Lob der mündlichen Erzählkunst
In dem Buch mit dem lustigen
Titel „Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte“ von Rafik Schami
wird deutlich, dass das mündliche Erzählen einen hohen Stellenwert in der
arabischen Kultur besitzt. Die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, den Zuhörer/
die Zuhörerin fesseln zu können, sich in Gesprächen durchzusetzen wird schon in
der Kindheit eingeübt. Es handelt sich um eine Kulturtechnik, der große
Bedeutung beigemessen wird. Und die Ausbildung der Erzählkunst wird dabei von
vielen Einflussfaktoren bestimmt. Davon zeugt der Inhalt der verschiedenen Geschichten,
die in diesem Band versammelt sind. Die Lektüre verdeutlicht, dass das
Schweigen in der arabischen Welt als Unhöflichkeit und negative Eigenschaft
angesehen wird.
Direkt in der ersten Erzählung
geht es um eine liebevolle Großvater-Enkel-Beziehung. Der Großvater nimmt
seinen Enkel mit auf den Flohmarkt, auf dem eine Frau ihren Mann verkauft, weil
dieser keine Geschichten zu erzählen weiß und zu viel schweigt. Es geht also um
das Thema der Kommunikation in einer Ehe und darum, dass die Fähigkeit des
Erzählens auch in zwischenmenschlichen Beziehungen eine wichtige Rolle spielt.
Der Erzählton ist humorvoll und lustig-satirisch.
In einer weiteren Erzählung
werden wir mit den Erinnerungen des Erzählers an seine Kindheit in der Stadt
Damaskus und an das Murmelspiel konfrontiert. Die Atmosphäre der Straßen in
Damaskus und das Leben dort werden gut eingefangen. Der Stil ist anekdotenhaft,
Hintergründe zum Murmelspiel werden ebenso eingeflochten wie allgemein-philosophische
Überlegungen. Der Erzähler schweift immer wieder ab, kehrt aber zu seinem roten
Faden zurück. Ein Beispiel für gelungenes Erzählen!
In weiteren Erzählungen kommen
die Begeisterung des Erzählers für Geschichten aus 1001 Nacht zum Ausdruck, die
im Radio gesendet werden, und auch Reflexionen zur Bedeutung von Märchen für
Kinder spielen eine Rolle. Kenntnisreich setzt sich der Erzähler mit der
literarischen Gattung der Märchen und ihrer Verbreitung in den
unterschiedlichen Kulturen auseinander. Und auch Sprichworte, nach denen Araber
nach Aussage des Erzählers süchtig seien, werden in diesem Zusammenhang in
einer weiteren Erzählung thematisiert. Als sehr amüsant habe ich die Beispiele
für sogenannte „Dschinn-Geschichten“ empfunden, die eine Besonderheit
arabischer Erzähltradition darstellen und sehr derb sowie zotenhaft daherkommen
(„Der Pechvogel und sein wundersamer Furz“).
Nicht zuletzt enthält das Werk
eine interessante Antrittsvorlesung zum Verhältnis von Wort und Schrift aus dem
Jahr 2010, die der Autor im Rahmen seiner Brüder Grimm Professur in Kassel
gehalten hat. In diesem Zusammenhang fand ich besonders die Ausführungen interessant,
dass Autor:innen arabischer Länder den starken Einfluss mündlicher Erzählkunst
oft in ihren Werken beibehalten.
Fazit:
Insgesamt hat mir die
Lektüre dieses schmalen Büchleins unheimlich gut gefallen, ich habe oft
geschmunzelt und viel dazugelernt. Was mich lediglich etwas verwirrt hat: Die
Instanz des Erzählers und des Autors verschwimmen bei der Lektüre etwas.
Häufiger habe ich mich gefragt, ob Rafik Schami eigene Erfahrungen schildert
oder ob es sich um einen fiktiven Erzähler handelt, der spricht. Mich hätte
noch interessiert, welche Inhalte womöglich autobiographisch geprägt sind. Nichtsdestotrotz
vergebe ich 5 Sterne.
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