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Samstag, 22. Juni 2024

Tree, Joshua - Der Vorfall


Gelungener ISS-Astronauten-Thriller




Was wäre, wenn es auf der ISS zu einer Katastrophe kommt und die Station in der Erdatmosphäre zu verglühen droht? Genau darum geht es in dem Astronauten-Thriller "Der Vorfall" von Joshua Tree. Während eines Kommunikationsausfalls kommt es zu einem Vorfall auf der ISS. Im Kontrollraum stellt man fest, dass ein Modul abgesprengt worden ist und die Sojus-Kapsel fehlt. Darüber hinaus verliert die Station an Höhe und droht abzustürzen. Ein furioser Auftakt!

 

Danach folgt ein Schwenk zur ESA-Psychologin Amina Young, die die auf der Erde angekommenen Besatzungsmitglieder der ISS in Moskau (dort werden zwei Astronauten festgehalten) verhören soll. Sie soll die Umstände des Vorfalls genauer untersuchen und herausbekommen, was genau an Bord der Raumstation passiert ist. Folgende Fragen stellte ich mir zu Beginn: Was hat zum Vorkommnis auf der ISS geführt? Gab es dort einen Unfall? Wollten sich die Astronauten in Sicherheit bringen? Wird man die ISS wieder unter Kontrolle bekommen?

 

Aminas Aufgabe als ESA-Repräsentation besteht darin, die überlebenden Astronauten zu vernehmen und politisch zu vermitteln. Denn ein russischer Nationalheld, Oleg Rashkin, ist an Bord der ISS ums Leben gekommen. Was ist mit ihm passiert? Tragen Ehrmann und Michaels eine Verantwortung für seinen Tod? Was gut zum Ausdruck kommt, ist, welchen politische „Sprengstoff“ diese gescheiterte Mission auf der ISS in sich birgt. Angesichts der Katastrophe in der Erdumlaufbahn sind die USA und Russland (bzw. stellvertretend für die beiden Länder, ihre Behörden NASA und Roskosmos) tief zerstritten. Die Verantwortlichen beider Länder schieben sich gegenseitig die Verantwortung für das Geschehen zu. Ein interessanter Machtkampf, der deutlich aktuelle Bezüge aufweist. Sehr gelungen!

 

Das Vehör mit den Astronauten ist interessant und spannend gestaltet worden. Amina versucht durch verschiedenen Verhörtechniken, Informationen zu erhalten und die Ereignisse auf der ISS zu rekonstruieren. Die amerikanische Astronautin, die überlebt hat, erweist sich als misstrauisch und verschlossen. Amina gewinnt immer mehr den Eindruck, dass beide Interviewten nicht die Wahrheit sagen und etwas verschweigen. Nebenbei erfährt man übrigens einige interessante Fakten zur ISS und zum Leben an Bord der Station. Auch die zunehmende Privatisierung der Raumfahrt wird kritisch beleuchtet.

 

In eingeschobenen Rückblicken erfahren wir mehr über das Zusammenleben der Crew. Nach und nach wird so vermittelt, was sich im Vorfeld der Katastrophe zugetragen hat. Als belebendes Element tritt eine „Whistlebloggerin“ bzw. Hackerin auf, die Amina mit wichtigen Infos und Material versorgt.  Amina kann mit diesen Impulsen von außen ihre Verhöre geschickt führen und in neue Richtungen lenken. Das ist gut gemacht! Was mir noch positiv aufgefallen ist: Es gibt in dem Buch kaum Längen, die Spannung ist hoch. Und es wird abwechslungsreich erzählt. Dafür sorgen die passend platzierten und gut getimten Szenenwechsel in Form von Rückblenden.

 

Weiterhin gelingt es Tree dadurch Druck entstehen zu lassen, dass die ISS abzustürzen droht. Dieser Zeitdruck wirkt sich auf die Verhöre aus. Denn eine Rettungsmission für die Raumstation will man erst dann starten, wenn geklärt ist, was an Bord genau passiert ist. Auf Amina lastet also ein hoher Erwartungsdruck, sie muss sich beeilen, den Vorfall aufzuklären. Klasse arrangiert! Und noch etwas wird deutlich, was ich loben möchte. Das Leben auf der ISS wird sehr authentisch, detailliert und kenntnisreich geschildert (z.B. die Durchführung von Außenbordeinsätzen). Hier wird nach meinem Empfinden eine sehr exakte Recherche des Autors deutlich. Das merkt man einfach.


Es gibt nur Kleinigkeiten, die ich mir noch für ein perfektes Leseerlebnis gewünscht hätte. So hätte ich noch mit einem Handlungsstrang gerechnet, in dem die Rettungsmission für die ISS präsentiert wird (vielleicht hätte das aber auch zu einer inhaltlichen Überfrachtung geführt). Stattdessen wird aber mehr Wert auf die Verhöre und die Rückblenden gelegt. Zudem endet das Buch nach meinem Gefühl recht unspektakulär. Es gibt keine überraschenden Wendungen, WOW- oder AHA-Momente. Das fand ich etwas schade. So komme ich auf 4 Sterne. 

The Walking Dead - The Ones Who Live



Flucht und Liebe



Rick ist zurück! Und ich gebe zu, das macht mich tatsächlich neugierig. Von allen Ableger-Serien aus dem Universum von „The Walking Dead“ ist das diejenige, die mich am meisten interessiert. Zentrale Frage: Was ist aus Rick geworden?

 

Doch der erste Einstieg in die Serie lässt mich etwas enttäuscht zurück. Wieder einmal wird uns eine militaristisch geprägte und autorität geführte Gemeinschaft präsentiert, die nicht sehr einladend wirkt. Kennen wir das nicht schon? Das einzige, was neu ist: Sie ist größer und besser organisiert als alles, was man bisher kennen gelernt hat. Atlanta, Omaha und Portland bilden als Städte eine Allianz. Und es scheint doch mehr an Strukturen erhalten geblieben zu sein, als man anfangs dachte… aber das allein reißt mich noch nicht mit; zumal das, was in den Städten vor sich geht, für mich zu sehr im Dunkeln bleibt.

 

Was die Serie ausmacht, ist in meinen Augen Rick, dessen Abschied aus der Original-Serie damals für mich überraschend war. Er trägt „The Ones Who Live“ maßgeblich. Deutlich wird zu Beginn wieder sein unbändiger Wille, sich nicht unterzuordnen. Er ist durch und durch ein Kämpfer. Er will aus der Gemeinschaft, in der er gefangen gehalten wird, fliehen. Und er ist dafür bereit, einen hohen Preis zu zahlen. Doch was man auch sieht, ist, dass er eine dynamische Entwicklung durchläuft. Das ist gut! Wir erleben mit, wie sich Rick in seiner neuen Umgebung einordnet und allmählich fügt. Ab einem gewissen Punkt wirkt er gebrochen, eingeschüchtert und regelrecht verängstigt. Oder spielt er doch nur ein doppeltes Spiel und wir erleben als Zuschauer eine große Überraschung? Das möchte ich hier nicht verraten. Das möge jeder selbst herausfinden.

 

Was ebenfalls gut gelungen ist, sind die Cliffhanger am Ende einer Folge. Die sind wirklich stark, so dass man immer direkt wissen möchte, wie es weitergeht. Auch die perspektivische Gestaltung und der Einbau von Vor- und Rückblenden hat mir gefallen. Ich habe zu jedem Zeitpunkt die Übersicht behalten und bin nicht verwirrt worden. Wird die erste Folge noch aus Ricks Sicht präsentiert, so wird dieser Blickwinkel in Folge 2 um Michonnes Perspektive erweitert. Danach greifen beide Sichtweisen ineinander. Das ist gut gemacht. Im weiteren Handlungsverlauf entsteht dann eine Geschichte um Liebe und (möglicher) Flucht. Auch das reißt mit. Allerdings kann die Serie nach meinem Empfinden ihr Niveau nur in den ersten vier Folgen halten. Folge vier wird schon schwächer (ist mit dem Bild des einstürzenden Hauses aber sehr schön symbolisch aufgeladen worden) und in den letzten beiden Episoden habe ich einen deutlichen Qualitätsverlust wahrgenommen, was v.a. mit den Ereignissen rund um Anne zusammenhängt, deren Handeln sich mir nicht erschließt. Die Logik wird zunehmend löchrig. Schade, schade!

