an Liebe, Nähe, Geborgenheit und Warmherzigkeit. Das Gegenteil davon steht im Mittelpunkt. Emotionale Kälte, Gleichgültigkeit, Rücksichtslosigkeit, Sachlichkeit und Distanziertheit prägen die Handlung. Darauf sollte man sich einstellen. Und was mir noch aufgefallen ist: Das Geschehen wird mit langsamen Tempo erzählt, es gibt wenige Dialoge, dafür, wie schon erwähnt, umso mehr (informationsreichen) Erzählerbericht. Die Handlung verläuft größtenteils ereignislos. Hinzu kommen einige Textstellen, in denen es auch einmal philosophisch zugeht (v.a. zu den Themen „Nihilismus“ und „Spieltheorie“). Auch intertextuelle Anspielungen findet man (z.B. „Der Mann ohne Eigenschaften“). Auch die Nähe zu Nabokovs „Lolita“ ist erkennbar. So etwas sollte man mögen. 


Mit Ada erschafft die Autorin eine eigentümliche und sonderbare Figur, die bei mir wenig Sympathie erzeugt. Ich habe mich des Öfteren gefragt, warum Ada sich von anderen so manipulieren lässt, obwohl sie doch so intelligent ist. Leider konnte ich darauf keine befriedigende Antwort finden. Das bleibt eine Leerstelle. Ist es womöglich ein geringes Selbstwertgefühl? Und ich hätte mir gewünscht, dass die psychologische Tiefe und Motivation der Figuren noch mehr zum Ausdruck kommt. Auch bei der Erpressung blieb mir größtenteils unklar, warum Ada und Alev überhaupt einen solchen Plan schmieden. Was ist ihr Ziel? Was erhoffen sie sich? Wo soll das Ganze hinführen? Darüber erfährt man erstaunlich wenig, wie ich finde. Und natürlich stellt man sich im Zusammenhang mit dem Lehrer Smutek ebenfalls viele Fragen, die man diskutieren kann: Warum lässt er sich verführen? Und warum lässt er sich erpressen und sucht keine Hilfe? Die ganze Geschichte um Smutek ist in meinen Augen erneut höchst sonderbar. Eine Erpressung stelle ich mir anders vor, als sie im Buch dargestellt wird. Smuteks Agieren erschließt sich mir nicht


Mittwoch, 20. Dezember 2023

Wahl, Caroline - 22 Bahnen




5 von 5 Sternen


Keine Abendbrot-Tisch-Familie


Das Werk „22 Bahnen“ von Caroline Wahl stand schon lange auf meiner Wunschliste. Ich habe viel Gutes über das Buch gehört, es steht auch schon über 30 Wochen in der Spiegel-Bestsellerliste. Aus diesem Grund wollte ich mir gern ein eigenes Urteil bilden. Und ich war schon nach den ersten Seiten überzeugt. V.a. die Beziehungsverhältnisse zwischen den Figuren und die Charakterzeichnung sind gut ausgearbeitet und äußerst gelungen. Und auch das Zitat von Alina Bronsky auf dem Klappentext passt sehr gut. Die starke weibliche Hauptfigur Tilda erinnert mich auch sehr an Sascha Naimann aus „Scherbenpark“. Hinzu kommen die eingebauten Dialogsequenzen in Form von direkter Rede, die dem Inhalt Lebendigkeit und Unmittelbarkeit verleihen. So etwas mag ich. Und auch der Schreibstil gefällt. Er ist äußerst „süffig“. Das große Thema des Romans: Alkoholismus und das Leid, das er bei den Angehörigen verursacht.

 

Zur Handlung: Zu Beginn lernen wir Tildas Tagesablauf kennen und es ist deutlich spürbar, dass sie das Tagesende genießt, wo sie zur Ruhe kommt. Ihr fehlen Rückzugsmöglichkeiten. Schwimmen ist ihre große Leidenschaft, ihr Ruhepol. Dort hat sie Raum für sich. Sie besitzt eine außergewöhnliche mathematische Begabung und steht kurz vor ihrem Masterabschluss. Ihr Studium absolviert sie nebenbei, zusätzlich zu all ihren Pflichten, die sie noch zu erledigen hat. Eine besondere Beziehung hat sie zu ihrer jüngeren Schwester Ida, um die sie sich liebevoll und auf rührende Weise kümmert. Für Ida ist sie wie eine Ersatzmutter. Und das muss sie auch sein, denn die Mutter von Tilda und Ida agiert unzuverlässig und verantwortungslos. Sie ist Alkoholikerin und leidet unter depressiven Phasen. Und das unbeschwerte Leben, das Tilda führen könnte, wenn sie keine privaten Sorgen um ihre Schwester und ihre Mutter haben müsste, ist äußerst brüchig. Auch in den Phasen, wo Tilda ihr Leben zu genießen scheint, hält ihr Glück nie lange an. Über allem schwebt der unberechenbare Zustand der Mutter. Ein Rückfall in die Alkoholsucht ist jederzeit möglich. Der Alkoholismus ist wie ein Gewitter: zerstörerisch, dunkel, stürmisch und man weiß nie, wo der nächste Blitz einschlägt. Alle Beteiligten fühlen sich unsicher und ausgeliefert, weil das Unwetter das Leben überschattet. Man wartet förmlich darauf, dass der Sturm vorbeizieht und das Licht der Beruhigung endlich hervortritt.

 

Vor allem Ida leidet unter den unvorhersehbaren Rückfällen ihrer Mutter, sie kann kein normales, unbeschwertes Leben als Fünftklässlerin führen. Und Tilda ist Idas Beschützerin, sie liest der Mutter auch einmal die Leviten und verhält sich ihr gegenüber hart und kompromisslos. Bewundernswert dabei: die Stärke von Tilda und der Umstand, wie sie immer wieder in die Bresche springt und die schwierigen Situationen meistert, in die sie immer wieder gerät. Und was bei mir Fassungslosigkeit und Wut hervorrief: Die immer wieder falschen Versprechungen der Mutter, sich zu bessern, und ihre unfassbare Sturheit. Tilda wirkt erwachsener als ihre eigene Mutter. Es wird förmlich erlebbar, wie schwierig das Zusammenleben mit einer alkoholkranken Person sich anfühlen muss.

 

Und das ist meiner Meinung nach auch die große Leistung der Autorin: Der krisenhafte Zustand der Mutter und das Leid von Ida und Tilda wird nachempfindbar. Und ich habe mich bei der Lektüre häufiger gefragt: Was würde ich in einer solchen Situation tun? Wie würde ich selbst handeln? Man versetze sich dabei in Tilda hinein: Man steht selbst noch nicht auf eigenen Beinen, ist mittellos, man hat das Leben noch vor sich und ist bereits verantwortlich für die kleine Schwester, weil auf die eigene Mutter kein Verlass ist. Hinzu kommt die Scham. Man möchte nicht, dass andere Leute davon erfahren, wie es zu Hause zugeht. Wie bestreitet man in einer solchen Situation sein Leben? Woher nimmt Tilda die Stärke, diese Situation zu bewältigen? Wenn Literatur es schafft, solche Fragen beim Lesen auszulösen, dann ist sie in meinen Augen relevant und gut gemacht.

 

Als man Tilda eine Promotionsstelle in Berlin anbietet, nimmt die Handlung Fahrt auf, meine Neugier wurde entfacht: Wie wird sich Tilda entscheiden? Wird sie bei ihrer Schwester bleiben oder geht sie ihren eigenen Weg? Wird die Mutter sich vielleicht einer Therapie unterziehen und alles endet glücklich? Das sind die Fragen, die mir bei der Lektüre in den Sinn kamen. Mehr möchte ich an dieser Stelle nicht verraten. Es möge jede/ jeder selbst herausfinden, in welche Richtung sich der Inhalt entwickelt. Fazit: Ein sehr gelungenes Werk, das emotionalisiert. In meinen Augen steht es zu Recht schon lange in der Spiegel-Bestsellerliste. 5 Sterne von mir!

Dienstag, 19. Dezember 2023

Star Trek - Strange New Worlds






Falls ich es noch nicht erwähnt habe, ich bin übrigens ein großer Star-Trek-Fan und das schon seit Kindheitstagen. Daher rührt vermutlich auch mein Interesse an Science-Fiction und Astronomie. Bis auf die Serie „Star Trek Enterprise“ mit Scott Bakula (eine noch zu füllende Wissenslücke für die Zukunft) kenne ich wirklich alles von Star Trek. Aus diesem Grund habe ich mir natürlich auch die neue Serie „Strange New Worlds“ angeschaut und will hier meinen Gesamteindruck loswerden (= Kurzrezension), ohne allerdings im Detail auf alle Folgen einzugehen.

