Interessante Zusammenschau, teilweise zu verschwörungstheoretisch
John Sweeney legt mit „Der Killer im Kreml“ ein Werk vor, in dem er den Aufstieg Putins und sein rücksichtsloses
politisches Agieren nachzeichnet. Dabei geht Sweeney, der aktuell als
freiberuflicher Kriegsberichterstatter in der Ukraine tätigt ist, auf zentrale
Ereignisse ein und geht chronologisch vor.
So wird die familiäre Herkunft des russischen Präsidenten erörtert.
Sweeney bringt hier auch eine höchst umstrittene Theorie ins Spiel, nach der
Putin ein uneheliches Kind sei. Was man aber sicher weiß: Er stammt aus sehr ärmlichen
Verhältnissen und musst sich schon in seiner Kindheit mit Stärke behaupten.
1975 trat Putin dann dem KGB bei, auch hier geht der Autor auf relevante Ereignisse
in der Geheimdienstkarriere des späteren russischen Präsidenten ein. Sweeney „knöpft“
sich auch Putins Weltanschauung und seine verengte Sicht auf den Westen vor.
Die wichtige Rolle, die Anatoli Sobtschak spielte, wird aufgezeigt. Putin
unterhielt während seiner Zeit in Petersburg Kontakte zur Mafia, so Sweeney.
Besonders brisant fand ich in diesem Zusammenhang die Ausführungen zur
Strategie des „Kompromat“, bei der kompromittierendes Material über eine
Zielperson gesammelt wird, die aus dem Weg geräumt werden soll (so z.B.
gegenüber Skuratow, vgl. S. 72). Der Autor befeuert auch die These, dass die
Moskauer Bombenanschläge von 1999 inszeniert gewesen seien, um einen Anlass für
den zweiten Tschetschenien-Krieg zu haben. Am Beispiel der Kursk verdeutlicht
Sweeney die Gleichschaltung der Medien in Russland. Eine weitere
Verschwörungstheorie, die der Autor bedient: Der FSB habe hinter der
Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater gesteckt.
Besonders lesenswert fand ich die Ausführungen zu Anna Politkowskaja,
die schon früh prophezeite, in welche Richtung sich Russland womöglich
entwickeln könnte, und zu Alexander Litwinenko, der in London mit Polonium 210 vergiftet
worden ist. Auch das, was Sweeney zum Personenkult um Putin schreibt, ist
aufschlussreich und interessant. Weitere relevante „Stationen“, die beleuchtet
werden: Die Ermordung von Boris Nemzow, die Inhaftierung von Michail
Chodorkowski, Abschuss der MH17 im Jahr 2014. Was der Autor ebenfalls nicht
ausspart, sind Thesen zum Liebesleben des Präsidenten, zu möglichen Affären und
zu unehelichen Kindern. Auch Annahmen über eine mögliche psychische Erkrankung oder
über eine Krebserkrankung von Putin werden in den Raum gestellt.
Der Erzählton von Sweeney ist recht flapsig und sehr direkt. Der Leser
bzw. die Leserin wird auf diese Weise unmittelbar mitgenommen. Und der Autor
selbst schildert den Inhalt nicht teilnahmslos und mit emotionaler Distanz oder
allzu sachlich, sondern es werden Betroffenheit und eine subjektive
Gefühlsebene deutlich. Für ein Sachbuch ist das etwas ungewöhnlich. Schon auf
den ersten Seiten ist klar, auf welcher Seite der Autor steht. Es geht Sweeney
also nicht um objektive Berichterstattung. Angesichts des unmenschlichen
Angriffskriegs Russlands unter der Führung Putins kann ich das aber durchaus
nachvollziehen. Aber trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass der Autor nicht zu
sehr seiner Sensationslust nachgibt.
Manches war mir doch zu reißerisch und zu spekulativ. Einige
Abschnitte wirkten auf mich zu wenig untermauert und zu wenig fundiert
recherchiert. Stattdessen betreibt Sweeney rund herum um Putin eine gewisse
Mythenbildung und fabuliert punktuell dann doch stark verschwörungstheoretisch,
ohne stichhaltige Beweise anzuführen. Er beschränkt sich zu sehr auf
Mutmaßungen und Indizien. Das hat mich nicht immer überzeugt und es hat mir auch
nicht gut gefallen, auch wenn ich natürlich verstehen kann, dass man den
Kriegsverbrecher Putin in ein schlechtes Licht rücken will, um sein Handeln überhaupt
begreifen zu können! Natürlich wäre es aber auch unfassbar, wenn Sweeney mit
all seinen Behauptungen tatsächlich Recht hätte.
Fazit:
Die Darstellung von John Sweeney enthält viele interessante
Informationen, auch vermag er mit seinem Schreibstil den Leser bzw. die Leserin
zu fesseln. Stellenweise ist seine Zusammenschau über Putins Aufstieg aber doch
arg verschwörungstheoretisch geraten. Deshalb vergebe ich auch nur 3 Sterne. Abschließend
möchte ich noch den Wunsch äußern, dass weitere Bücher von Sweeney ins Deutsche
übersetzt werden sollten. Die Lektüre seiner Reportagen zu Nordkorea oder zu
Scientology würde mich ebenfalls interessieren.
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