 

Was mich ebenfalls nicht überzeugt hat, war das Ausmaß an Gewalt, das sich die Macher der Serie dieses Mal haben einfallen lassen. Man merkt, dass den Autoren die Ideen ausgehen und immer wieder neue, noch gewalthaltigere Dinge kreiert werden, um die Zuschauer bei der Stange zu halten. Ich brauche das nicht, aber nun gut…Dieses Mal kommen Napalm und Chlorgas zum Einsatz, um die „Beißer“ zu bekämpfen. Später sind es dann von Geysiren verunstaltete Zombies, die wir zu sehen bekommen. Für mich schlägt die Serie hier eine falsche Richtung ein. Und noch ein Tabubruch ist mir aufgefallen: Eine schwangere Frau muss sterben und verwandelt sich. Noch etwas: Zu Beginn der Serie macht es den Eindruck, als sei es das Ziel, möglichst viele entstehende Bindungen zwischen den Figuren in rascher Abfolge immer wieder zu zerschlagen. Eine solche hohe Taktung von beginnender Freundschaft und Verlust habe ich bisher in noch keiner anderen Serie aus dem TWD-Franchise wahrgenommen. Auch das hat mich nicht überzeugt. So komme ich abschließend auf 3 Sterne.

Donnerstag, 20. Juni 2024

Moon Shots. Faszination Weltraum


Die Apollo-Missionen



Die Dokumentation „Moon Shots. Faszination Weltraum“ zeichnet die Abläufe der verschiedenen Apollo-Missionen nach. Der Schwerpunkt liegt aber auf denjenigen Missionen, die erfolgreich auf dem Mond gelandet sind (Apollo 11 bis 17). Immerhin 12 Astronauten haben zwischen 1969 und 1972 den Mond bereist. Die Missionen werden allesamt mit ihren Zielsetzungen nachgezeichnet. Und dabei wird v.a. auch auf Herausforderungen eingegangen, die immer wieder bewältigt werden mussten und von der Besatzung ein hohes Maß an Improvisation erforderten. Die Missionen liefen nämlich überhaupt nicht so problemlos ab, wie man es vermutet (v.a. Apollo 13). Schon Apollo 1 endete in einer tragischen Katastrophe, die der Besatzung das Leben kostete.

 

Für mich war es beeindruckend, vermittelt zu bekommen, wie die Astronauten und Ingenieure ad hoc auftretende Schwierigkeiten lösten und Unwägbarkeiten aus dem Weg räumten. Und auch in visueller Hinsicht hat dieser Film etwas zu bieten. So werden uns drei 360-Grad-Panorama-Blicke präsentiert, die damals auf der Oberfläche des Mondes aufgenommen wurden und einen guten Eindruck davon vermitteln, wie es auf unserem Trabanten aussieht. Das war für mich wirklich das Highlight dieser Dokumentation. Der langsame Kameraschwenk um 360 Grad, der noch dazu mit passender Musik untermalt worden ist. Klasse!


Montag, 17. Juni 2024

Spektrum der Wissenschaft KOMPAKT 05/2015 (Hrsg.) - Quantenphysik


Einblick in die rätselhafte Quantenwelt



Wie angekündigt, möchte ich noch weitere Titel zum Thema „Quantenphysik“ lesen und besprechen. Den Anfang macht das Kompakt-Themenheft „Quantenphysik. Spukhafte Welt zwischen Welle und Teilchen“ von Spektrum der Wissenschaft (05/2015). Das Heft ist schon fast zehn Jahre alt, aber es enthielt einige für mich interessante Themen, z.B. zum Quantencomputer, zur Verschränkung, zur Quantengravitation, zur Viele-Welten-Theorie und zu Zeitreisen. Auch Einsteins Idee der spukhaften Fernwirkung wird thematisiert. Vieles davon mutet an wie Science-Fiction. Faszinierend! Und was ich ebenfalls interessant finde: Die Quantenwelt mit ihren eigenen Regeln bleibt bis heute rätselhaft und in vielen Aspekten unverstanden. Gerade das macht es überaus spannend! Und was ich weiterhin an dem Themenheft schätze, ist der Umstand, dass es weitestgehend verständlich ist. So kann man auch als Laie in diesen wissenschaftlichen Teilbereich vordringen und einiges für sich an Erkenntnissen mitnehmen. Was ich jedoch nicht leisten kann, ist, die dargestellten Inhalte kritisch zu prüfen. Dafür fehlt es mir an Fachkenntnissen. Ich kann lediglich festhalten, wo mir etwas unklar geblieben ist oder wo Fragen aufgetaucht sind.

 

Beitrag 1 – Quantenphysik. Und noch ein Schlupfloch erfolgreich geschlossen. Von Dirk Eidemüller

Hier wird verdeutlicht, dass die Quantenwelt spezifische Eigenschaften aufweist, die tatsächlich nur dort möglich sind. So kann ein Teilchen z.B. nicht nur an einem Ort sein, sondern gleichzeitig auch noch an anderen Orten, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Ort genauer bestimmt wird. Am Beispiel des Photons wird verdeutlicht, dass diese eine Wellen- und zugleich eine Teilcheneigenschaft aufweisen. Photonen breiten sich wie Wellen aus, will man sie jedoch lokalisieren, erscheinen sie uns als punktförmige Teilchen und nicht länger als Welle. Interessant ist, dass der Übergang von Welle zu Teilchen mit unendlicher Geschwindigkeit stattfindet. Und das, obwohl nach der Relativitätstheorie nichts schneller als das Licht ist. Ein zentrales Forschungsanliegen sei es bis heute, den Kollaps der Wellenfunktion genauer zu untersuchen. Des Weiteren stellt der Autor ein Experiment vor, bei dem die Welleneigenschaften von Photonen gemessen werden. Es zeigt sich, dass die Messung an einem Ort zugleich auch das Teilchen an einem anderen Ort beeinflusst. Sie sind miteinander verschränkt. 

 

Beitrag 2 – Quantenmechanik. Quantenphysik erlaubt die Zeitreise. Von Lee Billings

Diskutiert wird hier das beliebte Großvater-Paradoxon, also das Gedankenspiel, dass eine Person in die Vergangenheit reist, um den eigenen Großvater zu töten, und damit die eigene spätere Geburt verhindert. Stephen Hawking hielt Reisen in die Vergangenheit für unmöglich. Aus mathematischer Sicht seien Zeitreisen jedoch machbar. So kann man auf der Basis von Einsteins Relativitätstheorie eine so starke Krümmung der Raumzeit annehmen, dass geschlossene zeitartige Kurven entstehen. Würde man eine solche geschlossene Schleife durchlaufen, könnte man in die Vergangenheit reisen. Im Beitrag wird des Weiteren die Möglichkeit erörtert, ob es möglich sei, Quantenteilchen durch eine solche Schleife zu schicken. Dies hätte allerdings weitere Fragen zur Folge: Handelt es sich bei dem verschickten und ankommenden Photon um das identische Teilchen? Und kommt das durch die Zeit geschickte Photon im selben Universum wieder heraus, das es in der Zukunft verlassen hat? Spannend! Letztlich bleiben alle diesbezüglichen Annahmen natürlich spekulativ.