 

Was mir direkt positiv aufgefallen ist: Star Trek kehrt zurück zu seinen Anfängen und ist thematisch wieder viel näher dran an den Ursprüngen. Im Vordergrund steht das Forschen, das Entdecken von neuen Zivilisationen, Erstkontakte spielen eine große Rolle. Das gefällt mir außerordentlich gut, zumal ich von „Discovery“ ab einem gewissen Punkt sehr enttäuscht war und die Serie um Sonequa Martin-Green während Staffel 4 abgebrochen habe (zu viel Tränendrüse, zu viel overacting). Es bleibt natürlich abzuwarten, in welche Richtung sich „Strange New Worlds“ entwickelt, aber Staffel 1 startet wirklich vielversprechend.

 

Was mir ebenfalls gefällt: Jede Folge steht für sich und bietet eine in sich abgeschlossene Handlung. Auch dies eine Rückkehr zu den „Klassikern“. Gleichzeitig gibt es einzelne Handlungsstränge, die sich durch die verschiedenen Episoden ziehen (z.B. die schwer erkrankte Tochter des Schiffsarztes, Pikes Visionen über sein Ableben, Spocks Liebesbeziehung etc.). Ich finde es gerade gut, dass nicht jede Folge auf der anderen aufbaut und die Bedeutung einer Einzelfolge damit wieder mehr Bedeutung erlangt.

 

Noch etwas Positives: Fast jeder Charakter der Crew erfährt eine Profilschärfung (einige haben aber auch noch Luft nach oben), immer mal wieder stehen andere Figuren im Zentrum der Handlung und erhalten genügend Raum. Dadurch konnte ich viel besser eine Verbindung zu einzelnen Charakteren herstellen (das fehlte mir z.B. bei „Discovery“). Wir lernen die Mannschaft um Pike dadurch besser kennen.

 

Nach langer Zeit endlich mal wieder eine Serie, die wieder an die Grundidee von „Star Trek“ anknüpft („Picard, Staffel 3“ bildet hier eine Ausnahme!) und den alten Charme der Enterprise aufleben lässt. Ausgesprochen gut gefielen mir „Captain Pike“ und „Spock“. Pike ist ein Akteur mit Zugkraft, äußerst gewitzt und humorvoll, und das Zusammenspiel mit Spock und dessen menschlicher Seite hat mich ebenfalls überzeugt. Von mir gibt es 5 Sterne!


Sonntag, 17. Dezember 2023

Scott, Ridley - The last duel






Warum bespreche ich hier einen Film? Weil mich das erzählerische Arrangement begeistert und positiv überrascht hat. Ich wusste im Vorfeld nicht, was auf mich zukommt. Es geht um den Film „The Last Duel“ vom Regisseur Ridley Scott, der momentan durch den Historienfilm „Napoleon“ wieder auf sich aufmerksam macht. Bekannt geworden ist er sicherlich durch „Alien“ und „Gladiator“. Die Handlung von „The Last Duel“ ist in Frankreich des 14. Jahrhunderts angesiedelt, doch die Thematik ist hoch aktuell. Eine Frau wird vergewaltigt, macht ihre Vorwürfe gegen den potentiellen Täter öffentlich und muss ihre Ehre verteidigen. Sie durchläuft regelrecht eine Hölle, ihre Anschuldigungen werden immer wieder in Zweifel gezogen. Und die Gerichtsbarkeit zu jener Zeit ist natürlich nicht vergleichbar mit einem Prozess in einem modernen Rechtsstaat, wie wir es kennen. Ein Gottesurteil soll gefällt werden. Der Ehemann des Opfers stellt sich in einem Duell dem beschuldigten Täter. Und über allem schwebt immer auch die Frage: Wie verzweifelt muss sich das Opfer fühlen, dem Unrecht widerfahren ist, dem man aber nicht glaubt? Sie legt ihr Schicksal in die Hände ihres Ehemanns, der sie verteidigen muss und ist völlig abhängig vom Ausgang des Duells. Verliert ihr Mann, so landet sie auf dem Scheiterhaufen und wird verbrannt. Ihr ungeborenes Kind, von dem wir nicht wissen, wer der Vater ist, wird dann zur Waise. Dieser Stoff emotionalisiert!

 

Und was den Film weiterhin besonders macht, ist nicht nur der Inhalt, sondern auch die Erzählweise: Das Geschehen wird nacheinander aus drei unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Zunächst wird uns der Blickwinkel des Ehemanns dargeboten, der seiner Frau glaubt und zur ihr hält. Danach wird den Zuschauer:innen das Ganze aus der Sicht des Täters präsentiert, der die Situation anders darstellt. Und zuletzt kommt das Opfer zu Wort und es wird deutlich, was wirklich passiert ist (wenn man ihr denn Glauben schenkt). Was ich daran gelungen finde: Verschiedene Szenen aus dem Leben der Protagonisten werden jeweils aus verschiedenen Perspektiven erzählt, so dass unterschiedliche Lesarten des Falls deutlich werden. Wir fühlen uns als Zuschauer wie ein Richter, dem verschiedenartige Versionen derselben Geschichte vorgestellt werden und der dann sein Urteil fällen muss. Das ist sehr geschickt arrangiert. Die drei Blickwinkel sind gut aufeinander abgestimmt und ergänzen sich teilweise gegenseitig. Und man leidet mit dem Opfer mit und hofft darauf, dass der Täter bestraft wird. Über allem schwebt die Frage, ob das Duell am Ende des Films zur Gerechtigkeit führen wird. Gewinnt der Ehemann das Duell am Ende des Films, wird die Ehre seiner Frau und seine eigene wiederhergestellt.

 

Mir hat der Film sehr, sehr gut gefallen. Und was ich an dem Stoff zusätzlich schätze, ist die Tatsache, dass die Handlung ohne weiteres auf die heutige Zeit übertragen werden kann (man denke nur an die „me-too-Debatte“). Es wird deutlich, wie sehr ein potentielles Opfer leidet, wenn es die Vorwürfe der Vergewaltigung erhebt. Die Frau, die Furchtbares durchlitten hat, muss sich einer Befragung stellen und darauf hoffen, dass man ihr glaubt. Die Beweisführung ist außerordentlich schwierig. Kurzum: Es handelt sich um eine Erzählung mit emotionaler Wucht, die noch dazu auf realen historischen Begebenheiten beruht. Ridley Scott hat seinen Film auf das Buch von Eric Jager gestützt („The last duel. A true story of crime, scandal, and trial by combat“), das bisher nicht ins Deutsche übersetzt worden ist. Darin wird der Fall erzählt, der sich 1368 ereignet hat. Eine Frau namens Marguerite de Carrouges behauptet von Jacques Le Gris vergewaltigt worden zu sein. Ihr Mann Sir Jean de Carrouges wendet sich an König Karl VI., um die Angelegenheit vor Gericht zu bringen. Es ranken sich viele Theorien um das Geschehen: Wollte Jean sich mit dieser Geschichte an seinem Widersacher Jacques rächen? Hat Marguerite vielleicht den falschen Mann beschuldigt? Schenkt man jedoch solchen Theorien Glauben, so spricht man damit dem Opfer wiederum ab, die Wahrheit zu sagen.


Samstag, 16. Dezember 2023

Mokler, Felicitas - Die Evolution des Universums. Vom Urknall bis in die Ewigkeit






Gelungenes Überblickswerk mit schönen, großformatigen Farbfotos


Auf der Suche nach einem gelungenen, informativen Überblickswerk zum Thema „Kosmologie“? Dann könnte „Die Evolution des Universums. Vom Urknall bis in die Ewigkeit“ von Felicitas Mokler genau das Richtige sein, vor allem weil es neben den interessanten Texten auch noch tolle, teils seitenfüllende Bilder vom Kosmos in Farbe aufweist. An einigen „Deep-Field-Aufnahmen“ konnte ich mich nicht sattsehen. Darüber hinaus hat mir gefallen, dass in den letzten beiden Kapiteln auch Kontroversen in den Blick genommen wurden, die deutlich machen, dass es in der Forschung auch Aspekte gibt, über die teils heftig gestritten wird. So gibt es z.B. unterschiedliche Methoden zur Entfernungsbestimmung von Himmelsobjekten und auch der exakte Wert der Hubble-Konstante ist umstritten. Und auch bezogen auf die Themen der „Dunklen Energie und Materie“ wird klar, dass es in der Kosmologie oft höchst spekulativ zugeht. Mir gefällt, dass das zum Ausdruck kommt. Vermisst habe ich noch ein Kapitel zur Erforschung von Exoplaneten. Aber es gibt ja auch noch die hilfreichen Themenhefte von Spektrum der Wissenschaft (vgl. dazu frühere Rezensionen). Doch der Reihe nach. Im Folgenden möchte ich skizzieren, was die Leser:innen in den Kapiteln jeweils erwartet.

