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Sonntag, 13. Oktober 2024

Pellini, Petra - Der Bademeister ohne Himmel


Der Weg in die Erinnerungslosigkeit



Die 15-jährige Linda kümmert sich rührend um ihren dementen Nachbarn. Und das, obwohl sie selbst ihr Päckchen zu tragen hat und ihre Mutter sich mehr schlecht als recht um sie kümmert. Sie wirkt an vielen Stellen erstaunlich abgeklärt, vernünftig und erwachsen, ja fast weise und lebensklug. Linda behält jederzeit den Überblick über die Situation, hat eine Engelsgeduld und ist sehr geübt im positiven Denken. Hubert ist 86 Jahre alt und seit einigen Jahren Witwer. Sein Leben entgleitet ihm. Ohne pflegerische Hilfe kann er seinen Alltag nicht bewältigen. Gegen Ende des Buchs wird er zum Pflegefall. Durch die Augen der 15-Jährigen erleben wir mit, welche Einschränkungen Hubert hat. Er lebt in seiner eigenen Welt und die Ich-Erzählerin weiß, wie sie mit ihm umzugehen hat.

 

Einen humorvollen Effekt hat sich die Autorin überlegt, indem sie Ewa als polnische Pflegekraft mit ihrem radebrechenden Deutsch als zusätzliche Figur zur Unterstützung für Hubert einbaut. Linda und Ewa haben ein gutes Verhältnis zueinander. Ewa kommt etwas schräg, aber sehr warmherzig daher. Man sollte sich nicht daran stören, dass hier das ein oder andere Klischee bedient wird, damit es lustig wirkt. Weitere Figuren, die vorkommen, auf die ich aber hier nicht zu sehr eingehen möchte, sind die Tochter von Hubert, die die Pflege ihres Vaters lieber „outsourct“, sowie die Mutter von Linda, die sich mehr um ihren neuen Liebhaber als um die eigene Tochter kümmert.

 

Während der Lektüre habe ich v.a. darauf geachtet, ob mit Hubert würdevoll umgegangen wird. Und ich kann sagen, dass Hubert und seine Symptome dem Leser zwar leichtfüßig und auf heitere Art näher gebracht werden, aber ohne dass sich über ihn lustig gemacht wird. Hubert kommt liebenswürdig, aber mit allen Einschränkungen gut zum Ausdruck. Das ist der Autorin hervorragend gelungen. Das ist schließlich ein nicht leicht auszuführender Drahtseilakt! Die Schreibweise ist über weite Strecken „knuffig-kindlich“ (was auch an der Wahl von Lindas Perspektive liegt).

 

Noch etwas hat mich während der Lektüre beschäftigt: Kommen auch die dunklen Stunden von Huberts Erkrankung zum Ausdruck? So hatte ich zu Beginn den Eindruck, dass Huberts Leben äußerst „weichgezeichnet“ wird, die negativen Auswirkungen seines Zustands werden recht liebevoll und warmherzig dargestellt. Nicht an einer Stelle geraten Linda oder Ewa an ihre pflegerischen Grenzen. Und ich kann sagen, dass sich das gegen Ende des Romans ändert. Dann nämlich verschlechtert sich Huberts Zustand und es kommen auch andere Aspekte zum Ausdruck. Allerdings bleibt der Erzählton trotz der Tragik der Ereignisse leicht, warmherzig und „sonnig“. Ewa und Linda verlieren nie ihren liebenswürdigen Blick auf die Realität.

 

Es ist der Autorin wichtig, die Botschaft zu vermitteln, dass man auch mit einem Demenzkranken wie Hubert schöne Stunden verbringen kann. Es geht nicht um die Schilderung einer erschreckend harten Realität, die die Pflege eines Demenzkranken ja auch sein könnte. Pellini will ihrer Leserschaft nicht zu viel zumuten (außer am Ende des Buchs) und entscheidet sich für einen anderen inhaltlichen Zugang. Und das ist ja auch in Ordnung so. Man sollte nur mit der entsprechenden Erwartungshaltung auch ans Buch herangehen.

 

Was ich mir gewünscht hätte, wäre noch eine Information dazu, warum sich Linda überhaupt für Hubert verantwortlich fühlt. Wie haben sie sich kennen gelernt? Das bleibt leider eine Leerstelle, die nicht gefüllt wird. Schade! Auch der Spannungsbogen ist nicht sehr stark ausgeprägt. Es passiert nicht viel, was die Handlung vorantreibt. V.a. zu Beginn stagniert die Darstellung etwas und ähnelt sich stark. Die Erzählweise ist also eher ruhig, das sollte man mögen. Ein paar mehr Spielräume zur Interpretation wären ebenfalls noch wünschenswert gewesen. Von mir gibt es 4 Sterne!

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