 

Beitrag 3 – Informationstechnologie. Mission Quantencomputer. Von Elizabeth Gibney

Die Idee für die Entwicklung eines Quantencomputers sei schon in den 80er Jahren aufgekommen. In der Praxis hätten sich die bestehenden Quanteneffekte jedoch als extrem schwer kontrollierbar herausgestellt. Schon eine minimale Vibration könne den Rechenvorgang in einem Quantensystem stören. Doch die Autorin erläutert auf verständliche Art und Weise, dass man in der Forschung die Hoffnung nicht aufgibt, die Prozesse irgendwann besser kontrollieren zu können. Es habe inzwischen einige Fortschritte gegeben und auch große Firmen wie Google, IBM und Microsoft forschten an einem solchen Projekt, doch aktuell scheint die erfolgreiche Umsetzung der Technologie noch viele Jahre in der Zukunft zu liegen. Die Vorlesung des verstorbenen Physikers Richard Feynmann bilden die konzeptionellen Grundlagen für die Entwicklung eines Quantencomputers. Der Vorteil eines solchen Computers besteht darin, dass er viel mehr parallele Rechenvorgänge durchführen könnte. Er macht sich die Eigenschaften der Quantenwelt zunutze und ist nicht nur auf eine binäre Arithmetik festgelegt. Die Autorin dieses Beitrags zeigt letztlich auf, welche Erfolge in diesem Forschungsbereich bereits verzeichnet werden konnten und welche Hürden in der Zukunft noch zu nehmen sind.

 

(…)

 

Beitrag 5 – Bildgebung. Fotografieren mit verlorenem Licht. Von Dirk Eidemüller

In diesem Beitrag wird aufgezeigt, wie für ein Bildgebungsverfahren die quantenphysikalische Verknüpfung von Photonen genutzt wird. Dafür werden zwei Teilstrahlen auf ein Objekt gelenkt, ein roter Strahl läuft um das Objekt herum und ein Infrarotstrahl durchdringt das Objekt. Später werden beide Strahlen wieder miteinander kombiniert. Dabei stellte man fest, dass nicht nur die infraroten Photonen allein das Bild mit sich tragen, sondern auch die damit verschränkten roten Photonen. Trennt man im Anschluss an die Zusammenführung die beiden Lichtstrahlen wieder voneinander, so kann mit den roten Photonen, obwohl sie das Objekt niemals berührt haben, trotzdem ein Bild mit ihnen projiziert werden. Erstaunlich! Anders ausgedrückt: Ohne direkten Kontakt zum Objekt, ist es dennoch gelungen, mit Hilfe verschränkter Photonen, ein Bild zu erzeugen. Die Forscher halten es für möglich, ihre Erkenntnisse für den medizinischen Bildgebungsbereich fruchtbar zu machen.

 

Beitrag 6 – Casimir-Effekt der Gravitation. Experiment soll Quantennatur der Gravitation offenbaren. Von Jan Dönges

Bislang erscheint die Gravitation mit der Quantenphysik nicht vereinbar, wie der Autor erklärt. Die Annahme, dass auch die Gravitation aus Quanten besteht, ist bislang nicht experimentell bestätigt worden können. Ein Forscher der Universität Tokio glaubt jedoch mit einem Experiment einen Nachweis dafür liefern zu können, dass auch Gravitation „gequantelt“ ist. Dafür will man sich den sogenannten Casimir-Effekt zunutze machen. Leider wird im Beitrag nicht genauer dargelegt, ob das Experiment bereits durchgeführt wurde oder wann es stattfinden soll. Auch bleibt mir unklar, was das zu erwartende Ergebnis ist bzw. was dabei herausgekommen ist.

 

Beitrag 7 – Verschränkung. Kosmischer Test für die Quantenphysik. Von Rainer Kayser

Zu Beginn des Beitrags stellt der Autor einige zentrale Fragen in den Vordergrund, auf die es bislang keine befriedigenden Antworten gibt: Existieren bislang verborgene Regeln und Größen hinter der Quantentheorie, die wir aktuell noch nicht kennen? Und was bedeutet die Quantenmechanik für unsere physikalische Realität? Wie ist diese zu interpretieren?

Ein Phänomen, das Kayser näher in den Blick nimmt, ist die Verschränkung von Teilchen. Diese können, auch wenn sie (sehr weit) voneinander entfernt sind, miteinander verknüpft sein. Zur Veranschaulichung wählt Kayser eine treffende Analogie. Steckt man eine schwarze und eine weiße Kugel in zwei verschiedene Beutel und überreicht jeweils einen Beutel zwei Beobachtern, die ihrerseits nicht wissen, welche Kugel jeweils im Beutel ist. Und stellt man die Beobachter an zwei entfernte Orte, so wissen sie erst dann, was in ihrem Beutel ist, wenn sie ihn öffnen (also eine Messung durchführen). Dabei sind die Ergebnisse der Messung nicht unabhängig voneinander. Wenn der eine Beobachter die weiße Kugel hat, so hat der andere Beobachter die schwarze Kugel. Noch etwas: In Bezug auf die beiden Beobachter ist die Aussage, dass die eine Messung die andere beeinflusst, nicht zulässig. Dies wiederum ist bei Elementarteilchen anders. Und dieses Phänomen wurde von Einstein bereits als „spukhafte“ Fernwirkung bezeichnet.

Einstein vermutete hinter dem Phänomen der Quantenverschränkung verborgene Mechanismen, die den Beobachten einfach noch unbekannt sind. Doch bislang hat sich diese Annahme von Einstein nicht bestätigen lassen. Irrte er womöglich? Oder hat man diese Mechanismen bis heute nur noch nicht aufgedeckt? Der Autor stellt in seinem Beitrag noch einige Experimente vor, die mehr Licht ins Dunkel bringen sollen. Ob daraus neue Erkenntnisse resultieren, bleibt jedoch abzuwarten.

 

Beitrag 8 – Interview. Ich will die Natur verstehen. Von Robert Gast

Gast führt ein Interview mit dem Physiker Jörg Schmiedmayer von der Technischen Universität Wien. Der Interviewte erläutert u.a., dass er ein abgeschlossenes Quantensystem untersuchen will, das sich im Gleichgewicht befindet, das seinen Zustand also nicht mehr ändert. Ziel seiner Forschung ist es, eine Beschreibung für Nicht-Gleichgewichts-Systeme herauszuarbeiten und Annahmen darüber aufzustellen, wie sich Strukturen in solchen Systemen entwickeln.

 

Beitrag 9 – Theoretische Physik. Viele Alltagswelten für eine Quantenwelt. Von Alexandra Witze

In diesem Beitrag wird eine irrwitzige Theorie vorgestellt. Drei Physiker meinen, die Eigenschaften der Quantenwelt darauf zurückführen zu können, dass mehrere parallele Alltagswelten miteinander wechselwirken. Sie bezeichnen ihren Ansatz die „Viele-Welten-Interpretation“. Ihrer Meinung nach lassen sich viele Quantenphänomene, wie z.B. der Tunneleffekt, durch gegenseitig beeinflussende Welten erklären. Klingt abgedreht, ist es in meinen Augen auch. Was die Forscher bisher jedoch nicht mit ihrem Ansatz erklären können, ist das Phänomen der Verschränkung.

 

Beitrag 10 – Essay. Machen Quanten Sprünge? Von David Tong

In seinem Essay beleuchtet der Autor die Diskussion darum, ob unsere Realität analog oder digital ist. Nach seiner Auffassung herrsche in der Physik seit jeher eine Debatte zwischen analogen und digitalten Ansätzen. Die Quantenmechanik habe dieser Debatte eine neue Wendung gegeben. Für mich ist der Beitrag zu sperrig, es wird zu viel Vorwissen vorausgesetzt. Schade!