 

Kapitel 1 – Aufbruch in ein neues Universum

Die Autorin wirft einen Blick 100 Jahre zurück in die Forschung. Sie beschreibt wichtige Entdeckungen von damals (z.B. zur Bewegung von Himmelsobjekten, zur Entfernungsmessung durch Hubble, zur Konstanz der Lichtgeschwindigkeit) und weist auch auf Kontroversen hin, die zu jener Zeit geführt worden sind (z.B. die Frage, ob das Universum statisch oder veränderlich ist) und die heute in einem anderen Licht erscheinen, weil jede Menge Erkenntniszugewinne stattgefunden haben. V.a. in der Spektroskopie gab es Fortschritte, so dass man heute viel mehr über die chemische Zusammensetzung von Sternen weiß und daraus etwas ableiten kann.

 

Kapitel 2 – Auf der Suche nach dem Urknall

In Form eines kurzen wissenschaftsgeschichtlichen Abrisses werden weitere Themen in den Blick genommen: Urknall, kosmische Hintergrundstrahlung, Singularitäten, Inflationstheorie, die Idee der Quantangravitation. Wichtige Forscher und ihre Arbeiten werden benannt. Der Erzählton wird nun anspruchsvoller, die Darstellung kompakter. Einiges an Vorwissen wird bereits vorausgesetzt.

 

Kapitel 3 – Von der Quantenfluktuation zum kosmischen Netz

Hier werden nun Ergebnisse der Messungen der kosmischen Hintergrundstrahlung erläutert. Die Autorin verweist auf Eckdaten, die man heute über den Kosmos zu wissen glaubt (z.B. das Alter des Kosmos von 13,7 Mrd. Jahren). Die sichtbare Materie habe lediglich einen Anteil von 4,9%. Und die Ausdehnungsrate des Universums betrage 67,4 km/sec/Mpc. Auf Kontroversen in der Forschung wird an dieser Stelle noch nicht weiter eingegangen. Auf die Diskussion um die Hubble-Konstante verweist die Autorin aber im letzten Kapitel. Und zu den Gravitationswellen, die während der inflationären Phase entstanden sein sollen, hätte ich gern noch mehr erfahren. Ein weiteres Thema, das beleuchtet wird: Die Strukturbildungen von Himmelskörpern im All (z.B. das Gebilde der „Großen Mauer“) und die Rolle von Dunkler Materie in diesem Zusammenhang. Nach Einschätzung der Autorin steht zwar fest, dass die Dunkle Materie gravitativ wirkt, ein Nachweis von Partikeln steht aber noch aus. Spannend fand ich den Hinweis der Autorin auf eine Himmelsregion, die erstaunlich leer erscheint. Die beobachtete Struktur enthalte 30% weniger Materie als ihre Umgebung, erstreckt sich über 1,8 Mrd. Lichtjahre, aber die Ursache dafür sei unklar. Es bleibt spannend. Was ich schade fand: Auf Alternativen zur Annahme von Dunkler Materie wird nicht weiter eingegangen. Hiermit meine ich Modelle von modifizierter Gravitation (vgl. dazu den Beitrag „Gibt es dunkle Materie wirklich“ von Sabine Hossenfelder und Stacy S. McGaugh in Spektrum der Wissenschaft Kompakt 03/21, S. 25-35).

 

Kapitel 4 – Die kosmische Dämmerung

In diesem Kapitel steht die Entdeckung besonders alter Himmelsobjekte im Zentrum des Interesses. Eine erste Analyse jüngster Aufnahmen des James-Webb-Teleskops offenbarte eine Galaxie, die offensichtlich 300 Mio. Jahre nach dem Urknall entstanden ist. Diesen Rekord gilt es zu schlagen. Weiterhin wird auf die Besonderheit von Quasaren eingegangen, die leuchtstärksten Objekte im Kosmos. Sie befinden sich in einer enorm großen Entfernung, wurden erst in der jüngeren Geschichte der Forschung entdeckt und müssen eine enorm kraftvolle Energiequelle aufweisen. Heute weiß man, dass dort extrem massereiche Schwarze Löcher wirken. Unklar ist allerdings, warum Quasare in einer bestimmten Epoche gehäuft auftraten und wie Schwarze Löcher bereits im frühen Universum entstehen konnten. Wie konnten sie in so kurzer Zeit so groß werden? Die Autorin stellt dafür einige Hypothesen vor. Sind die ersten Schwarzen Löcher womöglich direkt mit dem Urknall entstanden?

 

Kapitel 5 – Vom Wasserstoff zum Sternenstaub

Die Autorin widmet sich dem Thema des Sternentstehungsprozesses. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die ersten Sterne eine noch viel größere Masse hatten als jüngere Sterne. Der Fusionsprozess im Sterninneren wird sehr genau beschrieben und die verschiedenen Lebensphasen einer Sonne werden beleuchtet. Auch die besondere Erscheinungsform von Kugelsternhaufen wird in den Blick genommen. Es scheint die Gesetzmäßigkeit zu geben, dass es in der Entwicklungsgeschichte des Alls immer weniger massereiche Sterne und immer häufiger masseärmere Sterne gibt, die länger leben.

 

Kapitel 6 – Die Evolution der Galaxien

In diesem Kapitel rückt die Galaxienentwicklung in den Fokus. So ist interessant, dass sämtliche Galaxien ab einer bestimmten Masse ein Schwarzes Loch in ihrem Zentrum aufweisen. Das wusste ich noch nicht. Je massereicher die Galaxie, desto größer auch das Schwarze Loch. Galaxien, so die Autorin, durchlaufen Entwicklungsstadien. Besonders aktive Galaxien erscheinen als Quasare und es ist möglich, dass eine Galaxie vor langer Zeit einmal ein Quasar war oder in ferner Zukunft wieder zu einem Quasar werden kann. Und Galaxien durchlaufen nicht nur eine „Quasar-Phase“, sondern auch ein sogenanntes „Starburst-Stadium“ (eine Phase mit erhöhter Sternentstehungsrate). Kurzum: Es gibt also Phasen höherer und weniger hoher Aktivität, die eine Galaxie durchläuft. Spannend und faszinierend! Auch auf das äußere Erscheinungsbild von Galaxien wird eingegangen (Spiral- und Ellipsenform). Mokler erklärt, dass die elliptischen Galaxien sozusagen die Endprodukte einer langen Geschichte von Galaxienentwicklung sind. Bis heute sei allerdings noch nicht geklärt, wie genau die Spiralstruktur entsteht. Ein weiterer interessanter Aspekt, der thematisiert wird: Die (gravitativen) Wechselwirkung von Galaxien. Sie beschleunigen einander oder bremsen einander aus. Auch kommt es zu Verschmelzungen. Und auch unsere Milchstraße habe sich in den vergangenen 12 Mrd. Jahren verändert.

 

Kapitel 7 – Die kosmische Entfernungsleiter

Es existieren verschiedene Methoden, mit denen man die Entfernung von Himmelsobjekten bestimmen kann (z.B. die Parallaxenmethode oder die Standardkerzen-Methode). Diese werden in allgemeinverständlicher Form vorgestellt. Hilfreich fand ich auch die Illustrationen, mit denen die Probleme der Geometrie eines gekrümmten Raums verdeutlicht werden. Auch die verschiedenen Arten von Rotverschiebungen erläutert Mokler nachvollziehbar. Abschließend wird in diesem Kapitel die Frage diskutiert, wie weit man überhaupt in die kosmische Vergangenheit blicken kann. Ob das Universum größer ist als der beobachtbare Bereich (= Teilchenhorizont), wisse man nicht.

