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Mittwoch, 15. Mai 2024

Wahl, Caroline - Windstärke 17


„Wutklumpen“



Zu Beginn des Romans „Windstärke 17“ wird vor allem die Orientierungslosigkeit von Ida, der kleinen Schwester von Tilda, nur allzu deutlich. Ihre alkoholkranke Mutter ist verstorben und sie muss sich darum kümmern, die Wohnung zu kündigen, und sich entscheiden, welche Richtung sie ihrem Leben geben möchte. Sie schottet sich von ihrer Umwelt ab und sucht nach Halt. Was hat sie nun vor? Wird sie ihr Studium fortsetzen? Wo wird sie wohnen? Viele ungelöste Fragen, die sie und die Leserinnen und Leser gleichermaßen beschäftigen.



Ida wirkt überfordert mit der Situation. Sie will mit sich alleine sein, sich neu ausrichten. Um ihren psychischen Zustand ist es nicht gut bestellt. Das wird gut greifbar. Tildas Hilfsangebote lehnt sie ab. Stattdessen setzt sie sich in einen Zug nach Rügen und quartiert sich in einer Jugendherberge in Binz ein. Sie nimmt einen Job als Kellnerin an, um ihren Unterhalt zu verdienen, und lernt Leif kennen. Als Ida krank wird, kümmert sich ihr Chef Knut zusammen mit seiner Frau Marianne um sie. Sie bieten Ida an, bei ihnen zu wohnen. Wird es den beiden gelingen, Ida aus ihrem Loch herauszuholen? Oder wird Leif sie wieder aufbauen und aus ihrer Krise herausführen? Und wie geht es mit Ida weiter?

 

Während der Lektüre habe ich Idas Entwicklung mit Neugier begleitet. Ich wollte wissen, ob sie in ihr Leben zurückfindet, wieder auf die Beine kommt und von jemandem aufgefangen wird. Das hat für mich die Spannung des Romans ausgemacht. Hinzu kommen die authentischen Darstellungen des psychischen Zustands von Ida, der zwischenmenschlichen Beziehungen und vertiefende Rückblicke in glücklichere Zeiten. Wir erfahren nun, was aus Ida geworden ist, nachdem Tilda sie im Alter von 11 Jahren bei ihrer Mutter zurückgelassen hat. Anders als in „22 Bahnen“ steht dieses Mal die jüngere Schwester im Zentrum der Handlung, über Tilda erfahren wir zwar auch etwas, aber das immer nur am Rande. Ohne zu viel zu verraten: Es zeigt sich ein klarer Kontrast zwischen beiden Schwestern. Während die eine ihr Leben im Griff hat, steckt die andere in einer tiefen Krise.

 

Das Werk weist nach meinem Gefühl eine traurig-hoffnungsvoll Stimmung auf. Und es gelingt der Autorin hervorragend, die Stimmung der Leserinnen und Leser mal in die eine, mal in die andere Richtung zu lenken. Was mir auch wieder gut gefallen hat, waren die Passagen mit wörtlicher Rede, die mit redeeinleitenden Vornamen markiert werden. Sie verleihen der Handlung Unmittelbarkeit, Direktheit und Lebendigkeit. Und die Warmherzigkeit von Knut, Marianne und Leif hat mir ebenfalls zugesagt. Sie kümmern sich uneigennützig, ohne Hintergedanken und aufopferungsvoll um Ida. Darin steckt eine hoffnungsfrohe Botschaft, wie ich finde. Letztlich behandelt „Windstärke 17“ die großen menschlichen Themen: Liebe, Tod, Krankheit. Und die Umsetzung dieser Themen hat mir sehr, sehr gut gefallen. Man nimmt Anteil an dem Schicksal der Figuren und die Spannung ergibt sich aus der Handlung von selbst heraus. 5 Sterne von mir.

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