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Samstag, 25. Mai 2024

De la Motte, Anders - Stille Falle


Leo Asker – eigenwillig, kompromisslos und durchsetzungsstark



Ein junges Paar verschwindet bei einer Höhlentour. Die Polizei wird eingeschaltet. Handelt es sich um eine Entführung? Leo Asker kümmert sich zunächst um die Aufklärung des Falls, erhält dann aber mitten in ihren Ermittlungen das Angebot einer vermeintlichen Beförderung und soll in eine andere Abteilung wechseln. Wird sie sich fügen? Will man sie etwa loswerden? Ein Schelm, der Böses dabei denkt…In einem weiteren Blickwinkel wird uns die Perspektive des Täters dargeboten, der unerkannt und unbemerkt in Häuser eindringt und dort Gegenstände entwendet.



Leo Asker ist eine ausgefallen gestaltete Figur, die den Thriller in meinen Augen maßgeblich trägt. Sie agiert kompromisslos-eigenwillig und tritt als Einzelgängerin auf. Wenn sie es für nötig hält, so zeigt sie „klare Kante“ und verhält sich keineswegs zurückhaltend und still. Sie eckt oft an und erweist sich als überaus durchsetzungsstark. Mit einem ehemaligen Vorgesetzten führte sie zeitweise eine Affäre, vollzieht dann aber einen harten Schnitt. Dies führt zu beruflichen Verwicklungen. Kollegen, die ihr gegenüber Respekt vermissen lassen, weist sie in die Schranken. Sie kann sich sehr gut behaupten. Gegenüber Männern verhält sie sich oft brüsk, distanziert, abweisend und unnahbar. Gleichzeitig scheint sie eine besondere Wirkung auf das andere Geschlecht auszuüben. Weitere Besonderheiten: Sie kennt sich sehr gut mit Waffen aus und hat eine besondere Beziehung zu ihrem Vater. Dieser war paranoid, lebte zurückgezogen und hat seine Tochter durch eine besondere Ausbildung abgehärtet.

 

Was ebenfalls gut zum Ausdruck kommt, ist der Umstand, dass im Ermittlungsteam Spannungen und Rivalitäten zutage treten. Zu den vermissten Personen werden unterschiedliche Theorien aufgestellt, die verschiedenen Ermittler konkurrieren miteinander. Kompetenz- und Machtgerangel wird spürbar. Es wird teils gegeneinander gearbeitet, es kommt zu Reibungsverlusten. Die Arbeitsatmosphäre hinterlässt einen wenig einladenden Eindruck. Leo Asker wird ungerecht behandelt, als sie in eine andere Abteilung gelockt werden soll. Das emotionalisiert. Und all das hat mich bei der Lektüre angesprochen und gefesselt. Die Charakterzeichnung von Asker sowie die differenziert angelegten Beziehungsverhältnisse überzeugen.

 

Was mich auch angesprochen hat, ist die Tatsache, dass sich das Buch an vielen Stellen selbst nicht zu ernst nimmt. Es gibt einige amüsante Passagen, die insbesondere den Wechsel von Asker in die neue Abteilung betreffen. Dort trifft sie auf einige skurrile Figuren. Und noch etwas, das mir gut gefallen hat: Die Einbindung des Themas der „urban explorations“ (also das Aufsuchen von leer stehenden Orten). Die verlassenen Ortschaften weisen in den Augen der Besucher eine besondere Ästhetik auf. Die Natur erobert sich die von Menschen erschaffenen Bauwerke allmählich zurück und das übt auf einige Personen einen besonderen Reiz aus. Interessant!

 

Noch etwas: Alle Handlungsstränge werden geschickt vorangetrieben, so dass man an den Zeilen haften bleibt. Wir erfahren im weiteren Handlungsverlauf beispielsweise mehr über den Täter und seinen Werdegang. Er wird immer rücksichtsloser und überschreitet immer mehr Grenzen. Die Figur entwickelt sich also dynamisch. Und auch in Bezug auf die anderen Figuren im Werk werden Entwicklungen deutlich. Das ist gelungen. Nicht zuletzt fand ich die Idee, wie der Täter seine Spuren hinterlässt, kreativ gelöst. Dafür wird das Thema „Modelleisenbahn“ in die Handlung integriert. Auch das hat mich überzeugt.

 

Fazit: Der Thriller ist gelungen. Leo Asker ist eine reizvoll angelegte Figur, die sicherlich auch weitere Bände tragen kann. Ich könnte mir höchstens vorstellen, dass sie dem ein- oder anderen Leser etwas zu extravagant angelegt ist. Aber das ist sicherlich Geschmackssache… Die Beziehungsverhältnisse sind allesamt facettenreich angelegt, die Charaktere entwickeln sich dynamisch. Perspektivwechsel sorgen dafür, dass Spannungsbögen immer wieder geschickt unterbrochen werden. Der Autor greift auf viele kreative Ideen zurück („urban explorations“, „Modelleisenbahn“). Kurzum: Mir hat das Werk sehr gut gefallen, auch wenn das Tempo noch höher hätte ausfallen können.

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