 

Kapitel 8 – Trouble mit Hubble

Hier wird der Streit um den exakten Wert der Hubble-Konstanten thematisiert. In der Forschung gibt es eine große Debatte darüber, wie schnell sich das All ausdehnt (vgl. dazu auch das Themenheft „Dunkle Energie“ von Spektrum der Wissenschaft Kompakt 05/19). Auch stellt Mokler verschiedene Annahme vor, wie die Zukunft des Kosmos aussehen könnte. Ein höchst spekulativer Bereich! Interessant fand ich die Idee eines zyklischen Universums (= „Big Bounce“), die aber sehr umstritten ist.

Donnerstag, 14. Dezember 2023

Strobel, Arno - Tiefe Narbe






Die Anfänge von Max Bischoff


Die Mörderfinder-Reihe um Max Bischoff ist bekannt und beliebt. Den ersten Teil habe ich gebannt gelesen und regelrecht verschlungen (vgl. dazu eine frühere Rezension). Doch die Erzählung um den Beamten Bischoff beginnt nicht erst mit der Mörderfinder-Reihe, von der im Februar 2024 übrigens der vierte Teil erscheint, sondern bereits mit Thrillern, die den Untertitel „Im Kopf des Mörders“ tragen. Das sind „Tiefe Narbe“ (2017), „Kalte Angst“ (2018) und „Toter Schrei“ (2019). Um mehr über die Vorgeschichte des Protagonisten zu erfahren, entschied ich mich für die Lektüre von „Tiefe Narbe“, das ich hier besprechen möchte.

 

In meinen Augen zeichnen sich Arno Strobels Thriller durch die folgenden Zutaten aus: hohes Tempo, hohe Dialog- und hohe Ereignishaftigkeit. Und hier bildet „Tiefe Narbe“ keine Ausnahme. Man ist von Beginn an in der Handlung drin und wird sofort mitgerissen. Ein verwirrter Mann, blutüberströmt und orientierungslos, sucht das Polizeipräsidium auf und weiß nur noch, dass er in einer Wohnung war und dort überwältigt wurde. Bei der Adresse, die er den Beamten nennt, findet man ein blutverschmiertes Schlafzimmer vor, aber keine Leiche. Und als Leser:in stellt man sich sofort die folgenden Fragen: Was ist passiert? Wo ist die Leiche? Ist der verwirrte Mann der Täter oder will man ihm etwas anhängen? Und was ich an der Charakterzeichnung von Bischoff mag: Seine Zerrissenheit zwischen Beruflichem und Privatem kommt gut zum Ausdruck.

 

Strobels Schreibstil ist nach meinem Empfinden unverkennbar. Er legt großen Wert auf temporeiches Erzählen und greift dafür auf ähnliche Techniken zurück: Kurze Kapitel mit Cliffhangern, pointierte Dialoge, die die Handlung vorantreiben, keine übermäßigen Beschreibungen von Dingen, die nichts mit dem Fall zu tun haben. Die Schilderung unwichtiger Details wird vermieden. Es wird zwischen verschiedenen Schauplätzen rasch gewechselt und das Telefon ist immer in greifbarer Nähe, um für neue Impulse zu sorgen. Das Privatleben der Ermittler spielt keine zu ausufernde Rolle und kommt in meinen Augen mit ausreichendem Umfang daher. Hinzu kommt ein hohes Maß an Spannung. So werden immer wieder geschickt offene Fragen im Kopf des Lesers/ der Leserin evoziert. Dafür sorgen z.B. die eingeschobenen, knappen Kapitel aus der Täterperspektive, die den Fall weiter verrätseln. Auf dieses Mittel greift Strobel auch in anderen Thrillern immer wieder zurück. Und zum Ende zieht die Spannungskurve nochmal spürbar an (auch weil Bischoffs innerer Zustand der Verzweiflung und Anspannung gut zur Geltung kommt sowie Zeitdruck plötzlich eine Rolle spielt).

 

Jetzt könnte man meinen, dass sich die Strobel-Thriller damit zu sehr ähneln und insgesamt zu wenig Abwechslung bieten. Dem würde ich aber widersprechen. Bei Strobel weiß man einfach, woran man ist. Und die Plot-Ideen, die er entwickelt, sind immer wieder neuartig und kreativ, auch wenn sich der Aufbau seiner Thriller oft ähnelt. Man weiß, was auf einen zukommt und wer temporeiches Erzählen und pointierte Dialoge schätzt, der wird mit seinen Büchern glücklich werden. Und er beherrscht es auch, Wendungen und Überraschungen einzubauen. Ich greife immer wieder gern auf seine Thriller zurück, auch wenn ich gern zeitliche Abstände zwischen der Lektüre der einzelnen Werke lasse. Ich werde bei ihm immer wieder mitgerissen und bin gespannt auf die Auflösung. Und ich schätze Arno Strobels unverkennbaren Schreibstil und dafür, dass er die Fälle plausibel und durchdacht abschließt. Es sind keine unrealistischen und an den Haaren herbeigezogenen Elemente vorhanden, wie man sie ab und zu bei anderen Autoren findet.

 

Zum Abschluss allerdings dennoch drei Dinge, die mir aufgefallen sind: 1. Die psychologische Seite spielt bei „Tiefe Narbe“ keine so große Rolle, wie ich es im Vorfeld erwartet und es mir gewünscht hätte. 2. In späteren Werken gelingt es Strobel nach meinem Empfinden besser, die Charakterzüge der Figuren durch die Dialoge deutlicher hervortreten zu lassen. 3. Die Ermittlungsarbeit in Form von Zeugenvernehmung nimmt sehr, sehr viel Raum ein, es treten zwar immer wieder neue Erkenntnisse zutage, so dass es nicht langweilig wird, aber ich hätte mir hier noch mehr Abwechslung gewünscht (z.B. durch neue und andere Ermittlungsmethoden). Von mir gibt es 4 Sterne!

Dienstag, 12. Dezember 2023

Eschbach, Andreas - Die seltene Gabe






Ein Telekinet auf der Flucht


Das Jugendbuch „Die seltene Gabe“ von Andreas Eschbach ist kurzweilige, unterhaltsame Lektüre für zwischendurch, die sich durch einen geschickt arrangierten Spannungsbogen auszeichnet. Im Zentrum steht die 17-jährige Gymnasiastin Marie, die allein zu Hause ist (ihre Eltern sind auf Kreuzfahrt). In ihrer Heimatstadt gehen ungewöhnliche Dinge vor sich. Sie bemerkt eine erhöhte Polizeipräsenz, weiß aber nicht, was vor sich geht. Aus ihrer Vorratskammer verschwinden Lebensmittel und als Leser:in weiß man zunächst nicht, was dahintersteckt. Im Kleiderschrank ihrer Eltern entdeckt sie dann Armand, der auf der Flucht ist. Man sucht nach ihm. Doch wer ist er? Und was hat es mit seinem Talent für übersinnliche Kräfte auf sich? Was will man von ihm? Und erzählt er der Ich-Erzählerin die Wahrheit?

 

Typisch Eschbach entstehen zu Beginn der Lektüre viele Fragen, auf die man als Leser:in eine Antwort haben will. In meinen Augen ist das ein großes Talent des Autors, Neugier zu erzeugen und auf diese Weise zum Weiterlesen zu animieren. Das wird auch in anderen Werken, die ich von ihm kenne, immer wieder deutlich. Und genau das schätze ich an Eschbach. Und es gibt noch eine Stärke, die auch dieses Buch wieder auszeichnet: Die Charakterzeichnung. Die Figuren kommen nicht flach und eindimensional daher. Sie besitzen Tiefe und es werden auch immer wieder moralische Themen ins Blickfeld der Leser:innen gerückt. Hier geht es um die folgenden Fragen: Was macht jemanden zum Außenseiter? Und was darf Wissenschaft? Geschickt ist auch, dass mit Marie und Armand eine interessante Beziehungskonstellation im Zentrum der Handlung steht, die nicht statisch angelegt ist. Beide durchlaufen eine emotionale Achterbahnfahrt.

