Der rachsüchtige Richter
John
Grisham ist ein Garant für Qualität, er ist einer der erfolgreichsten
amerikanischen Autoren, seine Romane werden zu Bestsellern. Seine Bücher wurden
in fünfundvierzig Sprachen übersetzt (vgl. dazu den Klappentext). Es stellt
sich also die Frage, ob sein neues Werk „Der Verdächtige“ ebenfalls überzeugen
kann.
Zu
Beginn nimmt sich Grisham viel Zeit die Protagonistinnen Lacy Stoltz und ihre
Informantin Jeri ausführlich und mit Tiefe zu charakterisieren. Man erhält ein
umfassendes und facettenreiches Bild der Figuren und der Beziehungen der
jeweiligen Charaktere zueinander. Das ist schon eine großartige
schriftstellerische Leistung, in vielen Thrillern bleiben die Figuren oft blass
und konturlos, manchmal dienen sie nur als Mittel zum Zweck. Nicht bei Grisham!
Für
Lacy entwickelte ich beim Lesen schnell Sympathie, bei Jeri hingegen dauerte es
eine Weile, bis ich ihr Glauben schenkte. Zu Beginn sind ihre Vorwürfe einfach
zu ungeheuerlich, noch dazu vage und wenig konkret. Ich habe mich anfangs schon
darüber gewundert, dass Lacy ihr Glauben schenkt. Doch nach und nach leistet Jeri
eine gute Überzeugungsarbeit. Und es wird immer deutlicher, dass es um Jeris
psychischen Zustand nicht gut bestellt ist. Sie fühlt sich verfolgt, vertraut
kaum jemanden und ist seit 20 Jahren einem Serienkiller auf den Fersen, und das
völlig auf sich allein gestellt. Sie hat unglaubliche Strapazen auf sich
genommen und Ressourcen investiert, um den Täter zu überführen. All das kommt
gut zum Ausdruck.
Das
Setting des Romans ist in meinen Augen reizvoll und ungewöhnlich. Man weiß von
Anfang an als Leser:in, wer der Täter ist: Ein Richter, der Rache an seinen
Opfern nehmen will. Und für Lacy und Jeri er ist ein mächtiger, intelligenter und
gefährlicher Gegner, schließlich hat er viel Einfluss und kennt sich juristisch
gut aus. Es geht also vor allem um die Frage, ob und wie er überführt wird. Und
es ist nicht die Polizei, die ermittelt, sondern eine Gerichtsaufsichtsbehörde.
Auch das ist einmal etwas anderes. Und spätestens mit dem Einreichen der
Dienstaufsichtsbeschwerde nimmt die Handlung auch noch einmal zusätzlich an
Fahrt auf. Die Täterperspektive rückt dann ebenfalls in den Fokus. Es beginnt
ein gut konstruiertes, spannendes Katz-und-Maus-Spiel. Der Täter beginnt sich
zu fragen, was die Ermittler wissen, wer sein Gegenspieler ist und er wird
plötzlich verunsichert. Heraus kommt ein tolles Duell zwischen dem Richter und Jeri
als seiner Verfolgerin. Und dieses Duell läuft auf einen Höhepunkt am Ende des
Buches zu. Das ist schon geschickt arrangiert.
Nebenbei
erhält man auch einen Einblick in die wenig vernetzte Polizeiarbeit in den USA.
Es herrscht Kleinstaaterei. Jeder Bundesstaat agiert für sich. Ein
interessanter Einblick und gleichzeitig eine gute Systemkritik. Gleiches gilt
auch für die Kontrolle der Arbeit von Richtern. In seinem Nachwort macht Grisham
auch deutlich, dass die Behörde „Board on Judicial Conduct“ (BJC), die im Buch
vorkommt und für die Lacy Stoltz arbeitet, nur eine Erfindung von ihm ist. Stattdessen
hat „jeder Bundesstaat sein eigenes System, um standeswidriges Verhalten von
Richtern zu untersuchen“ (vgl. Nachwort des Autors). Diese Information finde
ich sehr interessant und gewährt einen Einblick in das amerikanische
Justizsystem.
Das
Buch liest sich flüssig, die Handlung wird geradlinig erzählt, ohne viele
Abschweifungen. Auch das überzeugt. Letztlich hat mich die Lektüre vollkommen
überzeugt. Lediglich das Ende kam für mich etwas abrupt und war anders
gestaltet, als ich es erwartet hatte.
Fazit:
John Grisham ist einfach ein „Maestro“, das zeigt er in meinen Augen auch in
seinem Roman „Der Verdächtige“. Die Figuren sind gut ausgearbeitet. Das Setting
ist geschickt konstruiert und bietet ein spannendes Duell, das in einem
durchdachten Höhepunkt am Ende des Buches kulminiert. Nebenbei erhält man noch
einen interessanten Einblick ins US-Justizsystem. Ich habe tatsächlich nichts
zu bemängeln, und das kommt selten vor. Ich vergebe 5 Sterne!
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