 

Beitrag 11 – Nobelpreise 2012. Kontrolle über Schrödingers Katze. Von Thomas Bührke

Hier werden die Preisträger David J. Wineland und Serge Haroche genauer vorgestellt. Beide Forscher haben Techniken entwickelt, wie man die Übergänge von Mikro- zu Makrowelt genauer untersuchen kann. Sie führten viele neuartige und schwierige Experimente durch. Wineland hat sich z.B. mit der Frage beschäftigt, wie man einzelne Atome einfangen und v.a. kontrollieren kann. Er fing sog. Ionen ein, hat diese wiederum mit Lasern gezielt beeinflusst sowie ihre Eigenschaften vermessen. Haroche wiederum gelang es, Informationen über Lichtteilchen zu erhalten, ohne sie dabei zu zerstören. Dafür verwendete er im Rahmen seines Experiments Spiegel mit einer hohen Reflexivität. Letztlich haben beide Forscher viele Vorhersagen der Quantenphysik experimentell bestätigt und technologischen Fortschritt bewirkt. So gelang es Wineland z.B. eine sog. Optische Uhr zu konstruieren, die 100-mal genauer arbeitet als eine Atomuhr. Auch für die Entwicklung von Quantencomputern haben sie wichtige Pionierarbeit geleistet.


Beitrag 12 – Wissenschaftsgeschichte. Einsteins unbemerkte Revolution. Von Rainer Kayser

Der Autor widmet sich in seinem wissenschaftsgeschichtlich ausgerichteten Beitrag Einstein und beleuchtet, welche Schwierigkeiten dieser mit dem Forschungsbereich der Quantenphysik hatte. Er habe viele ihrer Ideen und Deutungen abgelehnt. Statt Zufälle anzunehmen, vermutete Einstein die Existenz verborgener Variablen, die man noch entdecken müsse. Das Phänomen der Verschränkung war für Einstein der Beweis, dass die Quantentheorie noch unvollständig sei. Inzwischen weiß man aber, so der Autor, dass unsere Realität nicht lokal ist. Dies wurde mit verschiedenen Experimenten nachgewiesen. Auch wird eine Kontroverse von Niels Bohr und Einstein im Hinblick auf die Unschärferelation in diesem Beitrag nachgezeichnet. Beide Forscher haben sich zeitlebens über physikalische Themen gestritten. Dabei wurde immer wieder deutlich, dass sich Einstein mit vielen Konzepten der Quantenphysik nicht anfreunden konnte. Er dachte sich immer wieder Gegenbeweise aus, die sich allerdings allesamt als nicht haltbar herausgestellt haben. Sehr interessant!

Sonntag, 16. Juni 2024

Carter, Chris - Blutige Stufen


Der Mentor



Bisher habe ich noch nichts von Chris Carter gelesen. Ja, ich habe sogar einen Bogen um diesen Autor gemacht. Aus Sorge, dass mir die drastischen Gewaltdarstellungen zu sehr unter die Haut gehen. Und allen, die (so wie ich) nicht viel „Blut“ brauchen, um spannungsmäßig auf ihre Kosten zu kommen, sei Folgendes gesagt: Die Szenen, die Carter in „Blutige Stufen“ liefert, sind heftig. V.a. der geschilderte Sadismus war für mich sehr, sehr nah an der Grenze des aushaltbaren. Allerdings beschränken sich diese Darstellungen auf die Schilderung des Tatorts und die Ereignisse kurz vor der Tat. Kurz vor den Morden bricht der Autor sogar die Schilderung ab und es folgt ein Schwenk zu einem neuen Kapitel. Die drastischen Gewaltdarstellungen kommen also nur punktuell vor und nehmen nicht so viel Raum ein. Man könnte sie sogar überblättern, ohne etwas zu verpassen (meine Wahrnehmung). Und den Vergleich mit den Filmen „Saw“, die ich persönlich schon nach dem ersten Teil abgebrochen habe, finde ich zu weit hergeholt (einige Rezensenten stellen diesen Vergleich an). So überladen von Gewalt war dieses Buch nach meinem Empfinden nicht.

 

Den Rezensionen zu Chris Carters neuestem Werk „Totenarzt“ habe ich sogar entnommen, dass es „unblutiger“ sein soll. Das werde ich bestimmt bei nächster Gelegenheit einmal überprüfen. Für mich war v.a. der dargestellte Sadismus des Täters das, was unter die Haut geht. Und ob auch das in dem neuen Carter weniger geworden ist, bleibt für mich abzuwarten. Und eigentlich finde ich es schade, dass es vor allem die Gewaltdarstellungen sind, über die man bei Carters Werk spricht. Denn in meinen Augen hätte es die gar nicht nötig. Der Thriller wäre auch ohne diese Passagen spannend, weil der Autor packend schreibt und auch ohne das Mittel von starker Brutalität Spannung erzeugen würde, wie ich finde. Gleichzeitig ist die drastische Gewaltdarstellung aber auch ein Merkmal, das Carters Thriller auszeichnet. Letztlich muss jede und jeder selbst entscheiden, was er sich zumuten will.

 

Doch nun erst einmal zum Inhalt: Man wird direkt von der ersten Seite an mitgerissen. Die Handlung setzt sofort ein. Eine betrunkene Frau kehrt zurück und erhält auf ihr Handy bedrohliche Nachrichten von einem Unbekannten. Er hat sich scheinbar Zugang zu ihrer Wohnung verschafft und lauert ihr auf. Man kann sich denken, wie das ausgeht… Die Ermittler Hunter und Garcia, die für besonders brutale Verbrechen zuständig sind, nehmen sich der Sache an. Was sie am Tatort sehen müssen, übersteigt alles, was sie bisher in ihrer beruflichen Laufbahn zu sehen bekommen haben (da ich die übrigen Bände nicht kenne, kann ich das nicht überprüfen). Und für alle Leserinnen und Leser von Cosy Crime kann ich diese Passage wirklich nicht empfehlen. Es werden keine drastischen Details bei der Schilderung ausgelassen.

 

Die Vorstellung, mit welcher sadistischen Veranlagung der Täter den Mord ausgeführt haben muss, geht unter die Haut. Danach werden dann die verschiedenen Abläufe der Polizeiarbeit geschildert und es geschehen noch weitere Morde (ganz klassisch). Ein Serienmörder treibt sein Unwesen. Und er verfährt immer wieder nach einem ähnlichen Muster. Bei allen Geschehnissen legt der Autor Wert auf eine detaillierte Beschreibung und zeigt, dass er sich gut in den verschiedenen Arbeitsbereichen auskennt. Auch die psychologische Ebene, die durchscheint, wenn z.B. der Täter näher charakterisiert wird oder wenn die Krankheit der Depression, die stellenweise eine Rolle spielt, thematisiert wird, ist profund ausgearbeitet, gelungen und plausibel. Carter bringt Expertise mit, das merkt man.

 

Der Spannungsbogen ist durchweg hoch. Es wird schnell getaktet und mit hoher Ereignishaftigkeit erzählt. Ständig passiert etwas Neues, neue Erkenntnisse kommen zum Vorschein, ein neues Opfer wird gefunden oder die Zeugen liefern wichtige Aussagen, die die Handlung wieder vorantreiben. Bei Carter gibt es keinen Stillstand und keine Längen. Er versteht es auch hervorragend, immer wieder bestimmte Erwartungshaltungen zum weiteren Handlungsverlauf bei den Leserinnen und Lesern aufzubauen und dann zu bedienen oder zu durchbrechen. Die Ermittlungen schreiten stetig voran. Und die Mordserie, die über den Roman hinweg ausgebreitet wird, ist ausgeklügelt, ausgefallen, abwechslungsreich und durchdacht. Und das alles kommt mir persönlich entgegen. Ich mag es, wenn Thriller temporeich und kreativ gestaltet sind. Das ist hier definitiv der Fall. Und hier ähnelt Chris Carter mit seiner dynamischen Schreibweise einem Arno Strobel oder einem Max Bentow.