 

Der Inhalt hat mich sehr an solche Superheldenfiguren wie „X-Men“ erinnert, nur dass es hier um parapsychologische Talente geht. Ich hätte mir sogar gewünscht, dass der Blick auf die begabten Jugendlichen noch etwas erweitert worden wäre. Hier hätte das Buch noch mehr Potential gehabt. Auch ein direktes Duell zwischen dem flüchtenden Telekinet und seinem Verfolger Pierre hätte ich mir noch gewünscht. Aber nun gut, dafür hat das Werk in anderer Hinsicht eine klare Stärke: Durch die Flucht der Jugendlichen wird Dynamik und Tempo erzeugt. Es passiert ständig etwas, die Flüchtenden werden immer wieder mit neuen Situationen und Hürden konfrontiert. Es entsteht eine hohe Ereignishaftigkeit. So etwas mag ich. Und es stellen sich in Zusammenhang mit der Flucht direkt weitere Fragen: Wird die Flucht glücken? Was ist das Ziel der Flucht? Und wird die 17-jährige Ich-Erzählerin zu ihrem „Entführer“ halten oder ihn verraten? Kurzum: Eine Lektüre, die gut unterhält, schnell gelesen ist und keine Langeweile aufkommen lässt. Von mir gibt es dafür 5 Sterne

Sonntag, 10. Dezember 2023

Rothfuss, Patrick - Der Weg der Wünsche




5 von 5 Sternen


Patrick Rothfuss ist zurück…


Nein, es handelt sich nicht um den dritten Teil der Königsmörder-Chronik, auf den auch ich sehr, sehr ungeduldig und seit einer gefühlten Ewigkeit warte. Schade eigentlich, aber das Werk „Der Weg der Wünsche“ verkürzt auf jeden Fall schon einmal die Wartezeit und lässt den atmosphärischen Zauber der ersten Bände wieder spürbar werden, wie ich finde. Es handelt sich nicht um ein Epos, sondern um eine Novelle, die der Autor überarbeitet und erweitert hat (ehemals unter dem Titel „Der Blitzbaum“ in einem Sammelband veröffentlicht). Im Zentrum steht die Figur Bast, die wir bereits aus „Der Name des Windes“ kennen. Bast ist der Assistent und Schüler von Kvothe. Und die Geschichte um Bast kommt (glücklicherweise) nicht so eigenartig wie das Buch „Die Musik der Stille“ daher, in dem es um Auri ging, dem ich aber auch als Rothfuss-Fan nicht viel abgewinnen konnte. Wichtig: Man sollte „Der Weg der Wünsche“ nicht ohne Kenntnis der Königsmörder-Chronik lesen, die nach meiner Meinung übrigens zum Besten gehört, was der Fantasy-Bereich zu bieten hat.

 

Doch worum geht es? Wir begleiten Bast für einen Tag und erleben mit, wie er mit Kindern des Dorfes Newarre verkehrt, einem Hirten begegnet und verschiedene Handelsgeschäfte abschließt. Und zu Beginn des Buchs sind wir wieder im Gasthaus von Kvothe. Man fühlt sich direkt wieder an einen bekannten Ort zurückversetzt. Klingt für einige Leser bestimmt nicht sonderlich spannend, (könnte man meinen). Ist es auch nicht! Aber es ist ereignisreich, Langeweile kam bei mir nicht auf. Ständig passierte etwas Neues, Bast begegnet immer wieder neuen Personen und es entfalten sich interessante Dialoge. So erfahren wir z.B. mehr über die Magie der Fae, dem geheimnisvollen Volk aus „Der Furcht der Weisen“. Und was wieder unverkennbar Patrick Rothfuss ist: Die atmosphärische Gestaltung, der Sprachstil, die Charakterzeichnung. All das überzeugt!

 

Das Werk verleiht Bast vielmehr Tiefe. Wir lernen neue Facetten dieses Charakters kennen. Er ist kinderlieb, aber auch eine dunkle Seite blitzt hin und wieder auf. Die freundliche Seite kann schnell umschlagen in Wut und Gewalt, wenn man den tiefsten Gedanken von Bast Glauben schenken kann. Bast ist ein guter Ratgeber und listig. Er lässt sich nicht von seinen Gesprächspartner austricksen. Und an einer Stelle seines Tagesablaufs entsteht dann doch eine flache Spannungskurve: Ein Junge bittet Bast darum, dessen gewalttätigen Vater zu beseitigen. Wird Bast dem Jungen wirklich dabei helfen, den Vater zu ermorden? Diese Frage zieht sich ab einem gewissen Punkt wie ein roter Faden durch die Handlung, es gibt aber auch immer wieder Abschweifungen davon, so dass die Spannung nie zu sehr ansteigt. Doch das ist von Rothfuss bewusst so gestaltet worden. Das wird deutlich, wenn man das Nachwort liest.

 

Im Nachwort erläutert der Autor einfühlsam und ehrlich die Herausforderungen des Daseins als Schriftsteller. Und noch mehr: Am Beispiel von Märchen, die er seinen Kindern vorgelesen hat, macht er deutlich, dass eine Geschichte auch ohne bestimmte Merkmale auskommen kann: „Worum er (= der Sohn des Autors, Anm. des. Verf.) mich da im Grunde bat, war eine Geschichte ohne Kampf und Streit. Ohne Spannung und Feindseligkeit. Ohne viele der Dinge, von denen ich gelernt hatte, dass sie fürs Geschichtenerzählen unerlässlich sind“ (Nachwort, S. 237). Es macht den Eindruck, als habe Rothfuss sich aus der Wahrnehmung seines Sohnes eine neue Programmatik verordnet, die sich in gewisser Weise auch in „Der Weg der Wünsche“ widerspiegelt. Interessant, wie ich finde… Und noch dazu sehr offen, was Rothfuss von sich, aus seinem Familienleben und von seinem Schaffen preisgibt.

 

Abschließend möchte ich noch auf ein persönliches Highlight hinweisen. Bei den Tauschgeschäften, die Bast so abschließt, stellten sich bei mir an einer Passage Assoziationen zu Peter Schlemihl und Mephisto ein. Der Assistent von Kvothe wirkt wie eine Teufelsfigur, als er von seinem Handelspartner Gegenleistungen einfordert. Ein toller intertextueller Bezug bzw. eine gelungene Einbindung eines literarisch bedeutsamen Motivs, der bzw. das hier deutlich wird!

 

Mögliche Zielgruppe: Dieses Buch ist in meinen Augen nicht für solche Leser:innen geeignet, die den dritten Teil erwartet haben und nicht erkennen wollen, welches Ziel der Autor verfolgt. Es ist eher für solche Leser:innen gedacht, die an einer weiteren Profilschärfung des Charakters Bast interessiert sind und einer gelungenen Figurengestaltung etwas abgewinnen können. Wer tiefer in die von Rothfuss erdachte Welt eintauchen, die Atmosphäre der Königsmörder-Chronik wieder spüren und gelungene Dialogführung zu schätzen weiß, der wird mit diesem Buch glücklich werden. Von mir gibt es 5 Sterne!

Freitag, 8. Dezember 2023

Spektrum der Wissenschaft KOMPAKT 05/2019 (Hrsg.) - Dunkle Energie. Rätselhafter Antrieb des expandierenden Universums






Was weiß man zur Dunklen Energie?



Die Lektüre des Sachbuchs „Alles Zufall im All?“ hat mich neugierig auf weitere Themenfelder werden lassen. So wollte ich mehr zu Exoplaneten wissen (vgl. dazu eine frühere Rezension zum Themenheft „Spektrum der Wissenschaft. Kompakt 02/2020“) und auch über die Dunkle Energie möchte ich noch mehr erfahren. Deshalb entschied ich mich für das Spektrum-der-Wissenschaft-Themenheft „Dunkle Energie. Rätselhafter Antrieb des expandierenden Universums“ (05/19). So finde ich erstaunlich, dass man zwar durch Beobachtungen weiß, dass das All expandiert, aber bisher kaum etwas darüber weiß, warum dies so ist. Man geht zwar davon aus, dass die Dunkle Energie ca. 70 Prozent der Gesamtenergie des Kosmos ausmacht, aber die physikalischen Prozesse dahinter bleiben unklar (vgl. Editorial). In dem vorliegenden Heft werden z.B. verschiedene Modelle der Ausdehnung des Alls vorgestellt und auch der Streit um die Hubble-Konstante wird thematisiert (= wie schnell dehnt sich das Universum aus?). Auch das kosmologische Standardmodell wird in den Blick genommen und dessen Schwachstellen beleuchtet. Nicht zuletzt erfahren wir etwas über das Röntgenteleskop „eRosita“. Kurzum: Ein knapper, kompakter Überblick über das Thema der Dunklen Energie in verständlicher, populärwissenschaftlich ansprechender Form. Was mir an den Heften gut gefällt, ist der Umstand, dass auch Kontroversen der Forschung deutlich werden. Das finde ich enorm bereichernd, zeigt es doch, dass es viel Uneinigkeit gibt.

