Der Weg in die Erinnerungslosigkeit
Einen
humorvollen Effekt hat sich die Autorin überlegt, indem sie Ewa als polnische
Pflegekraft mit ihrem radebrechenden Deutsch als zusätzliche Figur zur
Unterstützung für Hubert einbaut. Linda und Ewa haben ein gutes Verhältnis
zueinander. Ewa kommt etwas schräg, aber sehr warmherzig daher. Man sollte sich
nicht daran stören, dass hier das ein oder andere Klischee bedient wird, damit
es lustig wirkt. Weitere Figuren, die vorkommen, auf die ich aber hier nicht zu
sehr eingehen möchte, sind die Tochter von Hubert, die die Pflege ihres Vaters
lieber „outsourct“, sowie die Mutter von Linda, die sich mehr um ihren neuen
Liebhaber als um die eigene Tochter kümmert.
Während
der Lektüre habe ich v.a. darauf geachtet, ob mit Hubert würdevoll umgegangen
wird. Und ich kann sagen, dass Hubert und seine Symptome dem Leser zwar
leichtfüßig und auf heitere Art näher gebracht werden, aber ohne dass sich über
ihn lustig gemacht wird. Hubert kommt liebenswürdig, aber mit allen
Einschränkungen gut zum Ausdruck. Das ist der Autorin hervorragend gelungen.
Das ist schließlich ein nicht leicht auszuführender Drahtseilakt! Die
Schreibweise ist über weite Strecken „knuffig-kindlich“ (was auch an der Wahl
von Lindas Perspektive liegt).
Noch
etwas hat mich während der Lektüre beschäftigt: Kommen auch die dunklen Stunden
von Huberts Erkrankung zum Ausdruck? So hatte ich zu Beginn den Eindruck, dass
Huberts Leben äußerst „weichgezeichnet“ wird, die negativen Auswirkungen seines
Zustands werden recht liebevoll und warmherzig dargestellt. Nicht an einer
Stelle geraten Linda oder Ewa an ihre pflegerischen Grenzen. Und ich kann sagen,
dass sich das gegen Ende des Romans ändert. Dann nämlich verschlechtert sich
Huberts Zustand und es kommen auch andere Aspekte zum Ausdruck. Allerdings
bleibt der Erzählton trotz der Tragik der Ereignisse leicht, warmherzig und „sonnig“.
Ewa und Linda verlieren nie ihren liebenswürdigen Blick auf die Realität.
Es
ist der Autorin wichtig, die Botschaft zu vermitteln, dass man auch mit einem
Demenzkranken wie Hubert schöne Stunden verbringen kann. Es geht nicht um die
Schilderung einer erschreckend harten Realität, die die Pflege eines
Demenzkranken ja auch sein könnte. Pellini will ihrer Leserschaft nicht zu viel
zumuten (außer am Ende des Buchs) und entscheidet sich für einen anderen
inhaltlichen Zugang. Und das ist ja auch in Ordnung so. Man sollte nur mit der
entsprechenden Erwartungshaltung auch ans Buch herangehen.
Was
ich mir gewünscht hätte, wäre noch eine Information dazu, warum sich Linda
überhaupt für Hubert verantwortlich fühlt. Wie haben sie sich kennen gelernt?
Das bleibt leider eine Leerstelle, die nicht gefüllt wird. Schade! Auch der
Spannungsbogen ist nicht sehr stark ausgeprägt. Es passiert nicht viel, was die
Handlung vorantreibt. V.a. zu Beginn stagniert die Darstellung etwas und ähnelt
sich stark. Die Erzählweise ist also eher ruhig, das sollte man mögen. Ein paar mehr Spielräume zur Interpretation wären ebenfalls noch wünschenswert gewesen. Von mir
gibt es 4 Sterne!
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