 

Und noch etwas ist mir positiv aufgefallen: Die Auflösung. Am Ende fügt sich bei Carter alles schlüssig zusammen. Alles greift logisch und nachvollziehbar ineinander. Kein Handlungselement bleibt offen. Das ist geschickt arrangiert und beweist einmal mehr, dass der Autor seinen Plot sehr gut durchdacht hat. Und noch etwas: Das Prinzip des Thrillers verändert sich gegen Ende von einem „whodunit“ zu einem „howcatchem“-Thriller. Ab einem gewissen Punkt, weiß man, wer der Täter ist. Von diesem Zeitpunkt an, liest man gebannt, ob und wie Hunter und Garcia den Mörder erwischen werden. Auch das ist außerordentlich gelungen arrangiert, wie ich finde.


Was ich an positiven Punkten benannt habe (Tempo, Dynamik, Ereignishaftigkeit), hat aber seinen Preis, was die Charakterzeichnung angeht. Hunter und Garcia kommen in diesem einen Band etwas konturenlos daher. Vielleicht ist das anders, wenn man die anderen Bände kennt. Aber in „Blutige Stufen“ empfand ich die Individualität der Ermittler nicht stark ausgeprägt, sie sind in ihrer jeweiligen Charakteristik kaum unterscheidbar. Das Privatleben der Ermittler spielt in diesem Band keine Rolle (und das hat mich auch nicht gestört). Aber für die beiden Hauptfiguren hätte ich mir doch mehr (individuelles) Profil und noch ein wenig mehr Tiefgründigkeit gewünscht.

Donnerstag, 13. Juni 2024

Schami, Rafik - Wenn du erzählst, erblüht die Wüste


135 Perlen arabischer Erzählkunst



Auf der Göttinger Frühjahrslese im April 2024 habe ich eine Lesung von Rafik Schami besucht (vgl. meinen Beitrag vom 08.04.24), dessen Werk ich sehr schätze (vgl. dazu frühere Rezensionen), und habe dort auch sein neuestes Buch „Wenn du erzählst, erblüht die Wüste“ (2023) erstanden. Ich hatte damals auch versprochen, dass ich es rezensiere. Nun möchte ich mein Versprechen einlösen.


Umrahmt wird die wunderschöne Geschichtensammlung, auf die ich gleich näher eingehe, von einer autofiktionalen Rahmenhandlung, in der der Erzähler von seinem bücherliebenden Vater berichtet, aus dessen Bestand er ein handgeschriebenes Buch bewahrt, welches anonym verfasst worden ist und aus dem Jahr 1890 stammt. Der Erzähler möchte seinen Leserinnen und Lesern den Inhalt dieses Werks zugänglich machen, in dem einige Perlen arabischer Erzählkunst versammelt sind.

 

Die Erzählsammlung, die dann präsentiert wird, ist abermals von einer Rahmenhandlung umgeben. Der Erzählton wechselt ins märchenhafte. Wir lernen die Prinzessin Jasmin kennen, die im Alter von 17 Jahren ihr eigenes Land und die umliegenden Länder des Königreichs bereist. Dabei lernt sie den Fischer Amir kennen, in den sie sich verliebt. Vor ihren Eltern hält sie die Liebe zu Amir zunächst noch geheim. Und dann geschieht ein Unglück. Kurz bevor Jasmin ihren Eltern von ihrem Glück berichten möchte, wird ihre Mutter von einem Attentäter getötet.

 

Jasmin versinkt in tiefer Trauer und ihr Gesundheitszustand verschlechtet sich zusehends. Sie wird apathisch, redet mit niemandem und verlässt ihre Wohnung nicht mehr. Der Plan ihres Vaters, sie zur Königin zu krönen, ist unmöglich geworden. Aus Verzweiflung fasst König Salih einen wagemutigen Entschluss und verkündet, dass derjenige, der seine Tochter heilt, zum Fürsten geadelt wird und seine Tochter heiraten darf. Eines Tages kommt Karam, der Kaffeehauserzähler, in die Hauptstadt. Er ist bekannt als großer Geschichtenerzähler und hat schon einiges an Leid hinter sich. Als er von dem Schicksal der Prinzessin hört, beschließt er, ihr zu helfen. Mit großer Geduld widmet er sich ihrer Heilung. Er plant Jasmin mit Erzählungen Abend für Abend aufzumuntern und auf diese Weise, ins Leben zurückzuführen. Wird ihm dies gelingen? Und welche Geschichten wird er erzählen?

 

Anschließend folgt die Präsentation der zahlreichen, unterschiedlich langen Erzählungen, die an zehn Abenden zu verschiedenen Themen von Karam und anderen Zuhörerinnen und Zuhörern beigetragen werden. Die Erzählabende werden zu einem gesellschaftlichen Ereignis. Die Leute versammeln sich, hören zu, lassen sich unterhalten und kommen so auf andere Gedanken. Den Inhalt der Erzählungen (ich habe 135 gezählt) kann ich im Rahmen dieser Rezension nicht im Detail wiedergeben, die möge sich jede und jeder selbst erschließen. Es handelt sich in erster Linie um Märchen und Fabeln.

 

Aber die einzelnen Themen, zu denen erzählt wird, möchte ich benennen: 1. Von Gaunern, Lügnern und deren Widersachern (S. 49-89), 2. Von Mut und Feigheit (S. 90-130), 3. Von Schlauköpfen und Einfaltspinseln (S. 131-171), 4. Von Geiz, Neid, Gier und ihren Erzfeinden (S. 172-214), 5. Von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit (S. 215-255), 6. Vom Aberglauben und seiner Todfeindin, der Vernunft (S. 256-292), 7. Von Freundschaft und Feindschaft (S. 293-339), 8. Frei wie eine Schwalbe und frech wie ein Spatz (S. 340-380), 9. Liebe oder Weisheit des Herzens (S. 381-424), 10. Von der Liebe und der blühenden Wüste (S. 425-470).

 

Der Erzählton ist oft heiter und der Inhalt der Geschichten lehrreich (ohne erhobenen Zeigefinger). Werte des menschlichen Miteinanders werden geschickt und unterhaltsam vermittelt. Oft werden Konflikte zwischen verschiedenen Parteien in den Blick genommen, am Ende der Erzählungen siegt häufig die Gerechtigkeit, das Unrecht wird bestraft und es wird eine Moral vermittelt. Die inhaltliche Bandbreite ist weit. Die Geschichten bieten sich auch als Gesprächsanlässe an und eine vertiefende Nachbetrachtung bietet sich an.

 

In meinen Augen eine großartige, kreative Sammlung von Erzählungen, die zudem auch noch einen Einblick in die arabische Kultur geben. Viele Geschichten erfüllen eine Art „reinigende“ Funktion. Die Zuhörerinnen und Zuhörer werden von negativen Gefühlen wie Trauer, Wut und Zorn befreit. An die Stelle dieser Gefühle rückt Zuversicht. Einige Erzählungen sind nicht ganz jugendfrei und haben einen frivolen Charakter, andere Erzählungen (v.a. die Fabeln) kann man aber auch Kindern vorlesen. Um die vielen Geschichten angemessen in ihrer Pracht zu erleben und nachwirken zu lassen, empfiehlt es sich in meinen Augen immer einmal wieder Lesepausen einzulegen.

 

Rafik Schami legt ein Werk mit einer sehr wichtigen Botschaft vor, wie ich finde. Den Leserinnen und Lesern wird die heilende Kraft des Erzählens vorgeführt. Das Erzählen erscheint als Möglichkeit, dem Alltag zu entfliehen. Das einzige, was ich während der Lektüre vermisst habe, waren ausführlichere Schilderungen des Erlebens der Prinzessin Jasmin. Über ihre Reaktionen und den voranschreitenden Heilungsprozess erfährt man leider vergleichsweise wenig, war mein Eindruck.