 

Beitrag 1: Rätselhaftes Phänomen. Brisante Dunkle Energie von Adam G. Riess und Mario Livio

Dass das Universum expandiert, erkannte man bereits in den 1920er Jahren, so die Autoren. Heute wisse man darüber hinaus, dass sich die Expansion beschleunigt. Man habe allerdings noch keine Erklärung dafür. Es werden verschiedene Erklärungsansätze vorgestellt: 1. Das Vakuum selbst enthalte Energie, die das Universum auseinandertreibt (= Kosmologische Konstante). Die Expansion dauert also möglicherweise ewig an, 2. Die Dunkle Energie rühre von einem Kraftfeld her, das den Kosmos durchziehe und dessen Stärke mit der Zeit zu- oder abnehmen könne (= Quintessenz). Es käme zu einem „Big Rip“ oder „Big Crunch“, 3. Die Gesetze der Schwerkraft seien bisher nicht richtig verstanden worden (= Es gibt keine Dunkle Energie). Ist womöglich eine ganz neue Theorie nötig? Die Autoren diskutieren im Zusammenhang mit den Modellen auch die Annahme eines Multiversums, weisen aber auch darauf hin, dass eine solche Annahme höchst spekulativ sei und sich nicht überprüfen ließe. Letztlich, so die Autoren, werden mehr Daten benötigt, um genauere Annahmen treffen zu können. Riess und Livio sind zuversichtlich, dass das kommende Jahrzehnt die Auflösung des Rätsels um die Dunkle Energie mit sich bringt

 

Beitrag 2: Kontroverse um eine Konstante. Streit um Hubbles Erbe von Dominik J. Schwarz

Wie schnell expandiert das Weltall? Genau um diese Frage geht es in dem Beitrag. Hubble sei dieser Frage mit Hilfe von Teleskopen nachgegangen und eine nach ihm benannte Messgröße habe sich als Maß dafür etabliert, wie schnell sich das All ausdehnt. Nach heutigem Kenntnisstand hat diese Hubble-Konstante einen Wert von ca. 70km pro Sekunde pro Megaparsec (= 3,26 Mio. Lichtjahre): „Mit jedem Megaparsec Entfernung (…) wächst die Expansionsgeschwindigkeit um 70 Kilometer pro Sekunde“ (S. 18). Bis heute existiere aber ein fortwährender Streit um den genauen Wert der Hubble-Konstante, deren Berechnung auch von der Messgenauigkeit der Instrumente und der Messmethode abhängig sei. Je nach Methode gelange man zu unterschiedlichen Ergebnissen. Und die Messgenauigkeit hat sich im Laufe der Jahrzehnte immer weiter verbessert. Vor allem mit dem Hubble-Weltraumteleskop konnte schließlich eine exaktere Eingrenzung vorgenommen werden (vgl. S. 23). Auch der Begriff der „Konstante“ wird diskutiert. So weist der Autor darauf hin, dass mit der Konstante die aktuelle (!) Geschwindigkeit der Ausdehnung des Alls angegeben wird. Da die Expansionsgeschwindigkeit sich allerdings verändere, ändere sich damit auch die Hubble-Konstante. Darüber hinaus wird im Beitrag erläutert, wie sich die Entfernung von Himmelsobjekten überhaupt messen lässt. Auch hier gibt es verschiedene Methoden und alle haben ihre Schwachpunkte (vgl. S. 26). Je nach Methode erhalte man unterschiedliche Werte für die Hubble-Konstante. Auf der einen Seite gibt es Forscher, die auf einen Wert von ca. 72 bis 75 km/s/Mpc kommen. Auf der anderen Seite gibt es Wissenschaftler, die einen ca. 5-8 km/s/Mpc niedrigeres Ergebnis erhalten. Doch wer hat nun Recht? Der Autor bringt den Kompromiss-Vorschlag ins Spiel, dass weder die globale noch die lokale Messung falsch ist. Die lokale Messung beziehe sich auf einen Bruchteil des bekannten Kosmos, die globale Messung hingegen mittle den gesamten sichtbaren Bereich des Universums: „Es ist also auch im Weltall naheliegend, dass die lokal gemessene Expansionsgeschwindigkeit von Ort zu Ort kleine Variationen aufweist. Grund hierfür könnten beispielsweise lokale Unterschiede in der Materiedichte sein“ (S. 30). Ob der Streit mit diesem Vorschlag beigelegt werden kann, bleibt fraglich. Es bleibt also spannend.

 

Beitrag 3: Nobelpreise 2011. Das beschleunigte Universum von Thomas Bührke

In diesem Beitrag werden drei Astronomen vorgestellt, die 2011 den Nobelpreis für Physik erhielten, und zwar für ihre Entdeckung der beschleunigten Expansion des Universums (Saul Perlmutter, Adam Riess, Brian Schmidt). Die Forscher machten sich vor allem die Helligkeit von Supernovae zunutze, um Entfernungen und die Ausdehnungsgeschwindigkeit zu berechnen. Man geht gegenwärtig davon aus, dass die Dunkle Energie und ihr Verhalten der Grund für die beschleunigte Expansion ist.

 

Beitrag 4: Dark Energy Survey. Inventur des dunklen Alls von Natalie Wolchover

In diesem Beitrag wird das Teleskopexperiment Dark Energy Survey (DES) genauer vorgestellt, mit dem die Materie und die Energieformen des Universums genauer untersucht werden. Auf diese Weise soll die Menge an Dunkler Energie und Dunkler Materie im Kosmos genauer bestimmt werden. Dafür wurden 26 Mio. Galaxien in einem großen Bereich des südlichen Sternenhimmels beobachtet. Zentrale Erkenntnis: „Das Universum besteht zu 74% aus Dunkler Energie und zu 21 Prozent aus Dunkler Materie, während die normale, sichtbare Materie lediglich die verbliebenen 5  Prozent ausmacht“ (S. 42). Im Beitrag wird auch näher erläutert, was der Unterschied zwischen Dunkler Materie und Dunkler Energie ist. Auch wird wieder verdeutlicht, dass man je nach Messinstrument abweichende Werte erhält, wenn man dunkle und sichtbare Materie bestimmen will: „Planck hatte den Gesamtanteil an Materie (…) zu rund 33 Prozent des heutigen Kosmos bestimmt (…). Die neuen DES-Messungen ergaben 26 Prozent (…)“ (S. 44). Es bleibt spannend, ob mit größeren Datenmengen die Unterschiede bestehen bleiben oder eben nicht.

 

Beitrag 5: Kosmologischer Streit. Dunkle Energie gibt es nicht? Nicht so hastig! Von Dan Scolnic und Adam G. Riess

In diesem Beitrag wird ein von J.T. Nielsen, A. Guffanti und S. Sarkar publizierter Artikel diskutiert. Ihr Artikel sei von Medien aufgegriffen worden, um die Existenz Dunkler Energie in Zweifel zu ziehen. Die Autoren erläutern jedoch, dass die Forscher wichtige Details in einem großen Teil der Daten ignoriert hätten. Nach Riess und Scolnic gibt es keinen Zweifel daran, dass die Dunkle Energie existiert und das Universum beschleunigt expandiert. Es sei lediglich unklar, was die genaue Natur der Dunklen Energie ist.

 

Beitrag 6: Überraschende Beobachtung. Ärger für das Standardmodell? Von Jan Hattenbach

Das beobachtbare Universum macht nur 5 % der Materie aus, 95 % des Kosmos bleiben im Dunkeln. Der Autor weist in seinem Beitrag auf Schönheitsfehler des Standardmodells hin. So gebe es für die Dunkle Energie bisher keine passende physikalische Erklärung. Keiner wisse, was hinter dieser Energieform stecke. Und auch die Dunkle Materie sei bisher noch nicht entdeckt worden. Alle Anstrengungen, hypothetische Materiepartikel zu finden, seien bislang erfolglos geblieben. Und der Autor weist noch auf einen Aspekt hin: Die Bewegung von kleineren Satellitengalaxien würden dem Standardmodell nicht gerecht. In diesem Zusammenhang wird auf das Illustris-Projekt hingewiesen, ein Computermodell, das über 40.000 simulierte Galaxien enthält. Und Illustris reproduziere das „echte“ Universum verblüffend gut, allerdings mit der Ausnahme der Satellitengalaxien. Stößt die Simulation hier möglicherweise an seine Grenzen? Das Standardmodell bietet jedenfalls noch genug offene Fragen, an denen weiter geforscht werden muss.

