4 von 5 Sternen
Kriminelles Leben in Neukölln
Inhalt
Ich habe dieses Buch in der Erwartung gelesen, dass darin ähnliche Inhalte
behandelt werden, wie ich sie von Abbas Khider kenne, dessen literarisches
Gesamtwerk mir sehr gut gefällt (vgl. dazu frühere Rezensionen). Doch Behzad
Karim Khani beleuchtet eine ganz andere Welt: Die Welt der Kriminellen im
arabisch dominierten Neukölln (vgl. Klappentext). Im Zentrum der Handlung steht
die Hauptfigur Saam und seine Entwicklungsgeschichte hin zu einem Verbrecher. Die
Beschreibung der Zustände im Heimatland, dem Iran, spielt nur zu Beginn des Romans
eine Rolle und reicht nicht an das Werk von Abbas Khider heran, der deutlich
mehr in die Tiefe geht, wenn es um die Darlegung des anderen Kulturkreises
geht. In „Hund Wolf Schakal“ geht es dafür um etwas anderes. Und für mich wird
die Geschichte um Saam auch erst dann interessant, als er nach seiner Flucht in
Deutschland ankommt und in Neukölln ein neues Leben beginnt. Seine
Bekanntschaft mit Heydar, einem Libanesen, wird ihm zum Verhängnis. Er gerät
auf die schiefe Bahn und wird zu einem gefürchteten Schläger und Gangster. Die
Schilderung dieses Entwicklungsprozesses ist direkt und hart. Zartbesaitete
Leser:innen sollten lieber zu einem anderen Buch greifen. Der Autor ist
schonungslos in seiner Darstellung, der Umgangston der Protagonisten
miteinander ist rau und vulgär.
Was dem Autor in meinen Augen v.a. gut gelingt, ist die Darstellung
der Parallelwelt, in der Saam sich bewegt, und zwar mit all ihren Stereotypen
und Moralvorstellungen. (Clan-)Kriminalität und Gewalt ist allgegenwärtig. Bei
den handelnden Figuren handelt es sich um gebrochene Charaktere, die von
Traumata geprägt sind. Erschreckend ist insbesondere, mit welcher Brutalität
und Rücksichtslosigkeit Heydar agiert und damit Saams weiteren Lebensweg
negativ beeinflusst, der sich ihn zum Vorbild nimmt. Das kriminelle Verhalten
der Figuren wird sehr detailliert und authentisch beschrieben, es wirkt sehr
realistisch. Interessant sind auch die Regeln dieser Parallelwelt: Es geht um
Stolz und Respekt, es geht darum, sich zu behaupten und stark zu sein, Löwe zu
sein, nicht Hyäne. Im Viertel geht es hierarchisch zu, es geht um Machterhalt.
Die Figuren müssen ihre Stärke beweisen und sie bewahren. Das alles wird sehr
gut dargestellt!
Dem Autor gelingt es in meinen Augen unheimlich gut, sich in die
Gedankenwelt seiner Figuren hineinzuversetzen. Und für den Leser bzw. die
Leserin wirken diese Gedankenwelten unheimlich befremdlich, teils abstoßend,
nicht nachvollziehbar.
Sprache
Die sprachliche Gestaltung des Werks ist gelungen. Der Stil gefällt
mir unheimlich gut. Schon auf den ersten Seiten wird deutlich, dass auf eine
bildhafte Sprache zurückgegriffen wird. Hinzu kommen kurze, knappe, oft
asyndetisch gereihte Satzkonstruktionen. Insgesamt eine auffällig varianten-,
abwechslungsreiche und bunte Syntax. Viele Aufzählungen, die teils über mehrere
Zeilen gehen sowie abgehackte, teils verblose Sätze, Parallelismen und kreative
Vergleichskonstruktionen (z.B. „Ab dem dritten Tag wurde der Niederschlag zum
Schicksal wie ein unbezahlter Heroindealer“, S.24 oder „Seine Gedanken waren
wie die Insekten ins Saams Glas“, S. 25). Der Autor demonstriert einen einfallsreichen
Umgang mit Sprache und erzeugt damit nach meinem Gefühl ein hohes Maß an
Dynamik, Impulsivität und Emotionalität.
Fazit:
Eine harte und schonungslose Lektüre, die Einblick in eine
kriminelle Parallelwelt eröffnet. Die Darstellung wirkt authentisch und
realistisch, der Autor kann sich gut in die Gedankenwelt seiner Figuren
hineinversetzen. Sprachlich überzeugt das Werk durch eine variantenreiche und
kreative Gestaltung. Letztlich hat mir das Werk bis zu einem gewissen Punkt
sehr gut gefallen, allerdings hat es auf den letzten 100 Seiten in meinen Augen
an Qualität verloren. Ich war nicht mehr so gefesselt wie zu Beginn. Das kann
bei anderen Leser:innen aber ganz anders sein. Ich vergebe 4 Sterne!
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