Star Trek - Enterprise (Staffel 2)


Sehr gelungene Fortführung




Die zweite Staffel von „Star Trek: Enterprise“ mit Captain Archer knüpft nahtlos an die erste Staffel an und hat mir richtig gut gefallen. Sie hat einige Highlights zum Auftakt zu bieten; so z.B. die erste Begegnung mit den Romulanern (wenn auch auf Distanz, vgl. Folge 3). Auch T’Pols Geschichte über ein in den 60er Jahren gestrandetes vulkanisches Außenteam auf der Erde, das sich dort erstaunlich gut in die heimische Kultur integriert, hat mir sehr gut gefallen. Die Vulkanier zeigen die Bereitschaft, sich anzupassen, und entdecken während ihres Lebens auf der Erde die Liebe zur menschlichen Kultur (vgl. Folge 2). Archer entwickelt sich zunehmend weiter und reift als Führungsfigur. Aber er bewahrt sich stets seine aufbrausende, hitzige, impulsive Art und erscheint damit als gut angelegter Kontrast zu dem besonnenen, ausgeglichenen Picard aus TNG, der noch dazu oft unterkühlt und distanziert wirkt. Beide Figuren drängen sich förmlich für einen Vergleich auf, wie ich finde. Auch der Arzt rückt nach meinem Empfinden in Staffel 2 mehr in den Fokus und erhält eine Profilschärfung. Neben T’Pol ist er der einzige Außerirdische an Bord der Enterprise. Er verhält sich oft sehr skurril, strahlt aber eine hohe fachliche Kompetenz aus. Interessant sind die medizinischen Verfahren, die er einsetzt (wieder ein Kontrast!). Sie sind viel „naturbelassener“ als die technologisch hochgerüstete Krankenstationen in späteren Serien. Dr. Phlox setzt viel stärker auf Naturheilverfahren.

 

Was ich noch interessant fand: Es werden in einigen Folgen weitere Hintergründe zur vulkanischen Kultur vermittelt. So erfährt man z.B. mehr über die Gedankenverschmelzung, die ja in anderen Star Trek Serien immer mal wieder stattfindet. Bei Archer wird die Verschmelzung noch anders bewertet, nämlich als intimer Eingriff in die Gedankenwelt des Gegenübers. Was auch gut zum Ausdruck kommt, ist der Umstand, dass sich die Sternenflotte weiterentwickelt. Sie „mausert“ sich zunehmend zu einer respektablen Organisation. Die Vulkanier bitten Archer in einer der späteren Folgen sogar um Hilfe. Er soll als Diplomat in einem Konflikt vermitteln. Eine wichtige, erste Bewährungsprobe für die Menschheit! Nach meiner Wahrnehmung erhielt darüber hinaus die Figur des Ingenieurs („Trip“) mehr Aufmerksamkeit. Er steht in vielen Folgen im Mittelpunkt und kann sich als Sympathieträger beweisen. Nicht zuletzt fand ich gut, dass auch den Klingonen mehr Raum in der Staffel zugestanden wird. So erhalten wir z.B. einen Einblick in das klingonische Rechtssystem (eine tolle Hommage an „Star Trek VI. Das unentdeckte Land“). Die Folge „Das Urteil“ (Folge 19) gehörte für mich ganz klar mit zu meinen Favoriten in dieser Staffel.


Auch das Ende der Staffel bietet noch einmal einige Highlights. Besonders zugesagt hat mir die Folge „Cogenitor“ (Folge 22), in der es um die Themen „Toleranz“ und „Kulturrelativismus“ geht. Inwieweit darf man sich in eine fremde Kultur einmischen? Wo endet Toleranz? Eine äußerst gelungene Folge, die den Wesenskern von Star Trek berührt, wie ich finde. Überrascht war ich davon, dass am Ende von Staffel 2 sogar die Borg vorkommen (vgl. Folge 23, „Regeneration“). Archäologen stoßen auf Überreste eines Borg-Schiffes (ein schöner Rückbezug auf „Star Trek VIII – der erste Kontakt“). Eine sehr düstere, beklemmende, actionreiche Folge, atmosphärisch aufgeladen. Sie hebt sich von den übrigen Episoden der Staffel deutlich ab. Kurzum: Ich bin positiv überrascht worden. Ich hätte nicht gedacht, dass die zweite Staffel so gut ist und es schafft, mich so in ihren Bann zu ziehen. Sie hat mir sogar noch besser als die erste Staffel gefallen. Die persönlichen Highlights habe ich oben benannt.

Mittwoch, 12. Juni 2024

Morgan, J. O. - Der Apparat


Beam me up, Morgan!



Was wäre, wenn die Menschheit eine Transport-Technologie erfinden würde? Wie würde eine solche Erfindung das gesellschaftliche Leben und das Leben jedes einzelnen verändern? Um diese Fragen geht es in dem äußerst lesenswerten Buch „Der Apparat“ (2023) von J.O. Morgan, auf das ich durch die Vorstellung von @scifibloc aufmerksam geworden bin. Es handelt sich allerdings nicht um einen Roman, sondern um eine Sammlung von Kurzgeschichten, die für sich stehen und aus einer jeweils anderen Perspektive die Erfindung thematisieren. Allerdings sind die einzelnen Geschichten nicht zusammenhanglos, sondern sie bauen aufeinander auf. So schreitet die Entwicklung des Apparats von Geschichte zu Geschichte immer weiter voran. Werden zu Beginn nur Gegenstände teleportiert, so sind es bald erste Versuchspersonen und später viele Touristen. Die Technologie durchdringt bald immer mehr Lebensbereiche der Menschen und wird für sie unverzichtbar. In späteren Geschichten ist die Erfindung so weit entwickelt, dass man innerhalb eines Hauses nicht einmal mehr die Treppe benutzen muss, um von Raum zu Raum zu gelangen.

 

Im Folgenden gebe ich einen kurzen Einblick in die 11 verschiedenen Kurzgeschichten, die ich alle, d.h. ohne Ausnahme, sehr gerne gelesen habe. Alle Geschichten haben ein gutes, gleichbleibend hohes inhaltliches Niveau und regen immer wieder auch zum Nachdenken an. Sehr gelungen!

 

Geschichte 1 – Bringen Sie’s rein

Mr. und Mrs. Pearson erhalten die erstaunliche Möglichkeit, ein Gerät zu testen, mit dem sich Dinge teleportieren lassen (das erste teleportierte Objekt ist ein simpler Plastiklöffel). Mit anfänglichen Berührungsängsten nähern sie sich dem Apparat und sind sich unsicher, ob nicht doch Gefahren von ihm ausgehen. V.a. Mrs. Pearson beäugt das Gerät skeptisch. Ihr Mann hingegen ist technikbegeistert und sieht die großen Möglichkeiten. Das Paar streitet sich über die Vor- und Nachteile des Apparats für die Weltwirtschaft. Der Erzählton ist amüsant und das ganze Setting wirkt höchst skurril.  

 

Geschichte 2 – Einbahn

Die Technik hat erste Fortschritte gemacht. Eine ältere Dame zieht mit Hilfe eines Unternehmens um und lässt ihre Möbel mit Hilfe des Transporters teleportieren. Die Protagonistin misstraut diesem Ding noch. Ein altes Familienerbstück bringt sie lieber selbst von A nach B. Es wird die interessante Frage aufgeworfen, ob ein Replikat noch das Original sein kann.

 

Geschichte 3 – Der Erste, Mensch

Nun wird auch der Mensch von der Technologie erfasst. Es wird uns ein Mann beschrieben, dem bereits Gewebeproben entnommen wurden, die man erfolgreich durch das Gerät geschickt hat. Er will sich selbst durch die Maschine schicken lassen und ist menschliches Versuchsobjekt. Und er hat erstaunlich wenig Probleme damit, sich für Forschungszwecke zur Verfügung zu stellen. Interessant ist auch die Charakterzeichnung. Der erste Mensch, der teleportiert werden soll, stellt sich als Ekel heraus, der die Wünsche und Sorgen seiner Frau nicht respektiert. Er ist dominant, lässt keinen Widerspruch zu. Zweifel an der Richtigkeit des Projekts lässt er nicht aufkommen. Pflichtbewusstsein geht ihm über alles, er vertraut den Verantwortlichen des Forschungsprojekts blind. Wird die Teleportation glücken? Und kommt im Anschluss der gleiche Mann wieder heraus, der in das Gerät hineingegangen ist?