 

Beitrag 7: De-Sitter-Universen. Führt die Stringtheorie ins Sumpfland? Von Nathalie Wolchover

In diesem Beitrag wird die These eines angesehenen String-Theoretikers diskutiert. Cumrun Vafa und sein Team behaupten, dass ein Universum wie das unsere nach der String-Theorie eigentlich nicht möglich ist. Unser Bild vom Kosmos widerspreche der String-Theorie in zwei Punkten: 1. in Bezug auf die Expansion des Kosmos und 2. in Bezug auf die Annahme einer inflationären Phase. Unklar sei auch, ob die Dunkle Energie eine variable oder konstante Größe ist. Anders ausgedrückt: Nimmt die Geschwindigkeit der Expansion immer weiter zu? Oder verändert sich das Tempo der Ausdehnung mit der Zeit? Momentan gehe man eher von der ersten Annahme aus (= Big Rip), aber denkbar sei auch das andere Szenario. Ein „Big Rip“ ist nach Vafa allerdings nicht möglich. Nur die Annahme einer veränderlichen Größe sei mit der String-Theorie vereinbar. Und auch die Inflationstheorie steht im Widerspruch zur Argumentation von Vafa. Letztlich zeigt diese ganze Diskussion in meinen Augen, wie spekulativ dieser ganze Forschungsbereich ist. Vielleicht ist es ja auch genau andersherum, wie Wolchover konstatiert: Widerlegt das Vorhandensein der Dunklen Energie evtl. die String-Theorie? Das Problem an der String-Theorie sei, dass sich ihre Vorhersagen nicht experimentell überprüfen lassen. Mehrere Dimensionen ließen sich nicht beobachten.

 

Beitrag 8: Außerirdische Zivilisationen. Wie Lebewesen der Dunklen Energie entkommen könnten. Von Robert Gast

Dieser Beitrag ist eher mit einem großen Augenzwinkern zu verstehen und mutet wie Science-Fiction an. Ausgangsfrage ist die Folgende: Wie könnte eine außerirdische Zivilisation mit dem Problem des expandierenden Universums umgehen? Das Problem sei, dass der Kosmos durch die Dunkle Energie immer weiter gestreckt wird und dass das Licht benachbarter Himmelsobjekte in schätzungsweise 100 Mio. Jahre die potentiellen Beobachter gar nicht mehr erreicht. Der Autor schlägt den Bau von Dyson-Sphären vor, um die Position von Sternen zu verschieben. Würde ein Gasriese mit einer Hohlkugel ummantelt, auf dessen Innenseite Solarzellen und ein Spiegel befestigt sind, so ließen sich Sterne bewegen. Auf diese Weise könnte eine hoch entwickelte Zivilisation der Dunklen Energie ein Schnippchen schlagen. Problem dabei ist allerdings, dass die Sterne nicht zu schwer sein dürfen.

 

Beitrag 9: Röntgenteleskop EROSITA. Auf Tuchfühlung mit der Dunklen Energie von Alexander Stirn.

In diesem Beitrag wird das Röntgenteleskop EROSITA genauer vorgestellt. Das Projekt wird mit all seinen Herausforderungen und Hürden skizziert und es wird erläutert, was EROSITA leisten soll. Der Himmel soll nach Röntgenquellen abgesucht werden. Dafür werden ca. 100.000 Galaxienhaufen in den Blick genommen. Auf diese Weise hofft man darauf, Hinweise auf die Dunkle Energie zu finden. Ziel ist es, Masse, Anzahl und Entfernung der beobachteten Himmelsobjekte zu bestimmen und daraus etwas über die Dichte des Universums zu unterschiedlichen Zeitpunkten herauszufinden.

 

Beitrag 10: Urknall und Kosmologie. Quasare sprechen für neue extreme Dunkle Energie. Von Andreas Müller

Ein großes Streitthema unter Astronomen ist das Maß der Expansionsgeschwindigkeit des Alls und die Frage, ob die Dunkle Energie statisch oder variabel ist. Im Beitrag wird eine Arbeit vorgestellt, in der Quasare als sogenannte „Standardkerze“ genutzt werden. Dies ist aufgrund ihrer enormen Helligkeit möglich. Und man stellte fest: „Je weiter ein Quasar entfernt ist, je weiter er also in der kosmischen Vergangenheit liegt, desto weniger stark war er von der Dunklen Energie erfasst worden“ (S. 77). Daraus schlussfolgern die Forscher, dass die Energiedichte der Energieform mit der Zeit zunimmt. In diesem Fall wäre die Dunkle Energie eine variable und keine statische Größe. Und auch für den Streit um die Hubble-Konstante liefert die Quasar-Methode nützliche Erkenntnisse.

 

Beitrag 11: GW170817. Hubble-Kontroverse könnte sich schneller aufklären lassen als gedacht. Von Robert Gast

In diesem Beitrag geht es noch einmal um das Thema der „Hubble-Konstante“ und um die Frage, wer Recht hat, was die Ausdehnungsgeschwindigkeit angeht. Es wird nun eine andere Messmethode vorgestellt, basierend auf den Zusammenstößen von Neutronen-Sternen. Dank der beim Crash freigesetzten Gravitationswellen und anhand der Rotverschiebung der Strahlung lässt sich die Fluchtgeschwindigkeit ermitteln. Man kommt auf einen Wert von 70km/sec/Mpc Problem: Man konnte bisher nur einmal ein solches Ereignis beobachten, was noch nicht ausreicht, um einen präzisen Wert des Tempos zu ermitteln. Die Messunsicherheit ist zu groß. Es bleibt also spannend, was in Zukunft noch für Erkenntnisfortschritte erzielt werden.


Dienstag, 5. Dezember 2023

Kehlmann, Daniel - Lichtspiel





 5 von 5 Sternen



Georg Wilhelm Pabst als tragische Figur


Daniel Kehlmann dürfte den meisten durch sein Erfolgsbuch „Die Vermessung der Welt“ bekannt sein. Auch in seinem neuesten Werk „Lichtspiel“ widmet er sich einer historischen Figur: Dem Regisseur Georg Wilhelm Pabst. Und eines gleich vorweg: Der Roman hat mir sehr gut gefallen.

 

Schon der Einstieg ist klasse. Franz Wilzek (eine fiktive Figur!), selbst Regisseur und ehemaliger Kameraassistent von G. W. Pabst, wird in die Sendung „Was gibt es Neues vom Sonntag“ von Heinz Conrads eingeladen. Was diese Rahmenhandlung so besonders macht, ist der geistig verwirrte Zustand, in dem sich Wilzek befindet und der gut zum Ausdruck kommt. Er wirkt orientierungslos und überfordert, hat Schwierigkeiten sich zu erinnern und kann nicht angemessen auf die Fragen des Moderators reagieren. Die Folge seiner Demenzerkrankung.

 

Danach folgt ein Schwenk nach Hollywood. Pabst ist inmitten von Verhandlungen für einen neuen Film. Man will ihn mit amerikanischer Freundlichkeit überreden, einen Film zu drehen, der nicht nach seinem Geschmack ist. Pabst lehnt zunächst ab, bleibt kategorisch bei seinem „Nein“. Eine sehr humorvolle Passage. Die interkulturellen Missverständnisse, das schlechte Englisch von Pabst, all das wurde hervorragend gestaltet und wirkt amüsant.

 

Danach folgen immer wieder Sequenzen aus dem Leben des Regisseurs. Einzelne Stationen werden szenenartig aneinander gereiht. Dazwischen immer wieder Zeitsprünge. Und ich stoße bei meiner Lektüre immer wieder auf Highlights: z.B. die Unterredung mit Greta Garbo, die eine von Pabst angebotene Rolle ablehnt. Sie ist zwar dankbar, dass Pabst sie entdeckt hat, aber ihre Dankbarkeit kennt Grenzen. Auch Pabsts Rückkehr mit dem Zug in seine Geburtsland blieb mir im Gedächtnis: Er weiß genau, welche politischen Zustände im Land herrschen. Trotzdem verordnet er sich, seiner Frau und seinem Sohn zu schweigen. Wie er wirklich über die politischen Veränderungen denkt, erfahren wir nicht. Er bezeichnet sich selbst als nichtpolitischen Menschen. Eine weitere gut arrangierte Textstelle ist Pabsts Gespräch mit Goebbels. Es wird deutlich, dass Pabst eigentlich gar keine Absicht mehr hat, weitere Filme zu drehen. Propaganda ist ihm zuwider. Doch der Propagandaminister legt ihm Worte in den Mund und droht ihm subtil. Der Regisseur kann sich nicht behaupten und knickt ein. Und man fragt sich als Leser:in automatisch die alles entscheidende Frage: Wie hätte man selbst gehandelt?

