Rechtsmedizinerin mit Vorliebe für die Gothic-Kultur
Wer einen Kriminalroman lesen möchte, in dem die Figurenzeichnung und
die Personenkonstellation überzeugen und der eine plausible, schlüssige,
durchdachte Auflösung bereithält, der macht mit der Lektüre von A.K. Turners „Wer
mit den Toten spricht“ nichts falsch. Es handelt sich um den zweiten Teil einer
Reihe, der ohne Vorwissen des ersten Bands gelesen werden kann. Ich selbst bin
auch ohne Vorkenntnisse gestartet und hatte keinerlei
Verständnisschwierigkeiten. Das einzige, was man an dem als Thriller
vermarkteten Werk bemängeln kann, ist der Umstand, dass die Spannungsintensität
nicht so hoch ausfiel, wie von mir erhofft. Insgesamt liest sich das Buch aber
äußerst flüssig.
Figuren
Besonders die Hauptfigur Cassie Raven, eine kompetente
rechtsmedizinische Assistentin mit einer bewegten Vergangenheit in der
Hausbesetzerszene, kann überzeugen. Schon auf den ersten Seiten wird gut
deutlich, dass wir es mit einer empathischen und verständnisvollen
Protagonistin zu tun haben. Sie kann mit Trauernden gut umgehen, hat ein Gespür
für die Situation und verhält sich gegenüber den Angehörigen pietätvoll. Auch mit
ihrer Großmutter geht sie äußerst fürsorglich um. In ihrer Freizeit verkehrt
Cassie mit recht gebrochenen Charakteren aus der Subkultur. Sie selbst ist eine
soziale Aufsteigerin. Bei der Ausübung ihres Jobs ist sie äußerst akribisch,
leidenschaftliche und stark interessiert. Ich könnte mir vorstellen, dass sie
in einem der nachfolgenden Bände selbst noch zur Pathologin wird. Darüber
hinaus ist auch der unmittelbare Kollegenkreis von Cassie nach meinem
Dafürhalten gut ausgearbeitet. Als Kontrastfigur haben wir zum einen ihren
Kollegen Jason, der respektlos und mit wenig Anstand mit den Toten umgeht, an
denen er eine Autopsie vornimmt. Zum anderen gibt es noch Dr. Curzon, den
herablassenden Vorgesetzten, der Cassie kleinhalten will und formalistisch
agiert, statt ihr Talent zu fördern. Kurzum: Ein gelungenes Setting, das in sich
stimmig ist.
Rechtsmedizinische Darstellung
Die Darstellung der rechtsmedizinischen Arbeit ist ebenfalls gelungen.
Man merkt, dass die Autorin einige Recherchen investiert hat. Es werden zahlreiche
medizinische Fachbegriffe verwendet, Details bei der Beschreibung einer
Autopsie werden nicht ausgespart. Stellenweise war mir die Darlegung aber schon
auch etwas zu drastisch und zu direkt. Was mir auch nicht so zugesagt hat, war
die doch etwas mystische Idee, dass Cassie eine Art übersinnliche Fähigkeit
besitzt und die Toten reden hören kann. Hier war ich froh, dass dieses
Handlungselement nicht zu häufig vorkam. Das hätte den Krimi in meinen Augen
doch zu unrealistisch wirken lassen.
Inhaltliche Gestaltung
Inhaltlich werden im Wesentlichen zwei Handlungsstränge verfolgt. Auf
der einen Seite bemüht sich Cassie darum, ihre eigene Familiengeschichte
aufzuarbeiten und den Tod ihrer Mutter auf eigene Faust zu untersuchen. Dazu
stellt sie Nachforschungen an und gerät selbst in Gefahr. Auf der anderen Seite
geht es um die Rekonstruktion der Tatumstände eines Selbstmords. Hier stellt
sich die zentrale Frage, warum sich das Opfer Bradley selbst umgebracht hat. Nach
meinem Gefühl war die Handlung in der ersten Hälfte des Buchs etwas zu
vorhersehbar, es war oft klar, was als Nächstes folgt, das hat sich dann aber
in der zweiten Hälfte des Buchs gelegt. Insgesamt hätte das erzählerische Tempo
nach meinem Geschmack gern höher ausfallen können. Aber das ist natürlich sehr
subjektiv! Die Handlung wird geradlinig erzählt, sie ist also nicht auf
verschiedenen Zeitebenen angesiedelt o.ä., es gibt auch keine größeren
Abschweifungen. Die Anzahl der Perspektiven ist überschaubar.
Fazit:
Ein Thriller mit einer starken Hauptfigur und einem gut
durchdachten Figurentableau. Lediglich Tempo und Spannung hätten höher ausfallen
können. Ich vergebe 4 Sterne.
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