 

Geschichte 4 – Trial and Error

Die gesamte Logistik der Menschheit hat sich verändert. Anstelle von Flughäfen gibt es nun sog. Telehäfen. Noch scheint die Infrastruktur aber ausbaufähig. Es gibt nur wenige Geräte, die Schlangen sind noch lang.

 

Geschichte 5 – Gralssuche

Nun lernen wir einen mathematischen Analysten kennen, der im Hintergrund an der Verbesserung des Teleportationssystems arbeitet. Die Funktionsweise des Geräts wird beschrieben: Dinge werden analysiert, in Einzelteile zerlegt und wieder zusammengesetzt. Es geht um die exakte Übermittlung von komplexen Informationen in Form von Zahlen. Das Metier des Analysten sind genau diese Zahlen. Mit ihnen kennt er sich aus. Bei der Teleportation wird die ausgelesene Information in Zahlen übersetzt, die nicht verändert werden dürfen. Diesen Prozess gilt es zu verbessern und zu kontrollieren. Auch ein möglicher Missbrauch des Systems als Waffe muss bedacht werden. Doch eines Tages muss der Analyst einen Weg finden, den Teleporter umzuprogrammieren. Als seine Tochter an Krebs erkrankt, sucht er nach einer Möglichkeit, das infizierte Gewebe durch den Transport entfernen zu lassen. Wird die Maschine dieses Kunststück vollbringen können?

 

Geschichte 6 – Ein Missverständnis

Wir begegnen einer Journalistin, die auf Sensationsjagd ist. Gibt es etwa keine Skandale, die von der Firma, die für die Transporttechnologie zuständig ist, zurückgehalten werden? Die Protagonistin macht sich auf die Suche nach möglichen Vertuschungen. Bei ihren Recherchen stößt sie auf einen mysteriösen Umstand: Keiner weiß, wie die Transporter genau funktionieren. Man weiß zwar, dass sie funktionieren, aber was genau beim Teleport passiert, das bleibt im Dunkeln. Erstaunlich, dass die Menschheit trotzdem arglos auf diese Technologie zurückgreift. Ist es womöglich sogar denkbar, dass ein Objekt beim Transport komplett vernichtet wird und an anderer Stelle als Kopie wiederhergestellt wird? Wird überhaupt Information übertragen? Spannende Fragen, v.a. wenn man bedenkt, welche Konsequenzen solche Annahmen hätten (Was ist Existenz?).

 

Geschichte 7 – Letzte Abendmahle

Nun lernen wir einen aufgeweckten Jungen kennen, der zugleich ein Tüftler ist. Als seine Eltern einen Heimtransporter anschaffen, macht er sich heimlich daran, das Gerät näher zu untersuchen. Dabei entdeckt er einen Fehler und will das System auf eigene Faust optimieren. Was er jedoch nicht bedenkt, sind die Konsequenzen, die sein Eingriff mit sich bringt. Er bringt sich selbst und andere in große Schwierigkeiten und stiftet ein heilloses Chaos. Vor der Weltöffentlichkeit wird ihm schließlich der Prozess gemacht.

 

Geschichte 8 – Haushaltshilfe

Das Transportersystem wird erneut weiterentwickelt. Nun benötigt man nur noch eine Sende- und Empfangsschüssel und der Transport geht kabellos vonstatten. Es ist sogar möglich innerhalb eines Hauses von Raum zu Raum zu „springen“. Eine Treppe wird nicht mehr benötigt. Ein ganzes Dorf soll mit dieser Weiterentwicklung hochgerüstet werden. Doch eine Tochter redet ihrem betagten Vater ins Gewissen, sich nicht als Versuchskaninchen für dieses neuartige System zur Verfügung zu stellen.

 

Geschichte 9 – Ausgeschnitten

Die menschliche Gesellschaft wird von der Technologie immer stärker durchdrungen. Die Menschen werden immer abhängiger von der neuen Technik. Auch der Tourismus wird nun mit Hilfe von Transportern organisiert. Und es kommt erstmals zu einer (vermeintlichen) Katastrophe. Bei einem Schulausflug verliert eine Mutter ihre Tochter bei der Teleportation. Sie taucht nicht am Zielort auf und niemand von den Mitschülern hat gesehen, ob sie in den Transporter eingestiegen ist. Wo ist sie hin? Und wie lässt sich nachweisen, dass ihr etwas zugestoßen ist?

 

Geschichte 10 – Ein freier Weg

Es gibt keinen Weg an der Technik vorbei. Die Menschen können gar nicht mehr anders, als sie zu nutzen. Der Alltag wird vollständig von der Transport-Technologie bestimmt. In dieser Kurzgeschichte wird die Frage thematisiert, was man eigentlich während eines Transfers spürt. Wie fühlt es sich an, von A nach B teleportiert zu werden?


Geschichte 11 – Ferner, hin

Nun wird der Blick visionär geweitet. Zwei Männer verfolgen, wie eine Rakete einen Transporter zum Mond bringt. Ein schöner abschließender Ausblick: Die Menschheit beginnt, den Weltraum mit der neuen Technologie zu erobern. Ein Transport von der Erde zum Mond wird dann mehrere Minuten dauern. Dabei kann man wieder über einiges nachdenken: Was passiert in dieser Zeit mit der menschlichen Existenz, wenn man sich in einem solchen „Transport-Zwischenstadium“ befindet, zwischen „nicht mehr hier und noch nicht da“? 

Mittwoch, 5. Juni 2024

Blake, Matthew - Anna O.


Schlafforensik


Der Thriller „Anna O.“ von Matthew Blake wird vollmundig beworben. Da heißt es: „Der Bestseller, der alle um den Schlaf bringt“ (Ein Bestseller mit Ansage?). Lucy Clarke meint: „Macht süchtig. Extrem clever und originell: der Thriller, über den alle reden.“ A.J. Finn darf ebenfalls nicht fehlen: „Liest sich wie ein Traum, ist beunruhigend wie ein Albtraum“.

Da kann man ja nur zugreifen, oder etwa nicht? Ich habs jedenfalls getan (Ich, Dummerchen!). Und was soll ich sagen: Ich bin verärgert über mich selbst, dass ich wieder auf solche markigen Sprüche hereingefallen bin. Ich bin wieder einmal ein Opfer des Marketings geworden (es funktioniert also doch…verdammt!). Ich hätte es besser wissen können, habe ich aber nicht. Zur Strafe rezensiere ich nun ein Werk, das es eigentlich nicht verdient hätte, erwähnt zu werden. Dann also mal los…


Worum geht es? Der Autor rückt ein Phänomen in den Mittelpunkt, das tatsächlich existiert: Das sogenannte Resignations-Syndrom. Ein Syndrom, das vor allem bei geflüchteten Kindern in Schweden beobachtet worden ist (Internetrecherche empfohlen!). Diese reale (psychosomatische) Krankheit überträgt der Autor auf einen fiktiven Kriminalfall und bedient sich dabei auch allerlei intertextueller und intermedialer Anspielungen, die aber in meinen Augen nur als Effekthascherei und in Form von inhaltsleeren Schlagworten daherkommen.

 

Anna O. ist seit vier Jahren im Tiefschlaf versunken und durch nichts aufzuwecken. Da sie damals mit einem blutigen Messer und mit blutdurchtränkter Kleidung bei zwei Opfern aufgefunden worden ist, geht man davon aus, dass es sich bei ihr um die vermeintliche Mörderin handelt. Alles spricht gegen sie. Doch wie will man einer Schlafenden den Prozess machen? Das ist die Aufgabe des forensischen Psychologen Ben. Er soll sie aufwecken, damit sie vernommen werden kann. Das ist auch schon die ganze Grundhandlung (die eigentlich gar nicht mal so schlecht ist). Doch darum herum wird Weiteres „aufgebläht“, das mich nicht wirklich erreicht hat. Und natürlich sollte man sich auch nicht an dem etwas unlogischen Ausgangssetting stören, dass jemand bereits seit vier Jahren schläft (Dornröschen lässt grüßen). Aber nun gut… Kann ja trotzdem spannend sein. Und dann sehe ich auch über manches hinweg (nicht aber in diesem Fall).