 

Deutlich wird auch, was für eine tragische Figur Pabst ist. In den USA will sich der Erfolg nicht so recht einstellen, sein erster Film schlägt nicht ein und er kassiert Absagen von weiblichen Darstellerinnen. Er weicht zunächst in andere Länder wie z.B. Frankreich aus, doch es gelingt ihm einfach nicht, an alte, erfolgreiche Zeiten anzuknüpfen. Er entschließt sich in seine Heimat zurückzukehren, trotz des Wissens um die dort herrschenden politischen Zustände. Und als er seinen Fehler erkennt und ihn korrigieren will, bricht der Krieg aus, die Grenzen werden geschlossen und Pabst sitzt mit seiner Familie fest. Es gibt kein Zurück mehr. Und das Regime ist bereits auf ihn aufmerksam geworden. Er wird, wie schon erwähnt, vom Propagandaminister Goebbels nach Berlin eingeladen und kann dem auf ihn ausgeübten Druck nicht widerstehen. Er dreht wieder Filme und muss sich mit dem Regime arrangieren.

 

Ich bin mit der Erwartungshaltung an das Buch gegangen, dass Pabst ein Opportunist ist. Dies würde ich nach der Lektüre aber nicht mehr so sehen. Pabst hält sich einfach heraus, er will nicht sehen, was um ihn herum passiert. Er nimmt zwar stellenweise wahr, was um ihn herum passiert (das wird v.a. bei den dargestellten Dreharbeiten deutlich), schweigt aber dazu und behält seine Gedanken für sich. Dennoch wird für mich an vielen Stellen deutlich, dass er mit dem Regime hadert und längst nicht mit allem einverstanden ist. Doch er harrt im Land aus und stürzt sich in die Arbeit. Das Drehen von Filmen ist seine Ablenkung. Pabst wird zunehmend „umgebungsblind“, ihm geht es nur darum, wieder einen großen Erfolg einzufahren. Das zeigt sich vor allem bei den Dreharbeiten zu seinem Film „Der Fall Molander“. Und man kann sich wieder fragen: Welche Wahl hat er auch? Er muss sich mit den Gegebenheiten arrangieren. Hat er eine Alternative? Wenn ja, welche? Es lohnt sich auch, das Vater-Sohn-Verhältnis genauer in den Blick zu nehmen, um Pabsts Ansichten zum Krieg auszuloten. Eine Entfremdung zwischen den beiden wird nur allzu deutlich. Und es zeigt sich auch am Beispiel des Sohnes, wie das Sein das Bewusstsein bestimmt.

 

Was mich während der Lektüre ständig umtreibt, ist die Frage, was tatsächlich historisch verbürgt ist und was fiktiv ist. Kehlmann verwebt Fiktion und Fakten. Es gibt fiktive Figuren wie z.B. Franz Wilzek aus der Rahmenhandlung und weitere. Auch die Gespräche zwischen den Figuren sind fiktiv. Mich verunsichert so etwas immer, denn ich möchte mir ungern etwas Falsches merken. Doch Kehlmann geht es nicht darum, einen historischen Roman zu schreiben (hier empfehle ich eher Bücher von Ulf Schiewe). Trotzdem hätte ich mir ein informativeres Nachwort gewünscht, in dem der Autor evtl. darlegt, was Wirklichkeit ist und was nicht. Mein Wunsch nach einem umfangreicheren Nachwort führt aber nicht zu einem Sternabzug. So komme ich für dieses lesenswerte Buch auf 5 Sterne!

Sonntag, 3. Dezember 2023

Falk, Thilo - White Zero




2 von 5 Sternen



Enttäuschender Klima-Thriller


Klima-Thriller sind ein beliebtes Sub-Genre (vgl. zum Beispiel Wolf Harlander und Uwe Laub). Bis auf „Celsius“ von Marc Elsberg habe ich bisher allerdings noch nichts in diese Richtung gelesen. Das wollte ich gern ändern und meine Wahl fiel auf „White Zero“ von Thilo Falk.

 

Zur Handlung: Eine Kältewelle hat Deutschland seit Monaten fest im Griff. Das öffentliche Leben liegt weitgehend brach. Die massive Kälte hat Auswirkungen auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Bausubstanz leidet, die Regierung zahlt eine Frostprämie, Amazon erhebt auch für Prime-Mitglieder Versandgebühren etc. In Form von eingeschobenen Presseberichten, die durchaus kreativ gestaltet worden sind, erfahren wir als Leser:innen mehr über den Zustand in der Bundesrepublik. Es werden verschiedene gesellschaftliche Bereiche beleuchtet. Und man weiß nicht, was hinter diesem Wetterphänomen steckt. Was ist die Ursache? Ist es der Beginn einer neuen Eiszeit oder eine Folge des Klimawandels? Und ist das Problem lösbar?  Diese Fragen treiben die Handlung voran.

 

Soweit so gut. Allerdings konnte mich das Buch leider überhaupt nicht packen, und zwar zu keinem Zeitpunkt. Es gab zu viele Figuren, die noch dazu alle sehr langsam eingeführt werden, und für einen Katastrophen-Thriller gab es nach meinem Geschmack leider zu wenig „Katastrophe“, dafür aber viele Beziehungsdramen zwischen den Charakteren. Überspitzt formuliert: 90% des Thrillers waren Lindenstraße, 10% waren Klima-Thriller. Für mich war der Personenkreist viel zu groß, und ich habe mit keiner der Figuren mitfiebern können. Darüber hinaus: Kein Tempo, viel zu wenig Impulse, die Spannung aufbauen oder Neugier entfachen. Was die Handlung trägt sind zwei Fragen: Warum gibt es eine Kältewelle und wie lange dauert sie? Das reicht für mich nicht aus!

 

Hinzu kommt für mich ein massives Logikproblem: Deutschland steht nach einem harten Winter mit eisigen Temperaturen schon am Abgrund? Ernsthaft? Was sollen denn die Leute in Sibirien sagen? Für mich ist die Katastrophe einfach überdramatisiert und wirkt dadurch unglaubwürdig. Und wo sind die Forscher, die der Katastrophe näher auf den Grund gehen? Wo sind Expeditionen und wo ist die internationale Zusammenarbeit, um das Problem zu lösen? Wo sind dramatische menschliche Schicksale, mit denen man mitfiebern könnte? Wo sind die verschiedenen Erklärungsansätze, die miteinander konkurrieren, um das Wetterextrem zu erklären? Wo ist die Wissenschaft, die sich darum bemüht, Antworten zu finden? Wo ist die Katastrophe, die immer größere Ausmaße annimmt? Es hat mich einfach nicht mitgerissen. Die eigentliche Grundhandlung von „White Zero“ lässt sich mit wenigen Sätzen zusammenfassen. Das ist zu wenig!

 

Und das, was dann als Erklärung für die „Eiszeit“ angeführt wird, war für mich nicht überzeugend. Sie ist viel zu einfallslos und unrealistisch, völlig an den Haaren herbeigezogen. Und die angedachte Lösung des Problems ist ebenso banal. Garniert wird die Handlung dann noch mit schwarz-weiß-Darstellung von Politik und Wirtschaft. Nicht mein Fall! Wer einen richtigen Katastrophen-Thriller lesen will, der zwar nichts mit Klima zu tun hat, sondern eher mit Science-Fiction, der lese „Nano“ von Phillip P. Peterson. Dort wird deutlich, wie man Spannung und Tempo erzeugt. Nach „Celsius“ leider wieder ein Reinfall im Bereich „Klima-Thriller“. Ich frage mich, ob ich jemals einen Klima-Thriller finden werde, der mich richtig begeistert. Von mir gibt es für dieses enttäuschende Werk 2 Sterne.