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Mittwoch, 22. Mai 2024

Spit, Lize - Ich bin nicht da


Schonungslos und direkt


Von Lize Spit habe ich zuletzt „Der ehrliche Finder“ gelesen und war sehr angetan von diesem Werk. Aus diesem Grund wollte ich gern noch mehr von dieser Autorin lesen und entschied mich für „Ich bin nicht da“. Und darum geht es…

Mitten in der Nacht kommt Simon zurück in seine Wohnung, weckt seine Freundin Leo auf und wirkt völlig überdreht und fahrig. Sie erkennt ihn kaum wieder. Er hat sich ein Tattoo stechen lassen, war die ganze Nacht unterwegs, hat nicht auf Kontaktversuche reagiert und erzählt ihr von Freunden, die diese nicht kennt. Irgendetwas stimmt mit ihm nicht. Das ahnt man schon auf den ersten Seiten. Ein starker Einstieg in das Werk, der sofort neugierig macht. Was hat Simon in den vergangenen Stunden nur gemacht und erlebt? Was ist mit ihm los? Am nächsten Tag verfolgt er plötzlich wilde Ideen, will seinen Job kündigen und sich mit einem eigenen Tattoo-Studio selbstständig machen. Dabei agiert er übertrieben selbstsicher, erfolgszuversichtlich und wirkt geradezu euphorisch. Für die Umsetzung seiner Ideen verprasst Simon massig Geld, ohne Rücksprache mit Leo zu halten. Und Leo ist unsicher, wie sie mit ihm umgehen soll. Seine Verhaltensänderung bleibt für sie zunächst ein Rätsel. Wie wird es weitergehen?

 

Was auch gut auf den ersten Seiten zum Ausdruck kommt, ist die Vertrautheit der beiden Partner im Umgang miteinander. Sie führen eine intakte Beziehung, kennen sich gut und gehen äußerst innig miteinander um. Als Leser ahnt man schon, dass eine schwierige Krise auf die beiden zurollt und die Partnerschaft eine schwere Belastungsprobe wird überstehen müssen. Ein Kontrast wird aufgebaut. In Form von Rückblicken erfahren wir mehr darüber, wie sie sich kennen gelernt haben und erleben den Beginn der gemeinsamen Verbindung mit. Dabei wird deutlich, dass Simon in der Vergangenheit ein äußerst arbeitswütiger Mensch war, der sich so sehr in seine Arbeit vertiefen konnte, dass er alles um sich herum vergaß. Eine Charaktereigenschaft, die ihm vermutlich zum Verhängnis geworden ist.

 

Auf der Gegenwartsebene stellt man sich als Leser die Frage, ob Leo heilsam auf Simon einwirken wird. Kann sie ihm helfen bzw. lässt er sich überhaupt helfen? Es zeigt sich, dass Leo sich fortwährend große Sorgen um ihren Partner macht. Seine Verhaltensänderung verunsichert und belastet sie, zumal sich Simons Zustand zusehends verschlechtert. Mit der Zeit wird er immer rastloser und irgendwann entwickelt er psychotische Symptome (die Verhaltensauffälligkeiten werden dezidiert beschrieben). Simon entgleitet Leo immer mehr. Erschwerend kommt hinzu, dass außer ihr niemand sonst Simons geändertes Verhalten zu bemerken scheint. Sie ist am nächsten an ihm dran, kennt ihn am besten. Der Freundeskreis bemerkt zunächst nichts und bestärkt Simon sogar noch, seine Pläne der Selbstständigkeit in die Tat umzusetzen. Eine äußerst verfahrende Situation. Was wird Leo tun, um Simon zu helfen? Wird er sich davon erholen und wieder normal werden? Hält Leo zu ihm? Wird ihre Liebe die Zerreißprobe aushalten?

 

Im weiteren Handlungsverlauf erhalten wir einen Einblick in den Fortgang von Simons Erkrankung und in die Behandlung seiner Psychose. Gemeinsame Arztbesuche werden ebenso geschildert wie Klinikaufenthalte und (negative) Auswirkungen der Krankheit und der Einnahme von Antipsychotika. Dabei werden auch intime Details nicht ausgelassen. Und wir erleben mit, wie schwierig es ist, einen Betroffenen davon zu überzeugen, Hilfe anzunehmen, und welches Leid Angehörige dabei durchleben. Auch das Recht des Patienten auf Selbstbestimmung wird in diesem Zusammenhang thematisiert. Kurzum: Wir erhalten einen intensiven Eindruck von der medizinischen Behandlung eines Betroffenen. Und wir sehen, dass die Krankheit nicht auf Simon beschränkt bleibt, sondern dass sie auch die Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung erfasst. Folgende Aspekte werden ebenfalls vertieft: Wie geht man mit einem Betroffenen wie Simon um? Was erzählt man dem Umfeld, ohne dass Simon eine Stigmatisierung befürchten muss? Wie fühlt sich Simon mit dieser Erkrankung, v.a. als er nach und nach wieder auf die Beine kommt? Etc. Zum Ende hin wird auch noch ein weiterer packender Spannungsbogen konstruiert. Leo erhält das Angebot, über die Erkrankung ihres Partners zu schreiben. Wie wird sich Leo entscheiden? Mehr will ich an dieser Stelle nicht verraten… nur so viel: Dieses Handlungselement verleiht dem Inhalt noch einmal zusätzlich Schwung.

 

Fazit: Eine herausfordernde Lektüre. Aber für alle geeignet, die einen ungeschönten Einblick in das Leid, das diese Krankheit verursacht, erhalten möchten. Was ich an Lize Spit wieder sehr schätze und ihr hoch anrechne, ist die Tatsache, dass sie die Dinge direkt, schonungslos und gnadenlos ehrlich beschreibt. Man merkt, dass Spit sich gut informiert hat und von dem, was sie schreibt, Ahnung hat. Einziger kleiner Kritikpunkt: Ich hätte mir noch mehr Hintergründe zu den Ursachen von Simons Krankheit gewünscht. Was war der Auslöser für seine Krise? Dazu hätte ich gern noch mehr erfahren.

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