 

Der Einstieg in den Thriller ist auch eigentlich gar nicht so schlecht. Man ist sofort mittendrin in der Handlung stellt sich einleitend einige Fragen, die zum Weiterlesen animieren. Warum schläft Anna O.? Warum wacht sie nicht auf? Was ist damals passiert? Und wird sie noch aufwachen? Welche (neuen) Erkenntnisse wird das womöglich zutage fördern? Was wird sich Ben einfallen lassen, um sie aufzuwecken? Doch diese Fragen verlieren nach meinem Eindruck im weiteren Handlungsverlauf an Relevanz, es geht dann um ganz andere Dinge, die weitschweifig vom Kern des Ganzen wegführen. Zwischendurch gab es immer einmal wieder wenig zielführende Passagen, bei denen ich mich gefragt habe, wozu sie dienen und worauf sie hinauslaufen. Ich habe dann geduldig und ergebnisoffen weitergelesen und gehofft, dass sich einiges später ins Gesamtbild einfügen wird. Aber vieles blieb mir rätselhaft. Vielleicht ist das auch absichtlich vom Autor so arrangiert worden, damit sich das Buch „traumartig“ liest. Falls dem so sein sollte, konnte ich damit leider nicht viel anfangen… Für mich war im Nachhinein erstaunlich, wie wenig die titelgebende Figur Anna O. eigentlich im Buch vorkommt.

 

Die Krankheit des Resignations-Syndroms wird in meinen Augen lediglich als reißerischer Aufhänger benutzt. Tatsächlich war mir das Syndrom bisher unbekannt und ich habe einiges dazu im Internet nachgelesen (das war gut!!). Aber der Thriller bleibt erstaunlich oberflächlich, was die psychologische Ebene betrifft. Da hätte ich wirklich mehr erwartet. Auch bei den Themen „Schlafwandeln“, „Schlaf“, „Traum“ und bei dem juristischen Aspekt der verminderten Schuldfähigkeit hätte man nach meinem Gefühl noch viel mehr in die Tiefe gehen können. Mich hat es jedenfalls nicht überzeugt. Von mir gibt es 2 Sterne. Das Buch hat mich einfach nicht gepackt und war mir zu verworren. Mit fortlaufender Lektüre hat sich das Werk immer mehr in eine Richtung entwickelt, die mir nicht zugesagt hat. Ich hatte einfach eine völlig andere Erwartungshaltung an den Titel, die sich leider nicht erfüllt hat. Schade! Warum gebe ich nicht weniger als 2 Sterne? Den Wendepunkt, den sich der Autor überlegt hat, fand ich gelungen platziert. Und das Resignations-Syndrom als Aufhänger zu nehmen, war eine sehr gute Ausgangsidee, die Interesse weckt.

Montag, 3. Juni 2024

Eschbach, Andreas - Perfect Copy. Die zweite Schöpfung


Talent – Chance oder Bürde?



Auf den ersten Seiten lernen wir Wolfang Wedeberg kennen, der mit seinem Vater ein Konzert besucht, auf dem ein Künstler sein Instrument virtuos beherrscht. Der Vater sagt Wolfang ebenfalls eine große Zukunft als Musiker voraus. Man spürt sofort den Erwartungsdruck. Felsenfest geht er davon aus, dass auch sein Sohn eines Tages auf den großen Bühnen der Welt spielen wird. Wie kann er da nur so sicher sein?

Parallel dazu begleiten wir einen Journalisten, der scheinbar etwas zu den Wedebergs recherchiert. Der Chefredakteur hat ihn auf eine Sache angesetzt, von der wir als Leser noch nicht genau wissen, worum es geht. Nur eines ist klar, es scheint sich um eine „heiße Sache“ zu handeln. Und man fragt sich direkt, was der Reporter vorhat.

 

Wolfgang geht in die sechste Klasse eines Gymnasiums. Und aus aktuellem Anlass – es ist gelungen, die Kopie eines Menschen künstlich herzustellen – wird im Unterricht über das Thema des Klonens gesprochen. In seiner Freizeit übt Wolfgang Cello und vertieft sich in Musikaufnahmen. Er ist sehr musikalisch, aber auch überaus selbstkritisch und schnell frustriert. Er zweifelt an sich selbst und an seinem Talent. Man wird bei der Lektüre den Eindruck nicht los, dass Wolfgang mehr die von außen an ihn gerichteten Erwartungen erfüllen will, als die eigenen Wünsche zu verfolgen. Er konfrontiert seinen Vater auch mit seinen Selbstzweifeln, doch dieser wiegelt ab. Er hält seinen Sohn für begabt und möchte keine Diskussion mit ihm darüber führen. Er erträumt sich für ihn eine große Karriere. Der Sohn soll erreichen, was dem Vater selbst nicht vergönnt war. Basta! Wie wird es mit Wolfgang weitergehen? Wird er sich den (dominanten) Vorstellungen seines Vaters beugen oder einen eigenen Weg einschlagen und sich behaupten?

 

Mit diesem Jugendbuch lassen sich einige Themen gewinnbringend vertiefen. So ist der Vater-Sohn-Konflikt sicherlich ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig Selbstbestimmung ist. Darüber hinaus ist die Frage von „Talent“ ein zentrales Thema. Was ist Talent, wie kommt es zustande und wie kann man es fördern? Ist es genetisch bedingt oder spielen auch Umwelteinflüsse eine nicht zu vernachlässigende Rolle? Und ist es erlaubt, sein Talent zu vergeuden? Deutlich wird jedenfalls, dass auch die nötige Leidenschaft notwendig ist. Gerade für Jugendliche, die selbst noch nicht recht wissen, was ihr Talent ist oder was sie daraus machen wollen, ein reizvolles Thema, wie ich finde.

 

Ein weiterer großer Themenbereiche, an den man sehr gut anknüpfen kann , ist das Klonen. Es wird nicht nur das Verfahren des Klonens genauer vorgestellt (das Schaf Dolly findet Erwähnung), es werden auch ethisch-moralische Fragen in den Blick genommen. Welche Konsequenzen hat z.B. ein geklonter Mensch zu befürchten (auch in juristischer Hinsicht)? Hier gibt das Jugendbuch viel her. Das Thema wird facettenreich beleuchtet und bietet einige Vertiefungsmöglichkeiten. Auch die erste große Liebe wird thematisiert. HIer kann man sich fragen, was eine glückliche Beziehung ausmacht. Wolfgangs erste Freundin unterstützt ihn bei der Selbstfindung jedenfalls vorbildlich.

 

Und noch etwas macht dieses Buch in meinen Augen zu einer lesenswerten Lektüre. Es liest sich durchweg spannend. Man möchte wissen, was aus Wolfgang wird und was er über sich herausfindet. Die Figur hat Zugkraft und bietet für jugendliche Leser sicher einige Identifikationsmöglichkeiten. Und hinzu kommt die unsympatische Vaterfigur, die emotionale Beteiligung hervorrufen dürfte. Der Vater verhält sich, wie schon erwähnt, dominant und lässt seinem Sohn kaum Freiheiten, selbst etwas zu entscheiden. Das bietet jede Menge Reibungspunkte. Kurzum: Wieder einmal ein tolles Buch aus der Feder von Andreas Eschbach. Auch als Unterrichtslektüre gut einsetzbar. Man sollte allerdings als Lehrkraft nicht davor zurückschrecken, aktuelleres Material zum Thema „Klonen“ zu recherchieren.